38. Ein kleiner Gefallen

1.8K 88 4
                                    

Ungeduldig trommelte Tjurin mit den Fingern auf den hölzernen Tisch herum. Normalerweise wäre dieses gesamte Gasthaus unter seiner Würde gewesen aber die Umstände erforderten es, dass er sich hier aufhielt. Es gab noch nicht einmal einen Bereich in dem sich der Adel zurückziehen konnte. Vermutlich weil sich kein Mann und auch keine Frau von Stand und Ansehen jemals in diese Spelunke verirrt hätte.
Leider gab es in dem Dorf Bullridge keine besonders große Auswahl an Gasthäusern. Vermutlich war sich der Wirt dessen bewusst und legte deshalb nur wenig Wert darauf seine Taverne in einem vorzeigtbaren Zustand zu halten.
Die Ungeduld wuchs mit jeder Minute. Er hätte etwas mehr Pünktlichkeit von Maron erwartet. Immerhin bezahlte er den jungen Mann für den kleinen Dienst den er im erweisen sollte.
Schließlich betrat der junge Soldat doch die Schankstube. Mit einer unauffälligen Geste winkte Tjurin seinen Stubenkameraden heran. Maron hatte sich inzwischen vom Kadetten zum vollwertigen Mitglied der Nachtfalken hochgearbeitet und versah gegenwärtig den Dienst eines Meldereiters. Dies konnte man an der schwarzen Ledertasche mit dem königlichen Siegel erkennen die er bei sich trug. Genau auf diese Tasche hatte es aber auch Tjurin abgesehen.
Als Maron an den Tisch seines Stubenkameradens trat erhob sich dieser sofort und verließ gemeinsam mit dem jungen Soldaten den öffentlichen Bereich des Wirtshauses. Sie zogen sich in das Zimmer zurück das Tjurin angemietet hatte.
Der Raum war so ärmlich wie das Gasthaus selbst. Ein Bett mit durchgelegene Matratze und ein einzelner Tisch mit zwei Stühlen war alles was der Raum zu bieten hatte.
Tjurin nahm sofort am Tisch platz bedeutete Maron dasselbe zu tun. Der junge Mann jedoch blieb stehen und umklammerte seine Posttasche.
"Was ist? Lass uns anfangen." forderte der Sohn des Herzogs.
"Warum brauchst Du diese Schriftstücke?" erkundigte sich Maron.
"Ich brauche sie eben, das sollte dir genug sein."
Tjurins Stimme war gereizt. Was war bloß mit Maron los? Bisher war der Umgang mit ihm immer noch am problemlosesten gewesen. Plötzlich begann er Fragen zu stellen? Bildete er sich etwa ein, das Tjurin ihn als Freund betrachtete? Bisher hatte Maron wenigstens den Anstand besessen sich gegenüber einem Mann von Adel angemessen zu benehmen. Erwartete er dafür der Dankbarkeit?
"Es ist eben nicht genug."
Maron Reaktion fiel wesentlich heftiger aus als Tjurin es erwartet hätte. Er stemmte die Fäuste auf den Tisch und blickte sein gegenüber wütend an.
"Denkst du ich habe diese Aktion mit dem Pferd vergessen? Wir haben beide Glück, das wir davon gekommen sind! Dir bedeutet deine Position bei den Nachtfalken vielleicht nicht viel aber mir schon. Meine Familie verlässt sich auf meine Unterstützung! Ich bin jetzt Meldereiter und Du willst Einsicht in die Dokumente die ich transportiere! Du verlangst etwas von mir, dass unter Strafe steht! Diese Briefe jemand anderen zu zeigen als den, an den sie adressiert sind stellt Hochverrat da! Das ist kein kleiner Gefallen Tjurin! Das kann mich an den Galgen bringen!"
Maron hatte sich in Rage geredet. Schweiß stand ihm auf der Stirn und es war deutlich, dass er kurz davor stand endgültig die Nerven zu verlieren.
