74. Nachwirkungen

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Noch immer hing der Gestank von Blut und Tod über der Holzfällersiedlung. Fassungslos und unsicher starrten die Krieger den besessenen Ra zac an, unsicher was nun zu tun sei. Nur der scheußliche Kopf des finsteren Wesens ragte aus dem Kokon aus Glas den der Drachenreiter Ishaha geschaffen hatte. In blinder Wut warf die Kreatur ihr Haupt hin und her und schnappte mit dem tödlichen Schnabel ins Leere. Noch immer schien der Ra zac allerdings mehr mit sich selbst als gegen sein gläsernes Gefängnis zu kämpfen.
Nach dem mächtigen Zauber den er gewirkt hatte, war der Reiter des goldenen Drachens auf die Knie gesunken. Offenbar hatte die Magie in sehr geschwächt. Er hielt nun den Edelsteinen im Knauf seines goldenen Schwertes umklammert und schien mit jedem Atemzug neue Kraft zu schöpfen.
Tjurin hielt sich bewusst im Hintergrund. Niemand wusste, dass er für die Veränderungen des Ra'zac verantwortlich war. So musste es unbedingt bleiben und daher bemühte er sich nicht weiter aufzufallen.
Schließlich war es der Zwerg Burkott, der das Wort ergriff.
"Barzûl! Als wären diese Viecher nicht ohne Geister schon schlimm genug. Bringen wir die Sache zu Ende!"
Entschlossen hob der Zwerg seine Kampfaxt und bereitete sich vor dem Ra zac den Gar aus zu machen.
"Nein!"
Energisch hielt der Drachenreiter Ishaha den Zwerg zurück. Zwar wirkte der dunkelhäutige junge Mann immer noch erschöpft doch er konnte sich wieder ohne Probleme auf den Beinen halten.
"Wieso nicht?!" knurrte der Zwerg.
"Wenn du wirklich einen Geist mit diesem Ra zac verschmolzen ist, dann ist er jetzt so etwas wie ein Schatten!"
Betretenes Schweigen folgte den Worten des Drachenreiters. Die Soldaten warfen sich unsichere Blicke zu. Einigen war deutlich am Gesicht abzulesen, dass sich soeben ihre schlimmsten Befürchtungen bestätigt hatten.
"Ich wusste gar nicht, dass eine solche Verwandlung überhaupt möglich ist." murmelte General Miros und betrachtete das finstere Wesen mit wachsendem Unbehagen.
"Wenn es sich wirklich so zugetragen hat wie dieser Soldat dort berichtet hat," der Drachenreiter wies auf Tjurin. "Dann ist es durchaus möglich, dass diese Verwandlung ein Unfall ist. Der Priester muss den Geist beschworen haben um den jungen Soldaten anzugreifen. Offenbar hatte aber bei der Beschwörung einen Fehler gemacht und der Geist kam mit dem Ra zac in Kontakt. Seit ihrem Pakt mit Shruikan haben die Ra zac die Fähigkeit verschiedener Formen von Energie in sich zu speichern. Geister sind reine Energie! Ich denke das ist der Grund wieso es überhaupt zu dieser Verschmelzung gekommen ist. Der Geist und die "Seele" des Ra zac scheinen sich noch gegenseitig zu bekämpfen. Deshalb war es auch so relativ einfach die Kreatur zu überwältigen. Es kann seine Fähigkeiten noch nicht kontrollieren und nicht bewusst einsetzen.
"Das ist doch nur ein weiterer Grund dieses Ungeheuer sofort zu vernichten. Bevor es Kontrolle erlangt sollten wir es töten."
Burkott beharrte auf seinem Standpunkt.
