1. Prolog Teil 1 Ismira Katrinatochter

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Ismira stand vor dem Spiegel in ihrem Gemach während die Magd Anna die Verschnürung ihres Kleides schloss. Die langjährige Dienerin der Familie hatte darauf bestanden, dass sie auf der anstehenden Reise etwas standesgemäßes trug. Um den ewigen Konflikt mit Anna nicht erneut zum Ausbruch zu bringen hatte Ismira eingewilligt. Es würde Nerven aufreibend genug werden eine Woche mit der Magd in einer Kutsche auf dem Weg nach Gil'ead zu verbringen auch ohne es auf Konflikte anzulegen.
Es war nicht so, dass die junge Frau ihr Reisekleid aus grüner Seide nicht mochte. Sie stand nur auf einem ähnlichen Standpunkt wie ihre Tante Arya. In einem Kleid sah man vielleicht hübsch aus aber es behinderte einen .
Das Gepäck war bereits auf die Kutsche verladen worden und Thomas der Stallmeister ihres Vaters würde das Gespann lenken. Zu wissen, dass sie schon in einigen Tagen an einer Reiterprüfung teilnehmen würde erfüllte Ismira mit fiebrige Aufregung. Sie hatte sich bereits von Wintersonne verabschiedet und ihrer geliebten Stute eine besonders große Karotten mitgebracht. Ismira war stolz darauf, dass ihr Vater niemand war der sich auf Kosten seiner Untertanen bereicherte. Roran Hammerfaust hatte es aus eigener Kraft zu Wohlstand gebracht. Er hatte sein Talent für die Pferdezucht entdeckt. Schneefeuer, das Hochzeitsgeschenk ihres Onkels Eragon an seinen Cousin, war der perfekte Grundstock für eine Zucht gewesen. Inzwischen gehörten die Ställe von Carvahall zu den angesehensten des Königreichs. Wintersonne war eine Tochter Schneefeuers und machte ihrem Vater alle Ehre.
Ismira zog scharf die Luft ein als Anna es wie üblich etwas übertrieb mit den Verschnürungen.
"Anna, du sollst das Kleid schnüren nicht mich foltern."
"Wenn ihr öfter Kleider tragen würdet gnädiges Fräulein, würde es euch nicht so viel ausmachen. Ihr wärt daran gewöhnt." Erwiderte die Magd und zog ein weiteres Mal fest an den Verschnürungen.
"Wir haben eine weite Reise vor uns Anna. Ich würde gerne bequem sitzen. Im Augenblick machst du es mir unmöglich auch nur zu atmen."
"Diese ganze Reise ist sowieso eine Zeitverschwendung." Murmelte Anna ungehalten.
"Es ist eine Ehre die Dracheneier auf der Suche nach ihren Reitern berühren zu dürfen. Was soll da eine Zeitverschwendung sein?"
Deutlich spürte Ismira, dass sich eine weitere Auseinandersetzung mit Anna anbahnte. Nun gut! Sie floh vor keinem Kampf.
"Es ist eine Zeitverschwendung, weil die Chancen das bei euch ein Drache schlüpft verschwindend gering ist. Warum sollte so ein Wesen euch auswählen?"
"Etwa weil ich eine Frau bin?" Gab Ismira herausfordernd zurück. "Es wäre nicht das erste Mal, dass weibliche Wesen von Drachen erwählt werden."
Anna lachte spitz.
"Meint ihr etwa eure Tante die Elfe? Nun, ihr Volk ist sowieso anders. Seit ihr eine Kriegerin? Oder seit eine Magierin gnädiges Fräulein? Nein! Ihr seid nichts von alledem. Ihr seid nur ein verwöhnter, undankbarer Weibsteufel!"
Ismira fuhr zu ihrer Magd herum und funkelte sie wütend an. Diese blieb jedoch standhaft.
"Ich stehe zudem was ich gesagt habe gnädiges Fräulein. Ihr seid undankbar und verwöhnt. Wie ist es sonst zu erklären, dass ihr eure Eltern ständig blamiert? Der letzte Hofball auf dem sie eingeladen waren...! Bei den Göttern was für ein Desaster! Euer Vater ist ein wohlhabender Mann, der sich um das Königreich verdient gemacht hat. Viele neiden ihm aber immer noch seinen Titel. Besonders die alteingesessenen Familien betrachten ihn von oben herab. Und was tut seine Tochter? Unterstützt sie ihrer Eltern dabei sich in den Kreisen des Adels einzufinden? Versucht sie die Position ihrer Familie zu festigen indem sie bemüht ist eine gute Partie zu machen? Nein! Sie trägt lieber Männerkleider, streunt durch den Wald wie ein Landstreicher und vergrault jeden Verehrer der sich auch nur im Ansatz für sie interessiert. Ich liebe und verehre eurer Eltern gnädiges Fräulein. Keine gültigere Herrschaft könnte ich mir wünschen aber was euch betrifft hätten eure Eltern strenger sein müssen."
