101. Das Verhör

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Unruhig ging Tjurin in seiner Zelle auf und ab. Sein anfänglich hell lodernder Zorn über seine einkerkerung war einer dumpfen Wut gewichen. Einer Wut auf sich, auf die Situation und auf die ganze Welt, die sich weigerte die Werte anzuerkennen die nun einmal rechtens waren.
Zumindest kontrollierte der junge Adelige seinen Zorn inzwischen so weit, dass er sich nicht mehr vor seinen ehemaligen Kameraden irgend eine Blöße gab. Am Anfang hatten seine Beschwerden zu großer Erheiterung bei seinen Wächtern geführt.
Inzwischen sah Tjurin ein, dass es unsinnig gewesen war sich über die Unterbringung in dieser schlichten Kerkerzelle zu beklagen. Jeder Taschendieb und Halsabschneider äußerte dieselben Beschwerden. Er hätte mehr Würde an den Tag legen sollen auch wenn seine Klagen durchaus berechtigt waren.
Das kratzende Geräusch eines Schlüssels, der den Schließbolzen seiner stählernen Zellentür entriegelte forderte schließlich Tjurins Aufmerksamkeit ein.
Nach einigen Sekunden schwang die Tür auf und zwei menschliche Palastwächter sowie der Kerkermeister traten ein. Der Verwalter der Gefängnisanlagen entsprach nicht dem Klischee welches man mit einem Kerkermeister verband. Normalerweise erwartete man eine Kreatur die so verfilzt und dreckig aussah, dass man eher geneigt war zu vermuten, dass dieses Wesen zu den Ratten gehörte die die unterirdischen Verliese bevölkerten als zur Rasse der Menschen.
Dieser Mann war jedoch ganz anders. Er war von hoch gewachsener, hagerer Gestalt und schien penibel darauf zu achten, dass seine schneeweißen Haare sorgfältig gekämmt waren. Fein geschnittene Züge zeichneten das Gesicht des Mannes aus und der kühle Blick seiner stahlgrauen Augen ruhte auf einer Liste die er in den Händen hielt. Bekleidet war der Mann in die einfache schwarze Robe eines Beamten.
"Tjurin, Sohn von Herzog Aurast, bis vor kurzem Angehöriger der Nachtfalken." Die Stimme des Kerkermeisters war emotionslos und monoton. "Ihre Anwesenheit wird verlangt. Folgen Sie den Wachen widerstandslos. Kooperation ist erwünscht Widerstand wird bestraft."
Nachdem er diese Litanei vom Stapel gelassen hatte verließ der Kerkermeister die Zelle wieder und wartete im Flur außerhalb.
Die beiden Wächter in der es traten auf Tjurin zu und ergriff ihn bei den Oberarmen.
"Wird die Königin endlich die von mir geforderte Audienz gewähren?"
Fragte Tjurin und versuchte sich von dem unerwünschten Körperkontakt mit den beiden Wächtern zu befreien. Beide hielten ihn jedoch fest im Griff und brachen ob seiner Frage in schallendes Gelächter aus.
"Natürlich! Die Königin und der gesamte Hochadel des Reiches freuen sich darauf euch begrüßen zu dürfen werter Herzog." spottete der eine während der andere hinzufügte: "In Anbetracht dieser bedeutenden Angelegenheit sind sogar Abordnungen aller Volker Alagaesias zugegen."
"Ruhe!" kommandierte der Kerkermeister. Offenbar handelte es sich bei diesem Mann um eine Bürokratenseele. Er war darum bemüht, dass der von ihm geführte Kerker möglichst effizient funktionierte. Streit, Sport oder das Betteln um Gnade war für ihn ein und dasselbe. Nämlich eine Ablenkung.
Schweigend ging die Gruppe weiter bis sie eine schwere Holztür erreichte. Der Kerkermeister wandte sich zu Tjurin um und richtete das Wort an ihn: "Hinter dieser Tür erwartet euch ein von der Königin bestimmtes Gremium. Es wird euch zu den Vorwürfen befragen, die gegen euch im Raum stehen."
