115. Das Gesicht der neuen Gefahr

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Betretenes Schweigen hatte sich in Nasuadas Gemächern ausgebreitet nachdem es Eragon gelungen war Elva ruhig zustellen. Mit Erlaubnis der Königin hatte der Anführer der Reiter zusammen mit Murtagh das ehemalige Hexenkind auf einem Sofa im Gemach der Herrscherin von Alagaesia niedergelegt. Auch im gegenwärtigen Zustand tiefer Bewusstlosigkeit schien Elva noch immer von den Kräften verfolgt zu werden, die ihre augenblickliche Instabilität verursacht hatten. Schweißperlen standen ihr auf der Stirn und unruhig warf sie ihren Kopf hin und her.
"Geht es dir gut?"
Eragon konnte sich die Frage nicht verkneifen als seine Gefährtin ebenfalls an das Sofa trat und den Blick über Elvas zuckenden Körper wandern ließen.
Arya kommentierte die Fürsorge ihres Gefährten mit einem kurzen dankbaren Lächeln, dann wurde ihr Blick wieder ernst.
"Ohne Zweifel sind Geister für Elvas merkwürdiges Handeln verantwortlich." schlussfolgerte die Elfe schließlich.
"Soll das heißen, dass sie sich in einen Schatten verwandeln wird?"
Viel schwang in Nasuadas Worten mit. Sorge um Elva, die immerhin schon einige Jahre zu ihren engsten Beratern zählte, aber auch um die Bewohner der Hauptstadt sollte tatsächlich ein Schatten im Entstehen begriffen sein.
Eragon konnte die Frage der Königin nicht beantworten. Geisterbeschwörung war ein Thema gewesen, dass zwar kurzzeitig sein Interesse gefunden hatte aber was er nie weiter verfolgt hatte. Die Begegnung, die er, gemeinsam mit Arya, mit den Geistern gehabt hatte als er sich auf dem Rückweg vom Helgrinds befand war es gewesen die einst Neugier geweckt hatte aber Oromis warnende Worte über die Gefahren der Geisterbeschwörung hatten der Wiesbegierde des damals jungen Reiters einen schnellen Dämpfer versetzt. Im Anschluss an den Sieg über Galbatorix hatten dann andere Dinge im Vordergrund gestanden. Die Suche nach einem neuen Zuhause für den Drachenreiter Orden sowie die Ausbildung der neuen Schüler. Geisterbeschwörung war nichts mit dem man sich als Nebensächlichkeit beschäftigen sollte. Eragon hatte sich seinerzeit vorgenommen Studien in diesem Bereich anzustellen wenn der Orden wieder auf einem soliden Fundament stand.
"Ich denke nicht."
Es war Arya, die nun die Frage der Königin aufgriff.
"Ich denke eher, dass diese Begebenheit hier eine Ablenkung darstellt."
"Wie kommst du darauf?" erkundigte sich Nasuada weiterhin mit deutlicher Sorge in der Stimme.
"Du hast gesagt, dass Elvas Gabe Gefahren zu spüren völlig blockiert wurde. Sie hatte das Gefühl, das irgendjemand zu ihr sprechen würde und dadurch ihre Wahrnehmung abgestumpft wurde. Elvas Gabe geht auf Magie zurück. Eragons missglückter Segen verbindet sie mit dem Strom der Magie. Ich denke, dass die Geister diese allgegenwärtige Verbindung von Elva genutzt haben um ihre Gabe zu blockieren."
"Das bedeutet dann aber, dass im Augenblick etwas vorgeht, das für uns oder irgend jemanden in der Hauptstadt eine Gefahr darstellen könnte." folgerte Murtagh auf Aryas Worte hin. "Die Geister müssen irgend etwas im Schilde führen. Sie versuchen etwas zu verbergen was Elvas Gabe sonst auffangen würde."
