135. Unterschiede

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Ismira genoss die Wärme, die Cales Körper abstrahlte. Am liebsten hätte sie sich eng an ihn geschmiegt und die Augen wieder geschlossen. Doch die junge Reiterin wusste, dass dazu keine Zeit war.
- "Da hast du recht Rotschopf!" - ertönte Anaries Stimme in den Gedanken der jungen Adligen aus dem Palancartal. - "Ihr zwei sollte der mich nicht vergessen, dass wir im Auftrag des Ordens unterwegs sind." -
Die beiden Drachengeschwister traten zwischen den Bäumen des Waldes hervor und äugten mit schelmisch funkelnden Augen zu ihren Reitern herüber die sich mit ertappter Miene etwas tiefer unter den Umhang duckten, der ihnen als Decke diente.
- "Ihr solltet euch vielleicht erst einmal anziehen bevor wir den Flug fortsetzen. So früh am Morgen ist es in den höheren Luftregionen doch recht frisch." - Ließ sich nun auch Tailon vornehmen.
Ismira blickte Cale an und erkannte, dass er im Augenblick genau dasselbe dachte. Auf dem Weiterflug würden sie beide einige Sticheleien ihrer Seelenpartner ertragen müssen.

Schon bald schwangen sich Tailon und Anarie mit ihren Reitern auf dem Rücken in den morgendlichen Himmel. Cale und Ismira hatten es in stiller Übereinkunft bei einem einfachen Frühstück aus einigen trockenen Scheiben Brot, einem Apfel und etwas Quellwasser belassen. Zwar hatten sie durch das nächtliche Ereignisse keine Zeit verloren aber dennoch nagte so etwas Schuldgefühl an Ismiras Seele. Sie befanden sich in einer ernsten Situation! War das wirklich der richtige Zeitpunkt für Romantik?
- "Das frage ich mich auch Rotschopf." - neckte Anarie mit einem kichern in der Stimme.
Ismira ging nicht auf die Worte ihrer Drachendame ein und spürte nur wie Scham auf ihren Wangen brannte. Eine Weile ließ Anarie sie in Ruhe doch dann meldete sich die junge Drachendame wieder.
- "Warum hast du dich eigentlich ausgerechnet gestern Nacht mit Cale gepaart?" -
- "Mach dich nicht über mich lustig!" - fauchte Ismira zurück. Sicher war es ein ungünstiger Zeitpunkt gewesen aber auch eines der schönsten Erlebnisse ihres bisherigen Lebens. Sie wollte nicht das die letzte Nacht ins lächerliche gezogen wurde.
- "Das wollte ich nicht Rotschopf." - versicherte Anarie entschuldigend. - "Ich möchte das nur verstehen. Bei uns Drachen ist das anders. Wir Weibchen sind zu einer bestimmten Zeit fruchtbar. Das spüren wir in unserem Blut. Dann suchen wir uns ein Männchen das uns gefällt und stellt ihn auf die Probe. Wenn er stark ist und sein Feuer heiß brennt paaren wir uns. Meist bleiben wir nicht lange mit unserem Brutpartner zusammen. Man zieht vielleicht den gemeinsamen Nachwuchs zusammen groß aber dann trennt man sich meistens wieder. Eine so lange dauernde Partnerschaft wie ihr Zweibeiner es anstrebt ist für uns nur schwer nachzuvollziehen. Deshalb möchte ich verstehen warum du und Cale, obwohl ihr euch schon lange zueinander hingezogen fühlt, erst gestern zur Paarung geschritten seit. Du so lange gebraucht um ihn zu prüfen? Oder wast du gestern fruchtbar?"-
Anaries Worte machten Ismira klar, dass in ihrer Seelenschwester zwar das alte, ererbte Wissen des Drachenvolkes vorhanden war aber ihre Begleiterin dennoch sehr jung war und noch nicht soviel von der Welt gesehen hatte.
- "Na ja, bei uns Zweibeinern ist das etwas anders aber eins verstehe ich nicht: Du sagst Drachen gehen eigentlich keine festen Partnerschaften ein aber eure Großeltern sind sich doch schon seit Jahren treu!" -
Anarie schüttelte ihr Haupt und ihre Schuppen raschelten im Wind.
- "Bei Großmutter Saphira und Großvater Firnen ist das etwas anderes. Es kommt nur selten vor das ein Brutpartner auch Seelenpartner wird. Aber das ist bei den beiden der Fall. Vielleicht liegt es daran, dass sie beide geschlüpft sind als das Überleben des Drachenvolkes noch an einem seidenen Faden hing oder es hat damit zu tun, dass die Gefühle ihrer Reiter auf sie abfärben aber reiche nicht aus. Oder schämst du dich für das was gestern passiert ist?" -
