Kapitel 12 - 13. Juni 2006

102 16 7
                                    

Felix

Felix fasste sich schnell. Er setzte sein professionelles Lächeln auf, betrat die Eingangshalle dieses gigantischen Hauses, schloss die Türe hinter sich. Er folgte ihr in einen riesigen Raum, nahm den angebotenen Platz am Esstisch ein.
Wunderschöne Beine, schmale Taille, Wahnsinnshaare! registrierte der Mann in ihm.

„Etwas zu trinken?" fragte sie, ihre Stimme klang etwas fester als die des Piepsmäuschens am Telefon.
„Ein Wasser, ja, bitte!" Klang dafür jetzt seine Stimme etwas heller als sonst? Er räusperte den Frosch aus seinem Hals.

Sie brachte eine Karaffe, natürlich keine Flasche, und zwei Gläser. Dazu stellte sie Schälchen mit verschiedenen Knabbersachen. Sie bewegte sich anmutig und selbstsicher, die blonde Mähne wippte beim Gehen, etwas anderes wippte auch wunderschön, das anzusehen er sich aber lieber schnell verbot.

Auf dem Tisch neben seinem Platz lag der Umschlag, der ein Loch in die Tischplatte zu brennen schien. Warum nahm er ihn nicht einfach und steckte ihn diskret ein? Warum wollte er dieses Geld nicht?

Sie setzte sich gegenüber von ihm. Wieder machte ihn ihre Schönheit fast sprachlos. Vollkommene Lippen, eine kleine gerade Nase und Wahnsinnsaugen. Groß, dunkelblau, umrahmt von langen, dunklen Wimpern, für eine Blondine eher ungewöhnlich, genauso wie die dunklen Augenbrauen, deren perfekter Schwung die Augen noch größer wirken ließen.

Er nahm dieses vollkommene Gesicht mit einem einzigen Kennerblick in sich auf. Mein Gott! War er dabei sich zu verlieben? In eine Kundin zu verlieben?

Dann musste er ihr unbedingt eine Frage stellen.
„Wie kommt ein so schönes Mädchen dazu, einen Call-Boy anzurufen? Warum nimmst du nicht einfach einen der zehn Männer, die an jeder deiner Hände verhungern?" Er wusste, es war frech, das zu sagen, aber er verstand wirklich ihre Beweggründe nicht!

Sie lächelte, begriff wohl, was er hatte sagen wollen.
Sie antwortete mit einer Gegenfrage. „Und warum lässt sich ein gutaussehender junger Mann für die Liebe bezahlen, der mit Sicherheit Probleme hat, die Mädchen abzuwimmeln, die mit ihm eine Beziehung haben möchten?" Sie wunderte sich, dass sie das angesprochen hatte, sah ihn offen dabei an.

„Touchè!" antwortete er nur, nahm einen Schluck von seinem Wasser, löste aber den Blick nicht von ihren Wahnsinnsaugen.
Eigentlich flirteten sie ja ein wenig miteinander! dachte er verwundert.

„Und wie bist du auf mich gekommen?" stellte er die zweite Frage.
Sie lachte, und das machte sie noch hübscher. Seltsamer Weise schien sie gar nicht mehr so schüchtern und gehemmt zu sein wie am Telefon. Die Stimmung zwischen ihnen war irgendwie.....vertraut?
„Willst du das wirklich wissen?" schien sie ihn zu necken.

„Ich will immer die Antwort wissen, wenn ich eine Frage stelle!" versicherte er und sah ihr immer noch tief in diese unglaublichen dunkelblauen Augen.

„Du stellst also nie rhetorische Fragen?" Sie schien nicht auf den Kopf gefallen zu sein, was ihn ungemein beruhigte, was ihm auch etwas zu sehr gefiel!

„Nein! Du?" Seine Hand wollte über den Tisch, wollte nach ihrer fassen.
Sie war eigentlich total sein Typ, sie war umwerfend süß!
Und er hatte so einen Bammel vor diesem Abend gehabt!
Statt nach ihren Fingern griff er sich irgendetwas aus einer der Schüsseln und schob es sich in den Mund.

Dann erzählte sie ihre Geschichte von dem Artikel in der Illustrierten und ihrer Internetrecherche, von der Internetseite, auf der er schließlich als Nummer 333 aufgetaucht war.
Er lachte herzhaft, als er sich die Schönheit vorstellte, als sie durch mehr als 333 Angebote von Kollegen gescrollt war.
„Die Seite kenne ich gar nicht!" stieß er schließlich hervor und wollte ihr eigentlich die immens wichtige Frage stellen, warum sie ihn ausgesucht hatte.

„Willst du sie sehen? Komm mit!" Aufgekratzt lief sie voraus zu einem Computer, der vor einem der Fenster der riesigen Wohnhalle stand.
Er wunderte sich wieder, wie verändert sie war.
Hoffentlich hatte sie nichts eingeworfen!
Aber ihre Pupillen waren normal groß, ihr Blick klar. Er erkannte eigentlich die Anzeichen, wenn eine Frau zugedröhnt war.

Sie hatte die Seite schon geöffnet, er stand hinter ihr, sah auf den Bildschirm. Ihr Duft war frisch, nicht zu schwer, ihr goldblondes Haar fiel in Wellen fast bis zu Taille. Er musste unbewusst tief einatmen.
Sie ist eine Kundin, Felix! rief er sich zur Vernunft.

„Schau mal!" sagte sie fröhlich, als ob sie ihm eine Liste von lustigen Tierchen zeigte und nicht Unmengen von Männern wie er einer war, die sich für Geld anboten.

„Schau mal den an! Diese abstehenden Ohren! Oder den! Der hat doch mindestens zwanzig Kilo Übergewicht! Oder der! Wie hässlich der ist! Und da soll frau etwas bezahlen, um mit ihm ins Bett zu gehen?" Sie hielt sich den Bauch vor Lachen.
Er war zuerst ein wenig pikiert, dass sie sich so lustig über diese Galerie machte, wurde aber schon bald von ihrer Fröhlichkeit angesteckt.

Irgendwie hatte sie ja auch recht!
Bei den Escort-Mädchen erwarteten die Männer vollendete Schönheiten, und Frauen wurden dann solche Typen vorgesetzt!
Schließlich waren sie bei seinen Fotos angekommen.

Der Hass wird nicht siegenWo Geschichten leben. Entdecke jetzt