123. Das Vergessen

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Der Flug nach Vroengard war für die Drachenreiter ohne größere Schwierigkeiten verlaufen. Selbst über dem Meer war es diesmal nicht zu Problemen gekommen. Anders als bei Eragons Suche nach dem Verlies der Seelen war das Wetter diesmal klar und ein kräftiger Rückenwind beschleunigte die Reise der Reiter noch weiter. Zwar mussten Glaedr und Umaroth gelegentlich den jüngeren Drachen etwas von ihrer Kraft spenden damit sie das Tempo der älteren mithalten konnten aber schließlich erreichte der Donner sein Ziel.
Die Reiter hatten ihr Lager wieder in der größtenteils zerstörten Stadt des alten Reiterordens aufgeschlagen. Anders als beim letzten Mal jedoch hatte Eragon ihren Lagerplatz so gewählt, dass man ihn und seine Gefährten leicht entdecken konnte. Er hatte sich vor ihrer Abreise darüber mit Arya, Saphira, F'iernen und den beiden älteren Drachen in ihren Seelenhorten beraten. Sowohl Glaedr als auch Umaroth waren der Meinung gewesen, dass es wenig Sinn machte Zeit auf den Versuch zu verschwenden das Versteck zu finden in dem die 20 Elfenmagier die ihnen anvertraute Waffe verborgen hatten. Wenn die Elfen den Ansturm der Wyrdfel überstanden hatten, dann hatten sie über 100 Jahre Zeit um Tarnzaubern und magische Fallen um ihr Versteck zu legen. Man würde sie nicht finden es sei denn sie wollten gefunden werden.
Daher lagerten die Drachenreiter offen. Sie hofften, dass es die Aufmerksamkeit der Hüter der Lanze erregen würde und sich so eine Möglichkeit ergeben würde mit ihnen in Kontakt zu treten.
Geschützt von der unsichtbaren Kraft die auf Vroengard umging war es besonders für Ismira und Cale aufregend gewesen zu sehen wo der erste Orden seinen Sitz gehabt hatte. Neugierig hatten die beiden Schüler des Ordens die Reste der alten Reiterstadt erkundet. Arya hatte sich großzügig bereit erklärt die beiden Novizen zu begleiten und zu verhindern, dass sie in Schwierigkeiten gerieten. Immerhin stammten die Bohrmaden wie einst Nasuada unvorstellbare Qualen bereitet hatten von der verzerrten Natur dieser Insel. Eragon hatte den leisen Verdacht, dass aber auch seine Gefährtin Interesse daran hatte sich ein wenig auf Vroengard um zu sehen und daher die Erkundungen der jungen Reiter so tatkräftig unterstützte.
Der junge Anführer der Reiter hatte dagegen nichts einzuwenden. Es konnte nur dazu führen, dass seine Begleiter ein besseres Verständnis für das Erbe entwickelten, dass sie angetreten hatten.
Saphira war mit ihrem Partner und ihren Enkelkindern auf die Jagd gegangen. Die blaue Drachendame war begierig gewesen ihrer Artgenossen mit der alten Leibspeise der Drachen bekannt zu machen. Mehrfach hatte Eragons Seelengefährtin ihrem Reiter in der Vergangenheit bereits den Vorschlag gemacht, das war doch versuchen sollte dieser Leckerbissen auch in der Ostmark anzusiedeln. Sehr zu Saphiras Leidwesen war das stets konsequent abgelehnt worden. Eragon hatte in seinem Unterricht bei Oromis gelernt, dass es durchaus gefährlich sein konnte fremder Arten an einem Ort anzusiedeln wo sie nicht heimisch waren. Das ausgedehnte Tal, wo der Orden der Drachenreiter nun seinen Sitz hatte, war bereits auf eine harte Probe gestellt worden als die ersten wilden Drachen es zu ihrem neuen zuhause erklärten. Es erschien dem Anführer der Reiter einfach falsch das natürliche Gleichgewicht des Tals auf eine weitere Bewährungsprobe zu stellen indem man Schnecken dort angesiedelte.
Eragon hatte jedoch den Verdacht, dass Saphira bald Unterstützung für ihr Anliegen finden würde sobald ihre Enkel der Köstlichkeit gekostet hatten.
Inzwischen ging der späte Nachmittag in den Abend über und den Reiter der blauen Drachendame hatte es an einen anderen Ort gezogen als seine Gefährten. Er suchte den Platz auf wo er während des großen Krieges zum ersten Mal erkannt hatte wer er wirklich war. Er suchte den Ort auf den er einst vom Schutt befreit hatte und wo er seinen wahren Namen erkannt hatte.
