81. Erinnerungen

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Narie hatte es sich auf der Krone der Befestigungsmauer um den verlassenen Stützpunkte gemütlich gemacht. Gedankenverloren wanderte ihr Blick über die Ebene die sich um die Befestigungsanlagen erstreckte.
Vor einigen Stunden war sie gemeinsam mit ihrem Gefährten Marek, ihrem Vater Efron und einer weiteren Gelehrten ihres Volkes, einer Fürstin namens Sera an dem Ort eingetroffen und wo nun der Ra zac gefangen gehalten wurde.
Ihr Vater und die Fürstin hatten sofort darum gebeten mit der Untersuchung des Kokons beginnen zu können inden sich das besessene Wesen zurückgezogen hatte. Die übrigen Drachenreiter hatten beschlossen der Untersuchung beizuwohnen. Narie jedoch hatte es nicht lange im selben Raum wie ihr Vater ausgehalten. Sie konnte das Gefühl nicht abschütteln, dass er in dieser wichtigen Mission nur eine Gelegenheit sah sich in den Augen des Volkes der Elfen neues Ansehen zu verschaffen.
Im Grunde konnte sie ihm das nicht vorwerfen, dennoch schienen ihr solch eigennützige Beweggründe in Anbetracht der potentiellen Gefahr einfach unangebracht.
- "Na, Silberschopf, grübelst du immer noch?" -
Es war Kiras fröhlicher Geist der sich wie ein Sonnenstrahl durch die dunklen Wolken kämpfte die Naries Gedankenwelt einhüllten. Die rote Drachendame stand außerhalb der Befestigungsmauer und legte nun ihr mächtiges Haupt direkt vor ihrer Reiterin auf der Mauerkrone ab. Neugierig blickte sie die junge Elfe an.
"Es ist nicht leicht für mich mit meinem Vater zusammenzuarbeiten."
Kira stieß ein amüsiertes Schnauben aus.
"Da erzählst Du mir nichts Neues. Auf dem Flug hierher habt Ihr kaum zwei Worte miteinander gewechselt."
Narie seufzte. Wie üblich hatte Kira recht. Die Reise zu den verlassenen Stützpunkte war in der Tat nicht sehr erfreulich gewesen. Wann immer Vater und Tochter über sachliche Themen, die ihren Auftrag betrafen, hinausgingen bewegte sich die Unterhaltung zielstrebig auf einen neuen Streit zu.
"Seltsam wieder hier zu sein."  murmelte die junge Elfe um das Thema zu wechseln. - "Hier habe ich damals Arya und Eragon getroffen. Dort drüben bin ich über die Mauer geklettert und nur Sekunden später hat mich Saphira halb zu Tode erschreckt."
Während Kira ein heiseres kichern ausstieß zog Narie die Beine an den Körper und legte ihr Kinn auf den Knien ab.
"Ich glaube es war gut, dass Eragon dabei war als ich Arya getroffen habe. Sie war damals furchtbar wütend auf meine ganze Familie. Weißt du, Kira, Rabenmähne tut immer so als ob sie keine Gefühle hätte und sich stets unter Kontrolle hat. Manchmal ist das aber nur eine Illusion. Manchmal sind die Gefühle einfach da und existieren neben ihrer Selbstbeherrschung. Sie ist dann unheimlich festgefahren in ihren Ansichten. Manchmal hört sie gar nicht richtig zu. Sie trifft eine Entscheidung und bricht alle Brücken hinter sich ab, gestattet sich keinen Zweifel. Es ist sehr schwierig dann zu ihr durchzudringen."
"Das hat Fírnen auch schon bemerkt."  bestätigte Kira die Ansicht ihrer Reiterin.                                           "Er meint aber, dass es besser geworden ist seit sie und Eragon Gefährten sind." -
"Ja, er tut ihr gut."  schmunzelte Narie.                                                                                                                          "Damals hat er auch zwischen mir und Arya vermittelt. Wer weiß wie alles gekommen wäre wenn er das nicht getan hätte."                                                                                                                                                            "Ob wir beide uns getroffen hätten Silberschopf?"
Fast überrascht blinzelte Narie ihrer Drachendame an. Die Seelen von Drache und Reiter waren so eng miteinander verbunden dass einer von beiden manchmal die selbstverständlichsten Begebenheiten vergaß. Narie fühlte sich Kira so nah als wäre die Drachendame immer ein Teil von ihr gewesen. Erst jetzt erinnerte sie sich, dass dies auch für ihre Seelenschwester ein besonderer Ort war. Immerhin war Kira hier geboren worden.
"Ich weiß es nicht meine Große. Ich glaube nicht, dass ich mich zu einer Reiterprüfung getraut hätte. Ich hatte auch nicht damit gerechnet Drachenreiterin zu werden als ich hierher kam. Ich wusste ja nicht mal, dass Arya und Eragon bei ihren damaligen Besuch in Alagaesia Eier mit sich führten. Ich wollte mich damals einfach der Elfengarde anschließen, die gemeinsam mit Eragon den ersten Brutplatz der neuen Generation von wilden Drachen beschützte. Ich war zwar keine große Kriegerin aber ich habe gehofft einfach einen Platz zu finden an den ich gehöre."
"Bereust du es etwa, dass ich geschlüpft bin?"
Narie brauchte ein paar Sekunden um den spielerischen Tonfall ihrer Drachendame in dieser Frage zu erkennen.
"Natürlich nicht meine Große."