"Da habt Ihr recht Herr Zwerg. Ich befürchte nur, dass die Sache nicht so einfach ist wie ihr euch das vorstellt. Einen Schatten tötet man nur durch einen Schwertstich durchs Herz aber wir wissen nicht wo dieses Organ bei einem Ra zac zu finden ist! Auch scheint mir die Verschmelzung zwischen dem Geist und dem Ra zac noch nicht vollständig abgeschlossen zu sein. Er reagiert ja gar nicht auf uns! Er hat keinen von uns angegriffen sondern scheint vielmehr im Konflikt mit sich selbst zu liegen. Ist er also schon ein vollständiger Schatten oder nicht? Welche Kräfte werden entfesselt wenn wir versuchen ihn zu töten? Außerdem besteht noch ein Risiko, welches wir auf keinen Fall eingehen dürfen. Wenn man einen Schatten schwer verwundet aber sein Herz verfehlt, dann löst er sich auf und erscheint an einer anderen Stelle erneut. Hier haben wir dieses Wesen nun unter Kontrolle und es kann niemandem schaden aber was wenn es sich auflöst und vielleicht auf einem belebten Marktplatz wieder erscheint? Egal ob es dann seine Macht kontrollieren kann oder nicht es wird ein Blutbad geben!"
Burkott ließ seine Axt sinken und strich sich nachdenklich über den Bart.
"Barzûl! Da habt Ihr recht Silberhand! Aber was sollen wir tun. Wir können dieses Biest nicht einfach so hier zurücklassen!"
"Wir können es aber auch nicht nach Ilirea bringen." legte General Miros entschlossen fest. "Unsere Königin ist eine gnädige Monarchin aber ich denke nicht, dass sie mir nachsehen würde wenn ich ein solches Monster in ihrer Hauptstadt bringe."
"Ihr habt recht General. Das ist zu gefährlich."
Für einen Augenblick wurde der Blick des Drachenreiters leer. Tjurin vermutete, dass er sich mit seinem Drachen beriet. Schließlich hellten sich die Gesichtszüge des dunkelhäutigen Mannes auf.
"Ich hätte einen Vorschlag, General." hob Ishaha an. "Damals, als die ersten neuen Schüler des Ordens erwählt wurden gab es einen Konflikt mit dem damaligen sudranischen König Orrin. Die jungen Reiter Tar und Marek sowie ihre Eskorte aus dem Volk der Elfen mussten sich in einen verlassenen Militärstützpunkt zurückziehen. Dieser Stützpunkt müsste doch hier ganz in der Nähe sein! Südlich von Ilirea am Rande der Wüste Hadarac."
Der alte General nickte verstehend.
"Da habt Ihr recht Argetlam. Dieser Stützpunkt ist wirklich in der Nähe. Wenn wir straff marschieren können wir ihn in einem oder höchstens zwei Tagen erreichen."
"Dann schlage ich vor, dass wir diese Kreatur dorthin bringen! Wir können den Ra zac dort einkerkern und eure Männer können in den verlassenen Stützpunkt Quartier beziehen und das Wesen bewachen. Sobald ich sicher bin, dass die Kreatur gut verwahrt ist werde ich mich mit Meister Eragon sowie den Drachenreitern Marek und Narie in Verbindung setzen. Eragon befindet sich in der Ostmark und hat dort Zugriff auf alle Informationsquellen der Drachenreiter. Narie und Marek befinden sich noch beim Volk der Elfen. Sie sind bemüht in Eragons Auftrag Informationen über die Geister zusammenzutragen. Sicher können auch Sie dort auf die Suche nach nützlichen Informationen gehen die uns helfen zu ergründen wie wir dieses Wesen vernichten können ohne das dadurch eine Gefahr für die Bevölkerung von Alagaesia entsteht."
"Ein guter Gedanke Drachenreiter!" lobte der Zwerg Burkott und schlug sich zur Bestätigung mit der Faust auf die Brust.
General Miros dachte einen Augenblick nach, dann nickte auch er.
