79. Verwandlung

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Vorsichtig ließ sich Murtagh auf dem Bett in seinem Quartier nieder. Erleichtert stellte er fest, dass die Zauber die er über das morsche Möbelstück gelegt hatte offenbar ihren Zweck erfüllt hatten. Das Holz war wieder fest genug und das Gewicht eines Menschen zu tragen und mit einigen Decken hatte sich Dorns Reiter eine hinlänglich bequemes Nachtlager geschaffen. Mit einem fast genießerischen Seufzen streifte Murtagh seine Stiefel ab und legte sich, lediglich mit einem dünnen, dunkelroten Wams und einer schwarzen Hose bekleidet auf sein Lager.
Nur am Rande seines Bewusstseins nahm Murtagh noch die Präsenz seines Drachen wahr.
Dorn war mit seinem goldenen Artgenossen Joto zu einem kleinen Jagdausflug aufgebrochen. Neben der Suche nach einem Abendessen hatte der Rote den jüngeren Drachen gebeten ihm die Umgebung zu zeigen.
Es war zwar unwahrscheinlich, doch es war immerhin im Bereich des möglichen, das einige der versprengten Priester des Helgrinds versuchen würden ihren "Gott" aus der Gefangenschaft zu befreien. Für einen solchen Fall wollte Dorn mit der Umgebung vertraut sein.
Murtagh hatte dem zugestimmt und dachte nun über die Priester des Helgrinds nach, mit denen er den Nachmittag über verhandelt hatte. Von den drei Gefangenen hatten sich zwei überreden lassen die Bemühungen in Bezug auf den Ra zac zu unterstützen. Der dritte Priester hatte es strikt abgelehnt den Feinden seiner Götter zu helfen. General Miros hatte entschieden, das er in den nächsten Tagen nach Ilirea gebracht werden sollte, wo sein Prozess auf ihn wartete.
Die beiden anderen fühlten sich verpflichtet den Versuch zu unterstützen ihren Gott von einer Verunreinigung zu heilen.
Die Verschmelzung des Ra zac mit einem Geist musste, sollte der Soldat Tjurin wider Erwarten die Wahrheit gesagt haben, wirklich ein Unfall gewesen sein. Die Geister spielten auch im Glauben der Jünger des Helgrinds eine Rolle. Für sie waren sie Überbleibsel der Toten, die sich den "Göttern" geopfert hatten.
Murtagh schüttelte ungläubig den Kopf als er daran dachte, was die Priester ihm über ihren Glauben erzählt hatten. Das Fleisch des Körpers sei eine unreine Hülle für die Seele. Indem man Teile davon opferte reinigte man sich Stück für Stück bis man sich schließlich durch den Tod endgültig von der unreinen, körperlichen Form trennte.
Je perfekter und reiner der Tod war desto größer war die Belohnung im Jenseits. Offenbar empfanden es die Priester als die höchste Form des Ablebens von den Ra zac oder den Letherblaka verspeist zu werden. Natürlich war die Todesart nur ein Teil der Gleichung. Durch Fasten und Meditation wusste man auch seine Seele in den richtigen Zustand versetzen um dieses perfekten Todes würdig zu sein. Die Geister waren Splitterfragmente der Seelen, die von den Ra zac gereinigt worden waren. Die Priester begründeten diesen Glauben damit, dass Geister zumeist von extrem niedrigen Impulsen getrieben wurden. Gier, Mordlust oder Hass um nur einige zu nennen.
Zumindest was die treibenden Gefühle der Geister betraf hatten die Priester nicht unrecht. Auch Murtagh hatte einige Texte über Geister und ihre Beschwörung studiert und in der Tat zeichneten sich die meisten dieser Energiewesen durch eine extrem niedere Gesinnung aus. Allerdings war der dunkelhaarige Drachenreiter eher der Meinung, dass die Priester dieses bewiesene Faktum nutzten, um ihrer Weltanschauung mehr Glaubwürdigkeit zu verleihen.
Es war Dorns Reiter einfach unverständlich wie man sich diesem finsteren Glauben verschreiben konnte. Murtagh konnte es sich nur so erklären, dass es in der menschlichen Natur lag Dinge zu fürchten die man nicht verstand. Die Existenz von Geistern und der Tod selbst waren beides große Geheimnisse die sich bisher jeder Aufklärung entzogen. So widersinnig es auch klang, für manche hatte der Glaube der Jünger des Helgrinds wohl etwas tröstliches. Gestärkt wurde dieses Gefühl wohl noch durch den Fanatismus mit dem die Priester ihre Religion zelebrierten. Jeder Zweifel, jeder Versuch etwas zu hinterfragen wurde praktisch als Ketzerei angesehen.
