106. Vater und Sohn

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Unruhig wälzte sich Tjurin auf der Holzpritsche in seiner Zelle hin und her. Vergeblich versuchte er etwas Ruhe zu finden. Er begriff nicht, warum man ihn nicht längst entlassen hatte. Nun hatte man doch alle Informationen von ihm die sein Handeln doch sicherlich verständlich machen würden! Nur ungern dachte er an die Prozedur zurück, die die Elfe an ihm durchgeführt hatte. Tjurin hatte es gelernt seinen Geist zu schützen. Doch nichts was einer der Magier in den Diensten seines Vaters heraufbeschworen hatte war jemals dem gleichgekommen mit dem die Elfe Arya in angegriffen hatte. Es war nicht nur eine schmerzhafte sondern auch eine demütigende Erfahrung gewesen. Noch nie in seinem Leben hatte er sich so eindeutig unterlegen gefühlt. Nicht einmal als er der Gnade der beiden Drachen ausgeliefert gewesen war. Weder beim ersten Mal in Gil' ead noch als ihn die diese rote Bestie ihn an den Boden nagelte war er so ausgeliefert gewesen. Sicher hatte er den beiden geflügelten Echsen an Kraft nichts entgegenzusetzen gehabt, doch zumindest war er moralisch zu jedem Zeitpunkt überlegen gewesen. So eindrucksvoll Drachen auch waren im Grunde waren sie doch primitiv. Lebten in Höhlen, fraßen rohes Fleisch dass sie sich selbst jagten!
Doch auf diese Überlegenheit konnte er sich in Bezug auf die Elfe Arya nicht berufen. Sie hatte seine Verteidigung einfach beiseite gewischt und jeder Versuch von Tjurin sich ihrem Zugriff zu entziehen war von dem Elfenweib bestenfalls mit derselben Aufmerksamkeit bedacht worden die man einer lästigen Fliege schenkte die um den eigenen Kopf herum surrte. Lästig, etwas ärgerlich aber auf keinen Fall gefährlich.
Die Erkenntnis, dass er einem Wesen so derartig unterlegen sein konnte machte Tjurin förmlich rasend. Das widersprach einfach seinem Weltbild! Er wusste, dass er mit dieser Gewissheit niemals Frieden schließen würde! Sein persönliches Universum würde erst wieder im Gleichgewicht sein wenn diese Störung endgültig beseitigt war.
Als diese vom kalten Hass getriebene Erkenntnis in ihm heranreifte hatte Tjurin plötzlich das Gefühl in seiner Zelle nicht mehr allein zu sein. Ein leises Geräusch war zu hören. Zunächst hielt es der Sohn des Herzogs für das rascheln der widerlichen Nagetiere mit denen er sich seine elende Zelle teilen musste aber von dieser Einschätzung kam er ab. Was er hörte war kein rascheln. Es erinnerte mehr an das Knistern und knacken eines offenen Feuers. Plötzlich drang Licht durch Tjurins geschlossener Augenlider.
Der junge Adelige schlug die Augen auf und erkannte, dass ein grünliches Licht seiner Zelle erfüllte. Die solide Steinwand auf die er blickte wurde aus einer unbekannten Quelle in dieses geisterhafte Licht getaucht. Ruckartig setzte Tjurin sich auf und drehte sich um.
Was er sah jagte ihm einen Schreck bis in die hintersten Winkel seiner Seele und ließ ihn sich unwillkürlich an die Wand pressen, die er eben noch betrachtet hatte. Dutzende von Geistern, mehr als er je gesehen hatte, schwebten in seiner Zelle. Sie gaben das merkwürdige knacken von sich! Die Energiekugeln hatten die Größe von Wassermelonen und alle leuchteten sie in einem giftigen Grün. Energieentladungen zuckten wie Blitze zwischen den einzelnen Wesenseinheiten hin und her. Fast wirkte es als ob die Geister miteinander sprachen. Ein Gefühl brandete gegen Tjurins Bewusstsein. Es ging von den Geistern aus. Es war Neugierde! Fiebriges Interesse und Neugierde.
Noch immer gebannt von dem Anblick nahm Tjurins Gehirn langsam seine Funktion wieder auf. Was machten die Geister hier? Warum waren sie hier? Er hatte sie nicht gerufen. Irgendwelche Hexereien hielten ihn davon ab.
