Kapitel 131 - Blick in die ferne Zukunft

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Zum letzten Mal machten die Freunde zusammen Urlaub auf der Insel zu Felix' 85sten Geburtstag.
Sechs ergraute gutaussehende Herren hielten sechs wunderschöne Damen im Arm, lächelten sie zärtlich an, küssten sie liebevoll.

Die „Kinder und Schwiegerkinder", mittlerweile durchaus dem Mittelalter zuzuordnen, sahen die Eltern amüsiert an. Die zahlreichen Enkelkinder, allesamt erwachsen, waren zu Hause geblieben, hatten teilweise schon eigenen Nachwuchs zu versorgen.

Königin Maja hielt lächelnd noch einmal Hof. Ihre Vasallen nebst Gattinnen hingen wie immer an ihren Lippen, als sie ein paar Anekdoten von ihrer letzten Lesereise erzählte.

Die Grand Dame der deutschen Belletristik machte sich immer wieder mit ihrem angebeteten Ehemann auf, um Hallen zu füllen, seit die Kinder groß waren.
Felix' Augen wurden noch immer feucht, wenn er sie beobachtete. Ihre Augen leuchteten, ihre schönen Hände untermalten ihre Geschichten lebhaft.

Seine Gedanken schweiften ab. Er hatte ein phantastisches Leben geschenkt bekommen.
Er hatte die Liebe seines Lebens gefunden, hatte zusammen mit dieser Liebe eine Reihe von Schicksalsschlägen gemeistert.

Er hatte auf der Hochzeit von Moritz und Emma getanzt genauso wie auf der von Annika und Leon, dem Sohn von Stefano, was beim Ausbruch der schrecklichen Krankheit nicht abzusehen gewesen war.

Moritz hatte sich als Kind schon in die Adoptivtochter von Kilian verliebt, so wie sie sich in ihn. Beide hatten ein paar Umwege gemacht, ein paar unglückliche Affären ausprobiert, bis sie sich eingestanden hatten, dass sie richtig füreinander waren, und das waren sie bis heute.

Annika hatte mit 16 die Ferien bei Laura und Stefano verbracht. Als sie schwerverliebt in den 19jährigen Leon nach Hause kam, lächelten die Erwachsenen. Diese Jugendliebe war süß, aber sicher nicht von Dauer.

Doch da irrten sich alle. Die beiden verbrachten jede mögliche Ferienwoche zusammen, skypten, texteten, telefonierten ununterbrochen. Keiner verstand, wie Annika die Schule dabei noch mit einem 1,2 Abitur abschließen konnte und dann auch das Medizinstudium in Rekordzeit absolvierte.

Am Tag nach der Doktorfeier heiratete sie den Italiener, der der erste Mann für sie gewesen war und der auch der letzte bleiben würde.
Leon arbeitete da schon als Allgemeinarzt im dritten Sozialzentrum, das Maja und Felix gebaut hatten, dieses Mal im Osten ihrer Heimatstadt.

„Deine Frau habe ich nicht gekriegt! Aber deine Tochter!" zog Stefano Felix auf.
„Pah! Von wegen! Ich habe mir deinen Sohn geschnappt!" konterte Felix. „Ich hoffe nur, er kommt nicht nach seinem Vater, was Liebesbeziehungen anbelangt!"

Vierfacher deutsch-italienischer Nachwuchs hielt die Großeltern ganz schön auf Trab, eine Tatsache, die sie aber nicht im Geringsten störte.

Moritz und Emma ließen sich ein wenig mehr Zeit. Sie reisten jahrelang durch die Welt, er sammelte Stoff für seine Romane, alle hochgelobt, preisgekrönt, Welterfolge.

Emma hatte beschlossen, eine ganz fürchterlich altmodische Ehefrau zu werden, hatte ihr Jura-Studium an den Nagel gehängt, um ihrem Traummann den Rücken freizuhalten.
Als sie 37 war, erwischte sie in Mexiko eine Darmerkrankung, die Pille wirkte nicht, ein Umstand, an den die beiden Verliebten nicht dachten – vielleicht dachten sie aber auch daran!

Und weil die Zeit schon ein wenig drängte, wie Emma lachend feststellte, hatten sie gleich Zwillinge gemacht. Die beiden Jungs zogen die ersten Jahre mit um die Welt.
Als sie in die Schule mussten, hatte sich auch das Reisefieber der Eltern gelegt.
Moritz schrieb, genoss seine Kinder, genoss seine Frau, genoss das Leben. 

Emma engagierte sich zunehmend ehrenamtlich in der Stiftung, die die Familien Steiner/Berger ins Leben gerufen hatte und die Trägerin der letztendlich vier Sozialzentren war, folgte damit ihrer Mutter Steffi nach.

Die war zur Seele der Zentren geworden. Sie hatte weder Abitur noch Studium vorzuweisen gehabt, hatte lange daran geknabbert.

Doch sie hatte ein riesengroßes Herz, eine Menge an Lebenserfahrung, eine Masse an Lebenstüchtigkeit und Klugheit. Dadurch war sie unentbehrlich für die Arbeit mit den Gestrandeten der Gesellschaft.

Sie kämpfte um jedes einzelne Schicksal, gab keinen einzigen Jungen, kein einziges Mädchen auf.
Sie schenkte Kilian zwei Söhne, die sein Glück unendlich machten. David, sein Erstgeborener, stieg in die Fußstapfen von ihm und seinem verehrten Bruder und studierte Informatik.

Er sollte das Unternehmen in die nächste Generation weiterführen. Simon, sein Jüngster, arbeitet als Sozialpädagoge und Psychotherapeut in der Stiftung.

Am Tag, als die Clique nach Hause flog, legte Felix die Schlüssel zur Villa in Moritz' Hände, und Maja die ihren in Annikas.

„Haltet die Freundschaft hoch! Sie ist neben der Liebe das Wichtigste!" sagte Maja, und Felix wusste, dass er auch so hochbetagt nichts hinzuzufügen brauchte. Sein Bienchen hatte wieder einmal die richtigen Worte gefunden.

Moritz und Annika verstanden. Die Kinder der Vasallen Majas, der Halbgeschwister ihres Vaters und Stefanos waren ihre besten Freunde fürs Leben.
Deren Kinder würden die Tradition der Liebe weitertragen, die Familien würden sich auf immer verbunden bleiben. 

Sie würden das soziale Erbe der Eltern und Großeltern für immer ehren, würden das, was Maja und Felix begründet hatten, weiterführen und ausbauen. Sie alle waren gesegnet, finanziell und freundschaftlich, sie würden beides teilen und ihre Kinder würden es auch tun!

Als Felix und Maja ihr Haus betraten, lächelten sie sich an. „Das haben wir ganz gut hinbekommen, das Leben, oder?" flüsterte er in ihr Ohr, wobei seine Zunge mit ihrer Muschel spielte.

„Besser geht es nicht!" stöhnte sie und bog sich ihm entgegen.
Dass seine Anziehungskraft nie nachlässt! wunderte sie sich.
Dass ich immer noch so verrückt bin nach meinem Bienchen! wunderte er sich.


Der Hass wird nicht siegenWo Geschichten leben. Entdecke jetzt