Innerlich kochte Tjurin vor Zorn. Wie konnte dieser Bengel sich erdreisten so mit ihm zu sprechen? Wäre die Situation eine andere gewesen hätte der Sohn des Herzogs diese Unverschämtheit nicht auf sich beruhen lassen. Leider verlangten die Umstände ein etwas sanfteres Vorgehen. Maron jetzt rüde zurecht zuweisen würde nur dazu führen, dass er sofort aus dem Zimmer stürmte und das Vorhaben, welches Tjurin an diesen erbärmlichen Ort geführt hatte, wäre gescheitert.
"Beruhigte ich mein Freund." antwortete der junge Adelige daher in einem einschmeichelnden Tonfall. "Ich weiß, dass ich dich um viel bitte aber du musst mir einfach vertrauen. Pass auf: Du lässt deine Tasche einfach hier stehen und trinkst in der Gaststube etwas. Du kannst mit Fug und Recht sagen, dass Du sie nicht unbeaufsichtigt gelassen hast denn ich stehe ja schließlich auch den Dienst der Krone. In einer Stunde kommst du wieder zu mir und kannst deine Tasche mitnehmen. Du weißt also praktisch von gar nichts. Dein Geld bekommst du natürlich trotzdem."
Tjurin konnte beobachten wie es hinter Maron Stirn arbeitete. Schließlich stellte er seine Posttasche auf den Tisch und verließ den Raum.
Der Sohn des Herzogs nahm sich vor, sich eines Tages für die Unverfrorenheit die Maron heute an den Tag gelegt hatte zu revanchieren doch nun gab es wichtigeres zu tun. Schnell zog Tjurin die Tasche zu sich herüber und öffnete sie. Eilig ging er die Dokumente durch. Natürlich waren die wichtigsten und geheimsten Schriftstücke mit einem Siegel verschlossen. Dieses bestand, wie Tjurin wusste, nicht nur aus Wachs sondern war auch mit Zaubern versehen. Diese Schriftstücke zu öffnen wäre mit Sicherheit eine schlechte Idee. Glücklicherweise war das gar nicht nötig. Was er suchte hatte nur niedrige Priorität und war deshalb nicht gesichert. Es handelte sich um die persönliche Korrespondenz des Botschafters der Elfen Vanir. Es handelte sich um Briefe an seine Familie und Freunde. Nichts offizielles. Der Botschafter war offenbar der Meinung, dass es ausreichend war, dass er die Dokumente in der Sprache seines Volkes verfasst hatte. Nur wenige beherrschten diese. Der Inhalt an sich war vermutlich wertlos aber darum ging es Tjurin auch nicht. Schnell zog er eigene Schreibuntensielien hervor und begann die Briefe des Elfen zu kopieren.
Der Grund warum er das Tat war einfach: Seine Lehrerin Trianna war bei der Übersetzung von Durzas Tagebuch ins Stocken geraten. Seit ihrem letzten Durchbruch hatte Tjurin zwar viel über die Geisterbeschwörung von ihr gelernt aber weitere Fortschritte in ihrer Forschung hatte die Magierin nicht gemacht. Die geschriebene Form der alten Sprache war einfach zu vielschichtig. Um einen so komplexen Text wie den in Durzas Tagebuch zu übersetzen war mehr nötig als eine nur begrenzte Kenntnis des Basisalphabets.
Daher hatten die beiden Verbündeten einen Plan gefasst. Tjurin führte diesen nun aus. Der Botschafter der Elfen schrieb regelmäßig persönliche Briefe nachhause. Diese waren in der geschriebenen Form der alten Sprache abgefasst und selbstverständlich von eleganter Struktur was die Wortwahl betraf. Tjurin fertigte deshalb Kopien von diesen Briefen an damit Trianna sie übersetzen konnte. Wenn man die Geschehnisse im Palast aufmerksam verfolgte konnte man sich ja denken um was es in etwa in diesen Briefen gehen musste. Trotz der hoch entwickelten Struktur des Textes wäre also eine Übersetzung möglich. Diese Übersetzung würde Trianna tieferen Einblick in die Art und Weise verschaffen wie man in der alten Sprache formulierte. Wissen welches sie dann bei der Übersetzung des Tagebuchs anwenden konnte.