Eragon wollte gerade den Worten seines Bruders zustimmen als ihm unverhofft schwindlig wurde. Er benötigte einige Augenblicke um zu begreifen was vor sich ging doch dann traf ihn die Erkenntnis.
"Was hast du, Eragon?"
Murtaghs Stimme löste den Rest der Desorientierung die den Anführer der Drachenreiter ergriffen hatte auf. Er strafte seine Gestalt und blickte zu seinem Bruder und Arya die sofort neben ihm getreten waren als er ins taumeln geraten war.
"Wir müssen sofort zur Ruine der schwarzen Zitadelle. Jemand hat die Schutzzauber an den Schlössern der Truhe durchbrochen, in der wir den Dauthdaert versteckt haben."
Arya und Murtagh begriffen sofort. Mit einigen knappen Worten verabschiedeten sie sich von Nasuada und eilten durch die nächtlichen Gänge der königlichen Residenz. Sie hatten kaum das Gemach der Königin verlassen als Eragon bereits seinen Geist nach dem von Saphira aus schickte.
- "Was den?" -
Die Stimme der blauen Drachendame klang verschlafen.
- "Saphira, weck bitte Dorn und Fírnen. Wir müssen zur Ruine der schwarzen Zitadelle. Jemand ist dort eingedrungen und versucht den Dauthdaert zu stehlen." -
Durch die geistige Verbindung spürte Eragon wie eine Woge aus aufflammender Wut jede Schläfrigkeit aus Saphiras Geist vertrieb.
- "Wir holen euch vor der königlichen Residenz ab." - übermittelte sie ihren Reiter und schickte Eragon ein Bild das zeigte, dass auch ihre beiden männlichen Artgenossen bereits wach waren. Offenbar hatten Arya und Murtagh ebenfalls Kontakt zu ihren Seelenpartnern aufgenommen. Das Bild zeigte auch Anarie und Tailon die ebenfalls erwacht waren aber noch recht ratlos waren im Angesicht der Wut und der Aufregung die die älteren Artgenossen ergriffen hatte.
Das Bild der beiden Jungdrachen führte dazu, dass Eragon unweigerlich an seine Nichte und Cale denken musste. Auf keinen Fall wollte er zwei so junge Reiter in eine Situation bringen die sich so schwer einschätzen ließ.
Abermals sandte der Anführer der Reiter seine geistigen Fühler aus und erreichte schließlich den vertrauten Geist von Ismira.
- "Onkel Eragon, was ist los?! Anarie sagt mir, dass Saphira und die anderen Drachen furchtbar aufgeregt sind." -
- "Es würde zu lange dauern es dir jetzt zu erklären Ismira. Ich habe eine Aufgabe für dich und Cale. Arya, Murtagh und ich müssen einen Dieb stellen, der versucht etwas aus Galbatorix schwarzer Zitadelle zu stehlen. Ein solches Vorhaben lässt auf einen mächtigen Magier schließen. Ich möchte, dass Du zusammen mit Cale mein Quartier aufsuchst. Dort haben wir die Seelenhorten von Glaedr und Umaroth zurückgelassen. Nimmt sie an euch und sucht euch einen Platz von wo aus ihr die Stadt überblicken könnt. Sollten wir zusätzliche Kraft von den Seelenhorten brauchen wirst du, zusammen mit Cale und euren Drachen die Energie an uns übermitteln." -
- "Du willst nur erreichen, dass Cale und ich nicht in Gefahr geraten." - erwiderte Ismira unzufrieden. "- Die Eldunari haben dich während deiner ganzen Abenteuer im Auge behalten. Damals bist du durch ganz Alagaesia gereist. Warum sollten sie mich und Cale jetzt brauchen um mit ihr Kontakt aufzunehmen wenn du nur ein paar 100 m entfernt bist." -
- "Es geht nicht um Kontakt Ismira sondern um das übermitteln von magischer Energie. Wenn die Eldunari es allein tun müssen verliert sich bereits ein Teil ihrer Kraft bis er uns erreicht. Wenn Du und Cale aber mit eurer Stärke die Entfernung überbrückt erreicht uns die Energie ohne Verlust." -
Damit gab sich Eragons Nichte fürs erste zufrieden und ließ sich von ihrem Onkel zeigen wo die Seelenhorten der beiden mächtigen Drachen versteckt waren und wie sie die magischen Schutzwälle lösen musste die die beiden Eldunari umgaben.