- "Nein! Cale ist der richtige! Der Zeitpunkt war vielleicht etwas unglücklich gewählt aber ich bereue es nicht." -
- "Dann erkläre es mir bitte! Woher wisst ihr Zweibeiner wann ihr euch paart?" -
- "Wie gesagt bei uns Zweibeinern ist das anders. So etwas wie feste Paarungszeiten gibt es im Grunde nicht. Für uns ist es vor allem ein Akt des Vertrauens und der Hingabe wenn wir das Bett mit einem Partner teilen. Wir nennen das dann auch nicht sich paaren. Das klingt irgendwie so kalt und technisch. Bei uns sagt man zum Beispiel, dass man sich dem anderen zum Geschenk macht. Es ist einer der größten Vertrauensbeweise in unserem Volk. Deshalb gilt es auch als eines der schwersten Verbrechen den irgendjemand sich mit Gewalt nimmt was eigentlich nur freiwillig gegeben werden kann." -
Anarie dachte einen Augenblick über das nach, was ihrer Reiterin der gesagt hatte.
- "Aber warum warst du der Meinung, dass gestern der richtige Zeitpunkt für dieses Geschenk war? Ich meine vertraut hast du Cale doch schon immer und tief in dir schämst du dich ein bisschen weil du glaubst, dass der Zeitpunkt an das klein gewählt war. Hat sich Cale etwas genommen was Du eigentlich nicht geben wolltest?" -
- "Nein Nein!" - Ismira wehrte heftig ab. Auf keinen Fall sollte ihre Drachendame DAS von Cale denken. - "Weißt du meine Süße, gestern Abend habe ich mich allein und verwundbar gefühlt. Wenn wir Zweibeiner so fühlen haben wir auf das Bedürfnis nach Nähe und Geborgenheit. Cale hat mir das gestern Nacht gegeben." -
- "Das versteh ich nicht. Was hat denn Geborgenheit und Nähe mit der Paarung zu tun?" -
Ismira überlegte wie sie es ihrer Seelenschwester begreiflich machen konnte. Drachen sahen in der körperlichen Vereinigung wohl wirklich einen mehr technischen Akt der der Arterhaltung diente als einen Beweis von Vertrauen und Zuneigung. Wieder spürte die junge Frau mir das Blut in die Wangen schoss als sie ihren Geist etwas weiter öffnete und mit Anarie teilte was sie bei den Zärtlichkeiten der letzten Nacht empfunden hatte.
Die violette Drachendame stieß einen überrascht laut aus und ihre Schuppen stellten sich leicht auf so als hätte sie eine Gänsehaut.
- "Also das hat sie gemeint." -
- "Wer hat was gemeint?" - Wollte Ismira wissen.
- "Einmal hat uns Meisterin Miemel-Eldunari unterrichtet. Sie hat uns von den Ursprüngen des Paktes erzählt mit dem wir erst mit den Elfen und dann mit allen andern Völkern Alagaesias Frieden geschlossen haben. Sie hat uns gefragt, was wir Drachen aus diesem Pakt gewonnen hätten. Die Elfen sind stärker und schöner geworden und auch auf die Menschen hat der Pakt schon Einfluss genommen. Er wird das auch bei den Urgals und den Zwergen tun. In einigen Jahrhunderten werden sie sich wesentlich von dem unterscheiden was sie heute sind. Was aber ist mit uns Drachen? Weder ich noch Tailon konnten darauf antworten. Miemel-Eldunari hat gelacht und gesagt, dass unsere Großeltern es auch zunächst nicht begriffen hätten. So starke Gefühle wie Du sie für deinen Nistpartner  hast sind bei den Kindern des Himmels und des Feuers eher selten. Im Grunde empfinden wir eine so starke Bindung nur für unsere Reiter. Sie hat auch gesagt, dass die Fähigkeit so zu fühlen eines der kostbarsten Geschenke ist was uns Drachen je gemacht wurde. Ein bedeutender Schritt in unserer Entwicklung. Ich hab das damals im Grunde nicht wirklich verstanden aber jetzt schon. Ich denke ich werde von jetzt an auch ein bisschen auf den Reiter meines Bruders aufpassen müssen." -
- "Und dein Bruder auf mich?" -
- "Natürlich! Das werde ich ihm schon klarmachen!"-
- "Vielleicht hat Cale es ihm ja schon erklärt, so wie ich dir." -
- "Nein, die beiden sind Männchen. Die können nicht so gut über solche Dinge reden." -

Eragon Band 6 - Die Wege der ReiterWo Geschichten leben. Entdecke jetzt