Nach diesen kurzen, sachlich gesprochenen Worten öffnete der Kerkermeister die Holztür und bedeutete den beiden Wächtern ihren gefangenen hinein zuführen.
Die beiden Soldaten kamen der Aufforderung nach und schoben Tjurin in den Raum. Der Sohn des Herzogs Aurast hatte beschlossen sich nicht weiter zur Zielscheibe von Spott und Hohn zu machen indem er Widerstand leistete. Zum gegenwärtigen Zeitpunkt wäre das eine recht sinnlose Angelegenheit gewesen. Mit solchen niederen Wachhunden konnte man nicht vernünftig reden.
Tjurin wurde gezwungen sich auf einen Stuhl zu setzen an dessen Armlehnen ledernen Gurte mit eisernen Schnallen angebracht waren. Damit wurden seine Unterarme an die Stuhllehnen fixiert. Direkt gegenüber von Tjurin stand ein Tisch und auf der gegenüberliegenden Seite des Tisches saßen vier Männer die die typischen Robe der Magiergilde trugen. Ein schwarzes Wams aus festem Stoff welches mit dem Wappen des Reiches bestickt war und darunter einen blutrotes Hemd mit weiten Ärmeln. Noch ein fünfter Stuhl stand an dem Tisch direkt zwischen den vier Magierin doch er war nicht besetzt.
Der älteste der vier Magier ergriff eine Schriftrolle die der Kerkermeister, welcher inzwischen ebenfalls in den Raum eingetreten war, ihm reichte. Der Mann hatte wasserblaue Augen, rotblonde Haare und trug einen gepflegten Vollbart. 
"Tjurin, Sohn von Herzog Aurast, bis vor kurzem Mitglied der Nachtfalken, hier zu Befragung durch das von der Königin eingesetzte Gremium. Befragung beginnt um die dritte Nachmittagsstunde im 16. Jahr der Herrschaft unserer gnädigen Königin Nasuada der Ersten. Den Vorsitz führt Hektor Kotranssohn. Ihn unterstützen die Mitglieder der Magiergilde Karl, Johann und Nestor. Das Protokoll erstellt von Taved, Kerkermeister der königlichen Residenz von Ilirea."
Bürokratischer Routine schwang in den Worten des Magiers mit. Der Kerkermeister war inzwischen an ein Schreibpult getreten und brachte offenbar alles zu Papier was der Magier am Tisch sagte. Tjurin fühlte sich dadurch regelrecht beleidigt. Er war von hohem Rang! Schleifte man ihn hier etwa vor dasselbe Gremium wie jeden einfachen Tagedieb?!
"Und wer seid Ihr?!" bellte Tjurin den Rothaarigen an.
"Mein Name ist Hektor und ich bin der Vorsitzende des Gremiums das euch befragen wird." erklärte der Magier. "Und nimm bitte zur Kenntnis, das wir hier die Fragen stellen. Beantwortet sie wahrheitsgemäß und vollständig, dann wird euch kein Leid geschehen. Solltet ihr Lügen oder die Aussage verweigern sind wir befugt die Wahrheit durch eine Untersuchung eures Geistes ans Licht zu bringen. Lasst mich euch sagen, dass Widerstand gegen diese Prozedur für euch schmerzhaft sein wird. Dies ist keine Drohung. Es ist nicht unser Wunsch und nicht unsere Aufgabe euch Schmerzen zuzufügen aber wenn er darauf besteht mit uns um die Wahrheit zu kämpfen wird sich das nicht vermeiden lassen. Folgende Punkte stehen gegen euch im Raum:....."
"Ich werde zu gar nichts Stellung nehmen solange ich nicht weiß ob ihr wie ich von hohem Rang seit. Die Autorität eines einfachen Straßenköters über mich erkenne ich nicht an. Und wenn euch die Königin hundertmal auf diesem Posten berufen hat."
Die Reaktion auf Tjurins Worte fiel bei den Magierin recht unterschiedlich aus. Zwei von ihnen schien sich königlich zu amüsieren wärend der Vorsitzende Hektor sein gegenüber über den Rand der Schriftrolle hinweg musterte, die er immer noch studierte.