Inzwischen hatten Eragon und seine beiden Begleiter die königliche Residenz verlassen und standen im Vorhof von Nasuadas Machtzentrale. Die drei Reiter hatten nur Zeit für einen kurzen flüchtigen Blick als ihre Seelenpartner bereits vom Himmel stießen. Keiner der drei Drachen war gesattelt aber dafür blieb keine Zeit. Eiligst zogen sich die drei ältesten Reiter Alagaesias auf den Rücken ihres jeweiligen Seelengefährten und diese schossen sofort wieder in den Nachthimmel.
Mit einigen kräftigen Flügelschlägen erreichten Saphira und ihre Begleiter eine sichere Flughöhe und drehten dann auf die Ruine von Galbatorix Festung zu.
Mit geübter Routine stellte Eragon gerade eine geistige Verbindung zu seinen Mitstreitern her um das Vorgehen abzustimmen doch soweit sollte es nicht kommen. Im nächsten Moment überschlugen sich die Ereignisse.
Eine gewaltige Detonation durchschnitt vorher weitestgehend stille Nacht und die drei Drachen wurden von einer Druckwelle getroffen die sie fast aus dem Gleichgewicht brachte. Nur mühsam konnte sich Eragon auf dem Rücken von Saphira halten und auch seinen beiden Begleitern ging es nicht anders. Als der Anführer der Reiter wieder sicheren Halt auf dem Rücken seiner Drachendame hatte blickte er sich nach der Ursache für die Explosion um. Die schützende Mauer, die um die Ruine der schwarzen Zitadelle errichtet worden war existierte nicht mehr. Eine gewaltige Kraft aus dem innern von Galbatorix ehemaligem Machtzentrum hatte sie in Stücke gerissen. Gewaltige Trümmerstücke der Mauer regnet nun über Ilirea aus den nächtlichen Himmel.
Dort wo einst die Mauer gestanden hatte löste sich gerade eine dicke Staubwolke auf und eine menschenähnliche Gestalt wurde sichtbar.
- "Wir hätten es uns denken können." - knurrte Murtagh als er sah wer dort stand und den Dauthdaert in den Himmel räckte. Die unheimliche Lanze schien heller denn je zu leuchten und von überall her aus der Nacht lösten sich die Geister aus der Dunkelheit und schwirrten auf die magische Waffe zu. Die Energiewesen umkreisen die Lanze und den Mann der sie in den Himmel räckte. Blitze lösten sich aus dem Grün leuchtenden Kugeln und schlugen in den Dautsaert ein was die Waffe noch heller erstrahlen ließ.
- "Das ist nicht mehr Herzog Tjurin." -
Auch Eragon hatte, trotz deutlicher Entstellungen, die körperliche Form des Sohns von Herzog Aurast erkannt. Es war allerdings mehr als deutlich, dass sich der junge Adlige in einen Schatten verwandelt hatte. Unnatürlich rotes Haar krönte nun seinen Kopf und die Augen des neugeborenen Schattens erstreiten in einem giftigen Grün.
"Was für eine Ehre!"
Der Schatten hatte die heran eilenden Drachenreiter entdeckt.
"Die stärksten des neuen Ordens der Drachenreiter. Eigentlich wollte ich zunächst mit den Spitzohren abrechnen aber wenn sich eine goldene Gelegenheit bietet....!"
