132. Schwächen

1.2K 59 0
                                    


"Aber euch geht es gut?"
Jemand, der Arya nicht so gut kannte, hätte sich von neutralen Klang ihrer Stimme wohl täuschen lassen. Man könnte meinen die Elfe hätte sich soeben nach der vorherrschenden Wetterlage im Umfeld des Außenposten erkundigt.
Eragon jedoch kannte seine Gefährtin gut genug um zu wissen, dass Sorge sie erfüllte und sich die allgemeinenformulierte Frage direkt an das Spiegelbild ihrer Cousine gerichtet hatte, welches sich auf der schimmernden Oberfläche eines kleinen Wasserlochs abzeichnete welches in der Nähe des Lagers von Eragon und seinen Begleitern lag.
Auch Narie schien den Wind zu verstehen. Sie senkte kurz den Blick und lächelte.
"Uns Drachenreitern und unseren Gefährten geht es soweit gut. Mach dir keine Sorgen Rabenmähne."
Während Eragon sich eisern beherrschte trat Aryas lange verschollenen Bruder etwas näher zu ihr und erkundigte sich mit belustigt blitzenden Augen: "Rabenmähne?"
Aryas Reaktion bestand in einem kurzen niederschlagen ihres Blickes und einem fast lautlosen Seufzen.
Während Aylon und Narie bewiesen, dass sie wohl aus demselben Holz geschnitzt man und ein leises Kichern nicht unterdrücken konnten gelang es Eragon sich zu beherrschen. Allerdings vollbrachte Saphiras Reiter dieses Kunststück nur in dem er sich kräftig in die Innenseite seiner Wange biss.
Die aufkommende Heiterkeit hielt leider nicht lange vor. Narie setzte ihren Bericht über den Angriff des Schattens Netor auf den Außenposten fort.
"Leider muss ich berichten, dass es unter den Nachtfalken schwere Verluste gegeben hat. Einige der Soldaten wieder so tot hielten waren zwar nur schwer verletzt und konnten geheilt werden aber Oberst Miros war nicht mehr zu retten. Ich muss mich auch noch für unser allgemeines Versagen entschuldigen Arget-Un Eragon. Der war nicht in der Lage den uns gestellten Auftrag zu erfüllen und den Kokon des Schatten-Ra zac vor dem Zugriff des Angreifers schützen. Wohin er das Wesen mithilfe seiner Magie geschickt hat ist uns nicht bekannt."
Narie hatte einen sehr formellen Tonfall angeschlagen. Arget-Un war Eragons Titel als Anführer der Reiter. Arget bedeutete Silber und bezog sich auf das Drachenmahl das jeder Reiter an der Hand trug und "Un" bedeutete soviel wie" Erster" oder" am höchsten gestellter". Grob konnte man den Titel also mit einem: "Erster unter den silbernen Handflächen" übersetzen. Man hatte es bei einem simplen "Arget" belassen da es von jeher der Wunsch der Oberhäupter des Reiterordens gewesen war sich nicht zu weit über die anderen zu erheben.
Im Grunde störte es Eragon etwas von Narie mit diesem offiziellen Titel angesprochen zu werden. Nach menschlichen Maßstäben war sie praktisch seine Schwägerin, sie hatte zu seinen ersten Schülern gehört und war ihm und Arya schon seit vielen Jahren eine treue Freundin.
"Ist schon gut Narie." Das klein er deshalb sanft. "Ihr habt euch einen Gegner gegenüber gesehen, der euch an Kraft um ein Vielfaches überlegen war. Er hätte Netor nicht aufhalten können. Wir sind alle erleichtert, dass es dir und unseren anderen Kameraden des Ordens gut geht. Gibt es sonst noch etwas wichtiges, was du deinem Bericht hinzufügen willst?"
"In der Tat." erklärte Narie und holte hinter ihrem Rücken etwas hervor, dass wie das abgebrochene Ende des Schaftes einer Lanze aussah. "Das hier ist ein Stück des Dauthdaerts Nieren. Als unser Gegner sich in Kiras Feuer auflöste konnte er nicht die ganze Waffe mitnehmen. Ich wusste, dass Aylon mit euch reist, und das niemand mehr über diese Lanzen weiß als unser neuer Verbündeter. Ich wollte euch das nicht verschweigen. Ich nehme an es wäre wohl zu viel verlangt, dass durch diese Beschädigung Netors Macht vollständig gebrochen ist oder?"
Auch Arya und Eragon richteten ihre Aufmerksamkeit nun auf das lange verschollene Mitglied der Königsfamilie.