"Eine weitere Religion also, die uns von der schwersten Verantwortung befreit, die jeder Mensch zu tragen hat. Die Notwendigkeit nachzudenken."
Murtagh hatte mit der Zimmerdecke gesprochen und bemühte sich nun eine bequeme Position zu finden. Es war ein langer Tag gewesen und allmählich fühlte der Drachenreiter Müdigkeit in sich aufsteigen.
Gerade als Murtagh die Augen schließen wollte Verscheuchte ein aufgeregtes Klopfen an der Zimmertür jeden Gedanken an Schlaf.
Etwas verärgert darüber, dass man ihn aus seinem wohligen Dämmerzustand gerissen hatte erhob sich der Dunkelhaarige und öffnete die Tür.
Vor dem Zugang zu seinem Quartier stand ein aufgeregter Soldat der Nachtfalken. Der junge Mann konnte noch nicht lange Soldate sein. Murtagh schätzte ihn auf höchstens 17 oder 18 Jahre. Vermutlich hatte dieser halbe Milchbart im Kampf gegen die Ra zac seine Feuertaufe erlebt.
Offensichtlich hatte sich der junge Mensch sehr beeilt und Murtaghs Quartier zu erreichen denn er war sichtlich außer Atem.
"Verzeiht die Störung Argetlam." keuchte der Junge. "Aber der Drachenreiter Ishaha und General Miros bitten euch sofort zum Gefängnis des Ra zac zu kommen. Irgend etwas geschieht mit der Kreatur."
"Ich komme sofort." erwiderte Murtagh schlicht. Er hatte genug Zeit in seinem Leben unter Soldaten verbracht um zu wissen, dass es wenig Sinn hatte diesen Boten um weitere Details zu bitten. In aller Regel kannten die Überbringer solcher Nachrichten keine weiteren Einzelheiten und es wurde nur wertvolle Zeit vergeudet wenn man sie danach fragte.
Der Drachenreiter schlüpfte lieber schnell in seine Stiefel und griff sich Zar roc. Wie üblich hatte Murtagh das blutrote Schwert in greifbarer Nähe zu seinem Bett platziert. Diese Angewohnheit von ihm hatten auch die Jahre des Friedens nicht vertreiben können.
Er hielt sich nicht damit auf sich das Schwert sorgfältig umzu chnallen sondern stürmte mit der Waffe in der Hand in Richtung der Kellergewölbe wo man den Ra zac untergebracht hatte.
Keiner der Wachposten hielt ihn auf als er sich dem Verlies der dunklen Kreatur näherte und schließlich durch die Tür in das Gewölbe trat.
Eine merkwürdige Szenerie bot sich ihm. Die sechs Elfen die dem Verlies als Wächter zugeteilt waren hatten sich vor der Wand aufgestellt in die auch die Tür eingelassen war durch die Murtagh getreten war. Ishaha, General Miros und Trianna standen direkt vor dem Gitter welches den Ra zac am Entkommen hindern sollte. Alle drei starrten auf einen Punkt hinter dem Gitter.
Auch die beiden Priester des Helgrinds, die man zur Kooperation überredet hatte waren anwesend. Sie knieten vor dem Gitter und rezitierten monoton Gebete ihrer Glaubensgemeinschaft. Immer wieder verneigten sie sich bis ihre Gesichter fast den Boden berührten.
"Was ist los?" Erkundigte sich Murtagh.
Ishaha, Trianna und General Miros blickten sich zu ihm um.
"Ach, Drachenreiter gut das ihr hier seid." sagte der General. "Was vorgeht? Nun, seht selbst."
Der Offizier der Nachtfalken trat einen Schritt zur Seite und ermöglichte Murtagh damit Einblick in das Gewölbe. Überraschung und Ekel waren es, was Eragons Bruder bei dem emfand was er erblickte. Ishaha hatte bereits in seinem Bericht erwähnt, dass der Ra zac ein Wachstum vollzogen hatte, doch was nun geschah ging über eine schlichte Änderung der Körpergröße hinaus.