Noch bevor er eine Antwort auf diese Frage finden konnte erklang ein anderes Geräusch in dem Kellergewölbe. Ein Schlüssel wurde in das Schloss von Tjurins Zellentür gesteckt und herum gedreht. Praktisch im gleichen Augenblick in dem das kratzende Geräusch zu hören war, beendeten die Geister ihren stummen Dialog und stoben lautlos auseinander. Sie verschmolzen mit den Wänden oder löst sich einfach spurlos auf.
Erst jetzt erkannte der junge Adelige, dass er vor Schreck die Luft angehalten hatte und füllte seine brennenden Lungen mit frischem Atem. Auf das was geschehen war konnte er sich keinen Reim machen doch vielleicht konnte ihm das eben geschehene noch nützlich sein. Es war daher wichtig sich zu beruhigen. Wer immer da vor seiner Zelle stand und Einlass begehrte durfte nicht merken, dass irgendetwas außergewöhnliches vorgefallen war.
Schnell brachte Tjurin daher seine Atmung unter Kontrolle und richtete seinen Blick auf die Kerkertür die nun aufgestoßen wurde.
"Sag einfach bescheid wenn ihr wieder raus wollt gnädige Herr." ließ sich einer der Kerkerwächter vernehmen. Eine Antwort war nicht zu hören. Die Tür wurde aufgestoßen und eine Gestalt erschien im Türrahmen. Zunächst konnte Tjurin wegen des Gegenlichts der Fackeln nicht erkennen um wen es sich handelte. Der Neuankömmling trug einen dunklen, fein gearbeiteten Reiseumhang dessen Kapuze sein Gesicht verbarg. Erst als der Unbekannte eintrat wurde Tjurin klar um wen es sich handelte. Der Besucher stützte sich auf einen edel gearbeiteten Gehstock der dem jungen Herzog nur zu gut bekannt war.
"Vater, endlich!" sagte Tjurin unleidlich. Sicher, Gil' ead lag einige Tagesreisen entfernt und sein Vater war nicht mehr der Jüngste. Trotzdem erschien es dem jungen Adligen, als hätte es unverantwortlich lange gedauert bis Herzog Aurast eingetroffen war. Bittere Erheiterung stieg in Tjurin auf als ihm klar wurde, dass es ja noch nie von hoher Priorität für seinen Vater gewesen war mit ihm Zeit zu verbringen. Vermutlich hatte sich der Statthalter um irgendwelche Angelegenheiten des Pöbels kümmern müssen. Das war ein Grund warum Tjurin das gemeine Volk verabscheute. Ihre ständigen Bedürfnisse und Klagen hielten den Adel nur davon ab, die Segnungen zu genießen die Menschen von hohem Rang verdienten.
Inzwischen hatte Herzog Aurast die Kerkerzelle betreten, die hinter ihm wieder verschlossen wurde, und ließ sich auf einem Stuhl gegenüber Tjurin nieder. Ein Stuhl, ein Tisch und die Holzpritsche auf der Tjurin saß waren die einzigen Möbelstücke in dieser unwürdigen Unterkunft.
"Warum verschließt dieser Holzkopf da draußen wieder die Tür? Ich dachte, jetzt wo du hier bist, hätte diese Phars ein Ende."
Tjurin erhielt keine Antwort auf seine Frage. Stattdessen sah ihn sein Vater einfach nur an. Es war ein Blick, der tiefes Unbehagen bei den Jüngeren der beiden Männer auslöste. Tjurin konnte sich nicht erinnern, dass sein Vater ihn je so angesehen hätte. So vieles lag in den Blick: Enttäuschung, Unglauben, Kummer und Schmerz. Es waren aber nicht nur die Augen seines Vaters. Die gesamte Ausstrahlung des Herzogs von Gil' ead hatte sich verändert. Tjurin hatte den Eindruck als wäre etwas in seinem Vater zerbrochen.
"Sohn, bezeichnest du die Vorwürfe gegen dich im Raum stehen tatsächlich als Phars?"
Die leise Stimme seines Vaters untermalte für Tjurin noch das beunruhigende Gesamtbild.
"Vorwürfe, was für Vorwürfe? Hat diese Elfe etwa falsches Zeugnis gegen mich abgelegt? Ich habe doch nichts falsches getan!"