"Gebrochen sicherlich nicht." erklärte Aylon und ein aufgeregtes Funkeln trat in seinen Blick. "Aber dieses Bruchstück könnte der für uns entscheidende Vorteil sein. Narie kannst es uns her bringen?"
Bedauernd schüttelte die junge Elfe den Kopf.
"Im Moment ist keiner unserer Drachen in der Lage schnell eine weite Strecke zurückzulegen. Laorie und Joto sind bei dem Kampf mit dem Schatten verletzt worden und noch immer erschöpft. Das gleiche gilt dummerweise auch für Kira und mich. Zwar sind uns Verletzungen erspart geblieben aber wir waren die einzigen Magiebegabten die noch stark genug waren um die notwendigen Heidezauber über die verletzten Soldaten und die anderen Drachen zu wirken. Ich alleine hätte das überhaupt nicht geschafft nur weil Kira ihre Kraft mit mir geteilt hat ist es mir gelungen einige Leben zu retten."
"Was ist mit Magie?" schlug Ismira aufgeregt vor. Bisher hatten sie und Cale sich im Hintergrund gehalten. "Man kann noch Gegenstände mit Magie von einem Ort zum anderen bewegen. Wenn Lehrmeisterin Narie, Marek und Argetlam Ishaha eure Kräfte vereint müsste es doch möglich sein dieses Objekt zu uns zu schicken."
"Einfallsreich wie eh und je Ismira-Finiarel." lobte die Lehrerin ihre ehemalige Schülerin. "Aber ich befürchte, das uns auch das nicht möglich ist. Selbst wenn relativ simpel den Zauber der nötig ist um mit euch in Verbindung zu treten können Marek, ich und Ishaha nur gemeinsam aufrechterhalten. Es wäre wohl zu risikoreich das Stück der Lanze zu euch zu schicken. Wenn unsere Kraft nicht ausreicht könnte das Objekt verloren gehen."
"Das dürfen wir in der Tat nicht riskieren." legte Aylon entschieden fest.
"Vielleicht wäre es am besten Aylon-Elda wenn du uns zunächst einmal erklären würdest inwieweit uns dieses Bruchstück von Nutzen sein kann."
Die Reisegruppe hatte ihr Lager am südlichen Rand von Du Weldenvarden aufgeschlagen und rastete im flachen Grasland. Die nächtliche Landschaft war mit einem Mal in goldenes und weißes Licht getaucht. Glaedr und Umaroth hatten beschlossen ihre Lichtgestalt anzunehmen und an der Unterhaltung teilzunehmen. Ohne die räumlichen Begrenzungen der Ratshöhle zogen es beide Drachen vor sich in ihrer ganzen früheren Größe zu präsentieren. So beeindruckend die Gestalt von Saphira und Fíernen inzwischen auch war nötig die beiden alten Drachen Eragon trotz allem immer noch Respekt ab. Es war Glaedr gewesen, der von Aylon eine Erklärung verlangt hatte.
Der Elf drehte sich zu den beiden Lichtgestalten um und begann zu erklären:
"Dieses Bruchstück kann uns auf zwei Arten nützlich sein: zum einen kann man mit seiner Hilfe den Rest von Nieren orten. Es wäre nicht mehr nötig zu warten bis unser Gegner sich aus der Deckung wagt. Wir könnten ihn aufspüren und den Kampf zu ihm tragen!"
"Das ist ein Vorteil!" knurrte Umaroth und der Schwanz seines durchscheinenden Körpers zuckte aufgeregt. "Ich bin wesentlich lieber der Jäger als eine mögliche Beute."
"Was ist der zweite Nutzen den uns das Fragment zuteil werden lässt?" Erkundigte sich Arya.
"Mit dem richtigen Zauber, Schwester, ist es mit diesem Bruchstück möglich, zumindest teilweise, Netors Kontrolle über die Geister des Hasses zu stören."
"Das hat mich eigentlich auch an Meisterin Naries Bericht überrascht." warf Cale ein und nickte seiner ehemaligen Lehrerin, die sich immer noch auf der Wasseroberfläche abzeichnete, respektvoll zu. "Ich dachte die Geister wären vereint in ihrem Hass auf die Elfen. Aber als Meisterin Narie Netor entwaffnet hat schien er die Kontrolle über die anderen Geister völlig zu verlieren. Ist das nicht vielleicht auch eine Schwäche die wir nutzen können."