Inzwischen hatten Moser, Flechten und anderes Unkraut seine damaligen Aufräumarbeiten zunichte gemacht dennoch erkannte er den kleinen Platz wieder und die abgebrochene Säule auf der er einst meditiert hatte und den Sternenhimmel beobachtet hatte. Nachdenklich blickte er auch nun zu dem sich immer weiter verdunkelten Himmel auf und gerade als er sich fragte wie lange es wohl noch dauern würde bis sich die ersten Sterne zeigten wurde ihm bewusst, dass er nicht mehr allein war. Lautlos war Arya an seine Seite getreten und studierte nun ebenfalls den Himmel.
"Die Welt ist rund." flüsterte er der wunderschönen Elfe zu.
"Und der Himmel unendlich." Antwortete diese. Zwar sei sie nicht zu ihrem Gefährten hinüber doch Eragon spürte wieder ihrer Hand nach seiner tastete und ihre Finger sich mit seinen verflochten.
"Hast du das hier erkannt?" erkundigte Arya sich nach einigen Augenblicken der Stille.
"Nein, das war auf dem Flug hierher alt und ein starker Wind höher als jemals zuvor getragen hat." antwortete Eragon. "Hier habe ich mich zum ersten Mal wirklich verstanden."
Arya blickte ihn an und hob überrascht eine Augenbraue.
"Kein Wunder dass dies ein besonderer Ort für dich ist."
"Eines Tages musste mir noch die Blume zeigen die dir geholfen hat dein wahres selbst zu erkennen."
Die Elfe nickte kaum merklich und wieder breitete sich Schweigen über der kleinen offenen Fläche aus.
"Wir sollten zum Lager zurückkehren." schlug Arya schließlich vor. Ein kaum wahrnehmbares schmunzeln schlich sich in ihrer Stimme. "Saphira und Fíernen wollen unbedingt etwas mit dir besprechen. Ihre Enkel haben übrigens auch vor sich an der Unterhaltung zu beteiligen."
Einen Augenblick schloss Eragon gequält die Augen und fügte sich dann in sein Schicksal. Gemeinsam mit seiner Gefährtin kehrte er zum gemeinsamen Lager der Reiter zurück. Die Reisegefährten hatten ihr Quartier auf einer kleinen Anhöhe eingerichtet die, so Glaedr und Umaroth, früher jungen Reitern und ihren Schützlingen als Spielplatz gedient hatte.
Gerade als Eragon und Arya zwischen den verfallenen Gebäuden der alten Stadt hervortreten wollten erreichte sie ein warnender Gedanke Saphiras. Durch die Augen seiner Drachendame konnte Eragon sehen, dass sich eine Gruppe von 10 in Kutten und Kapuzen gehüllte Gestalten dem Lager der Reiter genähert hatte. Jeder der Unbekannten trug einen Stab an dessen Spitze eine Laterne ging und ein diffuses Licht verbreitete. Einige der Fremden waren mit Schwertern bewaffnet andere hielten Bögen in den Händen und hatten Pfeile schussbereit an die Sehnen gelegt.
Ismira und Cale hatten ihre Schwerter gezogen und ihre Körperhaltung verriet, dass sie bereit waren sich zu verteidigen. Saphira selbst, sowie Fiernen und ihre Enkel hatten sich schützend hinter den beiden jungen Reitern platziert und Eragon konnte das Knurren seiner blauen Drachendame so deutlich spüren als würde es seine eigene Kehle hinauf wandern.
- "Saphira, Versuch bitte alles damit die Situation nicht eskaliert. Das sind vermutlich die Hüter." - warnte der Anführer der Reiter seine Begleiterin.
Saphira antwortete nur mit einer Welle von Gefühlen, die sowohl Verständnis aber auch eine Spur von Enttäuschung enthielten. Drachen scheuten nun einmal keinen Kampf.
Ohne sich darüber austauschen zu müssen beschleunigten Arya und Eragon ihre Schritte um möglichst schnell an die Seite ihrer Schüler zu gelangen. Glücklicherweise muss sie nur noch eine sehr kurze Wegstrecke zurücklegen und sie erreichten dem Lagerplatz im Rücken der Gruppe der Fremden. Dies empfand Eragon als durchaus vorteilhaft. Es stellte sicher, dass die Fremden sich nicht einfach zurückziehen konnten ohne Rede und Antwort zu stehen.
Im scheidenden Licht des Tages konnte Eragon noch erkennen, dass die Gewänder der Unbekannten ein tiefes Mitternachtsblau hatten. Die feinen Stoffe aus denen sie hergestellt waren konnte nur Ergebnis der Weberkunst der Elfen sein. Aufgrund des Schnitts der Gewänder ließen sich praktisch keine körperlichen Merkmale bei den Unbekannten erkennen. Es war unmöglich Geschlecht oder Alter zu bestimmen. Lediglich was die Körpergröße betraf ließen sich einige Unterschiede festmachen.