Kaum war die höhnische Stimme des dämonischen Wesens verstummt als der Schatten die Spitze der Grün leuchtenden Lanze bereits auf die Drachenreiter richtete. Ein knisternder Strahl reiner, smaragdgrüner Energie löste sich von der Spitze und schoss auf die Reiter zu. Saphira und ihre Artgenossen reagierten gerade noch rechtzeitig und konnten dem magischen Angriff ausweichen. Doch nur mehr als knapp gelang es den drei Drachen Verletzungen zu vermeiden. Die Beweglichkeit der mächtigen Wesen war durch ihre Reiter eingeschränkt. Ohne die Sicherungsriemen ihrer Sättel war es schwer für die drei Zweibeiner sich bei komplexen Flugmanövern auf den Rücken ihrer Gefährten zu halten.
Der Energiestrahl erinnerte Eragon auf schreckliche Weise an die brennenden Steppen. Dort hatte Murtagh einen ähnlichen Zauber angewandt um den Zwergenkönig Hrothgar niederzustrecken. Einen Unterschied gab es jedoch, abgesehen von der Farbe der Energiestrahlen. Der von Murtagh damals beschworene magische Blitz war etwa so dick wie der Arm eines gut durchtrainierten Mannes gewesen. Der Strahl des Schattens hatte etwa den Durchmesser des Stammes einer Eiche die bereits einige Sommer gesehen hatte. Deutlich spürte Eragon die Hitze der magischen Energie in der kühlen Nachtluft.
Als er den Blick wieder auf den Schatten richtete schöpfte der Anführer der Reiter jedoch etwas Hoffnung. Der Neugeborene Dämon schien sich mit der Attacke übernommen zu haben. Er konnte sich nur auf den Beinen halten weil er sich auf den Dauthdaert stützte.
- "Die Phase der Verwirrung." - es erleichterte Eragon ungemein als er Umaroth Stimme in seinen Gedanken vernahm. - "Die ich dir erzählt habe Eragon hat sich mein Reiter Vrael mit Geistern und der Entstehung von Schatten beschäftigt. Dieses Exemplar befindet sich gerade in der Phase der Verwirrung. Kurz nach der Geburt eines Schattens kann dieser seine Fähigkeiten noch nicht genau einschätzen. Die Energiewesen aus denen er geboren wurde sind es nicht gewohnt körperlichen Beschränkungen zu unterliegen. Deshalb ist der Schatten jetzt so geschwächt. Er hat seine eigene Stärke falsch eingeschätzt." -
Noch während Eragon fieberhaft darüber nachdachte wie sich am besten ein Vorteil aus der gegenwärtigen Schwäche des Dämons ziehen ließe richtete dieser den unheimlichen Blick seiner glühenden Augen wieder auf seine Feinde.
"Ich bin wohl noch nicht ganz in der Lage euch gerecht zu werden Drachenreiter. Aber glaub mir, das wird sich schon bald ändern! Schon bald werden wir unsere Rache an den Elfen nehmen und ihren Wald in einen Friedhof verwandeln wie ihn die Welt noch nicht gesehen hat! Für heute jedoch ziehe ich mich zurück! Doch nicht ohne euch ein kleines Abschiedsgeschenk zu hinterlassen."
Erneut erhob der Schatten die magische Lanze über seinen Kopf und rammte den Stil in den Boden auf dem er stand. Erneut gab es einen lauten Knall und das dämonische Wesen war verschwunden. Offenbar hatte der Schattenmagie gewirkt um sich selbst von einem Ort zum anderen zu befördern.
Eragon und seinen Begleitern blieb jedoch keine Zeit um darüber nachzudenken wohin sich der Dämons zurückgezogen hatte. Giftgrüne Wellen aus magischer Energie flossen über die Steine den Berghang hinunter, direkt auf die Häuser der Bewohner von Ilirea zu.

Eragon Band 6 - Die Wege der ReiterWo Geschichten leben. Entdecke jetzt