"Anna!" Die Stimme von Ismiras Mutter Katrina unterbrach den Streit der beiden Frauen. "Ich helfe meiner Tochter jetzt beim ankleiden. Bitte geh du zu Thomas und vergewissere dich das das Gepäck sicher verstaut ist."
Ein ungewohnter Befehlston war in Katrinas Worten mitgeschwungen und so zog es die Magd vor wortlos zu gehorchen. Als sie an ihrer Herrin vorbeiging erhob diese erneut ihre Stimme.
"Anna, du weißt, dass du für uns zur Familie gehörst aber ich wäre dir dankbar, wenn du die Erziehung meiner Tochter mir überlassen würdest."
Katrina warf einen vielsagenden Blick in Annas Richtung. Diese vollführte einen Knicks und signalisierte mit einem "Jawohl Frau Gräfin" dass sie einlenkte.
Kaum war die Tür hinter der Magd ins Schloss gefallen als Ismira selbiger hingebungsvoll die Zunge heraus streckte. Wütend verschränkte sie die Arme vor der Brust und ließ sich auf einer Kleidertruhe vor dem Fenster ihres Zimmers nieder. Eine Weile starrte sie trotzig aus dem Fenster bis sie es schließlich wagte ihre Mutter anzusehen die sich zu ihr auf die Truhe gesetzt hatte.
"Bin ich wirklich undankbar?" Fragte Ismira verlegen. Deutlich war der Sechzehnjährigen anzusehen, dass sie sich etwas vor der Antwort fürchtete.
Katrina lächelte und schüttelte dann den Kopf.
"Nein bist du nicht. Und wenn dein Vater und ich dich für umgezogen halten würden, hätten wir die Zügel angezogen. Glaub mir. Du bist manchmal etwas unbedacht. Wie auf dem letzten Hofball. Ein einfaches "Nein" hätte genügt."
Ismira legte ihren Kopf in den Schoß ihrer Mutter und ließ sich von ihr über die Haare streichen.
"Ich hasse es wenn Anna so redet. Ich komme mir dann immer vor als wenn mit mir irgendetwas nicht stimmt. Ist es denn falsch, dass ich meinen Lebensinhalt nicht nur in einem guten Mann und einem ordentlich geführten Haushalt sehe?"
"Du meinst so wie deine alte Mutter?"
Erschrocken hob Ismira den Kopf, stellte aber am Lächeln ihrer Mutter fest, dass diese sie nur etwas aufgezogen hatte.
"Mit dir ist nichts falsch Kleines." Erklärte Katrina sanft. "Weißt du, deine Großmutter, von der Du deinen Namen hast ist sehr früh gestorben. Seitdem war für mich alles anders. Mein Vater wurde überbeschüzend. Er hat mich manchmal fast damit erdrückt. Das zuhause dass er mir bot, hatte keine Wärme mehr. Deshalb habe ich mir immer eine Familie gewünscht in der man sich sicher und geborgen fühlt. Dass du deinen Kopf in den Wolken hast und hinaus willst in die große weite Welt zeigt mir, dass ich dir und deinen Brüdern ein solches zuhause geboten habe. Deshalb ist also nichts falsch mit dir."
Ismira umarmte ihre Mutter liebevoll und flüsterte ihr zu: "Eine bessere Mutter und ein besseres zuhause kann es gar nicht geben."
In diesem Moment flog die Zimmertür auf und Cadoc und Garrow stürmten gefolgt von ihrem Vater das Zimmer. Während die beiden Zwillinge über ihre Mutter und ihre große Schwester herfielen blieb Roran in der Zimmertür stehen. Die beiden siebenjährigen redeten so laut und heftig auf die beiden Frauen ein, dass keine der beiden etwas verstand.
"Nun mal Ruhe ihr zwei!" Gebot Katrina schließlich. "Was gibt es denn?"