"Das scheint mir wirklich die beste Möglichkeit zu sein. Also gut! Männer, brecht das Lager ab und seht zu ob ihr irgendwo einen Karren auftreiben könnt. Wir werden einige unserer Pferde anspannen und den Ra zac in seinem gläsernen Gefängnis auf einen Wagen verfrachten. Das dürfte den Transport einfacher machen."
Zustimmendes murmeln ging durch die Reihen der Soldaten und einige machten sich daran die Zelte abzubrechen. Keiner schien an diesem blutgetränkten Ort bleiben zu wollen. Tjurin trat näher zum General. Er wollte sich freiwillig melden die Toten zu bestatten. Zwar dürstete ihn nicht nach Arbeit, besonders nicht nach dieser Arbeit, aber er wollte um jeden Preis verhindern, dass irgendjemand die Leiche des Priesters des Helgrinds genauer untersuchte den er getötet hatte. Jedem, der die Verletzung des Mannes sah würde sofort klar werden, dass er durch Magie gestorben war. Ein Umstand der ganz klar im Widerspruch zu Tjurins Geschichte stand.
Bevor der junge Adelige sich jedoch melden konnte ergriff einer der elfischen Soldaten das Wort:
"Verzeiht Miros-Elda. Einige der Jünger des Helgrinds haben überlebt. Wie sollen wir mit ihnen verfahren?"
"Was meint ihr Drachenreiter?" erkundigte sich der General.
"Ich denke in Alagaesia ist lange genug nur das Recht des Stärkeren praktiziert worden. Königin Nasuada war stets eine Herrscherin von Recht und Gesetz. Ich denke wir sollten die Männer als Gefangene mitnehmen und ihnen sollte der Prozess gemacht werden. Außerdem könnte es sich als nützlich erweisen sie zu befragen. So abstoßend ihr Glaube auch sein mag, niemand weiß mehr über diese dunklen Kreaturen als sie. Sie könnten nützliche Informationen besitzen."
Der General nickte und wies den Elfen an entsprechend den Vorschlägen des Drachenreiters zu verfahren.
Tjurin beschloss keine weitere Verzögerung zu riskieren und trat auf den General zu.
"Verzeiht Herr, ich würde mich gerne freiwillig melden um die Gefallenen zu bestatten."
Burkott lachte freudlos auf.
"Seit wann meldest du Faulpelz dich denn irgend etwas freiwillig!"
"Einer der Gefallenen ist mein Freund Maron! "antwortete Tjurin und bemühte sich seiner Stimme den Klang einer Mischung aus Wut und Trauer zu geben. "Er hat während des Kampfes mein Leben gerettet! Ich musste leider hilflos zu sehen wie er getötet wurde. Helfen konnte ich ihn nicht aber wenigstens kann ich ihm so Respekt erweisen."
Die Reaktion die seine Worte hervorriefen befriedigte Tjurin voll und ganz. Der General entsprach seiner Bitte und klopfte ihm anerkennend auf die Schulter und selbst der Zwerg Burkott warf ihm einen Blick zu, der Anerkennung zum Ausdruck brachte.

Die widerliche Tätigkeit die Tjurin gezwungen war in den nächsten Stunden auszuführen war dem jungen Adligen auf den Magen geschlagen. Zum Glück hielten sich die Verluste der Nachtfalken in Grenzen. In Anbetracht des Chaos welches im Lager geherrscht hatte war das überraschend. Die meisten Mitglieder des Bataillons hatten den Angriff lebend überstanden und ihre Verletzungen waren bereits von den Magierin die die Soldaten begleiteten behandelt worden. Tjurin fiel die lediglich die Aufgabe zu Gräber für sieben Leichen auszuheben. Drei waren für Soldaten des Bataillons zwei weitere für die dunklen Priester die sich dem Angriff angeschlossen hatten und zwei Ra zac waren ebenfalls im Kampf gefallen.
