Kapitel 6 - 10. Juni 2006

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Felix

Seufzend nahm Felix das Handy, wählte die Nummer, die das Display anzeigte. Irgendwann musste er es ja hinter sich bringen!
„Brenner!" meldete sie sich.
Er versuchte seine Stimme nicht gar so abweisend klingen zu lassen, wie er eigentlich wollte. Es war sicher nicht so einfach für sie gewesen, bei ihm anzurufen. Und er war nun mal ein Frauenversteher!

Von Berufs wegen! dachte er lächelnd.
„Hallo! Spreche ich mit Maja?" fragte er sicherheitshalber, nicht dass er ein Date mit ihrer Mutter ausmachte.
„Ja!" antwortete ein leises Stimmchen.
„Hier ist Felix! Du hast bei mir angerufen?"

„Ja!" Mehr kam immer noch nicht durch den Äther. Mein Gott, die Arme war ja total verschüchtert, hatte wohl Angst vor ihrer eigenen Courage bekommen. Sein Helfersyndrom schlug voll durch.
„Ich habe mich über deinen Anruf sehr gefreut!" sagte er freundlich. „Wann möchtest du dich denn mit mir treffen?"
„Ich weiß nicht!"
Na ja, das waren ja schon mal drei Worte, die sie gepiepst hatte.
„Maja! Du brauchst keine Angst vor mir haben! Ich bin echt ein ganz Netter!" versuchte er einen Scherz.

„Hm!" kam als Antwort.

Er verdrehte die Augen. Aber irgendwie erwachte auch sein Jagdinstinkt. Er würde es schon schaffen, dass sie ihn nett fand, dass sie merkte, dass er wirklich ein Netter war. Er wollte ihr einfach ihre Angst nehmen!

„Also, hättest du am Samstag Zeit?" ergriff er die Initiative.
„Ja!"
„Und du möchtest, dass ich zu dir nach Hause komme?"
„Ja!"
„Und du möchtest dich mit mir unterhalten? Einfach reden, über Gott und die Welt?"
„Ja!"

Er atmete tief durch. Na, hoffentlich bist du dann ein wenig gesprächiger, sonst wird das eine sehr einseitige Unterhaltung, dachte er.

Ein Lachen kitzelte ihn bei diesem sonderbaren Gespräch.
„Also, dann komme ich am Samstag, so gegen acht, ist das okay?"
„Ja!"
„Verrätst du mir noch deine Adresse?"
„Ja!" Mehr kam nicht nach.

„Also, ich höre?" Er konnte den Lachanfall kaum noch unterdrücken.

Sie ratterte wie ein Roboter ihre Straße herunter.
„Gut! Also dann bis Samstag! Ich freue mich auf dich, Maja!"
Sie schien aus einer Trance zu erwachen. „Aber ich weiß gar nicht mehr, ob ich das will! Es war wahrscheinlich eine blöde Idee! Ich möchte das eigentlich gar nicht mehr!" sprudelte sie heraus, als hätte sich ein Hahn in ihr geöffnet. Ihre Stimme klang total ängstlich, aber schön, melodisch, dunkel, eine schöne Aussprache.

Felix lächelte vor sich hin. „Also, Maja, das entscheidest du ganz alleine! Aber, als du angerufen hast, wolltest du doch jemanden zum Reden! Und da ist wirklich nichts dabei! Außerdem bin ich ein sehr guter Zuhörer!" Wenn die Frau redet, dachte er. Sonst ist es natürlich schwierig.

„Gut! Und wie viel, ich meine... ?" Das machte sie noch verlegener, wie er merkte, über den Preis zu sprechen.
„200 Euro die Stunde! Leg das Geld einfach in einem Umschlag auf den Tisch, okay?" half er ihr über die Hürde. „Also, was ist? Triffst du dich mit mir, Maja?" Er versuchte es so hinzustellen, als ob er sie um ein Date bitten würde.

„Ja! Gut! Bis Samstag!" Sie hatte schon aufgelegt, bevor er sich verabschieden konnte.
Felix begann zu lachen, konnte gar nicht mehr aufhören.
So ein Telefonat hatte er auch noch nicht geführt!
Na, auf diesen Abend war er echt gespannt!