"Noch so einer!" seufzte das vierte Mitglied des Gremiums. "Hatten wir heute nicht schon genug Ärger mit diesem Jünger des Helgrinds? Er war doch auch der Meinung, dass es unter seiner Würde sei von Ungläubigen befragt zu werden. Kein Wunder, dass Verhör- Dienst in der Gilde nicht besonders beliebt ist."
"Dieser Priester war eben ein Fanatiker." gluckste einer der beiden Magier die sich über Tjurins Worte lustig gemacht hatten. "Aber keine Sorge! Auch der wird sich noch wünschen er hätte das Angebot der Königin angenommen und den Drachenreitern in diesem alten Militärposten unter die Arme gegriffen. Was immer die da auch treiben mögen. Spätestens am Galgen wird er an seiner Arroganz ersticken."
"Mein Anspruch beruht aber nicht auf irgendwelchen obskuren, religiösen Wahnvorstellungen!" rief Tjurin dazwischen. Seine Befürchtungen bestätigten sich offenbar. Er saß hier vor demselben Gremium wie das einfache Gesindel. Wenn der Vorsitzende nicht seinen Namen und seinen Titel vorgelesen hätte könnte man meinen, es läge ein Irrtum vor. "Ich bin von Adel! Meine Rechte sind mir ins Blut geschrieben! Ich werde euch gar nichts sagen! Ich verlange von der Königin befragt zu werden!"
Nun gab es für die beiden Magier, die sich bereits vorher amüsiert hatten kein Halten mehr. Beide brachen in schallendes Gelächter aus. Es war schließlich der Vorsitzende Hektor, der die Ordnung wiederhergestellt indem er mit der flachen Hand auf die Tischplatte schlug.
"Das reicht jetzt!" donnerte er. "Johann und Karl! Wir versehen hier eine ernste Pflicht im Namen der Krone also benehmt euch bitte dementsprechend! Dieser Bursche da vor uns sieht sich schweren Anklagepunkten gegenüber. Ungesetzlicher Gebrauch von Magie, versuchter Mord an einer jungen Frau, die überdies noch schwanger war und er soll für die Toten von Bullridge verantwortlich sein! Es geht hier nicht um jemanden, der auf dem Markt ein paar Äpfel gestohlen hat! Ich darf also um den angemessenen Ernst bitten."
Die Worte Hektors verfehlten ihre Wirkung nicht. Das Lachen verschwand sofort vom Gesicht der beiden Magier und auch das dritte Gremiumsmitglied setzte sich aufrecht hin und wirkte entschlossener als noch vor wenigen Sekunden.
" Und was euch angeht Herzog Tjurin: vor den Gesetzen der Königin sind alle Bürger des Reiches gleich. Wenn ihr euch weigert auf unsere Fragen zu antworten werden wir euren Geist untersuchen. So einfach ist das! Ich weiß nicht, wer ihr glaubt zu sein aber die Königin hat etwas besseres zu tun als sich mit euch zu beschäftigen." fuhr Hektor fort.
"Ich habe gelernt meinen Geist zu schützen!" höhnte Tjurin. "Ich werde euch widerstehen."
Müde massierte sich der Vorsitzende des Gremiums den Nasenrücken.
"Wenn ihr es euch unbedingt schwer machen wollt ist das euer Vorrecht. Aber bedenkt bitte: Ihr werdet diesen Raum erst dann verlassen, wenn wir die Wahrheit über alle euch vorgeworfenen Verbrechen ergründet haben. Auf die Dauer werdet ihr nicht in der Lage sein uns zu widerstehen. Hunger, Durst und Müdigkeit werden eure Verteidigung schwächen. Es ist also nur eine Frage der Zeit."
Tjurin wollte gerade zu einem erneuten Widerspruch ansetzen als ein leises Klopfen zu hören war. Alle Blicke richteten sich auf die Eingangstür die in Tjurins Rücken, außerhalb seines Blickfelds lag. Der Kerkermeister Taved bedeutete den Mitgliedern des Gremiums an ihren Plätzen zu verweilen und schritt aus Tjurins Sichtfeld auf die Tür zu.
Der Sohn von Herzog Aurast hörte wie die Tür, vermutlich nur einen Spalt breit, geöffnet wurde und er konnte leise Stimmen hören auch wenn er nicht verstand was sie sagten.
