Kapitel 16 - 16. bis 21. Juni 2006

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Maja

„Der Teilnehmer ist nicht erreichbar!" meldete die Stimme vom Band.

Maja wurde es schon wieder kalt ums Herz. Er war von der Internet-Seite verschwunden und jetzt war auch sein „Geschäfts-Handy" tot.
Dann wurde ihr heiß. Hatte er aufgehört mit dem Job? Wollte er nicht mehr mit Frauen für Geld schlafen?
Wegen ihr?

Oder war alles nur ein Zufall, ein Missverständnis?
Aber wie sollte sie ihn denn jetzt erreichen?
Vielleicht meldete er sich ja bei ihr?

Aber vielleicht hatte er sein Handy weggeworfen?
Dann hatte er ihre Nummer nicht mehr!
Und er würde sie auch nicht herausbekommen!
Sie hatten eine Geheimnummer!
Georg hatte aus welchen Gründen auch immer darauf bestanden.

Vielleicht kam er aber auch einfach vorbei?
Aber er hätte dafür jetzt ja schon einige Tage Zeit gehabt.
Sie fand noch eine Reihe von „vielleicht", die sie hoffen ließen, die sie jedoch alle mit einem „aber" entkräften konnte.
Es war sinnlos!
Es war hoffnungslos!
Sie hatte es vergeigt!
Voll und ganz vergeigt!
Es war zu Ende!
Ihre heißeste Affäre war zu Ende, bevor sie überhaupt beginnen konnte!

Aber sie würde diese Stunden nie vergessen, als sie ein Call-Boy zur Frau gemacht hatte.
Als seine Hände und Lippen ihren Körper aufgeweckt hatten!
Das konnte ihr niemand mehr wegnehmen!

Ab jetzt musste sie vorwärts sehen, musste ihr Leben beginnen.
Sie hatte Geld im Überfluss, und sie sah gut aus.
Mit diesen Komponenten musste sich doch aus einem Leben etwas machen lassen.

Als erstes würde sie duschen, dann würde sie in die Stadt fahren.
Sie würde sehen, ob da diese Männer noch waren, die ihr hinterherblickten, die sie anlächelten!
Sie würde flirten, lachen, vielleicht sogar tanzen gehen, wenn sie ganz mutig war!
Aber warum war ihr Herz so schwer bei all diesen Plänen?
Sie begann trotzdem, sie in die Tat umzusetzen.

Felix

Er stand vor ihrer Haustüre und läutete Sturm.
Keine Stimme kam aus dem Lautsprecher der Sprechanlage.
Er läutete eine halbe Stunde lang.
Wenn sie da war und ihm nur nicht öffnen wollte, würde er sie schon dazu bringen.
Doch irgendwann musste er einsehen, wie vergeblich er wartete.
Er sank auf seinen Autositz.

Nächster Plan! Ihr Verlag!
Er fuhr nach Hause, suchte die Homepage, suchte nach einem Kontakt.
Er wählte die Telefonnummer, erzählte die Story vom alten Schulfreund, der ihre Nummer verloren hatte.
Doch schon, während er so dahinfabulierte, merkte er, wie dünn seine Geschichte war.
Die Dame an der Telefonzentrale lachte dann auch nur über seine schlechte Story.

Nächster Plan! Ihre Eltern! Sie hatte einmal kurz ihren Geburtsnamen erwähnt.
Irgendetwas mit „von" und „Ka..."!
An mehr konnte er sich beim besten Willen nicht erinnern. Er sah im Telefonbuch nach, kein einziger Eintrag unter der Buchstabenverbindung „Ka" und „von".

Das Einwohnermeldeamt!
Er steckte Bargeld ein, setzte am Schalter wieder einmal seinen nettesten Welpenblick auf, erzählte der Dame von seiner Braut, die bei den Schwiegereltern auf ihn wartete, deren Namen und Adresse er vor lauter Aufregung aber vergessen hatte.
„Ich bräuchte nur den Geburtsnamen von Maja Brenner, dann könnte ich das Problem leicht lösen!" bat er.

Die Angestellte lächelte ihn milde an, blieb aber unerbittlich. Er schob 500 Euro über den Tresen, ihr Blick verfinsterte sich.
„Das habe ich jetzt nicht gesehen! Sonst müsste ich meinen Vorgesetzten informieren!" sagte sie äußerst kühl.
Wie ein begossener Pudel zog er ab.
Verdammt! Fuck! Verdammt!

Hatte die Welt denn kein Mitleid mit einem schwerverliebten jungen Mann?
Sah er denn aus wie ein Frauenmörder, vor dem man Maja schützen musste?
Konnte das so schwer sein, in einer kleinen Großstadt wie seiner die Nummer der geliebten Frau herauszubekommen?

Gut, dann würde er Anzeigen in der Tageszeitung aufgeben, er würde Banner über ihrer Straße spannen lassen, er würde sie erreichen!
Er würde sie zurückbekommen!
Und dann würde er all den Banausen von seinem Glück erzählen!

Plötzlich kam ihm ein einfacher Plan in den Sinn, der in der digitalen Zeit zu leicht vergessen wurde.
Er würde ihr schreiben!
Das war zwar eine relativ eindimensionale Art der Kontaktaufnahme, er konnte ihr nur seine Gedanken und Vermutungen mitteilen, musste auf eine Reaktion von ihr warten.