"Die Drachenreiterin Arya hat folgendes über dich gesagt." Herzog Aurast sprach langsam und betonte jedes Wort. "Sie hat gesagt, dass du ein unschuldiges Pferd vergiftet hast weil es gewagt hat dich abzuwerfen. Desweiteren, dass du einen alten Mann ermordet hast um in den Besitz von Aufzeichnungen des Schattens Durza zu kommen. Dies hast du getan um Geld zu sparen welches du aus der Stadtkasse von Gil' ead gestohlen hast. Dein Opfer hast Du wie Müll in einen Kanal entsorgt und ein Bündnis mit der Magierin Trianna geschlossen. Sie sollte dich in der Geisterbeschwörung unterweisen. Mit den Fähigkeiten die du dir durch dieses illegale Bündnis erworben hast bist du erneut zum Mörder geworden. Über 20 Menschen haben in Bullridge ihr Leben verloren weil Du dich dafür rächen wolltest, dass sie die eine Lektion erteilt haben, als du ihm Suff die Königin beschimpft hast."
"Vater das....."
Herzog Aurast ließ sich nicht unterbrechen. Er hob leicht die Stimme an um den Widerspruch seines Sohnes zu ersticken.
"Und während des Feldzugs gegen die Ra zac hast du feige einen Kameraden im Stich gelassen den du vorher zum Verrat angestiftet hast um Einblicke in die Dokumente zu bekommen die er als Meldereiter transportieren sollte und letzten Endes hast Du auch noch eine Kreatur geschaffen die nun eine Gefahr für das ganze Reich darstellt."
"Das mit dem Ra zac war ein Unfall! Ich wusste nicht, dass so etwas passieren würde! Hatte ich etwa nicht das Recht nicht zu verteidigen?!"
Der alte Herzog schwieg einen Moment und nickte dann kaum merklich mit den Kopf.
"Gut, das erkenne ich an. Doch sagt mir mein Sohn: War es auch ein Unfall, dass du ein junges Mädchen mit falschen Versprechungen verführt hast und als wäre das nicht schon Schande genug, hast Du auch noch versucht sie zu ermorden und damit auch ihr ungeborenes Kind. Mein Enkelkind! Sag mir Tjurin war das auch ein Unfall?!"
Einmal mehr überraschte Tjurin der Tonfall seines Vaters. Er hätte erwartet, dass der Herzog wütend sein würde. Ein lautes Geschrei hätte Tjurin nicht überrascht. Zugegeben, er hatte sich falsch verhalten in dem er sich mit einer Frau eingelassen hatte die gesellschaftlich unter ihm stand. Zorn von seiten seines Vaters darüber hätte er verstehen können aber wieso bezeichnete Aurast dieses Ding was Lorena da erwartete als ein Enkelkind? Dieses Kind durfte nicht sein. So einfach war das!
"Verdammt, Tjurin antworte mir!"
Offenbar war Herzog Aurast die entstandene Pause zu lang geworden. Tjurin erkannte, dass so etwas wie verzweifelte Hoffnung in der Stimme seines Vaters mitschwang.
"Ich sehe ein, dass ich mich da falsch verhalten habe Vater. Ich hätte mich nie mit Lorena einlassen sollen."
"Allerdings! Du hättest deine Absichten sofort klar darlegen müssen!"
Positiv überrascht stellte Tjurin fest, dass sein Vater etwas von seiner alten Kraft zurückzugewinnen schien. Offenbar herrschte zumindest was die Angelegenheit mit Lorena betraf zwischen ihnen Einverständnis.
"Du hast recht. Oder besser noch, ich hätte erst gar nicht etwas mit einer Frau anfangen sollen die einfach nicht auf derselben Stufe steht wie ich. Aber ich hatte einfach den Eindruck, dass mit ihr nicht zu reden ist. Wäre sie vernünftig gewesen, hätten wir für Sie irgendwelche Kräuter besorgen können die ihre Schwangerschaft beendet hätten aber sie wollte mit ihren Eltern reden. Das hätte uns doch nur in Verruf gebracht. Ich konnte doch vor diesem Hintergrund gar nicht anders handeln."
Tjurin war in der Zelle auf und ab gegangen während er sprach und nun blickte er wieder seinen Vater an. Was er sah verwirrte ihn. Die aufkeimende Hoffnung war völlig aus Herzog Aurasts Blick gewichen.
