114. Aus den Untiefen der Zeit Teil 2

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Aufmerksam beobachtete Tjurin wie Kaljostro begann seine Zauber zu wirken. Nach einigen Minuten unterbrach der Magier sein monotones Gemurmel und betrachtete die Eisenkiste vor ihm skeptisch.
"Wer immer diese Waffe gesichert hat ist ein weit fähigerer Magier als ich es bin." räumte der Jünger des Helgrinds schließlich mit Resignation in der Stimme ein. "Diese Kiste und ihr Inhalt ist hervorragend gesichert."
"Wir müssen sie auf bekommen." forderte Tjurin.
"Glaubt mir," versicherte Kaljostro. "Ich will sie ebenso sehr öffnen wie du aber wir müssen behutsam vorgehen. Einige der magischen Schutzwälle zielen darauf ab Unbefugte die sich an dieser Kiste zu schaffen machen zu lähmen oder auf sonst irgend eine Weise kampfunfähig zu machen. Diese Zauber bilden gewissermaßen die erste Schicht am Schutzwällen die um die Kiste gesponnen ist. Die nächste Verteidigungslinie ist auf den Schlössern aufgebaut. Man kann sie nur mit Magie öffnen aber man kann dies nicht tun ohne denjenigen, der diese Truhe geschützt hat auf sich aufmerksam zu machen. Die letzte Verteidigungslinie bilden einige Schutzwälle die, wenn man sie auslöst denjenigen töten der versucht in den Besitz des Inhalts diese Truhe zu kommen."
Tjurin hatte den Worten seines Verbündeten mit wachsender Unruhe gelauscht. Es machte ihm bewusst wie wenig er doch über die Wege der Magie wusste. Mit seinen begrenzten Kenntnissen konnte er sich nicht einmal vorstellen wie es möglich sein sollte eine so komplexe Verteidigung aufzubauen. Insgeheim hatte der junge Adlige gehofft, das sich, wer immer den Dauthdaert hier versteckt hatte, auf die unsichtbare Kraft verlassen hatte die hier am Werke war. Offenbar war derjenige, der die Waffe hier gesichert hatte aber kein Risiko eingegangen.
"Was schlägst du vor? Wie sollen wir weiter vorgehen?"
Kaljostro überlegte einen Augenblick bevor er antwortete: "Nun, zunächst muss ich die äußeren Schutzwälle abtragen. Das wird einiges an Kraft kosten aber es dürfte nicht unmöglich sein. Dasselbe gilt für die tödlichen magischen Fallen. Ein ganz anderes Problem ist aber die Sicherung der Schlösser. Die Schutzwälle egal ob tödlich oder nur dazu gedacht einen Gegner kampfunfähig zu machen zielen gewissermaßen nach außen. Man muss behutsam vorgehen wenn man sie abträgt aber es ist machbar. Ganz anders sieht es bei den Schlössern aus. Die Zauber sind fest mit den Schlössern verwoben. Sie sind Teil ihrer Struktur. Das liegt daran, dass sie im Grunde nach innen gerichtet sind. Sie sollen den Gegenstand, den sie schützen überwachen und jede Störung melden. Sie zu entfernen ist fast unmöglich. Nicht ohne die Alarme auszulösen."
"Du sagst, die Schlösser sind mit solchen Schutzwällen umgeben. Was ist mit der Kiste selbst? Könntest Du nicht einfach den Deckel schmelzen lassen?"
"Das war auch mein erster Gedanke." sagte Kaljostro schüttelte aber gleichzeitig den Kopf. "Leider ist auch das unmöglich. Diese Kiste ist speziell hergestellt worden um die Waffe darin zu verbergen. Auf ihrer Struktur selbst liegen keine Zauber weil der, der sie hier versteckt hat wusste, dass er keine brauchen würde. Die Wände der Kiste sind aus gehärtetem Stahl und so dick, dass es selbst einem Magier der Elfen schwer fallen dürfte sie zum schmelzen zu bringen ohne dabei soviel Kraft zu verbrauchen, dass es ihn töten würde. Und selbst wenn es mir gelingen würde ein Loch in die Kiste zu schmelzen, du sagtest, dass sich eine Lanze darin befindet. Die Öffnung muss groß genug sein dass wir die Waffe entnehmen können. Nein, das kann ich unmöglich schaffen."
"Soll das heißen wir müssen aufgeben?"
"Es soll heißen, dass wir die Kiste nicht öffnen können ohne die Aufmerksamkeit der Drachenreiter zu erregen. Eine Vorstellung die mir nicht unbedingt behagt. Immerhin befinden sich drei der mächtigsten Reiter Alagaesias in der Hauptstadt." erwiderte Kaljostro.
