Am nächsten Tag fuhr Tim los, seinen Sohn abzuholen. Er hatte ein leicht mulmiges Gefühl, hatte er doch kein vernünftiges Wort mehr mit dem Jungen gesprochen, seit sein Ehebruch aufgeflogen war.
Der Anruf gestern hatte ihn so gefreut wie verwundert.
Kilian war das mittlere seiner Kinder, ein absolutes Wunschkind, der Sohn, den jeder Vater natürlich haben möchte. Er war sehr begabt, klüger als seine Schwestern, sah eigentlich aus wie ein etwas jüngerer Zwilling von Felix. Er hatte sich viel um ihn gekümmert, als er jünger war, hatte ihn zum Sport gebracht, hatte ihn Vokabeln abgefragt, war auf Elternabende gegangen.
Doch irgendwann einmal war die Praxis zu groß geworden, er musste Geld verdienen, um die Ansprüche seiner Frau und seiner Töchter erfüllen zu können. Zeit war ein rares Gut geworden. Sibylle hatte Kilian auf ihre Seite gezogen, über den bösen Vater hergezogen, der sich nicht um seine Kinder kümmerte.
Saskia, seine Älteste, hatte ihn ins Partyleben eingeschleust, hatte ihn mit Mädchen zusammengebracht, die waren wie sie: Oberflächlich und berechnend.
Er studierte Medizin, weil er ein 1,00 Abi gemacht hatte, und weil Sibylle es schick fand. Doch er hatte das Studium immer mehr schleifen lassen, hatte nie Begeisterung dafür aufgebracht.Heute machte Tim sich schwere Vorwürfe. Er hatte gemerkt, dass sein Junge kein Interesse an der Medizin hatte, aber er hatte sich nicht einmal die Mühe gemacht, ihn zu fragen, was ihm denn besser gefiel. Er wusste es bis heute noch nicht!
Als es mit seiner Ehe immer mehr bergab ging, hatte er auch seine Kinder aufgegeben, anstatt um sie zu kämpfen.Kilian kam auf ihn zu geschlendert, ein unsicheres, schiefes Lächeln um die Lippen. Sie umarmten sich nicht, aber sie klatschten sich ab.
„Hattest du einen ruhigen Flug?" fragte Tim.
„Ja, ging schon! Ich bin nicht empfindlich!" antwortete Kilian.
„Hast du Hunger?" fragte Tim.„Nein, danke! Das Essen war ganz ordentlich!" antwortete Kilian.
„Du siehst gut aus!" stellte der Vater fest und es stimmte. Der arrogante Zug, der ihm gar nicht gestanden hatte, war verschwunden.
„Du auch! Zehn Jahre jünger!" stellte Kilian fest und es stimmte. Die Falten um Mund und Augen, die sich tief im Gesicht seines Vaters eingegraben gehabt hatten, waren nahezu verschwunden.
Er wollte eine spitze Bemerkung machen, etwas wie: Es geht dir wohl gut ohne uns! Aber er ließ es sein. Er wusste mittlerweile, dass es die Schuld seiner Mutter gewesen war, dass die Familie auseinandergebrochen war.
Die Mutter, mit ihrer Gier nach Anerkennung, nach materiellen Gütern.
Er hatte dieses oberflächliche Leben mittlerweile so satt!
Er hatte auch die Mädchen satt, die im Dunstkreis seiner Schwestern lebten.
Und er hatte das Medizinstudium satt.
Ihn interessierte Informatik, sonst nichts!
Vielleicht konnte er seinen Vater hier auf der Insel überzeugen, dass das der Weg wäre, den er gehen wollte.
Vielleicht könnte er auch nach Regensburg zu ihm kommen!
Er war erst 22!
Er konnte doch noch einmal von vorne anfangen!Sie hingen beide ihren Gedanken nach, während sie zu den Villas fuhren.
„Erzählst du mir von meinem großen Bruder?" fragte Kilian schließlich.
Tim lächelte ihn an. „Er sieht aus wie du in neun Jahren!" sagte er. „Er ist klug, empathisch, warmherzig, humorvoll, aber das beste an ihm ist seine Verlobte Maja. Sie ist eine berühmte Schriftstellerin, eine Schönheit, eine Seele von einem Menschen!"Kilian grinste. „Klingt ja interessant!"
Tim drohte ihm mit dem Finger. „Also, du kannst von Felix alles haben, er würde dir sein letztes Hemd geben, aber komm auf keinem Fall seinem Augenstern zu nahe!"
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Der Hass wird nicht siegen
RomansaMaja, eine sehr junge schöne Witwe, schreibt zwar sehr erfolgreich Geschichten unter einem Pseudonym, ist aber grenzenlos einsam in dem riesigen Haus, in das sie ihr Ehemann mehr oder weniger eingesperrt hatte. Als sie einen Artikel über Callboys li...