Was Murtagh im Inneren der Kerkerzelle sah erinnerte ihn am ehesten an einen Insektenkokon. Das seltsame Gebilde war zum einen aus der äußeren Schale des Ra zac zusammengesetzt. Es sah so aus als hätte das dunkle Wesen seine äußere Körperpanzerung abgestreift und die einzelnen Stücke des dunklen Panzers mit einer grünlichen, zähen Masse zu einer annähernd runden Form versponnen. Die zähflüssige Paste erinnerte Murtagh unwillkürlich an Eiter und der Gestank der inzwischen das ganze Gewölbe erfüllte war einfach bestialisch. An einigen Stellen des Kokons quoll immer noch die dickflüssige, grüne Masse hervor und verstärkte die Struktur des Ganzen indem sie sich bei Luftkontakt mehr und mehr verfestigte. Deutlich konnte man an einigen Stellen Teile der früheren körperlichen Form des Ra zac erkennen. Murtagh konnte ein dunkles Panzerstück ausmachen, welches wohl einst die Brust des Wesens bedeckt hatte und am oberen Ende des Kokons entdeckte Dorns Reiter was einst den Kopf des Ra zac gebildet hatte. Die ehemals runde Struktur war aufgeplatzt, aus dem einst tödlichen Schnabel quoll die grüne Substanz die den Hauptteil des Kokon bildete und eine trübe gewordene dünne Haut verriet wo einmal die riesigen Augen der Kreatur gewesen waren.
Das widerliche Erscheinungsbild wurde dadurch abgerundet, dass der ganze Kokon zu atmen schien. Die Struktur blähte sich leicht auf und sackte dann wieder in sich zusammen. Nach einigen Sekunden des Beobachtens konnte Murtagh jedoch erkennen, dass der Kokon nicht vollständig zu seiner alten Größe zurückkehrte. Langsam wurde er durch das rhythmische Aufzublähen und Zusammensacken größer.
Immer noch murmelten die beiden Jünger des Helgrinds ihre Gebete und verneigten sich in tiefer Demut vor dem widerlichen Gebilde. Ob es der Gestank war oder die Tatsache, dass er nicht einordnen konnte was da geschah konnte Murtagh nicht sagen, in jedem Fall ließen die monotonen Gebete und die sklavische Ergebenheit der beiden Jünger gegenüber dieser Monstrosität kalte Wut in seiner Brust aufsteigen.
Grob packte Murtagh den einen Priester am Oberarm und zog ihn auf die Beine.
"Was geht da vor?" bellte er den Mönch an.
"Zeige Respekt Ungläubiger!" zischte der Mann. "Du wirst gerade Zeuge einer heiligen Begebenheit. Seid Ihr den Thronberg der Erhabenen zerstört habt hat es dies nicht mehr gegeben. Die Umwandlung eines Gottes in seine geflügelte Form."
Erkenntnis blitzte durch Murtaghs Gedanken. Die Ra zac waren die Larven der Letherblaka. Dieses Exemplar hatte sich offenbar verpuppt und hatte seine Umwandlung begonnen.
"Ich dachte, Ihr hättet gesagt, dass dieser Ra zac erst wenige Monate alt ist." warf Ishaha ein. "Soweit wir wissen verwandeln sich die Larven erst nach ihrem 20. Lebensjahr!"
Der Priester bedachte Ishaha einen hochmütigen Blick. Nur widerwillig stimmte er dem jungen Drachenreiter zu.
"Ihr habt recht Ungläubiger. Und weil ihr in eurer Ignoranz die Erhabenen verfolgt und ausmerzt, ist kein Abkömmling unserer geflügelten Götter je alt genug geworden um diese heilige Wandlung zu durchlaufen. Nicht seitdem ihr den Thronberg zerstört habt."
"Natürlich merzen wir die Ra zac aus!" ereiferte sich General Miros. "Die Letherblaka sind widerliche Ungeheuer aber sie geben sich auch mit anderer Nahrung zufrieden. Die Ra zac sind ausschließlich hinter Mensch her."
"Ihr begreift einfach nicht!" keifte der Priester entrüstet. "Es gibt keine höhere Ehre als den Erhabenen als Nahrung zu dienen! Kein Tod könnte reiner sein als von einem Gott verspeist zu werden!"
"Das reicht jetzt!" mit scharfen Worten unterbrach Murtagh den aufkommenden Streit. "Es hat wenig Sinn über eure Glaubensgrundsätze zu debattieren. Ich bezweifle dass wir was das betrifft je einer Meinung sein werden Priester! Die Frage die sich stellt ist doch: Wie kann es sein, dass sich diese Larve verpuppt?"
"Das..... können wir uns auch nicht erklären."
Am Gesicht des dunklen Jüngers war deutlich abzulesen, dass dieses Geständniss ihm schwer fiel.
Es war Trianna die nun das Wort ergriff. Auch wenn Murtagh die Magierin nicht mochte so empfand er den kühlen, rationalen Tonfall den sie anschlug als regelrecht erfrischend.
