Kapitel 3 - 10. Juni 2006

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Maja

Drei Wochen lang brachte Maja das Bild des jungen Mannes nicht aus ihrem Kopf. Sie lief durch ihre Stadt, sah unbewusst die Männer an, fand keinen, der annähernd so hübsch war.
Sie lachte über sich.

Hatte sie sich in das Bild eines Call-Boys verliebt?
Das würde wieder einmal zu ihr passen. Zu ihr, mit ihren verqueren romantischen Wünschen, Hoffnungen und Träumen!

Zu ihr, die doch endlich einmal das richtige Leben kennen lernen sollte, das Leben, das nichts mit den Geschichten zu tun hatte, die sie schrieb und las!

Sie rief zu Hause noch einmal die Seite mit den Fotos auf, scrollte zur Nummer 333.
Er war schon echt süß! Sie las den Text noch einmal, lachte wie beim ersten Mal über seine Ausdrucksweise. Und er arbeitete auch noch in ihrer Stadt, wie sie heute feststellte.
Sie legte sich in den Garten, schloss die Augen, träumte sich in seine Arme.

Als sie aus ihren Träumen aufwachte, ging sie wieder zum Computer.
Vorlieben: Streicheln, Reden las sie wieder.
Reden! Da wäre doch eigentlich nichts dabei!
Was da wohl eine Stunde kostete?
Preise nach Vereinbarung, stand da.
Aber Geld hatte sie ja mehr als genug!
Eine Stunde reden! Oder zwei?
Sie war zu viel alleine, zu einsam in diesem riesigen Haus.

„Ruf mich doch einfach an! Wir reden dann darüber, was du von mir erwartest! Mit mir kannst du über alles sprechen!" stand da.
Süß! Das klang doch süß!

Maja! Er ist ein gelernter Frauenversteher!
Das ist sein Job! Wie eine Nutte, die jedem Fettwanst erzählte, dass er der schönste Mann der Welt für sie war!

Aber es war ja auch kein Risiko dabei! Sie konnte doch einfach mal anrufen! Sie war 26, einsam, alleine. Sie wollte wieder einmal mit einem Menschen aus Fleisch und Blut reden! Sie wollte wieder einmal lachen! Sie wollte endlich leben!
Wie ferngesteuert wählte sie die angegebene Nummer, hielt den Atem an.
Mailbox! Damit hatte sie jetzt nicht gerechnet!

„Hallo, hier ist die Mailbox von Felix. Wahrscheinlich bin ich gerade zu beschäftigt, um ranzugehen!" Er lachte leise. Seine Stimme klang wunderbar! Ein wenig heiser, dunkel, mit einem Lächeln.

Sein Lachen nahm ihr den Rest an Atem.
„Aber sprich doch einfach eine Nachricht auf die Box! Vielleicht willst du mir verraten, wie alt du bist? Vielleicht willst mir auch verraten, was ich für dich tun kann? Ich rufe dich auf alle Fälle zurück, deine Nummer sehe ich ja! Ich hoffe, bis bald!"

Maja legte schnell auf. Sie hatte sich nicht überlegt, was sie sagen wollte. Wäre er selbst rangegangen, hätte sie improvisieren können, aber auf die Mailbox zu sprechen, hatte so etwas Endgültiges! Da konnte sie nicht rumstottern!

Der Mut verließ sie wieder.
Doch der Blick auf die Fotos am Bildschirm ließen ihr Herz klopfen!
Einmal, nur einmal wollte sie einen so hübschen Kerl sich gegenüber sitzen haben.

Nur einmal wollte sie seine Stimme in Natura hören, sein Lachen sehen!
Sie schrieb sich den Text, den sie aufs Band sprechen wollte, auf, wählte nach einem tiefen Atemzug noch einmal die Nummer, lauschte noch einmal seiner Stimme, lächelte bei dem leisen, anzüglichen Lacher.

„Hallo, hier ist Maja! Ich würde dich gerne treffen, hier bei mir zu Hause. Ich möchte mich nur ein wenig mit dir unterhalten, eine Stunde lang. Ach ja, ich bin 26 Jahre alt!"

Dann legte sie schnell auf. Ihre Hände zitterten, ihr Magen verkrampfte sich!
Mein Gott, wenn er jetzt wirklich zurückrief?

Sie hatte es getan! Sie hatte einen Callboy angerufen!
Sie würde alles zurücknehmen, wenn er anrief!

Sagen, es war eine dumme Idee!
Oder eine verlorene Wette!
Sie würde sich entschuldigen!

Aber niemals würde sie ihn hierher bestellen!
Sie sollte wegfahren, nicht hier sein, wenn er anrief!
Sie sollte auf keinen Fall ans Telefon gehen!

Aber er hatte ihre Nummer!
Er würde es wieder und wieder versuchen, es war sein Job, sie war seine Kundin!
Ab jetzt war sie seine Kundin!
O Gott!
Die Kundin eines Callboys!

Felix

Als Felix nach Hause kam, hörte er die Nachrichten auf seinem „Geschäftshandy" ab.
Die gehetzte Stimme einer jungen Frau, die sich mit ihm treffen wollte.
Sie klang, als ob sie den Text ablesen würde.
Er verdrehte die Augen.
Eine Anfängerin!

Eigentlich wollte er ja keine neuen Kundinnen mehr.
Eigentlich wollte er aufhören, schon eine ganze Weile.
Nur noch die vier Stammkundinnen, die vier Damen, die er schon ein paar Jahre lang beglückte.
Er hätte sich bei der Agentur abmelden sollen, hatte es immer wieder aufgeschoben.

Jetzt hatte er noch eine Neue an der Backe, die sich den Text für die Nachricht hatte aufschreiben müssen.
Eine große Leuchte vor dem Herrn wahrscheinlich!
Eine 26jährige! Mit jungen Frauen hatte er keine guten Erfahrungen gemacht in seinem Job.
Sie waren entweder stark übergewichtig oder potthässlich, kriegten deshalb keinen ab.

Die ständige Frustration ließ sie ihm gegenüber frech, fordernd und überheblich auftreten.
So nach dem Motto: Ich bezahle dich, also kusche!
Den ganzen Hass auf Männer kriegte meistens er ab.

Und dann wollte sie auch noch reden!
Eine Stunde im Bett ging schon immer rum, wenn er das Kopfkino dabei laufen ließ, aber eine Stunde reden mit einer dicken, dummen, hässlichen Frau, das war Folter!
Er musste ihnen dann erzählen, wie schön, begehrenswert, liebenswert sie waren.

Er konnte ihnen schließlich nicht sagen, sie sollten abnehmen, sich für etwas anderes interessieren, als Doku-Soaps, sie sollten sich anders anziehen, eine vorteilhaftere Frisur wählen, sich vielleicht sogar die Nase operieren lassen.
Oder, sie sollten vielleicht einfach ein bisschen netter sein!

Und nach dem ganzen Gesülze wollten sie dann manchmal doch noch mehr als nur zu reden, und er konnte sie auch noch entjungfern!
Auch das hatte er schon erlebt!
Er musste echt aufhören mit Alldem. Finanziell hatte er es ja wirklich nicht mehr nötig! Er sollte sich eine feste Beziehung suchen, an die Zukunft denken!

Zuerst musste er etwas arbeiten, das lenkte ihn ab, dann brauchte er dringend frische Luft, zog sich um, joggte ein paar Runden durch den Park.
Nach einer ausgiebigen Dusche wollte er dann den Rückruf hinter sich bringen.


Der Hass wird nicht siegenWo Geschichten leben. Entdecke jetzt