Aber einen Versuch war es wert!
Er kaufte Briefpapier, einen Stift und eine Briefmarke. Vielleicht würde er aber den Umschlag auch direkt zu ihrem Haus bringen! Vielleicht würde er noch einmal klingeln.
Vielleicht wäre sie dann zu Hause!

Er ging in einen Biergarten, setzte sich an einen freien Tisch am Rand, bestellte sich ein Radler und Bratwürste und fing an zu schreiben.
Zwei Bögen hatte er schon gefüllt, als er ein Lachen hörte, das ihm bekannt vorkam. Sein Kopf fuhr herum und er sah seine Maja, umringt von vier gutaussehenden Typen, die sich einen Tisch suchten.

Er erstarrte. Sie lachte laut und fröhlich, machte Witze, unterhielt die Gruppe von Verehrern aufs Beste.

Sie scheint ja schnell ins Leben zurückgefunden zu haben! dachte er bitter. Vor allem ins Leben ohne mich!
Die Buchstaben des Briefes, den er gerade mit seinem ganzen Herzblut geschrieben hatte, verschwammen vor seinen Augen.

Wahrscheinlich erzählte sie gerade die Geschichte von dem Call-Boy, der sich wohl in sie verliebt hatte, weil er ihr Geld nicht genommen hatte.
Jedes Lachen der jungen Männer traf ihn mitten ins Herz. Er zerknüllte die Blätter, die er mit seinen Liebesschwüren beschrieben hatte, wischte seine Augen trocken.
Er würde nicht in einem Biergarten mitten in der Stadt hocken und heulen!
Er doch nicht!

Warum nur bekam er seine Augen nicht trocken, warum waren seine Wangen so feucht?

Er blieb sitzen, bis die Gruppe weiter zog, einer der Jungs hatte den Arm um sie gelegt, es schien ihr zu gefallen. Zum Glück hatte sie ihm die ganze Zeit den Rücken zugedreht, er hatte sich auch umgesetzt, damit sie ihn nicht erkennen konnte.
Sein Essen wurde kalt, sein Getränk warm.

Die Bedienung wunderte sich über den hübschen jungen Mann, der so fröhlich den Biergarten betreten hatte, nach der Bestellung zu schreiben begonnen hatte, dann plötzlich alles zerknüllt hatte, weder Bratwürste noch Radler angerührt hatte, jetzt feuchte Augen zu haben schien.
Als er sie zum Zahlen rief, fragte sie: „Hat was nicht gepasst?"
„Alles!" antwortete er nur, warf einen fünfzig-Euro-Schein auf den Tisch und lief weg.

Maja

Maja saß in einem Straßencafé und beobachtete die Menschen.
Ihr Herz war schwer wie Blei, doch sie lächelte die Tränen weg, die in ihr hochstiegen.
Heute ist der erste Tag meines neuen Lebens! machte sie sich selbst Mut.

Da kam eine Gruppe junger Männer, setzte sich an den Nebentisch.
Bald gab es erste Blickkontakte, ein erstes Lächeln von dem Blonden, sie prosteten ihr zu, spendierten ihr einen Cocktail, setzten sich schließlich zu ihr.
Ein Wort gab das andere, die Jungs lachten über ihre Schlagfertigkeit, sie plauderten über das Wetter, ihre Stadt, die die vier für einen Tag besuchten.

Sie baten sie um eine Fremdenführung, sie erfüllte die Bitte lachend.
Schließlich landeten sie im berühmtesten Biergarten der Stadt, lachten, schäkerten, flirteten. Maja fühlte sich wohl. Noch nie in ihrem Leben hatte sie gleichaltrige Freunde gehabt.

Kurz stutzte sie, als sie den Mann an einem Tisch am Rand sitzen sah, leider nur von hinten. Irgendwie erinnerte er sie an Felix!
Sofort zog sich ihr Magen zusammen.
Aber das war er sicher nicht!
Solche Zufälle gab es nicht!
Dafür gab es ein großes Hallo, als die vier Jungs gestanden, keine Touristen zu sein, sondern auch hier zu leben.

Sie verabredeten sich alle fünf für Samstag in einem der angesagtesten Clubs. Maja freute sich! Sie würde endlich einmal tanzen gehen, jung sein dürfen, leben!
Die jungen Männer brachten sie zu ihrem Auto, gaben ihr ein Küsschen rechts und links und nochmals rechts auf die Wangen.

Sie waren alle schwer verliebt in die Schönheit, die sie zwar noch nie in einer Diskothek gesehen hatten.

Maja fuhr nach Hause, schrieb eine Geschichte von verliebten Jungs und weinte dann ein paar Tränen um Felix, der hübscher war als die vier durchaus gutaussehenden Jungs zusammen, und der ihr Herz getroffen hatte wie keiner von ihnen.

Sie fühlte noch immer seine Zärtlichkeiten und seine Leidenschaft.
Sie wollte die Erinnerung daran krampfhaft festhalten, auch wenn alles nur ein Spiel gewesen war.


Der Hass wird nicht siegenWo Geschichten leben. Entdecke jetzt