Es hatte sich als Glücksfall herausgestellt, dass Maron zu den Meldereitern befördert worden war. Tjurin wusste, dass er seinen ehemaligen Stubenkameraden leicht würde überzeugen können ihm einen Blick in die Tasche zu gewähren. Zugegeben dieser Punkt hatte sich in den letzten Minuten als etwas schwieriger herausgestellt als Tjurin es erwartet hatte, doch schließlich hatte er ja bekommen was er wollte.
Die Tasche enthielt drei persönliche Briefe des Elfenbotschafters, die sich sicherlich als nützlich erweisen würden.
Tjurin arbeitete so schnell er konnte, ging aber auch mit großer Sorgfalt zu Werke. Die einzelnen Schriftzeichen mussten genau kopiert werden und es durften sich keine Fehler einschleichen. Sonst war die ganze Arbeit wertlos.
Ohne Zwischenfälle beendet die Tjurin seine Arbeit und konnte Maron, als dieser in das Zimmer zurückkehrte, die fest verschlossene Posttasche wieder übergeben. Wortlos nahm der junge Soldat sie entgegen und verließ das Zimmer um seine Reise in den Norden fortzusetzen.
Auch Tjurin verließ nach einigen Minuten den Raum. Das Hochgefühl welches er ob der erfolgreichen Unternehmung empfand tröstete ihn fast über Marons Frechheit hinweg. Er hatte das Bedürfnis etwas zu feiern. Er hatte sich genug Münzen aus einem kleinen Vermögen eingesteckt um sich selbst in dieser Spelunke einen angenehmen Abend leisten zu können.



:::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::::


Einige Stunden und etliche Karaffen Wein später hatte sich Tjurins Hochstimmung noch vergrößert. Der Alkohol hatte Ihn in einen angenehmen warmen Dämmerzustand versetzt. Er fühlte sich gelöst und entspannt. Endlich konnte er sich einmal wieder amüsieren ohne auf die Etikette achten zu müssen. In seiner Freude machte es ihm auch nichts aus mit dem Pöbel gemeinsam zu zechen. Einige Bauern und Handwerker saßen mit ihm am Tisch und tranken zum wiederholten Male auf das Wohl ihres Gönners. So war der Pöbel eben! Ein bisschen Brot ein paar Krüge Wein und schon schworen sie einem ewige Treue. Deshalb konnte man sich auch nicht auf sie verlassen. Höhere Dinge interessierten sie nicht. Deshalb musste man sie mit strenger Hand führen und durfte ihnen nicht erlauben aus der Reihe zu tanzen.
Gerade trat der Wirt zu ihm heran und stellte eine weitere Flasche Wein auf den Tisch. Die Ankunft des Alkohols wurde mit begeistertem Johlen begrüßt.
"Eins muss man ja sagen." hob der Wirt über das Gejohle an. "Die Geschäfte gehen besser unter unserer Königin als sie es unter Galbatorix je getan haben."
"Da hast du recht Edwin." brabelte einer von Tjurins Saufkumpanen. "Unter dem Hurensohn hatten wir zwar genug Grund uns zu betrinken aber bei weitem nicht genug Geld."
Alle an Tisch außer Tjurin fanden diese Bemerkung offenbar sehr amüsant, denn es brach schallendes Gelächter aus.
"Hört sofort auf den König auszulachen." lallte Tjurin wütend. "Unter Galbatorix wusste der Pöbel wenigstens noch wo er hin gehört."
"Was willst Du damit sagen?" erkundigte sich der Wirt Edwin. Der junge Sohn des Herzogs von Gil'ead war zu benebelt um zu merken, dass er sich auf dünnes Eis begab.