Besonders abstoßend war es die stinkenden Kadaver der finsteren Wesen unter die Erde zu bringen. Tjurin kam nicht umhin sich zu fragen was das eigentlich für Kreaturen waren. Sie hatten Körperpanzer wie Insekten, Schnäbel wie Vögel und einen Körper der trotzdem in seinem Aufbau der menschlichen glich.
Der Sohn des Herzogs machte sich nicht die Mühe für jeden Rat zac ein eigenes Grab auszuheben. Er schaufelte einfach ein großes Loch und rollte die Leichen der dunklen Kreaturen hinein. Auch die Jünger des Helgrinds fanden dort ihre letzte Ruhe. Sie würden es vermutlich sogar noch als Ehre betrachten mit ihren Göttern bestattet zu werden.
Nur zu gern hätte er auch für seine Kameraden eine gemeinsame Grabstätte ausgehoben aber das wäre beim Bataillon sicher auf Missfallen gestoßen. Daher hob er für jeden der drei Soldaten ein eigenes Grab aus.
Als letztes stieß er Marons Leiche mit dem Fuß in die etwa 1 m tiefe Grube. Nachdenklich blickt Tjurin hinab auf die Leiche des jungen Soldaten. Er versuchte zu entscheiden was er im Augenblick fühlte.
Marons Körper lag mit dem Gesicht im Dreck. Der Rumpf des jungen Mannes lag halb auf der Seite und die Gliedmaßen waren merkwürdig verdreht.
Einen Augenblick dachte Tjurin darüber nach dem Körper seines Kameraden in eine etwas würdevollere Position zu rücken. Er kam wieder davon ab und begann stattdessen die Erde in das Loch zurück zu schaufeln. Maron war tot und wie er nun da lag war schließlich egal. Sicher er hatte Tjurins Leben gerettet aber diese Art von Loyalität konnte ein Adliger ja wohl von seinen Untergebenen erwarten. Ein kurzer, bitterer Geschmack von schlechtem Gewissen keimte in Tjurin auf als er in Gedanken noch einmal Marons Flehen um Hilfe hörte. Entschlossen kämpfte der Sohn des Herzogs diesen Impuls jedoch nieder. Er hatte sich selbst beschützen müssen und sich somit nichts vorzuwerfen. Hätte er seine Sicherheit und sein Leben riskieren sollen für irgend einen Jungen von der Straße? Für ein Mitglied der Königsfamilie oder jemanden der gesellschaftlich über ihm selbst stand.... ja, dann wäre Tjurin verpflichtet gewesen zu handeln aber so?
Der junge Adelige beschloss seine Schuldgefühle gemeinsam mit Marons Leiche zu begraben und sich lieber Gedanken darüber zu machen was er Trianna erzählen würde. Sicher war seine Lehrerin klug genug eine Verbindung zwischen dem Auftauchen eines von Geistern besessenen Ra zac und seine Anwesenheit am Ort des Geschehens herzustellen. Er würde eine gute Ausrede brauchen. Glücklicherweise hatte er noch ein paar Tage Zeit sich eine solche zurecht zu legen.
Tjurin warf die letzte Schaufel Erde auf Marons Grab und blickte dann über die Reihe der von ihm angelegten Gräber. Ein Gedanke schoss durch seinen Kopf und er konnte ein leises Lachen nicht unterdrücken.
"Auf diese Gräber könnt ihr euch alle etwas einbilden." flüsterte er den Grabhügeln zu. "Nicht jeder kann von sich behaupten vom Sohn eines Herzogs bestattet worden zu sein."
Dieser kleine Scherz heiterte Tjurin auf und verscheuchte die letzten trüben Gedanken. Darauf bedacht nicht zu entspannt und gelöst zu wirken kehrte er zum Bataillons zurück. Die Soldaten der Nachtfalken bereiteten sich bereits auf den Abmarsch vor.



Eragon Band 6 - Die Wege der ReiterWo Geschichten leben. Entdecke jetzt