Everything I didn't say

45: Eine langweilige Busfahrt und Erinnerungen

Travis:
Rückblick
"Schmunzelnd fand ich mich neben meiner kleinen Schwester am Spielfeldrand wieder. Aufgeregt wippte Vic auf und ab, denn sie konnte es kaum erwarten den Spielern des THW Kiels gleich so nahe sein zu können. Nach wie vor hatte ich am ganzen Körper Gänsehaut von der  atemberaubenden Stimmung in der Halle, während des Nordderbys. Ich wusste nicht, wann ich das letzte Mal so glücklich gewesen war. Das  Gefühl als ich mich nach Abpfiff jubelnd im Kreis meiner Familie  wiedergefunden hatte und das erste Mal seit langem wieder das Gefühl  hatte als vollfertiges Mitglied der Familie angesehen zu sein, trieb nach wie vor in meinem Körper sein Unwesen. Es war ein unbeschreiblich  schönes Gefühl, das hoffentlich nicht wieder all zu schnell verschwinden würde. "Hast du meine Tasche?", riss mich Vic aus den Gedanken. "Nein. Die hab ich Mama mitgegeben", erinnerte ich mich. "Mensch Travis. Da ist  mein Stift drin. Ich geh sie schnell holen, aber wehe ich verpasse einen Spieler außer Steffen, der ist nicht wichtig, dann gebe ich dir die Schuld", fauchte sie genervt, bevor sie mir den Stapel Autogrammkarten vom Fanshop in die Hand drückte und die Treppen nach oben Richtung VIP Bereich rannte. Schmunzelnd schaute ich ihr nach. Ich war so in Gedanken, dass ich gar nicht merkte, dass die ersten Spieler rauskamen. Erst als mich seine Stimme wieder zurück in die Gegenwart  holte, wurde ich auf sie aufmerksam. "Hey, hätte nicht gedacht, dass du Handballfan bist", sprach mich der Österreicher breitgrinsend an. Ich  blickte seinen blauen Augen entgegen. Ich spürte wie meine Wange sich  leicht rotfärbten, weil ich mir etwas komisch in meinem uralten Filip Jicha Trikot vom THW Kiel vorkam. Ein Wunder, dass mir das überhaupt noch passte? Ich sammelte mich jedoch schnell wieder und erwiderte:  „Dann hast du eine schlechte Menschenkenntnis. Ich hab selbst mal  gespielt." Bei diesen Worten wurde dieses Stechen in meiner Brust wieder größer. Wie gerne würde ich noch einmal auf diesem Spielfeld stehen können. Ich sehnte mich nach diesem Kribbeln, welches meinen Körper  durchfuhr, wenn ich den harzverschmierten Ball in der Hand hielt.

"Ok-  dann hab ich wohl echt eine schlechte Menschenkenntnis", gab Niko zu.  "Schön dich mal zu sehen, ohne von dir über den Haufen gerannt zu  werden", warf ich nun ein und stützte mich auf der Bande vor mir ab und  zwinkerte ihm zu. Ein Lachen entfuhr seiner Kehle. Erst jetzt fiel mir  auf, dass ich mich bisher nicht vorgestellt hatte. "Ich bin übrigens  Travis", stellte ich mich vor und streckte ihm die Hand höflich zu.  "Niko, aber das weißt du sicher", stellte er sich ebenfalls nochmal vor  und umfasste kurz freundlich nickend meine Hand. Ein Kribbeln durchfuhr  meinen Körper. Doch ich verdrängte dieses Gefühl sofort wieder. Für  einen Moment trafen sich unsere Blicke und da war irgendwas zwischen  uns, was ich nicht beschreiben konnte. Niko war dann derjenige, der sich  als Erstes wieder abwendete und dann plötzlich eine der Klatschpappen  nahm, die auf dem Boden lagen und ein Stück von dieser abriss, bevor er  mit dem Stift, welchen er in der Hand hielt, etwas auf dieses Stück schrieb. "Hier meine Nummer, falls du doch mal reden willst", sagte er  und überreichte mir zwinkernd den Schnipsel. Etwas verwirrt nahm ich  diesen entgegen und steckte ihn in meine Hosentasche. "Travis", rief auf einmal Vics Stimme meinen Namen, die angerannt kam. "Langsam... ich hab  Niko extra für dich aufgehalten", hatte ich schnell eine schlüssige  Ausrede parat, wieso ich mit dem Österreicher gesprochen hatte.

"Meine  Schwester Vic - würdest du ein Bild mit ihr machen?", fragte ich den Österreicher für meine Schwester, die nur weit den Mund aufgerissen  hatte und kein Wort hervorbrachte. "Klar", willigte Niko sofort ein und stellte sich neben meine Schwester, während ich schnell das Handy zückte und ein Bild von den beiden machte. Niko unterschrieb noch ihre Autogrammkarte, bevor er sich dann verabschiedete und zu den anderen Fans ging, die ebenfalls auf ihn warteten. Doch er drehte sich nochmal um und zwinkerte mir kurz zu, was wieder ein Kribbeln in meinem Bauch  auslöste.

"Erde an Travis", auf einmal spürte ich den Windzug einer Hand, die aufgeregt vor meinem Gesicht herumwedelte und mich  augenblicklich wieder zurück in der Gegenwart kehren ließ. Ich fand mich neben Carina in der Küche wieder und war gerade dabei Gemüse zu  schneiden und das Wichtigste für die Abendkundschaft im Restaurant  vorzubereiten. "Du hast wieder an ihn gedacht", hatte mich Carina erneut dabei erwischt, dass ich an den Österreicher denken musste. Sofort  spürte ich wie meine Wangen heiß wurden. "Nein", stritt ich es sofort  ab, obwohl ich wusste, dass Carina eh wusste, was Sache war. "Wieso  schreibt du ihn nicht endlich an?", fragte sie und rollte genervt die  Augen. "Weil erstens... ich nicht bereit bin, dass mein Herz erneut zerbricht... zweitens... Niko garantiert nicht auf Männer steht...  schließlich hat er dich angehimmelt, begann ich meine Argumente  aufzuzählen, wieso ich mich bisher nicht überwinden konnte, ihn  anzuschreiben. "Oh bitte erinnere mich nicht daran", stöhnte Carina  lachend auf. "Drittens...er mir seine Nummer vermutlich nur aus Mitleid  gegeben hat und viertens... wir eh nicht mehr Leben werden, wenn wir bis  17 Uhr nicht fertig sind", fügte ich erschrocken mit einem Blick auf  den großen Haufen an Gemüse, der immer noch nicht kleingeschnitten war,  hinzu und begann einen Gang hochzuschalten. Wütend ließ ich meine Gefühl  an dem Gemüse aus. "Du sollst das Gemüse nicht masakrieren", meinte  Carina belustigt. "Lass mich mein Gemüse so schneiden wie ich es will",  stellte ich klar und bedrohte sie mit einer Zuchini, was sie jedoch noch mehr zum Lachen brachte.