138 - Von 'Überforderung' und 'Allein Zuhause'

208 14 115
                                    

Vormittags wurden Michael und Gina nicht etwa von den Mädels oder Bruce geweckt, sondern durch die Klingel der Haustüre.

"Boah, wer ist das denn?!", beschwerte sich Michael und schaute auf sein Handy. "9 Uhr.", murmelte er.

"Keine Ahnung. Ich schau mal schnell. Vielleicht irgendein Paket für die Nachbarn vorne am Eck, wenn man in die Straße zu uns einbiegt.", mutmaßte Gina und stand noch im Halbschlaf vom Bett auf. In Jogginghose und Pulli öffnete Gina die Haustüre und hätte sie aus Schreck fast wieder zugemacht.

Vor der Türe war nicht der Postbote, der ein Paket bei ihr abgeben wollte, sondern...Maite. Freudestrahlend, schon total wach und mit einer großen Tüte in der Hand.

"Guten Morgen Gina!", wurde sie von Maite begrüßt. "Ich hab Brötchen...oder Semmeln wie es bei euch heißt, vom Bäcker mitgebracht! Ich dachte, wir könnten alle zusammen frühstücken! Ich würde mit Bruce schnell noch eine Runde gehen, wenn ich schon so früh hier bin...tut mir leid, dass ich dich so überfalle, aber...", begann Maite loszureden, stockte dann aber und richtete ihren Blick auf die Person hinter Gina.

"Maite!", stöhnte Michael genervt und legte seinen Arm um Gina, die noch immer an der Haustüre stand und gerade ziemlich überfordert wirkte. Bis ins Gästezimmer hatte er Maites laute Stimme gehört und war daraufhin aufgestanden.

"Dir auch einen guten...Morgen. Du bist anscheinend gerade erst aus dem Bett gefallen, hm?", lachte sie und drückte ihrem Bruder ihre Bäckertüte in die Hand.
"Brötchen vom Bäcker. Ich geh kurz mit Bruce noch eine Runde. Dann könnt ihr erst einmal richtig wach werden.", informierte sie Michael, der nickte, nach Bruce rief und Maite die Leine in die Hand drückte. Dann ließ er erleichtert die Haustüre zufallen und atmete laut aus.

"Ich wusste nicht, dass sie schon so früh kommt.", sagte Michael entschuldigend zu Gina und nahm sie in den Arm.

"Ist schon gut. Ich muss mich aber noch an ihre sehr offene Art gewöhnen...das überfordert mich ehrlich gesagt ziemlich. Und ich glaube...jetzt dann kommt Fragenhagel Nummer 2...", tat Gina ihre Gedanken kund.

"Hm...kann gut sein. War wohl ziemlich offensichtlich, dass wir beide gerade eben zusammen aufgewacht sind...", murmelte Michael. "An Maites Extrovertiertheit gewöhnt man sich nie, glaub es mir! Ich bin ihr Bruder, und auch wenn ich sie wirklich gern habe...es kann manchmal schon sehr anstrengend sein! Aber das weiß sie selbst und wenn es dir zu viel wird, dann sag ihr einfach, sie soll bitte einen Gang langsamer machen, das sage ich ihr auch oft."

"Mhm...wenn es dir schon so geht! Ich schau mal nach den Mädels.", antwortete Gina und gab Michael noch schnell einen Kuss auf die Wange. Zugegebenermaßen überforderte sie die Situation gerade etwas. So sehr sie ihre Familie liebte und auch gern bei sich hatte...aber dass Michaels Schwester gerade so selbstverständlich vor ihrer Türe stand, als würde sie ebenfalls im Haus wohnen, war ihr ein bisschen zu viel des Guten - auch wenn Gina Maite wirklich gern mochte. Aber diese Offenheit war ihr etwas zu viel.

Leise schlich sich Gina ins Kinderzimmer ihrer Tochter, in dem Soléne in der Nacht bei Elisa übernachtet hatte. Zu Ginas Überraschung waren beide noch nicht wach und noch im Land der Träume. Schmunzelnd erkannte Gina auf Soléne Matratze eines von Elisas Kuscheltieren, an das sich Michaels Nichte im Schlaf gekuschelt hatte. Nach ein paar Schritten weiter ins Zimmer hinein stand Gina an Elisas Bett. Auch sie hatte sich im Schlaf an ihr Lieblingskuscheltier gekuschelt und schlief noch tief und fest.

Sanft strich Gina ihrer Tochter ein paar Haarsträhnen aus dem Gesicht, die im Schlaf nach vorne gefallen waren. Wie friedlich sie schlief, so als wäre alles perfekt. Und das, obwohl sie erst vor wenigen Monaten davon erfahren hatte, dass ihr Papa nie mehr wiederkommen würde. Auch, wenn Elisa mit der neuen Situation umging wie ein Profi und sich so gut wie nie beklagte oder weinte - vermutlich auch weil Michael, der mittlerweile fast schon die Vaterrolle übernommen hatte, bestimmt viel auffing...Der Verlust von ihrem Papa hatte sicher eine tiefe Narbe auf ihrer Kinderseele hinterlassen.

Have faith in the dark - MPKWo Geschichten leben. Entdecke jetzt