5 - Mama-Tochter Ehrenwort

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"Mami, komm, aufwachen! Ich hab Hunger und mir ist langweilig. Glaubst du, dass wir heute schönes Wetter haben beim Wandern? Weil dann könnten wir gaanz weit sehen. Und wann darf ich denn wieder mal bei Oma und Opa übernachten?"

Noch im Halbschlaf hörte Gina ihre kleine Tochter quasseln. Wieso war ihre Elisa nur schon so früh fit? Gina war genervt von allen früh aufstehenden Menschen, sie selbst war seit ihrer Kindheit eine Langschläferin wie aus dem Bilderbuch. Wenn sie schon unter der Woche um 6 Uhr früh aufstehen musste, dann wollte sie doch bitte am Wochenende ausschlafen! Aber Elisa kannte keine Gnade. Seit Gina sich erinnern konnte war Elisa die Erste, die wach und fit war. Am Wochenende kroch sie oft zu Gina ins Bett und schlief dann noch ein paar Stunden, eng an ihre Mama gekuschelt. Doch heute war an keine weitere Minute Schlaf mehr zu denken.

"Maus, 5 Minuten. Bitte! Du kannst mir am Frühstückstisch alles erzählen aber die Mama braucht am Morgen doch immer ein paar Minuten bis sie fit ist. Geh schon mal ins Bad, bis du fertig bist bin ich schon in der Küche."

Mit einem Blick auf den Wecker neben dem Bett kam Gina das Grauen. Es war gerade mal kurz vor 8 Uhr! Eine unchristliche Zeit fürs Wochenende! Nachdem Elisa ins Bad verschwunden war, quälte sich Gina seufzend aus der warmen Bettdecke und ging in die Küche, um das Frühstück vorzubereiten.
Am Wochenende stand immer die Nuss-Nougat-Creme mit am Tisch, Elisas Leibspeise. Sie strich sich die Creme zentimeterdick aufs Brot oder die Semmel und verschlang ihr Frühstück in wenigen Minuten. Genau aus diesem Grund gab es das auch nur am Wochenende. An Schultagen aßen beide ihr gemeinsames Lieblings-Müsli.

Ihren Tee schlürfend schaltete Gina den Radio ein. Gerade wurde "Shake away" anmoderiert, eines von Elisas Lieblingslieder. Wie passend in ihrer aktuellen Lebenssituation, dachte sie sich.

"Shake away, shake away!" gröhlte Elisa, die gerade in die Küche geflitzt kam und riss Gina aus ihren Tagträumen.

"Dir auch einen schönen guten Morgen du Sängerin!" Lachend schloss sie Elisa in ihre Arme.

"Elisa, setz dich schon mal hin, du darfst dir mit dem Kindermesser schon mal Creme aufs Brot schmieren, ich bin kurz am Klo."

Als Gina nach wenigen Minuten wieder die Küche betrat, traf sie fast der Schlag.
"Elisa! Wie sieht's denn hier aus? Hast du die Nuss-Nougat-Creme geschlachtet?!"

Der bräunliche Aufstrich war überall am Tisch und in Elisas Gesicht verteilt, nur nicht da wo er eigentlich sein sollte: auf dem Brot.

"Mama, oh oh... Bitte nicht schimpfen! Die Creme war soo lecker und dann...dann wollte ich mit dem Finger ein bisschen was probieren... und ja...das hat wohl nicht so geklappt. Tut mir leid."

Wäre Gina durch ihren Beruf nicht so ein ruhiger, gelassener Mensch, dann wäre jetzt der Zeitpunkt gewesen an dem sie wirklich laut mit ihrer Tochter geschimpft hätte. Aber sie wusste, dass das pädagogisch wenig brachte. Also blieb sie ruhig und sprach dennoch erst mit ihrer Tochter.

"Elisa. Sowas geht wirklich nicht. Du bist ja kein Kindergartenkind mehr, das noch nicht mit Besteck umgehen kann. Schau mal die Sauerei an. Wenn du die Creme mal schlecken willst, nimmst du dir einen kleinen Löffel ok? Und nicht den Finger. Es wollen ja noch mehr Leute aus dem Glas essen und das ist nicht so toll, wenn du da mit deinen Fingern vorher drin warst. Jetzt essen wir zusammen und dann machst du den Tisch heute sauber."

