Vic:
Ein letztes Mal ging ich prüfend durch mein Zimmer in unserem Haus in Granollers und kontrollierte alle Schubladen und Schränke, ob ich nicht doch etwas wichtiges vergessen hatte, was ich mit nach Kiel nehmen wollte. Es stand nun offiziell fest. Ich würde mein Rechtswissenschaftsstudium in Kiel beginnen dürfen. Obwohl es noch gut zwei Wochen bis zum Beginn des Studiums waren, würde ich heute zusammen mit meinen Eltern nach Hamburg fliegen und bereits meine Sachen, die ich mitnehmen wollte dort abliefern. Außerdem stand uns etwas Arbeit bevor, wenn wir das alte Gästezimmer in mein neues Zimmer verwandeln wollten. Auch wenn die Möbel hier bleiben würden, erinnerten die als Einziges an das gemütlich Zimmer, in welchem ich meine gesamte Kindheit verbracht hatte. Die Schränke waren so gut wie leer geräumt, abgesehen von ein paar viel zu treuen Kleider, die auf irgendwelchen Gala Veranstaltungen einst getragen hatte und hoffte nie wieder anziehen zu müssen und ein paar Kleidungsstücke, die mir entweder mittlerweile zu klein waren oder ich sie einfach nicht mehr tragen wollte. Die Bilder und Fotos mit zahlreichen schönen Erinnerungen hatte ich ebenfalls in eine Kiste geräumt, welche ich mitnehme würde.
Noch immer fühlte es sich so unwirklich an, dass meine Eltern es mir tatsächlich erlaubt hatten zum studieren nach Kiel zu Travis zu ziehen. Mama war sofort begeistert gewesen, schließlich hatte sie einst auch an der Christian-Albrecht Universität studiert, während Papa anfangs etwas skeptisch gewesen war, aber dann auch eingesehen hatte, dass ein Ortswechsel manchmal auch nicht so schlecht war. Jetzt wo mir soeben bewusst wurde, dass ich vorerst für längere Zeit nicht mehr hier herkommen würde, bekam ich auf einmal doch Angst. Angst vor einem Neuanfang. Angst davor mein vertrautes Umfeld hier zurückzulassen. Doch am meisten schmerzte die Tatsache meine alte Mannschaft irgendwie im Stich zu lassen. Von klein auf hatte ich das Trikot dieses Vereins getragen. Noch nie hatte ich mir ein Trikot mit einem anderen Vereinslogo übergezogen. Die meisten der Mädchen hatten damals mit mir angefangen. Wir waren so etwas wie eine Familie und nun hatte ich mich dazu entschieden diese Familie zu verlassen und es fühlte sich an wie ein Verrat.
Andererseits war da diese Vorfreude, etwas neues anzufangen. Vielleicht neue Freundschaften schließen zu können. Gedankenverloren öffnete ich eine der untersten Schubladen meines Schrankes und erst als ich den Inhalt dieser sah, wusste ich, dass es wohl die verbotene Schublade gewesen war, die ich geschworen hatte nie wieder zu öffnen. Mein Blick fiel auf eins der zahlreichen Trikots mit der Nummer 13. Sofort kamen die Erinnerungen wieder hoch, wie ich einst zu ihm aufgesehen hatte. Meine ganze Wand war voll mit irgendwelchen Fotos von ihm gewesen. Bis zu diesem einen Tag, an welchem ich die Wahrheit erfahren hatte. Die Wahrheit über mich und die Wahrheit über ihn...
Rückblick 17.11.2019:
Nervös spielte ich mit den Fingern und rutschte auf dem Stuhl vor dem Raum, in welchem ich gleich erfahren würde, wer meine leiblichen Eltern waren hin und her. Es waren vier Tage vergangen, seit meinem 16.Geburtstag, die mich offiziell berechtigten meine Adoptionspapiere ansehen zu dürfen. Eigentlich hatte ich nicht vorgehabt hierherzukommen. Schließlich hatte ich meine Familie, die mich liebte im Gegensatz zu meinen leiblichen Eltern, die mich aus welchem Grund auch immer damals hergegeben hatten. Was würden zwei Namen auf einem Papier daran ändern? Vermutlich waren es nur zwei Namen, die mir eh nichts sagen würden und was würde mir diese Information bringen? Es war zwei Jahre her, dass ich erfahren hatte, dass Mama und Papa nicht meine leiblichen Eltern waren und Travis nicht mein generischer Bruder. Doch für mich hatte diese Information nie etwas daran geändert. Vielleicht die ersten Tage nach meinem Geburtstag hatten mich viele Fragen beschäftigt. Doch recht schnell hatte ich diese Tatsache akzeptiert und aufgehört mir Gedanken über Dinge zu machen, die ich vermutlich eh niemals erfahren würde und es vermutlich auch nicht wollte. Für mich waren Mama und Papa meine Eltern und sie würden es auch immer bleiben, egal was so ein Stück Papier sagte und Travis ist und bleibt mein großer Bruder, den ich über alles liebte. In meinen Augen war ich Halbdeutsch und halbspanisch und genoss in beiden dieser Kulturen aufzuwachsen. Ich spürte wie sich die Hand meiner Mutter auf meine Schulter legte. "Dich zwingt niemand dort reinzugehen. Du musst es auch selbst wollen. Wir wollten dir nur die Möglichkeit geben zu erfahren, wer deine leiblichen Eltern sind und dir damit deutlich machen, dass wir nicht im Weg stehen werden, wenn du sie kennenlernen willst, was jedoch nie etwas daran ändern wird, dass wir dich über alles lieben und du immer unsere kleine Tochter sein wirst", redete diese vertraute Stimme meiner Mutter beruhigend auf mich ein. Impulsiv umarmte ich meine Mutter, weil ich gerade das Bedürfnis hatte mich an etwas festhalten zu wollen. Mein Blick fiel auf die andere Seite des Ganges. Der Einzige, dem es anscheinend blendend zu interessieren schien, wer meine leiblichen Eltern waren, war Travis. Er saß bewusst auf der anderen Seite des Ganges, schließlich war die Anspannung zwischen ihm und meinem Vater über den Gang hinweg zu spüren. Travis war auch derjenige gewesen, der mich letztendlich dazu überredet hatte, diesen Schritt zu gehen.
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Everything I didn't say
FanfictionFortsetzung Hidden Kisses ~ "I am too afraid Everything will change But it will break my heart If things will stay the same How does it feel to fall in love? Will it hurt or last forever?"~ How to fall in love - Linda Elsener Im letzten Jahr hatte s...