48. Mutter und Tochter

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Fast andächtig wanderte Ismira durch ihr Zimmer. Alles war noch so wie sie es verlassen hatte.
"Du bist aber nicht mehr so wie du warst, als Du hier gelebt hast."
Der Gedanke war bittersüße doch Ismira konnte ihrer Drachendame nur Recht geben. Sie hatte viele neue Dinge gelernt, beherrschte bereits Magie zu einem gewissen Grad und ihre Seele war eine Bindung mit einem Drachen eingegangen.
"Bereust du es eigentlich das sich bei dir geschlüpft bin Rotschopf?"
Die junge Frau spürte wie eine leichte Unsicherheit die Worte ihrer Drachendame begleitete. Anarie befand sich gerade noch innerhalb der geistigen Reichweite ihrer Reiterin. Sie folgte ihrem Bruder und ihrer Großmutter in Richtung Buckel.
"Wie kommst du denn darauf meine Süße?"
"Naja, du bist so glücklich seitdem wir hier sind."
"Ja, weil ich meine Familie wieder sehe. Das bedeutet doch aber nicht das sich vorher unglücklich war!"
"Wirklich?"
Die Stimme der violetten Drachendame wurde schwächer, da sie sich mit jedem Flügelschlag weiter entfernte.
"Natürlich! Ja, ich habe meine Brüder und meine Eltern vermisst aber ich freue mich auch auf alles was wir noch zusammen erleben werden und außerdem wäre meine Familie ohne dich ja gar nicht mehr komplett."
"Danke." - Anaries liebevolle Antwort wurde von einer Welle aus Erleichterung und ehrlicher, tiefer Zuneigung begleitet.
"Vielleicht wächst ja deine Familie noch weiter."
Mit dieser letzten, schelmischen Bemerkung trennte Anarie die geistige Verbindung und konzentriert sich ganz auf die Jagd.
Ismira wusste genau worauf ihre Drachendame anspielte. Seufzend ließ sie sich auf der Kleidertruhe, die vor dem Fenster ihres Zimmers stand nieder und blickte hinaus. Als ob das Schicksal sich mit ihr einen kleinen Spaß erlauben wollte entdeckte sie ausgerechnet den jungen Mann um den ihre Gedanken gerade kreisten.
Cale hatte es offenbar nicht lange in seinem Quartier ausgehalten. Der junge Drachenreiter saß, mit dem Rücken an einen Zaunpfeiler gelehnt, im Gras und schnitzt an einem Stück Holz herum. Ismira lehnte sich nachdenklich an den Rand des Fensters und beobachtete ihn. Sie versuchte zu ergründen, was sie für ihren Mitschüler fühlte. Anarie war sich ziemlich sicher, dass sie mehr für den Reiter ihres Bruders emfand als bloße Freundschaft. Zum ersten Mal dachte Ismira darüber nach, ob ihrer Drachendame vielleicht recht hatte. Es war nicht zu leugnen, dass sie Cales Nähe auf eine ganz besondere Art genoss. Es war einfach ein warmes, sanftes Gefühl das immer in ihr aufstieg wenn der junge Mann in ihrer Nähe war. Am besten liest sich das Gefühl genießen, wenn sie allein mit ihm war. Wenn andere dabei waren bemühte sie sich immer das Gefühl zu unterdrücken. Es war, als hätte sie Angst, dass man es ihr der Nasenspitze ansehen könnte. Aber was war es, was man ihr an sah?
Sehr zu Annas Leidwesen hatte sich Ismira bisher nie besonders für Männer interessiert. Die Magd sagte, sie hätte den Kopf ständig in den Wolken gehabt. Sie hatte bereits einige junge Männer in ihrem Alter getroffen und es immer eher als lästig empfunden wenn das Thema auf "Heirat" oder "Beziehung" hinausgelaufen war. Für diese Dinge hatte sie in ihrer Gedankenwelt eigentlich nie Platz gehabt. Sie hatte sich lieber mit der Jagd beschäftigt oder davon geträumt Drachenreiterin zu werden.
"Dein Mitschüler sieht gar nicht schlecht aus oder?"
Die sanfte Stimme ließ Ismira herum wirbeln. Nur Sekunden später wäre sie am liebsten im Boden versunken als sie in das sanft lächelnde Gesicht ihrer Mutter blickte. Diese trug ihr einfaches gelbes Seidenkleid und hatte sich offenbar unbemerkt genähert.
Katrina war dem Blick ihrer Tochter gefolgt und hatte sie gewissermaßen auf frischer Tat ertappt.
"Ich..... ich meine Du...... ich meine was....." stammelte Ismira verlegen was ihre Mutter zu einem wissenden Kichern veranlasste. Immer noch amüsiert nahm die Gräfin des Palancartals gegenüber ihrer Tochter auf der Kleidertruhe Platz.
"Nun?" fragte sie schlicht.
Ismira sagte zunächst nichts. Sie kaute nur verlegen auf ihrer Unterlippe herum. Ihre Gedanken rasten. Ihr erster Impuls war es sich eine glaubhafte Ausrede auszudenken, doch eine kleine gemeine Stimme begann sie zu necken. Eine Ausrede wofür er den? Wenn es nichts gab, dass sie für Cale empfand brauchte sie doch keine Ausrede oder? Sie empfand also etwas aber was?! Mit einem Mal fühlte sich Ismira unglaublich verletzlich. Ohne weiter darüber nachzudenken rutschte sie näher zu ihrer Mutter, schmiegte sich an ihre Oberkörper und registrierte dankbar, dass Katrina einen Arm um sie legte und mit dem anderen zärtlich durch ihren Haarschopf fuhr. Ismira schloss einfach die Augen und genoss die Wärme, den vertrauten Geruch und die Nähe zu ihrer Mutter.