Tjurin spürte wie sich Verzweiflung in ihm aufbaute. Er war so dicht an seiner Freiheit! Aber der Geist würde ihm nur dann helfen, wenn er den verfluchten Dauthdaert an ihn übergeben konnte. Wenn er die Vereinbarung nicht einhielt würde der Geist es auch nicht tun. Tjurin beschloss alles auf eine Karte zu setzen und das Beste zu hoffen.
"Wegen der Drachenreiter musst Du dir keine Sorgen machen. Wenn wir die Waffe erst in unserem Besitz haben kann ich uns sicher aus der Stadt bringen ganz gleich welche Zauber auch immer ausgelöst werden."
Der Jünger des Helgrinds richtete den Blick seines einzigen ihm verbliebenen Auges auf Tjurin. Die Skepsis in seinem Blick war nicht zu übersehen.
"Vertraue mir Kaljostro. Wir wollen noch beide den Gott reinigen."
"Ich hoffe, dass Du weißt was du tust." murmelte der Priester und richtete den Blick dann wieder auf die Schlösser der Truhe.
Erneut begann der Magier damit seine Zauber zu Murmeln. Aufgeregt beobachtete Tjurin was geschah. Der Geist hatte versprochen, dass er Ilirea sicher verlassen würde wenn er ihm den Dauthdaert übergab. Tjurin verließ sich ganz auf dieses Versprechen.
Inzwischen zeigten die Beschwörungen von Kaljostro ihre Wirkung. Die Schließbügel der schweren Vorhängeschlösser begann zu glühen, erst rötlich dann immer heller und schließlich zerbarsten sie unter der Hitze. Kaljostro zog sich den Stoff der weiten Ärmeln seiner Kutte über die Hände um sich vor der Hitze zu schützen die das ganze Eisen durchzog. Mit niedrigem Eifer entfernte er die Schlösser von der Truhe.
"Wir haben nicht viel Zeit. Die Alarme sind ausgelöst! Hilf mir den Deckel zu heben."
Tjurin tat wie ihm geheißen und war mehr als überrascht wie schwer sich der Deckel der Truhe herausstellte. Erst als sie mit vereinten Kräften erfolgreich angehoben hatten wurde ihm klar warum eine solche Kraftanstrengung vonnöten gewesen war. Der Deckel sowie die Wände der Truhe waren fast eine Elle dick und bestanden aus massivem Stahl. Es gab praktisch keinen Innenraum. Man hatte die Kontur der Lanze genau in das Metall eingearbeitet und sie praktisch mit massivem Stahl umkleidet. Nun wurde es auch für Tjurin nachvollziehbar warum es unmöglich gewesen wäre die Truhe selbst schmelzen zu lassen.
Weit interessanter als der Behälter war jedoch sein Inhalt. Vor dem jungen Adligen lag der Dauthdaert!
Fast andächtig strich Tjurin über die fein gearbeitete Waffe. Ein grünes leuchten das ihn an den Geist erinnerte der zu ihm gekommen war ging von der Waffe aus. Die mit Widerhacken versehene Spitze ließ Bilder von Blut und Tod im Geiste eines jeden aufsteigen der sie ansah.
Vorsichtig hob Tjurin die Lanze aus der Truhe.
"Was immer du vorhast, du solltest es jetzt in Angriff nehmen. Die Reiter werden sicherlich bald hier sein." Forderte Kaljostro der sich neben Tjurin erhoben hatte und unruhig in Richtung des zu gemauerten Eingangs blickte.
Grimmige Wut stieg in den jungen Adligen auf. Dies war sein Augenblick! Der Moment seines Triumphes! Einmal mehr würde er denen ein Schnippchen schlagen die nicht bereit waren seine Größe anzuerkennen. Wie konnte Kaljostro es wagen ihm diesen Augenblick zu verderben! Im Grunde brauchte er den Priester doch überhaupt nicht mehr.
Augenblicke nachdem diese Erkenntnis in Tjurin aufgestiegen war ließ sie ihn bereits handeln. Mit grimmiger Entschlossenheit rammte der junge Adelige dem Verbündeten, der nun ausgedient hatte, die Spitze des Dauthdaerts in den Oberkörper. Schockiert starrte Kaljostro erst auf die Waffe die in seinen Körper eingedrungen war dann richtete sich sein Blick auf Tjurin. Der dunkle Priester öffnete den Mund um etwas zu sagen doch nur ein erstickte er laut begleitet von einem Schwall Blut verließ seine Lippen. Der Lebensfunke wich aus seinem Blick und Tod brach der Jünger des Helgrinds zusammen.