"Thomas sagt es ist alles bereit!" Berichtete Cadoc aufgeregt.
"Und Anna ist auch endlich zufrieden damit wie das Gepäck verstaut ist!" Fügte Garrow hinzu.
"Du, Mirie?" Fragte Cadoc und benutzte Ismiras Spitznamen. "Welche Farbe willst Du eigentlich für deinen Drachen?"
Bevor die junge Frau antworten konnte unterbrachen Garrow: "Das kann man sich nicht aussuchen sagt Onkel Eragon."
"Pass aber auf das Du kein rosa Ei anfasst! Das sehe dann albern aus!" Riet Cadoc fürsorglich.
"Du musst es aber unbedingt deinen Drachen vorstellen Mirie! Auch wenn er rosa ist." Forderte Garrow entschieden.
"Das musst du uns allen Versprechen." Unterbrach schließlich Roran und trat zu seiner Frau und seiner Tochter. Fürsorglich legte er ihr einen Umhang aus warmen, blauen Stoff um. "Du musst uns versprechen das uns besuchen kommst mein kleiner Wirbelwind."
Mit diesen Worten umarmte Roran seine Tochter. Die junge Frau spürte wie sich auch ihre Mutter und ihre Brüder an sie drückten. Sie versuchte so viel wie möglich von der Wärme ihrer Lieben in sich aufzunehmen.
Es wurde nicht mehr viel gesprochen als sie aus dem Haus traten und Ismira schließlich zu Anna in die Kutsche kletterte. Diese setzte sich holpernd in Bewegung und noch lange winkte Ismira ihrer Familie zu. Schließlich verschwand das Gut ihrer Eltern auf dem sie aufgewachsen war aber hinter einer Wegbiegung. Ein merkwürdiges Gefühl beschlich die junge Frau. Sie hatte diesem Tag entgegengefiebert. Sie würde das Palancartal verlassen und einen Teil von Alagaesia besuchen den sie bisher nie gesehen hatte. Allein das war wundervoll. Außerdem bekam sie die Gelegenheit Dracheneier zu sehen und zu berühren. Wie lange hatte sie sich das gewünscht? Plötzlich jedoch wollte sie nur eins: Sofort aus der Kutsche springen, sich in die Arme ihrer Lieben werfen und sie nie wieder loslassen. Anschließend schien es ihr das Schönste auf der Welt zu sein sich ein großes Stück vom selbstgebackenen Kuchen ihrer Mutter aus der Küche zu stibitzen, mit Wintersonne einen Ausritt zu machen und an irgend einem schönen, stillen Plätzchen ihre Beute zu verzehren.
Ismira wurde mit einem Schlag klar, dass diese Abreise möglicherweise der Aufbruch in ein völlig neues Leben war. Wenn ein Drache bei ihr schlüpfen würde, musste sie die Ausbildung beginnen um die Wege der Reiter zu lernen. Das bedeutete, dass vielleicht Jahre vergehen würden bis sie ihre Familie wieder in die Arme schließen konnte. Die Vorstellung hatte etwas beängstigendes.
Annas Stimme schreckte sie schließlich aus diesen Überlegungen.
"Ich möchte euch einen Vorschlag machen gnädiges Fräulein. Schließen wir für die Dauer dieser Reise einen Waffenstillstand. Ich enthalte mich jeglicher Kommentare über eure Erziehung und eure mögliche Zukunft und ihr verspricht mir zu gehorchen und euer Temperament im Zaum zu halten."
Mit einem flüchtigen Lächeln auf den Lippen nickte Ismira Anna zu. Zu sprechen traute sich im Moment nicht. Sie hatte Angst, dass ihr die Stimme versagen könnte und diese Blöße wollte sie sich vor Anna nicht geben. Die Vereinbarung, die die Magd vorschlug schien jedoch vernünftig zu sein. So ließen sich vermutlich Auseinandersetzungen vermeiden und im Moment hatte Ismira keinen Bedarf nach Streit und Zank.
Gedankenverloren strich sie über den blauen Anhänger welchen sie trug. Sie hatte ihn aus der Schuppe geschnitzt, welche die Drachendame Saphira ihr vor Jahren geschenkt hatte.
"Das Schicksal wird entscheiden, wohin mein Weg mich führt." Sagte Ismira zu sich selbst.

Eragon Band 6 - Die Wege der ReiterWo Geschichten leben. Entdecke jetzt