Gerade als Eragon darüber nachdachte wie er die Fremden am besten ansprechen konnte eilte eine weitere verhüllte Gestalt auf die Gruppe der 10 Unbekannten zu. Der Blick des Neuankömmlings war starr auf das Mitglied der Gruppe von Fremden gerichtet, das am weitesten vorn stand und offenbar die Gruppe angeführte.
Der Neuankömmling war so angespannt, dass er nur sein Ziel im Auge behielt und Arya und Eragon gar nicht bemerkte. Vermutlich schränkte auch die silberne Maske das Gesichtsfeld des Unbekannten ein. Diese Maske bedeckte das komplette Gesicht und leuchteten im letzten Licht des Tages als sei ein Stern vom Himmel gefallen.
"Aylon! Was machst du hier. Du weißt doch, das......."
der scheinbare Anführer der Gruppe wirbelte zu der Neuankömmling herum und Eragon konnte sehen, dass auch sein Gesicht gänzlich hinter einer Maske aus Silber verschwunden war.
"Ich weiß, Altovan, dass es deine Politik ist, dass wir nicht existieren. Das letzte Mal, als die schwarzen Priester und ihre stinkende Brut auf dieser Insel eingefallen sind habe ich auf dich gehört! Du wirst dich sicher noch erinnern wie viele Leichen oder besser gesagt Knochen, ab der nackte Knochen wir im Anschluss begraben mussten! Wir hätten diesen Mord verhindern können!"
"Das ist nicht unsere Aufgabe!" widersprach der Unbekannte dessen Name offenbar Altovan war. "Wir sind die Vergessenen! Wir bewahren die Welt vor dem uns anvertrauten Übel. Alles andere ist für uns nicht von Belang."
"Deine Einstellung ist beschränkt und veraltet! Die Welt hat große Veränderungen durchlaufen. Wir sollten unsere Aufgabe überdenken."
"Es hat sich nichts verändert! Solange das uns anvertraute Übel die Welt bedroht ist unser Weg klar und du bist von dem abgewichen."
"Dass da sind Drachenreiter Altovan!"
"Der Eine ist nicht unter ihnen. Nur er weiß von uns und unsere Aufgabe."
"Wie oft müssen wir das noch diskutieren?! Wir beide wissen, dass Vrael vor 100 Jahren fiel."
"Ja er ist tot und König Evander ebenfalls. Dadurch wird unsere Aufgabe unser Geheimnis zu wahren nur einfach. Ansonsten ändert sich nichts."
"Das sagst du! Viele von uns denken anders!"
"Aylon, die von denen du sprichst, geben sich der Hoffnung hin dass sie in eine Welt zurückkehren können die uns vergessen hat. Es gibt kein zuhause das uns willkommen heißen würde. Wir alle wussten das als wir diese Aufgabe übernommen haben. Du willst dich nur aus der Pflicht stehlen."
Offenbar hatte der Fremde mit Namen Altovan mit dieser Bemerkung nun einen sehr wunden Punkt getroffen. Der, der Aylon genannt wurde, packte den anderen am Kragen des Gewandes und zischte ihn wütend zu: "Wage es nicht noch einmal wie so etwas zu unterstellen! Du weißt, das ich Möglichkeiten gehabt hätte diese Aufgabe abzulehnen."
"Vielleicht hast du unterschätzt was Evander und Islanzadi von uns verlangt haben als sie uns diese Aufgabe übertrugen!"
"Oder sie lagen falsch damit diese Aufgabe überhaupt zu vergeben." warf nun Eragon ein. Er wollte auf keinen Fall, dass der Streit zwischen den beiden Männern eskalierte. Dies könnte unabsehbare Folgen haben.
Erschrocken fuhr die Gruppe der Unbekannten zu der Stimme herum die plötzlich zu ihm gesprochen hatte. Leichtes Unwohlsein stieg in Eragon auf. Er mochte es nicht so im Mittelpunkt des Interesses zu stehen doch hier war es unumgänglich.
"Ich bin Eragon Schattentöter. Ich bin der neue Anführer des Ordens der Drachenreiter der sich nach der Terrorherrschaft von Galbatorix neu gegründet hat. Dies ist Argetlam Arya und die beiden Novizen dort drüben die er halb zu Tode erschreckt hab heißen Cale und Ismira. Die Drachendame dem Nichts ihrer Reiterin erklärt hat ist die Blaue dort. Sie trägt den Namen Saphira und Nistpartner Fíernen er wählte sich Arya zu Reiterin. Die beiden jüngeren Drachen heißen Tailon und Anarie und sind die Gefährten unserer Schüler. Wir wissen wer ihr seid und was ihr bewacht. Es ist eine Notsituation eingetreten und wir haben die Erlaubnis des Königs der Elfen das, was ihr beschützt an uns zu nehmen."