"Für einen kurzen Moment habe ich wirklich geglaubt, nicht völlig bei dir versagt zu haben. Du hast mir grade aber eindrucksvoll das Gegenteil bewiesen. Du bedauerst nicht was du getan hast, sondern du bedauerst nur dass du dabei erwischt worden bist! Begreifst du nicht: Du hast Menschen umgebracht! Du hast versucht die Mutter deines Kindes zu töten während sie es unter dem Herzen trägt! Und du glaubst tatsächlich, dass das alles gerechtfertigt war! Habe ich die denn gar nichts beigebracht über Moral und Anstand?"
Tjurin spürte wie eine tiefe Wut aus ihm herausbrach als sein Vater davon sprach, ihm etwas beigebracht zu haben.
"Wann hättest du mir denn je etwas beigebracht?! Dieser Abschaum draußen auf der Straße hat dich doch ständig mit seinem Gejammer in Atem gehalten! Mich hast du doch nur bemerkt wenn ich die im Weg war! Aber du kannst es wieder gutmachen! Jetzt brauche ich dich! Du kannst mich doch hier nicht im Stich lassen!"
"Und wie soll ich die deiner Meinung nach helfen?" erkundigte sich Tjurins Vater kraftlos. "Soll einen Meuchelmord anheuern um die Königin umzubringen und die Krone an mich reißen? Soll ich vielleicht einen Bürgerkrieg anfangen? Du hast gegen die Gesetze des Königreichs verstoßen und du bestreitest es nicht mal! Was soll ich deiner Meinung nach tun?"
Tjurin wischte sich mit der Hand den Schweiß von der Oberlippe. Zum ersten Mal begriff er, dass er offenbar wirklich in Schwierigkeiten war. Es stimmte, Gesetze hatte er gebrochen.
"Es ist doch möglich, jemanden von Adel seine Schuld gegenüber der Gesellschaft durch finanzielle Mittel abzutragen oder?"
Zu Tjurins Entsetzen schüttelte der Herzog den Kopf.
"Das war nur unter Galbatorix möglich. Weil der Hochadel dieses Wahnsinnigen ständig zu Exzessen neigte hat der Tyrann diese Möglichkeit genutzt um seine Staatskasse aufzufüllen. Irgendwie musste er seine völlig überzüchtete Armee finanzieren. Die Königin hat dafür gesorgt, dass sich niemand im Reich mehr Gerechtigkeit kaufen kann."
"Und du befürwortest das?" Tjurin konnte es nicht glauben. "Selbst in dieser Situation."
"Es war ein ungerechtes Gesetz Tjurin. Nur wohlhabende Familien und der Adel konnten sich von ihrer Schuld freikaufen und das hat dazu geführt, dass sie praktisch einen Freibrief für Grausamkeit hatten. Sie konnten sich alles erlauben solange sie nur genug Geld hatten. Wo liegt da deiner Meinung nach die Gerechtigkeit?"
"Es ist gerecht für den Adel und damit für alle die wichtig sind. Der Rest steht auf einer Stufe mit den Tieren. Du kennst doch die Königin gut. Wenn du Sie darum bittest wird sie sicher eine gewisse Summe festlegen mit der sich die Sache bereinigen lässt. Der Pöbel muss davon ja nichts wissen. Es kann ja inoffiziell geschehen."
Eine Weile beobachtete Tjurin seinen Vater wie dieser einfach nur ins Leere starrte. Dann erhob sich der Herzog, ging mit langsamen, wankenden Schritten zur Tür und signalisierte durch ein klopfen das er heraus gelassen werden wollte. Die Tür öffnete sich und während er im Rahmen stand sah sich Aurast noch einmal zu seinem Sohn um.
"Ich habe in meinem Leben viele Schlachten geschlagen. Ich war an bedeutenden Siegen beteiligt und habe einiges erreicht auf das sich stolz sein kann. Zu meiner ewigen Schande aber habe ich den Kampf verloren, bei dem entschieden wird ob ich etwas ehrenvolles in dieser Welt zurücklasse wenn ich in das große Unbekannte übertrete."

Eragon Band 6 - Die Wege der ReiterWo Geschichten leben. Entdecke jetzt