Kapitel 29 - Ein halbes Jahr später / 1

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Felix

Morgen war der erste Prozesstag, drei waren angesetzt.

Warum drei? dachte Felix. Ich bin schuldig! Ich habe eine Frau schwer verletzt. Was gab es da drei Tage zu reden darüber?
Er hatte Larissa die Nase und das Jochbein zertrümmert, er würde ins Gefängnis gehen, außerdem war es egal, wo er lebte. Vor oder hinter Gittern!

Er war zu seiner Mutter gezogen, hatte es in dem Bungalow nicht mehr ausgehalten. Über diesem verdammten Haus, das ein größenwahnsinniger und gleichzeitig von Minderwertigkeitskomplexen gemarterter Professor gebaut hatte, in das er ein 18jähriges Mädchen als seine Frau gebracht hatte, in dem er die junge Frau quasi eingesperrt hatte, in dem er sie zusammengeschlagen hatte, über diesem Palast hing ein Fluch!

In dem aber er selbst diese Frau noch viel schlimmer verletzt hatte!
Hier hingen in allen Ecken Erinnerungen, hier hörte er ihre Stimme, hier hatte er immer ihr Bild vor Augen, wie sie lachend vor Glück durch das Leben tanzte.
Hier hatte ein Stick ihrer beider Leben zerstört.

Ein halbes Jahr war sie nun schon weg, und noch immer wollte ihm niemand sagen, wo sie war.
Nur, dass sie weit weg wäre, dass eine Suche sinnlos sei, hatten ihm ihre Eltern verraten.

„Sagt ihr doch bitte, sie soll nur einmal mit mir reden, nur ein einziges Mal!" flehte er immer wieder.
„Wir dürfen nicht über dich sprechen!" antworteten ihre Eltern immer wieder.

Er arbeitete nicht mehr, die Firma lief weiter, Bob führte sie als sein Stellvertreter, ihm selbst war alles egal.
Seine Haare wuchsen zu einer wilden Mähne, sein Bart wucherte, als ob er sich vor dem Leben verstecken wollte.
Sein Anwalt hatte ihn gebeten, sich für den Prozess wenigstens zu rasieren, Felix erfüllte ihm diesen Wunsch. Die Haare band er im Nacken zusammen.

Er hatte im Vorfeld alle Verteidigungsstrategien abgelehnt, alle Punkte, die für ihn sprachen aus seiner Aussage streichen lassen.
Er hatte zugeschlagen, aus blinder Wut, aus Rachegelüsten heraus. Welche Punkte sollte es da geben, die für ihn sprachen? Ein fast einsneunzig großer, durchtrainierter Mann hatte einer Frau zwei Fausthiebe verpasst! Aus!

Er hatte viel gelesen, auch ihre Bücher immer wieder, konnte Passagen daraus fast auswendig. Er hatte seiner Mutter in der Sozialstation geholfen, hatte Majas Eltern unterstützt.
Aber das war schwer, eine Stunde mit ihnen zu verbringen, ohne über Maja zu sprechen.

Er hatte es nie lange ausgehalten, weil er an all den unausgesprochenen Worten jedes Mal fast erstickt war.
Er joggte stundenlang durch die Gegend, brüllte sich auf einsamen Waldwegen seinen Schmerz von der Seele. Aber der Schmerz kam immer wieder zurück.
Manchmal rannte er mit dem Kopf gegen die Wand. „Ich will mein Glück zurück!" schrie er.
Seine Mutter verband seine Platzwunde jedes Mal wieder, während ihr die Tränen übers Gesicht liefen.

Wenn Maja nur sehen könnte, wie ihr Sohn litt, vielleicht könnte sie ihm verzeihen, was immer er auch getan hatte. Er hatte nie mit ihr über den Grund für die Trennung gesprochen. Sie ahnte nur aus Andeutungen, dass es etwas mit Larissa und seiner Vergangenheit zu tun hatte.

Sie war auch als Zeugin bei seinem Prozess geladen, er wollte das auf keinen Fall, aber sie und der Anwalt blieben stur. Der Jurist hatte auch Majas Eltern und einige der engsten Freunde benannt, ließ auch hierbei nicht mit sich reden.
Er würde nicht zulassen, dass Dr. Steiner sein Leben noch mehr in die Tonne klopfte, als er es eh schon getan hatte. Stur konnte er auch sein. Und es war seine Pflicht als Anwalt, alles Erdenkliche für seinen Mandanten zu tun.
Sie hatten oft und lange darüber gestritten, aber er gab nicht nach.

Der erste Prozesstag begann mit der Aufnahme der Personalien von Klägerin und Beklagtem. Felix sah zum ersten Mal Larissa wieder.
Sie sah total verändert aus. Sein Anwalt hatte ihm erzählt, dass die junge Frau den Aufenthalt in der Klinik gleich genutzt hatte, um diverse Schönheitsoperationen durchführen zu lassen.

Der Hass wird nicht siegenWo Geschichten leben. Entdecke jetzt