151 - Zettel-Botschaften

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Unschlüssig stand Gina im Gästebad und starrte auf ihr Spiegelbild. Nachdem Michael und sie dann vom Sofa ins Bett gewechselt waren, um dort noch zu kuscheln, hatte eines zum anderen geführt und sie hatten sich ihrer Leidenschaft hingegeben. Wie bisher fast immer konnte Gina völlig los lassen und genoss jede Sekunde, in der Michael und sie sich so nahe waren. Ohne irgendwelche Gedanken, Sorgen oder Schuldgefühle Andreas gegenüber. Alles war gut.

Schmunzelnd zupfte sie sich ihre zersausten Haare wieder halbwegs zurecht und analysierte dann ihr Spiegelbild. Sie sah glücklich aus, so glücklich wie schon lange nicht mehr. Befreit, gelöst. Wenn man nicht wusste, dass ihr Mann vor rund einem Jahr verstorben war, würde man es nicht sehen - nicht mehr. Vor der Zeit mit Michael hatte sie sich überwiegend dunkel gekleidet, wenn auch nicht so konsequent, wie die Tradition es vorschrieb. Aber schließlich befand sie sich im 21. Jahrhundert und nicht in der Zeit, als man sich als Witwe lange Zeit komplett schwarz anzog.
Jetzt wählte sie wieder ganz ohne überlegen zu müssen bunte, farbenfrohe Kleidung, die auch mal etwas figurbetonter war. Sie fühlte sich wohl - sehr sogar - in ihrem aktuellen Leben mit Michael und Elisa.

Trotzdem gab es diese eine Sache, die ihr schon länger im Kopf herumschwirrte. Auch wenn sie jetzt mit Michael eigentlich zusammen war, sie eigentlich seine Freundin war und sie sich ja eigentlich liebten... ausgesprochen hatte das noch keiner von ihnen. Es hatte schon mehrere Momente gegeben, in denen ihr die berühmten drei Worte fast herausgerutscht wären. Aber dann hatte sie sich doch nicht getraut. Vielleicht ging es Michael ja genauso? Für Gina musste es kein "Ich liebe dich" sein, damit sie sich sicher war, was Michael für sie empfand. Da hatte sie nicht den geringsten Zweifel - und er auch nicht, hoffte sie. Vielleicht wartete auch Michael darauf, dass sie den ersten Schritt machte, weil er sie mit einem deutlichen "Ich liebe dich" nicht in eine unangenehme Situation bringen wollte, falls sie noch nicht so weit war? Aber...dachte Michael so weit? Oder war es ihm vielleicht zu früh, so kurz nach der Trennung von seiner Frau?

Morgen früh würde sie Elisa für das Skiclub Kinder-Skitraining zum Skihang fahren, kurz ein oder zwei Abfahren zuschauen und Elisa dann zum Mittagessen wieder abholen. Danach war der Plan, zu Michaels Stadl zu fahren und Elisa noch zum Ponyreiten zu Katja bringen. Sie hatte auf Elisas Nachricht kurz später geantwortet und vorgeschlagen, dass Elisa irgendwann nachmittags zum Hotel kommen sollte und sie dann zusammen in den Stall gehen würden.

Nachdenklich spielte Gina ein paar Szenarien in ihrem Kopf durch, verwarf sie dann aber wieder. Irgendwie fühlte sie sich nicht wohl mit dem Gedanken, Michael direkt zu sagen, dass sie ihn liebte...weil in ihr trotzdem noch die Angst schlummerte, dass es er nicht erwiedern würde, auch wenn es dazu eigentlich keinen Grund gab - außer die kurze Zeit seit der Trennung von seiner Frau.
Dann aber kam Gina eine andere Idee. Wenn sie Elisa morgen Früh zum Skitraining fuhr und sie Michael da noch ein wenig weiterschlafen ließ...vielleicht könnte sie ihm ja einen kleinen Zettel ans Bett legen, mit einem "I love u"? Oder...bevor er den Zettel noch übersah, einen Zettel an den Spiegel im Gästebad kleben? Bis Gina wieder nach Hause kam, könnte Michael den Zettel ja schon gesehen haben... Er war ja deutlich sichtbar und sie wusste, dass Michael nicht dasselbe fühlte, wenn sie keine Antwort erhalten würde. Aber daran wollte sie jetzt gar nicht denken.

Schmunzelnd befand Gina die Idee schließlich für gut und ging wieder zurück zu Michael ins Bett.
"Hey!", flüsterte er ihr schon halb im Schlaf zu, als sie sich auf ihre Betthälfte legte.

"Hey, hast du schon geschlafen? Hab ich dich geweckt?", wollte Gina wissen und kuschelte sich in Michaels Arm.

"Nein, alles gut. Mir sind nur kurz die Augen zugefallen.", meinte er gähnend und man konnte das Schmunzeln an seiner Stimme hören.

"Also hab ich dich gerade geweckt.", schlussfolgerte Gina und spürte Michael Arme um ihren Körper, die sie noch ein Stück zu ihm zogen.

"Hm...aber egal. So kann ich viel besser schlafen, wenn du jetzt da bist und ich mit dir kuscheln kann.", murmelte er.

Have faith in the dark - MPKWo Geschichten leben. Entdecke jetzt