"Was ich sagen will ist, dass auf einmal alle der Meinung zu sein scheinen, dass es die Aufgabe des Adels ist dem Pöbel glücklich zu machen. Es ist doch genau andersrum. Aber was soll man unter dieser dunkelhäutigen Hure Nasuada auch erwarten? Hat nicht mal den Anstand hinter dem Vater ihres Sohnes zurückzutreten indem sie ihn heiratet und zum König macht. Nein, sie bildet sich ein selbst herrschen zu dürfen. Und was kommt dabei heraus? Niemand weiß mehr wie man sich gebührend zu verhalten hat. Jeder hält sich plötzlich für was besseres! Unter ihrem Bastard von Sohn wird das bestimmt nicht besser werden. Sie hat ja auch die wichtigen Positionen mit Leuten besetzt, die ihr nach dem Mund reden. Mein Vater Aurast ist ja auch so einer. Macht sich Gedanken ob die Steuern zu hoch sein könnten für das Volk! Ha! Wenn ich erstmal das Sagen in Gil'ead habe dann werde ich es dem Pöbel schon zeigen. Zu hohe Steuern? Dann soll diese faulen Säcke eben mehr arbeiten! Sie bestellen schließlich mein Land. Wenn sie nicht genug herausholen können such ich mir eben jemanden der das kann!"
Tjurins Monolog wurde erst unterbrochen, als der Wirt Edwin wütend mit der Faust auf den Tisch schlug.
"Genug jetzt du eingebildeter Bengel! Niemand redet in meinem Wirtshaus so über die Königin oder ihren Sohn! Ich denke es ist besser Du gehst jetzt."
Die anderen Gäste, die eben noch fröhlich mit Tjurin getrunken hatten schlugen sich sofort auf die Seite des Wirtes der seinen ungeliebten Gast inzwischen beim Kragen gepackt hatte.
"Wir bringen dich auch noch vor die Tür!" brüllte einer der Handwerker die mit Tjurin getrunken hatten und als hätten sie es abgesprochen ergriffen sie den jungen Adligen bei Armen und Beinen und hoben ihn in die Höhe.
Tjurin versuchte sich zu wehren doch der Alkohol und die Übermacht der Gäste war zu viel für ihn. Aus dem wütenden Mob heraus, der ihn in Richtung Ausgang trug, stach eine Stimme hervor: "Hat der Bursche nicht gesagt, dass er der Sohn des Herzogs von Gil'ead ist? Ich weiß was die Familie dieses Jungen gemacht hat bevor sie sich den Varden angeschlossen hat. Ich weiß wo wir unsern jungen Freund absetzen können damit er sich wie zuhause fühlt!"
Obwohl er sich weiter entschlossen wehrte. Die Gruppe Tjurin hinter das Haus. Dort hatte der Wirt einen kleinen Pferch angelegt in dem er sich ein paar Schweine hielt.
Bevor Tjurin genau wusste wie ihm geschah hatten sie den Zaun des Geheges erreicht, die Männer holten Schwung und warfen ihn über die Begrenzung des Pferchs. Der Aufprall war für Tjurin nicht hart doch alles andere als angenehm. Er landete der Länge nach in einem stinkenden, zähen und klebrigen Matsch. Eine Mischung aus Schweineexkrementen und der durchwühlten Erde haftete an seinen Händen, seiner Kleidung und bedeckte den Großteil seines Gesichts. Die Gäste des Wirtshauses johlten begeistert.
"Na Du Enkel eines Schweinehirten? bist du jetzt wieder in Kontakt mit deinen Wurzeln? Fühlst du dich wie zuhause?"
Wer aus dem Mob ihn so verspottete konnte Tjurin nicht genau sagen er wusste nur eins: Das hatten diese Kerle nicht umsonst getan!

Eragon Band 6 - Die Wege der ReiterWo Geschichten leben. Entdecke jetzt