Es war schon etwas eigenartiges mit den Umarmungen einer Mutter. Kein anderes Wesen konnte ein so umarmen. Bei keinem anderen fühlte man sich derart sicher und beschützt vor allem Schlechten in der Welt.
Mit jedem Atemzug beruhigten sich die Gedanken der jungen Frau nun. Schließlich fühlte sie sich dazu im Stande den Kopf zu heben und ihrer Mutter anzublicken. Diese lächelte sanft und wissend.
"Oh je, oh je. Das ist wohl eindeutig. Mein kleines Mädchen ist verliebt."
"Glaubst du das wirklich?" fragte Ismira und war fast wütend auf sich selbst wie jämmerlich sie dabei klang. Es war doch nicht so als hätte man ihr gerade gesagt, dass sie an einer tödlichen Krankheit leiden würde.
Katrina lachte lautlos und nickte.
"Die Anzeichen sind ziemlich eindeutig mein Engel."
"Und was mache ich jetzt?" Ismira war sich sehr wohl bewusst, dass die Frage lächerlich klang aber leider war sie in der Tat völlig überfordert mit dem was sie fühlte. "Ich meine was erwartest du denn jetzt von mir? Ich meine, Anna hat mir immer über die Regeln des Anstands gesprochen und danach......"
"Stopp!" Katrina legte den Zeigefinger der rechten Hand über Ismiras Lippen. "Von den Regeln des Anstands will ich jetzt mal nichts hören. Ich bin nämlich der festen Überzeugung, dass der, der diese Regeln geschaffen hat nicht die geringste Ahnung von der Liebe hatte. Ich weiß, dass diese Regeln sagen, dass ihr nun am besten gleich heiraten solltet und eine Familie gründen müsst."
Zur grenzenlosen Erleichterung ihrer Tochter schüttelte Katrina den Kopf und schien somit nicht auf diese Regel zu bestehen. "Weißt du wie lange dein Vater und ich uns heimlich getroffen haben bevor wir wirklich angefangen haben eine Ehe zu planen?"
Ismira schüttelte stumm den Kopf.
"Fast ein halbes Jahr. Roran ist mit in den Wald gegangen zum Holz sammeln oder hat darauf bestanden meine Einkäufe nachhause zu tragen. Erst hatte das Ganze nicht viel verbotenes. Wir haben es einfach Genossen zusammen zu sein. "
"Weil da immer so ein warmes Gefühl bei dir und auch bei ihm war?"
Katrina zwinkerte ihrer Tochter verschwörerisches zu und nickte. Dann erzählte sie weiter: "Es hat drei Monate gedauert bis wir uns das erste Mal getroffen haben einfach nur um beieinander zu sein. Meistens an dem kleinen Bach am Waldrand. Wir haben einfach zusammen gesessen und uns unterhalten. Bis zu unserem ersten Kuss hat es noch etwa einen Monat gedauert. Ich rate dir nun folgendes: Versuch herauszufinden ob er auch etwas für dich empfindet. Überstürzte nichts! Gib nichts, was Du nicht geben willst und sei ehrlich zu dir selbst. Außerdem, sei dir immer bewusst das du Cale so akzeptieren musst wie er ist. Es ist ein Irrglaube wenn man denkt, dass man einen Menschen zurecht biegen kann. Sicher kann man an sich arbeiten aber alles hat seine Grenzen. Frösche verwandeln sich nur im Märchen in Prinzen. Man kann manche Teile verbessern aber die Teile die uns ausmachen werden immer die gleichen bleiben. Ganz gleich was wir sind, wir haben immer Stärken und Schwächen und wenn du eine Partnerschaft mit ihm willst musst Du bereit sein seine Schwächen zu akzeptieren."
"Hast du gar keine Angst dass ich etwas dummes tue?" erkundigte sich Ismira überrascht über die Offenheit ihrer Mutter.
"Natürlich nicht. Du bist schließlich meine Tochter. Außerdem sind es meistens die Männer die Dummheiten machen und ich weiß, dass Du dich zu nichts überreden lässt was du nicht willst."
Nun mussten Mutter und Tochter herzlich lachen. Dankbar für die Ratschläge diese erhalten hatte legte Ismira ihren Kopf in Katrinas Schoß und genoss es, das ihre Mutter weiterhin über ihre Haare strich.
"Heute Abend geben wir übrigens ein kleines Festbankett anlässlich des Besuchs von euch Drachenreitern." erzählte Katrina scheinbar beiläufig. "Meinst du ich könnte dich überreden den hübsches grünes Kleid zu tragen?"
Nun war es ein Ismira wissend zu lächeln und den schelmischen Blick ihrer Mutter zu erwidern. Schließlich zwinkerte sie und nickte. Dann jedoch schmiegte sich wieder eng an Katrina und beschloss die Wärme und Nähe noch so lange wie möglich zu genießen.

Eragon Band 6 - Die Wege der ReiterWo Geschichten leben. Entdecke jetzt