Elisa sah ein, dass sie Mist gebaut hatte und bemühte sich sehr, das Chaos wieder zu beseitigen. Gina half ihr zwar ein bisschen wenn sie Hilfe brauchte, aber das Meiste musste schon ihre Tochter machen. Schließlich war sie jetzt ein Schulkind und sollte langsam lernen, im Haushalt mitzuhelfen und auch, dass man Dinge, nach dem man sie schmutzig gemacht hatte, wieder sauber machen musste. Wie auch das Kinderzimmer, nachdem es nach einem Playmobil Spieletag wieder aussah, als hätte eine Bombe eingeschlagen.

"Mama ich bin fertig, schau mal her. Passt das so? Kann ich mich jetzt umziehen gehen? Ich will endlich raus und wandern!"

"Elisa, das hast du wirklich gut gemacht. Das nächste Mal nimmst dir aber bitte echt einen Löffel. Ich pack den Rucksack und nimm und was zu essen und trinken mit, nimm die lange Wanderhose, nicht die kurze. Am Berg wirds kälter sein als hier im Tal, aber das weißt du ja eh."

Nach ein paar Minuten ließen Gina und Elisa bereits das kleine Dorf hinter sich und gingen den Wanderweg durch den Wald hinauf auf den "Hausberg", den großen Hausacker. Gina suchte das Gespräch mit Elisa, sie wollte nochmal nachfühlen, wie es ihrer Tochter ging, nachdem sie nun "offiziell" vom Tod ihres Papas erfahren hatte. Elisa tat ganz cool und hatte sich nach dem kleinen Schock an Tag zuvor nicht außergewöhnlich verhalten, dennoch traute Gina dem Braten noch nicht so ganz.

"Du Elisa", begann Gina während sie den Wanderweg hochgingen. "Wie geht's dir denn jetzt damit, wo du weißt, dass der Papa tot ist? Ich weiß das war gestern schlimm für dich und glaub mir, ich wollte die das eigentlich ganz anders sagen, aber..."

"Mama, du bist doch nicht schuld, das muss dir doch nicht leid tun! Ich bin schon traurig aber darf ich dir was verraten?"

"Na klar, ich behalte es auch für mich."

"Ich hab mir das schon gedacht, dass dem Papa was schlimmes passiert ist. Ich wollte nichts sagen aber ich hab dich weinen hören als ich nachts manchmal aufs Klo musste. Und jetzt weiß ich es halt von dir. Aber bitte sei nicht böse dass ich gelauscht habe, Mama."

Gina stoppte abrupt und nahm die kleinen Hände ihrer Tochten in ihre.
"Elisa, schau mich mal an. Ich bin niemals böse auf dich deswegen. Eher auf mich selbst. Ich hab dich allein gelassen und hätte mir ja denken können, dass du was merkst. Aber ich wusste nicht so recht, wie ich dir das sagen sollte. Weißt du, ich war ja selber so doll traurig, dass ich einfach nicht wusste, wie ich jetzt damit umgehen soll und dir das sagen soll."

"Hat dein Herz da ganz doll weh getan als du das gehört hast, Mama?"

"Ja, Elisa. Das tut es immer noch."

"Was ist denn, wenn du einen neuen Papa für mich findest? Muss ich dann den Papa vergessen? Weil der Papa von Tom aus meiner Klasse hat eine neue Frau kennengelent und die mag er nicht aber sie ist jetzt bei ihnen im Haus, Tom mag das gar nicht und sie tut so als wäre sie seine Mama und er muss sogar zu ihr Mama sagen..."

Überrascht riss Gina die Augen auf. Ja, sie hatte die Geschichte schon im Dorf herumgeistern gehört. Aber dass Tom selbst davon erzählte, überraschte Gina.

"Jetzt gibt es erstmal nur dich und mich. Und ich hab dich lieb bis zum Mond und zurück. Das wird auch immer so bleiben. Dein Papa ist sein Papa und das wird er immer sein. Du sollst ihn nicht vergessen. Wenn ich vielleicht irgendwann wieder einen anderen Mann kennenlerne dann nur, wenn du damit einverstanden bist, dass er dich auch kennenlernt. Du bist an erster Stelle Elisa, du bist mir sooo unendlich wichtig. Und ich würde nie von dir verlangen, meinen neuen Partner Papa zu nennen. Das möchte ich selbst doch auch nicht. Da brauchst du keine Angst haben."

"Versprichst du mir das? Mama-Tochter Ehrenwort?", versicherte sich Elisa.

"Natürlich, versprochen! Schlag ein, dann gehen wir weiter."

Have faith in the dark - MPKWo Geschichten leben. Entdecke jetzt