Maja

Maja ließ sich auf den Boden sinken.
Ihr Herz raste, das Blut rauschte in ihren Ohren.
Sie hatte es wirklich getan!
Sie hatte ihm ihre Adresse gegeben!
Er würde am Samstag kommen!
In drei Tagen!
Nein!
Um Gottes willen!
Ein Call-Boy!

Sie war komplett verrückt!
Und wenn, und wenn er doch mehr wollte als reden?
Aber das durfte er nicht!
Sie konnte ihn ja bei der Agentur verpfeifen!

Sie beruhigte sich ein wenig. Meine Güte, sie hatte einen jungen Mann angerufen, weil ihr sein Foto gefallen hatte, sie würde eine Stunde reden mit ihm und dafür 200 Euro bezahlen! Was war da jetzt so schlimm dran?

Sie hätte auch zu einem Psychotherapeuten gehen können, das würde das Selbe kosten! Und niemand konnte ihr versprechen, dass der so hübsch wäre wie dieser Felix!
Sie musste über diesen Gedanken lachen.

Mach doch nicht so ein Theater daraus! schimpfte sie mit sich selbst. Du willst doch endlich leben, erwachsen werden, dir nicht mehr so viele Gedanken machen, spontaner werden!
Aber gleich so spontan? zog sie sich selber auf.

So, jetzt musste sie raus. Sie fuhr in die Stadt, kaufte Unmengen von Klamotten. Es wurde Zeit, dass sie die alten Sachen wegwarf.
Und sie konnte es nicht glauben!
Plötzlich sah sie Männer, überall!

Im Kaufhaus, auf der Straße, in den Boutiquen.
Aber das Beste war, viele Männer sahen sie an, sahen ihr nach, lächelten sie an.
Und es waren ein paar durchaus ansehnliche Exemplare dabei.

Wo kommen die denn alle her? wunderte sie sich.
Aber sie begriff noch immer nicht, dass ihre Antennen dabei waren, sich endlich zu entwickeln.
Dann kaufte sie noch Unmengen von schöner Wäsche, fühlte sich total verrucht dabei, aber auch total jung und lebendig.
Ich bin erst 26! jubelte ihr Herz. Mein Leben ist noch lange nicht vorbei!

Zu Hause probierte sie alles an, und zum ersten Mal in ihrem Leben gefiel sie sich, sah sie eine hübsche junge Frau im Spiegel!
Sie packte die alten Sachen zusammen, brachte sie gleich zum Altkleidercontainer um die Ecke.
Anschließend setzte sie sich auf die Terrasse und rauchte eine Zigarette.
Sie erinnerte sich an das Telefonat.
Mein Gott, er musste sie ja für total bescheuert halten!
Sie hatte nicht viel mehr als ein paar Piepser herausgebracht!
War das peinlich!

Sie war eigentlich weder auf den Kopf noch auf den Mund gefallen!

Und dann das!
Ja! Ja! Ja! Hm!
Sie musste über sich selbst lachen, merkte, wie sie lockerer wurde, merkte sogar, dass sie sich auf den Samstag freute!
Aber nur, um diesem hübschen jungen Mann zu zeigen, dass sie mehr drauf hatte!
Dann begann sie wieder zu grübeln.

Er hatte wirklich sympathisch geklungen, so als ob er ihr die Angst nehmen wollte. Seine Stimme war angenehm, leise, tief, irgendwie sanft!
Klar, das ist ja sein Job! Er kann die Frauen schließlich nicht anbrüllen! Das wäre schlecht fürs Geschäft!

Sie lachte wieder bei diesem Gedanken.
Sie ging noch einmal zum Computer, lud die Seite hoch, sah die Fotos von ihm an. Jetzt hatte sie auch eine Stimme zu diesen Bildern. Es passte! Das Gesamtbild passte! Sie hatte gut gewählt!

Aber bei ihm als Konkurrenz war es eigentlich ein Wunder, dass diese hässlichen Kerle überhaupt gebucht wurden. Wie konnte frau sich zum Beispiel für die Nummer 332 entscheiden, wenn die Nummer 333 so ein hübscher Kerl war?
Er musste doch rund um die Uhr zu tun haben! Und doch hatte er schon am Samstag für sie Zeit, ausgerechnet am Wochenende!


Der Hass wird nicht siegenWo Geschichten leben. Entdecke jetzt