48 - Seelenklempner Paddy

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"Hey, Gina!", wurde sie von Michael begrüßt, der leicht nervös von einem Fuß auf den anderen trat und Bruce an der Leine hielt.

"Servus!" Gina hielt kurz inne, als Bruce sie anstupste und auch von ihr begrüßt werden wollte, lächelte dann aber und stich ihm kurz über das Fell. Michael stand neben den beiden und schmunzelte. So übel fand Gina Bruce als doch nicht.

"Kommt ruhig rein, Essen gibts in einer Viertelstunde."

"Wo ist denn deine Kleine? Es ist so ruhig.", wunderte sich Michael als er mit Gina in der Küche saß.

"Die ist in ihrem Zimmer.", gab Gina bedrückt zu verstehen.

"Hattet ihr Streit?"

"Kann man so sagen...Ich glaub ich hab Mist gebaut und ihr Sachen an den Kopf geworfen, für die sie gar nichts kann. Ich bin so eine schlechte Mutter, ich war echt unfair zu ihr! Ach, Paddy! Die ganze Situation ist einfach so schwierig im Moment." Seufzend stützte Gina ihren Kopf auf die Unterarme und sah zu Michael, der sie besorgt musterte.

"Mach dir nicht immer so viele Vorfürfe, du wuppst das eh so gut. Soll ich mal nach ihr schauen?", bot er an und strich ihr kurz über die Schulter.

"Du kannst dein Glück gerne versuchen, ob sie mit runter kommt. Aber lass Bruce bitte hier unten."

"Klaro! Bruce, du bleibst schön brav hier, ok?", wies Michael seinen Hund an, bevor er aufstand und Richtung Treppe.
"Ähm Gina, welches Zimmer oben gehört Elisa?"

"Hinten rechts die Türe.", erklärte sie ihm. "Und Paddy? Danke!"

"Du brauchst dich nicht zu bedanken, das mach ich gern."

Oben angekommen war für Michael offensichtlich, welches Zimmer Elisa gehörte. Elisas Name war in bunten Holzbuchstaben außen an die Kinderzimmertür angeschrieben. Kurz sah sich Michael um. Vom Fenster am Ende des Flurs im Obergeschoss aus konnte man in den großen Garten sehen, an den weitläufige Felder grenzten. Die Landschaft der bayrischen Alpen und die Berge ließen Michael schmunzeln. Genauso wie in Garmisch kam auch hier in Oberammergau sofort ein Gefühl von Zufriedenheit und Heimat in ihm auf. Die Magie der Berge...
Genau wie der Rest des Hauses wechselten sich auch oben ein moderner Baustil und der traditionelle, alpenländliche Holzbaustil ab.

Zaghaft klopfte er an Elisas Kinderzimmertür. Von innen war im ersten Moment nichts zu hören, dann aber flog etwas an die Tür und Elisas verweinte Stimme schrie ein lautes "Lass mich! Hau ab! Ich will alleine sein, Mama!" in Richtung Türe.

Michael erschrak kurz über den aggressiven Ton in Elisas Kinderstimme und wunderte sich, was zwischen Mutter und Tochter, die ja immer wie eine Einheit schienen, nur vorgefallen war.

"Elisa, ich bins. Gina ist unten.", antwortete er ihr.

"Michael?", erklang nur Elisas Stimme, aus der der scharfe Ton nun komplett verschwunden war.

"Ja. Ich soll dir sagen, dass es bald Mittagessen gibt."

Leise Schritte waren zu hören, bevor Elisa ihr Türe langsam einen Spalt öffnete. Mit verweinten, angeschwollenen Augen sah sie nun zu Michael, dem dieser Anblick einen Strich ins Herz gab.

"Hey, was ist denn nur passiert?", flüsterte er leise. "Darf ich reinkommen?"

Elisa nickte, öffnete die Zimmertüre nun ganz und ließ Michael ins Zimmer gehen. Als Michael im Raum war, schloss sie die Türe wieder und begann bitterlich zu weinen.

Hilflos stand Michael nun neben ihr und wusste nicht so recht, wie er jetzt reagieren sollte. Seine Nichte hätte er jetzt natürlich sofort in den Arm genommen, aber ob das Gina recht war und auch für Elisa in Ordnung war, wusste er nicht. Er war ja nicht Elisas Onkel.

Schließlich ging er vor Elisa in die Hocke und legte ihr seine Hand auf die Schulter.
"Ich weiß nicht, was passiert ist, Elisa. Wenn du reden magst..."

"Mama ist so blöd und unfair! Das war so gemein! Sie hat gesagt, dass ich keinen Respekt vor Papa habe und mir jetzt einen neuen Ersatzpapa suchen will, also dich! Das stimmt nicht! Ich denke jeden Abend wenn ich ins Bett gehe an Papa! Ich vergesse ihn nicht! Sie hat Angst, dass sie ihn vergisst, weil sie dich mag!", brach es nun aus Elisa heraus. Schluchzend ging sie einen Schritt auf Michael zu, schlang ihre kleinen Arme um seinen Hals und drückte sich an ihn.