"Eine durchaus berechtigte Frage junge Reiter." lobte Glaedr. Ein Hauch von Trauer schlich sich in die Stimme des goldenen Drachen. "Oromis hätte seine Freude an dir gehabt. Er hat es immer als eine sehr dankbare Aufgabe empfunden zu lehren aber war manchmal etwas enttäuscht, dass seine jungen Schüler ihren Kopf noch nicht richtig zu gebrauchen verstanden. Von deinem wachen Verstand wäre er sicher sehr angetan gewesen Cale-Finiarel."
Auch Eragon schenkte seinem Schützling ein lobendes Nicken und fragte dann Aylon: "Kannst du uns darüber etwas sagen Aylon-Elda?"
Der blond Elf nickte und begann zu erklären: "Die Geister, die Netor nun kontrolliert dienen ihm in keiner Weise freiwillig. Das Wort Hass vermittelt im Grunde einen falschen Eindruck. Nämlich, dass das Gefühl, dass es beschreibt etwas einfaches und klares wäre. Dem ist ganz und gar nicht so. Jedes Gefühl hat verschiedene Eigenschaften und Facetten. Das gilt auch zum Beispiel für die Angst: sie kann nützlich sein und einen vor Gefahren warnen aber sie kann auch lähmen und damit selbst zur Gefahr werden. Die Geister, die nun gegen uns stehen sind aus Hass geboren worden. Ein irrationales und eigennütziges Gefühl. Netor präsentiert sich mit dem Dauthdaert als Auserwählter. Doch die Geister folgen ihm nicht freiwillig. Sicher, sie alle heißen das Volk der Elfen aber jeder von ihnen ist im Grunde seines Wesens ein zutiefst eigennütziges und missgünstiges Geschöpf. Gerade bei den Geistern des Hasses gibt es kein gemeinsames Ziel und keine freiwillige Kooperation. Um einen Geist zu kontrollieren muss man ihn im Grunde bei seinem spezifischen wahren Namen nennen. Jeder Geist hat einen anderen wahren Namen eben so, wie jeder Mensch einen eigenen wahren Namen hat der aus seinem Charakter geboren wird. Auch Geist ist nicht gleich Geist. Netor kann nun alle Geister des Hasses beherrschen weil er ihren Ursprung in Händen hält. Nieren! Doch keines dieser Wesen wird ihm folgen wenn er die Lanze nicht in Händen hält und sie mit seiner Magie an sich bindet."
-" Dann muss es unser erstes Ziel sein ihn zu entwaffnen."- Legte Aryas grüner Begleiter mit seiner tiefen Stimme fest."-
-" Da hast Du zwar recht aber das wird nicht leicht sein."- fuhr Saphira fort. - "Narie ist es zwar gelungen ihn zu entwaffnen aber nun da unser Feind gespürt hat wie fragil seine Kontrolle ist wird er besonders darauf bedacht sein den Dauthdaert nicht aus der Hand zu geben."-
" Sehr richtig Schimmerschuppe."brummte Glaedr. "Nichts verteidigen wird verbissener als unsere Schwachpunkte."
"Gerade deshalb ist es von Bedeutung dass wir das Lanzenstück in unsere Hände bekommen!" sagte Aylon. "Ich kann seine Kontrolle über die anderen Geister mithilfe dieses Fragments nicht völlig brechen aber entscheidend schwächen. Zusammen mit der Macht von Kliesfara könnte das ein für uns entscheidender Vorteil sein."
"Dann wäre es vielleicht das beste wenn unsere Gruppe sich aufteilen würde." schlug Ismira vor. "Wir hatten doch vor nach Ilirea zu fliegen und zunächst unsere Kräfte mit denen von Murtagh und Dorn zu vereinen. Vielleicht wäre es am besten, wenn Du Onkel Eragon und Tante Arya den Weg nach Ilirea fortsetzt und Cale und ich den Außenposten ansteuern, dass Lanzenstück in Empfang nehmen und es dann zur Hauptstadt bringen."
Während Eragon noch darüber nachdachte erhob Saphira bereits ihre Stimme.
- "Das ist im Prinzip keine schlechte Idee du Küken aber ich denke es wäre besser wenn Ihr mit meinen Enkeln zur Hauptstadt fliegt und wir das Lanzenstück holen. Mein Nistpartner und ich sind schneller aufgrund unserer Größe und unsere Reiter können sich besser verteidigen."
Eragon konnte seiner Nichte förmlich ansehen wie sie der ihrer Stirn arbeitete. Ganz offensichtlich war Rorans Tochter kein bisschen begeistert von der Aussicht sich wie ein Kind in Sicherheit bringen zu müssen und nicht helfen zu können.
Es war schließlich Cale, dem ein Argument ein viel, welches ein Lächeln auf das Gesicht der jungen Drachenreiterin zauberte.