Schließlich trat Taved wieder in den Bereich den Tjurin beobachten konnte und schritt an die Seite des Vorsitzenden Hektor. Der Kerkermeister beugte sich zu dem Magier herunter und flüsterte ihm etwas zu. Schon nach wenigen Worten zeichnete sich deutliche Überraschung auf den Gesichtszügen des Vorsitzenden ab.
"Ich habe nichts dagegen." sagte er schließlich. "Bittet sie herein. Für uns ist es eine Ehre und es dürfte die Sache hier beschleunigen und einfacher gestalten."
Während Taved Tjurins Sichtbereich wieder verließ wandte sich Hektor ihm zu.
"Nun, offensichtlich ist doch jemand der Meinung, dass ihr besondere Aufmerksamkeit verdient Herzog Tjurin. Dem Gremium wird ein weiteres Mitglied Unterstützungen gewähren. Vielleicht haltet ihr sie für würdiger euch zu befragen."
Noch während Tjurin versuchte sich einen Reim auf die Worte des Magiers zu machen hörte er wie die Tür in seinem Rücken geöffnet wurde und jemand den Raum betrat. Die vier Magier erhoben sich respektvoll und verneigten sich vor der unbekannten Person. Taved eilte an sein Schreibpult zurück.
Wieder hörte man Hektor sprechen und wieder klang seine Stimme nüchtern und war erfüllt von bürokratischer Routine.
"Taved bitte vermerkt für das Protokoll: das Gremium wird in seiner Befragung unterstützt von Arya, Tochter von Islanzadi, Drachenreiterin und stammend aus dem Volk der Elfen."
Diese Worte trafen Tjurin wie ein Schlag ins Gesicht. Natürlich hatte er von der Elfe Arya gehört. Sein Vater war ich einige Male begegnet und hatte stets gesagt, dass ihm die eine tödlichere Kriegerin auf dem Schlachtfeld aufgefallen wäre. Sie war neben Eragon die erfahrenste Drachenreiterin und als Elfe war sie bestimmt wesentlich bewanderte er darin den Geist von jemandem zu untersuchen als jeder menschliche Magier.
Inzwischen war die Elfe ins Sichtfeld des jungen Adligen getreten. Normalerweise fühlte Tjurin sich Frauen von Natur aus überlegen aber beim Anblick dieser Drachenreiterin wollte sich dieses Gefühl überhaupt nicht einstellen.
Die Reiterin trug ein grünes Wams, schwarze Hosen und Stiefel und ein Schwert am Gürtel, welches aussah als sei es aus einem einzigen Smaragd geschliffen. Sie grüßte die Mitglieder des Gremiums durch ein stummes aber höfliches Nicken und nahm dann den noch freien Stuhl am Tisch ein.
Als sich der Blick der Grünen, schräg stehenden Augen auf ihn richtete hatte Tjurin das Gefühl, sich auch ohne die ledernen Gurte, nicht vom Fleck rühren zu können. Eine Autorität ging von der Elfe aus wie der Sohn des Herzogs es noch nie erlebt hatte.
"Die rechtlichen Belehrungen sind abgeschlossen Drachenreiterin und der Beschuldigte weigert sich eine Aussage zu machen."
"Ich danke euch für die Information Hektor." erwiderte die Elfe Arya in neutralem Tonfall. "In diesem Fall wollen wir keine weitere Zeit verlieren."
Kaum waren die melodiösen Worte der Drachenreiterin verklungen als tjurinspülte wie eine unsichtbare Kraft von der Elfe ausging, auf ihn zu raste und sich wie ein eisiger Dolch in seinen Geist grub. Widerstand war etwas an das er nicht einmal mehr denken konnte. Sollte er das beschreiben, was ihm da traf so kann dem Sohn des Herzogs am ehesten das Bild eines Raubvogels in den Sinn, der sich vom Himmel herab auf seine Beute stürzte. Majestätisch, anmutig, präzise doch vor allem tödlich.

Eragon Band 6 - Die Wege der ReiterWo Geschichten leben. Entdecke jetzt