Obwohl die Frage von Kira als Scherz gemeint war legt ihrer Reiterin allen Ernst in die Antwort, zu dem sie fähig war. Narie war der festen Überzeugung, das Kira so ziemlich das beste war was ihr im Leben passiert war. Die rote Drachendame war sichtlich zufrieden mit der Antwort und eine Weile schwiegen die beiden Seelenschwestern.
"Weißt du was ich mich manchmal frage?"
Es war Narie die schließlich die Unterhaltung wieder aufnahm.
Wieder richtete sich Kiras neugieriger Blick auf ihrer Reiterin und einladend zwinkerte die Drachendame.
"Warum bist du so schnell bei mir geschlüpft? Ich meine, nimm deine Kinder zum Beispiel: Sie haben sich beide einige Minuten Zeit gelassen um Cale und Ismira zu studieren. Ich habe sogar schon von Drachen gehört, die einen ganzen Tag lang die Seele eines potentiellen Reiters betrachtet haben und sich dann trotzdem gegen ihn entschieden haben. Du scheinst dir sehr sicher gewesen zu sein."
"Ja, das war ich auch."  erklärte Kira und dachte einen Augenblick lang über ihre weitere Antwort nach.                                                                                                                                                                                                "Ich denke, dass es einfach mit meinem Charakter zu tun hatte. Gewisse Charaktereigenschaften sind allen Drachen zu Eigen aber es gibt auch bedeutende Unterschiede. Manche von uns sind stürmischer als andere. Manche sind neugieriger und andere zurückhaltender. Weißt du, wir erinnern uns wie es in den Eiern war. Nicht wie es ausgesehen hat aber wie sich angefüllt hat. Warm und sicher. Man fühlte sich einfach beschützt vor allem. Wenn wir die Nähe einer Seele zu uns spüren ist das wie ein Stern, der über uns hinweg zieht. Die meisten interessieren uns nicht wirklich. Sie sind einfach so anders...... Ich kann das nicht besser ausdrücken. Mit anders meine ich nicht, dass Du und ich genau gleich sind aber wir ergänzen uns, zusammen bilden wir ein perfektes Ganzes. Wenn wir so eine Seele spüren, eine von der wir glauben, dass sie uns vervollständigt erregt das unsere Aufmerksamkeit. Als ich dich gespürt habe wusste ich einfach Du bist die Richtige! Warum also länger warten? Manche meiner Artgenossen studieren vielleicht einen potentiellen Partner länger weil sie sich ganz sicher sein wollen. Vielleicht liegt es auch daran, dass manche Charaktere die vor die Eier treten vielschichtiger sind."
"Willst du damit sagen, dass ich einfältig bin?"
Nun war es an Narie ihre Seelenschwester etwas zu necken. Sie unterstrich ihre verspielte Frage damit, dass sie begann Kira hinter ihrem Ohr zu kitzeln. Hüstelnd hob die Drachendame ihr Haupt und legte es einige Zentimeter außerhalb der Reichweite ihrer Reiterin wieder auf die Mauer.
"Nein. Natürlich nicht. Ich meine nur, dass Du einen sehr klaren Geist hast. Du unterscheidest ganz klar in Schwarz und Weiß, Gut oder böse. So manch anderer teilt die Welt in unterschiedlichen Graustufen ein. Da ist es dann für unsereins schwerer zu ergründen die Ansichten eines potentiellen Reiters wirklich mit den eigenen zusammenpassen. Außerdem warst du noch sehr jung. Ich will dich nicht beleidigen, aber Cale und Ismira haben in ihrem Leben schon mehr gesehen als du damals."
"Das beleidigt mich  nicht. Eine Kindheit in Du Weldenvarden ist ssehr behütet."
"Entschuldigt wenn ich störe." - Laories sanfte Stimme unterbrach die traute Zweisamkeit. Die gelbe Drachendame schob sich neben ihrer Artgenossin.                                                                                                       "Marek hat gerade mit mir gesprochen. Die beiden Elfen haben ihre Untersuchung des Kokon beendet und es soll nun eine Besprechung abgehalten werden. Sie findet in der Offiziersmesse dieses Stützpunktes hier statt. Eragon, Arya und Königin Nasuada werden über magische Spiegel daran teilnehmen."
"Dann solltest Du dich jetzt auf den Weg machen Silberschopf."  bestimmte Kira.                                       "Du solltest bei dieser Besprechung nicht fehlen."
"Der Gedanke diese Unterhaltung zu verpassen hat aber durchaus etwas reizvolles."  erklärte die junge Elfe.                                                                                                                                                                                       "Mein Vater und Rabenmähne die zum ersten Mal seit über 12 Jahren wieder eine Unterhaltung führen. Das ist keine angenehme Aussicht."
"Jetzt gehen schon Silberschopf oder muss ich dich erst ablecken?" - Die eindrucksvolle Zunge der roten Drachendame schlängelte aus ihrem Maul hervor während ein schelmisches Funkeln in ihre Augen trat. - "Ganz so wie in den guten alten Zeiten, weißt du noch?" -
Narie erinnerte sich nur zu gut an die Begebenheit auf die ihre Seelenschwester anspielte. Wie könnte sie auch die unermesslich flinke kleine Zunge vergessen mit der das frisch geschlüpfte Drachenmädchen sie vor vielen Jahren genau an diesem Ort begrüßt hatte. Heute wäre eine solche Zungenwäsche allerdings alles andere als eine angenehme Erfahrung. Daher stieg die junge Elfe von der Brüstung herunter und machte sich auf den Weg zur Offiziersmesse.


Eragon Band 6 - Die Wege der ReiterWo Geschichten leben. Entdecke jetzt