Eragon zog aus einem Lederbeutel, den er an seinem Gürtel trug, ein Schriftstück hervor welches ihm König Maranus mitgegeben hatte. Der Monarch von Du Weldenvarden hatte es nach den Angaben in den Zeugnissen der Schande verfasst und mit seinem persönlichen Siegel versehen. Das Dokument sollte Eragon dazu bevollmächtigen den Dauthdaert Kliesfara an sich zu nehmen.
Ein aufgeregtes raunen ging durch die Gruppe doch der, der Altovan genannt wurde schüttelte deutlich den Kopf.
"Ihr versucht uns zu betrügen! Das ist nicht Islanzadi Siegel! Wir wissen von den letzten Reitern die über dieser Insel kämpften, dass König Evander gefallen ist. Demnach müsste seine Gefährtin jetzt über das Volk der Elfen herrschen."
"Sie hat tatsächlich die Nachfolge angetreten." hob Arya nun an. "Die Herrschaft meiner Mutter führte uns durch die dunkle Zeit des Tyrannen Galbatorix. In der letzten Schlacht gegen den Schattenkönig wurde sie allerdings getötet. Als ihre einzige Tochter habe ich zwar versucht ihr Erbe anzutreten ich erkannte jedoch, dass diese Aufgabe sich nicht mit meiner Berufung zur Drachenreiterin verträgt. Die Herrschaft liegt jetzt bei Maranus und seiner Gefährtin Nievren. Das wüsstet Ihr, wenn Ihr den Stimmen des Lebens gelauscht hättet."
"Altovan will nicht, dass wir den Stimmen lauschen." erklärte nun ein drittes Mitglied der Gruppe. Es handelte sich um eine eindeutig weibliche Stimme "Und wir wollen es auch nicht. Es erinnert uns zu sehr an das was wir zurücklassen mussten."
"Ein neuer Elfenkönig hätte sich an uns gewandt und uns mitgeteilt, dass wir nun seinem Befehl unterstehen. Valeskri" erklärte Altovan entschieden und blickte dabei die verhüllte Elfe an.
"Aber die Drachenreiterin hat in der alten Sprache mit uns gesprochen." beharrte die weibliche gestallt die offenbar Valeskani hieß. "Ihre Worte waren klar und eindeutig. Du weißt, dass es ausgeschlossen ist in der Sprache der Macht zu lügen. Zumindest rechtfertigt ihre Aussage, dass wir weitere Fragen stellen.
Nur widerwillig nickte Altovan. Gegen die Logik seiner Mitstreiterin konnte er offenbar nichts vorbringen.
Eragon am Altovan allerdings nur am Rande seines Bewusstseins noch war. Viel mehr interessiert ihn das Verhalten desjenigen, den sie Aylon genannt hatten. Der maskierte Elf war langsam auf Arya zugetreten, stand nun direkt vor ihr und zog sich schließlich Kapuze und Maske vom Gesicht und entblößte damit das zeitlose, fein geschnittene Gesicht eines jungen Elfenmannes mit langem, silberblondem Haar.
Ein aufgeregtes Murmeln ging durch die Gruppe der verhüllten Gestalten. Altovan vollführte eine hilflose Geste. Er schien es geradezu für ein Sakrileg zu halten, das Aylon offen sein Gesicht zeigte. Dieser jedoch kümmerte sich nicht um die Aufregung seiner Gefährten sondern blickte weiterhin Arya an. In seinen Augen lag ein Ausdruck, den er nicht ganz deuten konnte.
"Islanzadi ist gefallen im Krieg gegen den, den er Galbatorix nennt?"
"Ja." erwiderte Arya mit fester Stimme. Nur wer sie gut kannte bemerkte eine gewisse Unsicherheit. "Sie starb im Duell mit einem Krieger des dunklen Königs. Ein Mann namens Graf Barst."
Der undefinierbare Ausdruck in Aylons Augen vertiefte sich noch. Er trat von Arya zurück und ließ sich auf einen großen Stein sinken der in der Nähe lag. Schweigend starrte er auf seine Hände in seinen Schoß ruhten.
Also die sich ausbreitende Stille nichts folgte richtete Arya das Wort an den fremden Elfen:
"Habt Ihr meine Mutter gekannt?"
Ein von tiefer Melancholie getragenes Lächeln erschien auf den fein geschnittenen Gesichtszügen des Elfen. Schließlich nickte er und richtete den Blick anschließend wieder auf Arya.
"Ich hätte eigentlich wissen müssen dass du ihre Tochter bist. Du bist das Abbild unserer Mutter."

Eragon Band 6 - Die Wege der ReiterWo Geschichten leben. Entdecke jetzt