Mitleidlos zog Tjurin die Waffe aus dem Körper des Toten. Das Blut des Priesters an der Spitze der Lanze schien geradezu eine Beleidigung zu sein. Dem jungen Adligen war jedoch klar, dass er sich nicht mit solchen Gefühlen aufhalten durfte. Es galt den Vertrag zu erfüllen und seine Belohnung einzufordern.
Tjurin konzentrierte sich und rezitierte die Worte in der alten Sprache die der Geist ihm genannt hatte. Die Wirkung der Beschwörung zeigte sich fast augenblicklich. Weder erfüllte eine Spannung die Luft die an eine nahebndes Gewitter erinnerte. Ein scharfes Knistern erfüllte den dunklen Raum als die leuchtende Gestalt des Geistes scheinbar mühelos durch eine der Wände glitt und sich langsam Tjurin näherte.
"Hier ist die Waffe die du wolltest! Nun halte dein Wort!"
Einen Augenblick verharrte die grüne schillernde Kugel in der Luft, dann schloss sie mit einer Geschwindigkeit auf Tjurin zu die einer zustoßen den Giftschlange gleichkam. Wieder hatte Tjurin das Gefühl als würde eine brennende Hitze in seinen Körper eindringen. Doch diesmal war es anders. Der junge Adelige war sich sicher, dass der Geist nicht einfach nur mit ihm kommunizieren wollte. Ein anderes Gefühl begleitete die Wärme die in jede Zelle von Tjurins Körper vorzustoßen schien. Am ehesten kann das Gefühl dem gleich was man empfand, wenn man die Hand aus einem Handschuh zog. Nur dass dieses Gefühl viel allumfassender war. Tjurin selbst, sein Wesen, sein Geist war der Handschuh und etwas Neues, dunkles und hasserfülltes Drang unnachgiebig in seinen Körper vor.
"Was tust du?!"
Tjurin wusste nicht ob er diese Worte ausgesprochen hatte oder ob es reine Gedanken geblieben waren. Die Frage war seinem Instinkt entsprungen. Fast überraschte es ihn eine Antwort zu erhalten.
"Ich halte nur mein Versprechen!" ließ sich der Geist vernehmen. "Ich habe dir versprochen dich an einen Ort zu bringen wurde ich niemand finden würde. Glaub mir in dem dunklen Winkel in dem ich deine Seele einsperren werde wird niemand sie finden können und sterben wirst Du auch nicht. Niemals würde ich zu lassen das meinem neuen Körper etwas passiert!"
"Deinem neuen Körper? Aber ich habe alles getan was du wolltest!"
Tjurins Protest entlockte den Geist ein schallendes Gelächter.
"Erwartest etwa Dankbarkeit von mir? Oder Loyalität? Du?! Gerade du solltest doch verstehen wie viel Versprechen bedeuten. Was du deinem Vater gegenüber loyal und hast ihm sein Glück gegönnt? Warst du dankbar als Maron die das Leben gerettet hat? Nein! Du hast ihn sterben lassen! Oder soll ich etwa Mitleid mit dir haben? Hattest Du Mitleid mit den Gästen in der Taverne in Bullridge die du ermordet hast? Dem alten Mann dem Durzas Tagebuch gestohlen hast und den du umgebracht hast du um Geld zu sparen? Oder was ist mit Lorena und deinem Kind? Warum bist du so überrascht Tjurin dass ich dich nun verrate? Du hast doch selbst jeden verraten, betrogen und hintergangen sobald es dir nützte! Selbst dieser tote Priester des Helgrinds hatte mehr Ehre im Leib als du! Er hat sich immerhin für etwas eingesetzt an das er glaubte. Wie verworren und fehlgeleitet sein Glaube auch war er ist für seine Überzeugung gestorben. Du hast ihn einfach nur getötet weil er dir im Weg war und dir nicht mehr nützen konnte. Du hättest dashier wirklich kommen sehen sollen!"
Unter dem schallenden Gelächter des Geistes hatte Tjurin das Gefühl in einem bodenlosen Abgrund zu stürzen. Mehr und mehr verlor seine Welt jegliche Konturen. Es gab kein oben mehr und kein unten ja nicht mal sich selbst konnte der Sohn von Herzog Aurast noch wirklich definieren. Es gab keine Arme mehr keine Beine keine Vergangenheit und keine Zukunft. Allein die Hoffnung nicht tot zu sein war als an das sich Tjurin noch klammerte. Sollte er tot sein war dies zweifellos die Hölle und es gab keine Hoffnung mehr. Sollte aber noch leben so konnte er zumindest hoffen dass der Tod ihn von diesen Qualen befreien würde.

Eragon Band 6 - Die Wege der ReiterWo Geschichten leben. Entdecke jetzt