"Da habt ihr zwar recht Meisterin Saphira aber bitte bedenke folgendes: Wenn der Schatten einen Angriff startet könnten wir Argetlam Murtagh nicht wirklich eine Hilfe sein. Er würde vermutlich allein aufbrechen um sich der Gefahr zu stellen und ihr könntet mich vielleicht nicht rechtzeitig zu ihnen stoßen. Wenn ihr nach Ilirea fliegt sind die drei mächtigsten Reiter des Landes vereint und mit der Unterstützung von Meister Glaedr und Meister Umaroth sowie der Unterstützung von Aylon-Elda und Kliesfara, hätte eure Gruppe eine Chance gegen unseren Feind. Sicher wäre es optimal wenn uns das Lanzenstück zur Verfügung stände und wir den Schatten aufspüren und überraschen könnten aber im Interesse der Bevölkerung sollten wir möglichst schnell eine Kampfgruppe zusammenstellen die in der Lage ist zu reagieren auch wenn die Umstände noch nicht optimal sind. Das wird meiner Meinung nach nur erreicht wenn Ihr eure Kräfte mit Murtagh und Dorn vereint und nicht wenn wir das tun."
Nachdem Cale geendet hatte erklang ein Geräusch welches Eragon nicht sofort einordnen konnte. Schließlich jedoch erkannte er es. Das Geräusch war ihm deshalb nicht geläufig weil er von einem Drachen von Glaedr Alter und Weisheit ein unterdrücktes Kichern nicht gewöhnt war.
"Oromis hätte wirklich ein seine Freude an dir gehabt mein Junge." gluckste der alte Drache. "Sehr überzeugend argumentiert."
Eragon ließ den Blick von Ismira und Cale zu seiner Drachendame wandern. Immer nicht entgangen dass seine Nichte bereits unruhig auf den Fußballen hin und her wippte. Die Vorstellung etwas tun zu können um zu helfen spornte junge Frau offenbar an.
Saphira wiegte noch etwas abwägend den Kopf hin und her übermittelte ihrem Reiter jedoch schließlich ihre Zustimmung.
"Gut. Cale und Ismira werden zum Außenposten aufbrechen und das Bruchstück für uns holen. Wenn er bei dem Außenposten angekommen seid meldet euch zunächst bei uns und erkundigt euch nach der Lage. Sollte tatsächlich bereits eine Gefahr vorliegen werde ich euch den Zauber erklären mit den ihr das Bruchstück zu uns schicken könnt. Es wäre zwar ein Risiko von euch zu verlangen einen derartig komplexen Zauber zu wirken aber wenn es die Situation erfordert müssen wir es eingehen. Ich denke aber dass unser Feind noch eine weitere Schwäche offenbart hat."
Nun beruhte die gesamte Aufmerksamkeit auf Eragon. Dieser fuhr fort: "Zum einen ist er arrogant er glaubt an seine völlige Überlegenheit. Nur deshalb hat er zunächst mit Marek, Ishaha und ihren Drachen gespielt und sie nicht direkt getötet. Er ist sich seiner Macht bewusst und glaubt grausame Spiele treiben zu können. Zum anderen ist er jähzornig. Er hätte Narie auf wesentlich geschickter Weise angreifen können als einfach mit der Quelle seiner Macht auf sie ein zu prügeln. Aber er hat nicht nachgedacht. Er war völlig von seinem Zorn beherrscht."
"Auch das ist der Tatsache geschuldet, dass dieser Geist aus dem Hass geboren wurde." erklärte Aylon. "Grausamkeit, das Gefühl eigener Überlegenheit und alles vernichtender Zorn sind Facetten des Hasses."
Eragon strich sich nachdenklich übers Kinn. Da die Nacht bereits weit fortgeschritten war konnte er deutlich Bartstoppeln fühlen. 
"Ich denke für den Rest der Reise solltest du , Aylon, Arya und mir so viel wie möglich über diese Facetten des Hasses beibringen. Wenn wir es verstehen die charakterlichen Schwächen unseres Feindes zu nutzen erhöht das unsere Chancen weiter."
Während breite Zustimmung durch die Runde gegen ließ sich einmal mehr Glaedr vernehmen: "Du hattest zwar nicht von Anfang an einen wachen Geist Eragon-Schattentöter aber ich bin mir sicher mein Reiter wäre sehr zufrieden mit den fortschritten die du in diesem Punkt gemacht hast."

Eragon Band 6 - Die Wege der ReiterWo Geschichten leben. Entdecke jetzt