Überrumpelt erwiderte Michael ihre Geste und hab ihr den Halt, den sie gerade offenbar brauchte. Er spürte wie sehr es Elisa vor Schluchzen hin und her warf und strich ihr beruhigend über den Kopf.
"Shh Elisa, beruhige dich.", sprach er ihr nach ein paar Minuten zu. "Wir bekommen das hin ok? Magst du mir erzählen, was genau passiert ist? Deine Mama hat dir vorgeworfen, dass du mich als Ersatzvater haben willst?! Wie kommt sie denn darauf?"

Langsam löste sich Elisa, setzte sich wie Michael auf den Teppich. Nun saßen sich beide gegenüber und Michael musste sich zurückhalten, bei Elisas Anblick nicht auch gleich loszuweinen.
"Gehts wieder ein bisschen?", sprach er Elisa an, der immer noch die Tränen die Wange hinunter kullerten.

"Mhm, geht.", murmelte sie. "Mama und ich haben gefrühstückt und dann hat sie keinen Hunger gehabt und hat dann gesagt, dass sie ein bisschen aufgeregt ist. Wegen dir."

"Wegen mir? Wie kommt denn das?", schmunzelte Michael amüsiert.

Kurz blitzte auch in Elisas Gesicht ein kleines Lächeln auf. "Das habe ich dann auch gefragt, weil ich bin auch aufgeregt, wenn ich den Leo in der Schule sehe."

"Leo? Den magst du oder?"

"Mhm, der ist toll! Auf jeden Fall hab ich die Mama gefragt, ob sie dann dich auch so mag wie ich den Leo und dann hat sie gesagt, dass mich das nichts angeht. Und ich hab dann halt noch weiter gefragt und irgendwann ist Mama dann ausgerastet und hat gesagt, ob ich etwa denke, dass du dann hier her ziehst, wir eine Familie werden und dann du mein Ersatzpapa bist. Und das fand ich so unfair! Ich hab mir nur gewünscht, dass du und Mama euch gut versteht und ich Bruce dann sehen kann und du dann nicht einfach weg bist...und Mama wieder glücklich."

So langsam wurde auch Michael klar, was zwischen Gina und Elisa passiert war. "Aber warum hast du Angst, dass ich mit Bruce verschwinde? Das hab ich dir doch gesagt, dass du dir da keine Gedanken machen brauchst. Das musst du auch nicht! Ich möchte irgendwo hier in der Nähe ein Haus oder eine Wohnung finden, mir gefällt es hier, ich mag die Natur und kenn ja den Peter, ein paar andere aus Garmisch und euch. Und selbst, wenn ich in München bleiben würde, dann dauert die Autofahrt zu euch nur eine Stunde. Das ist nicht weit."

Elisa zuckte nur mit den Schultern. "Das weiß ich ja...aber wenn du öfter hier wärst, dann wäre das noch schöner. Ich mag dich nämlich. Und die Mama mag dich auch."

Da wurde Michael wieder warm ums Herz. Lächelnd öffnete er die Arme und Elisa schmiegte sich für ein paar Sekunden an ihn.
"Das hast du schön gesagt, Elisa. Ich hab euch beide auch sehr gern und freue mich immer, wenn ich euch sehe. Und Bruce freut sich auch."

"Und magst du meine Mama auch? Also weil sie dich ja auch mag? So wie sich Erwachsene mögen?"

Bei Elisas Unbekümmertheit musste Michael kurz auflachen.
"Du bist ganz schön neugierig, junge Frau! Aber ich hab deine Mama auch gern, das hab ich doch schon gesagt. Und ich weiß, dass du das auch weißt, Elisa. Du bist nämlich ziemlich schlau. Und weißt du was ich glaube?"

Elisa, die sich wieder gegenüber Michael auf den Teppich gesetzt hatte schüttelte den Kopf.
"Nein? Aber erzähl!"

"Ich glaube, dass genau das manchmal schwer ist für deine Mama. Du verstehst nämlich schon sehr viel und sagst und fragst dann auch direkt. Und deine Mama...die fühlt sich da vielleicht ein bisschen...wie sagt man? Ertappt? Deine Mama hat ihren Mann erst vor einem Jahr verloren, das ist nicht einfach für sie."

"Das weiß ich, aber trotzdem....sie darf mich nicht so schimpfen. Das macht mich total traurig. Dann denke ich, ich hab was falsch gemacht...aber ich hab nur kapiert, was die Mama sich denkt. Da kann ja ich nichts dafür oder?"

"Das stimmt, das war nicht in Ordnung, dass sie dir so etwas vorwirft. Sie ist ja nicht die Einzige die deinen Papa vermisst. Aber du hast ja auch nicht gerade nachgegeben, sondern immer weiter gestichelt. Da müsst ihr Zwei halt drüber reden, ok? Dann kannst du ihr noch einmal in Ruhe sagen, wie du das gemeint hast und kannst ihr sagen, dass dir das weh getan hat, was sie gesagt hat. Vertragt euch wieder. Dir geht es nicht gut, und deiner Mama auch nicht, der tut es leid."

Have faith in the dark - MPKWo Geschichten leben. Entdecke jetzt