"Es wäre möglich, dass es sich um eine art Verteidigungsreaktion des Ra zac handelt. Soweit wir wissen sind die Larven doch recht einfältig was ihre geistigen Fähigkeiten betrifft. Die ausgewachsenen Letherblaka verfügen über eine messerscharfe Intelligenz. Sie haben auch bereits festgestellt, dass das Bewusstsein des Ra zac und der eingedrungene Geist sich gegenseitig bekämpfen."
"Ich verstehe worauf ihr hinaus wollt." murmelte Murtagh. "Der Ra zac könnte die Umwandlung instinktiv eingeleitet haben, weil ein höher entwickeltes Bewusstsein ihn besser in die Lage versetzt sich gegen den Geist zu schützen."
Dorns Reiter ließ seinen Blick schnell durch das Gewölbe wandern und er erkannte, dass beide Priester wieder ihre Gebete aufgenommen hatten. Schnell gab er General Miros, Ishaha und Trianna ein Zeichen und die drei folgten ihm nach draußen in den Gang.
"Ich denke, dass Triannas Meinung im Augenblick die wahrscheinlichste Theorie ist." erklärte Murtagh, nachdem sie das Gewölbe verlassen hatten und die Tür sorgfältig hinter ihnen geschlossen war. Das weitere Vorgehen, das nun besprochen werden musste war nicht für die Ohren der beiden Priester bestimmt.
"Ist das denn nicht gut für uns?" erkundigte sich Ishaha. "In ihrer Larvenform haben die Ra zac ein insektenähnliches Röhrenherz. Das zu durchbohren ist nicht einfach. Die Letherblaka aber haben ein Herz das unserem Organ ähnelt. Ihre Flügelmuskulatur braucht mehr Blut als eine Röhrenherz liefern könnte. Vielleicht ist das genau die Möglichkeit die Existenz dieses Monsters zu beenden auf die wir gewartet haben. "
"Das setzt voraus, dass wir es dann wirklich mit einem Schatten-Letherblaka zu tun haben." widersprach Murtagh. "Im Moment bekämpfen sich zwei Seelen im Körper dieses Wesens. Wer gewinnen wird ist nicht sicher. Auch wissen wir nicht was dann passiert. In jedem Fall dürfte es wesentlich schwieriger sein einen Letherblaka gefangen zu halten als einen Ra zac! Sie sind schließlich um ein Vielfaches stärker."
Ishaha nickte nun verstehend.
"Das könnte gefährlich werden wenn das Wesen magische Fähigkeiten entwickelt. Mehr Kraft bedeutete mehr Möglichkeiten Magie anzuwenden."
"Was schlagt ihr vor Murtagh? Wie sollen wir uns jetzt verhalten?" erkundigte sich General Miros. Es war deutlich zu sehen, dass der Veteran sich unwohl in seiner Haut fühlte.
"Ich werde mich mit Meisterin Narie und Meister Marek in Verbindung setzen." entschied Murtagh nach kurzem Überlegen. "Sie werden im Moment von Gelehrten der Elfen begleitet. Einer dieser Gelehrten ist ein Mann, der sich schon lange mit Geistern beschäftigt. Die Andere stammt aus Emfielion und hat Forschungen über die Natur der Ra zac und der Letherblaka angestellt. Eigentlich sollten Narie und Marek erst noch Geisterbeschwörer aus ganz Alagaesia versammeln bevor sie zu uns stoßen. Ich denke, dass die veränderten Situation erfordert, dass sie die Gelehrten der Elfen sofort zu uns bringen. Es dürfte wohl kaum jemanden in Alagaesia geben, der mehr wissen über unseren derzeitigen Gegner in sich vereinten als diese beiden Gelehrten. Sie sollen die Lage hier in Augenschein nehmen und beurteilen. Informationen sind die Grundlage für jede Entscheidung und wir haben bisher zu wenige. Wenn sich die Lage irgendwie stabilisieren sollte können wir immer noch weitere Geisterbeschwörer hier versammeln. Im Moment müssen wir davon ausgehen, dass die Situation schneller als wir dachten außer Kontrolle geraten könnte und müssen daher das höchste Maß an Kompetenz in möglichst kurzer Zeit hier versammeln."
Diesem Entschluss stimmten alle Anwesenden zu.
"Gut. Ich werde Narie und Marek kontaktieren und anschließend Königin Nasuada und Eragon Schattentöter berichten." legte Murtagh fest.


Eragon Band 6 - Die Wege der ReiterWo Geschichten leben. Entdecke jetzt