125. Die Hüter

1.2K 54 1
                                    

Eragon hatte zugestimmt Altovan und den übrigen Mitgliedern seiner Gruppe die noch offenen Fragen zu beantworten. Der Elf hatte erklärt, dass er das älteste Mitglied der Gruppe der Hüter war und damit ihr Sprecher. Noch einmal hatte er sich entschuldigt, die Reiter nicht angemessen begrüßt zu haben.
Mehr und mehr gewann Eragon den Eindruck, dass die ablehnende Art des alten Elfen eine Artflucht nach vorne dargestellt hatte. Aus eigener Erfahrung wusste Eragon wie schwer es war seiner Heimat aufzugeben und ist in dem Bewusstsein zu tun wie zurückkehren zu können. Altovan entschiedene Ablehnung jedes Kontaktes mit der Außenwelt erschien nun mehr wie das Verhalten eines Verwundeten der selbst vor einem Heiler seine Verletzung abschirmte um sich selbst vor weiteren Schmerzen zu schützen.
Sehr zu Saphiras Missvergnügen hatten sie nach einem kurzen Fußmarsch durch die Stadt der Reiter eine Lichtung erreicht. Auf ein magisches Wort von Altovan hin öffnete sich ein Zugang in den saftigen Grün der Wiese und es wurden Stufen sichtbar die in die Tiefe führten. Die Treppe war eindeutig zu eng für die geflügelten Begleiter der vier Reiter. Selbst die Enkel der blauen Drachendame konnten höchstens ihre gehörnten Häupter durch die Öffnung schieben.
Eragon hatte seine Treuebegleiterin schließlich damit beruhigt, dass sie sich schließlich in Begleitung von Aryas Bruder befanden. Die Möglichkeit, dass man sie in eine Falle führte erschien dem Anführer der Drachenreiter gering und schließlich musste auch Saphira dieser Einschätzung zustimmen.
"Deine Drachendame scheint über einen ausgeprägten Beschützerinstinkt zu verfügen." schmunzelte Aylon während sie über die eng gewundene Wendeltreppe in die Tiefe stiegen.
Eragon freute sich, dass Aryas verschollene Verwandter bereits ein so vertrauten Umgang mit ihm pflegte.
Aylons Einschätzung konnte er nur bestätigen.
- "Ich muss ja schließlich auch Beschützerinstinkte für uns beide haben." - knurrte Saphira in die Gedanken ihres Reiters. - "Was hältst du eigentlich vom Bruder deiner Gefährtin Kleiner?" -
- "Ich denke, dass er eine angenehme Ergänzung unserer Familie ist." - Gab Eragon nach kurzem überlegen zurück. - "Ich denke aber auch, dass man bei ihm merkt wie tief die Wunden sind, die Galbatorix auch dem Volk der Elfen geschlagen hat." -
- "Wie meinst du das?" -
- "Vergleich ihn einmal mit Arya. Aylon ist zu einer Zeit geboren worden als die Drachenreiter noch über den Frieden wachten. Er muss bedeutend älter sein als Arya. Bedenke er war als Magier erfahren genug um für die Rolle des Hüters in Betracht gezogen zu werden. Selbst wenn man ihm eine außergewöhnliche Begabung zuschreibt kann keine Ausbildung Erfahrung ersetzen. Trotz dieser Tatsache muss ich mir in Erinnerung rufen, dass Arya die jüngere der beiden ist. Durch ihre hohe Disziplin und ihr in sich gekehrtes Verhalten wirkt sie wie die ältere." -
- "Vielleicht schaffst du es doch ohne Verletzung wieder aus dem Loch herauszukommen Kleiner." - summte Saphira nicht ohne stolz in der Stimme. - "Du scheinst ja wirklich in den letzten Jahren etwas an Vernunft hinzugewonnen zu haben."-
Eragon gestattete sich ein kurzes Lächeln und wandte seine Aufmerksamkeit dann wieder Aylon zu.
"Ich finde es beeindruckend wie ihr diesen Ort verborgen gehalten habt. Als sie hier eintrafen habe ich nach Tarnzaubern und ähnlichem gesucht aber nichts dergleichen gefunden."
Aylon lächelte schief bevor er antwortete:
"wir hatten über 100 Jahre Zeit die Tarnung dieses Ortes immer weiter zu verfeinern. Auch wenn Altovan und ich in manchen Punkten unterschiedlicher Meinung sind so war es auch mir ein Anliegen, dass das, was wir hier bewachen nicht in die falschen Hände fällt. Besonders nicht in die Hände desjenigen den ihr Galbatorix nennt. Es hätte seine ohnehin große Kraft noch mit rechtlich gesteigerter wenn er sich Geister hätte dienbar machen können."
"Hätte er dafür nicht einen Geist in sich aufnehmen und zum Schatten werden müssen?" erkundigte sich Arya.
Es war Altovan, der die Frage beantwortete:
"Nicht unbedingt Argetlam Arya. Unsere unselige Schöpfung, die Dauthdaert, befähigen jeden, der die entsprechenden Zauber zu wirken versteht eine nahezu unbegrenzte Anzahl an Geistern zu kontrollieren. Ihr sprecht hiermit ein Thema an, was auch Teil der Fragen ist, die wir noch an euch haben."
Inzwischen hatte die Gruppe die Wendeltreppe verlassen und schritt durch einen langen Korridor. Es überraschte Eragon, dass er nach kurzem Fußmarsch Tageslicht am Ende des Tunnels erblickte und der salzige Geruch des Meeres seine feine Nase reizte.
Als sie schließlich durch einen in den Fels eingearbeiteten Torbogen traten erkannte Eragon sofort wo sie sich befanden.
Ein Teil von Vroengards Küste bestand aus steilen Felsklippen. Die kleine Siedlung wie sich die Hüter eingerichtet hatten war direkt in den Fels eingearbeitet und gruppierte sich um ein kleines Plateau. Gegenüber dem Durchgang den Eragon gerade mit seinen Begleitern durchquerte öffnete sich die Höhle zum Meer hin. Der Anführer der Reiter vermutete, dass Zauber die Felsensiedlung vor neugierigen Augen schützten. Auf dem zentralen Platz erwarteten sie bereits die übrigen Hüter. Sie trugen zwar alle noch ihre Kuttengewänder aber verzichteten auf die Masken. Ein Umstand den Eragon nur begrüßen konnte. Es erleichtert die Unterhaltung erheblich seinem gegenüber ins Gesicht sehen zu können.
Altovan stellte seine übrigen Begleiter vor und richtete dann das Wort Eragon und Arya:
"Nun Drachenreiter, wir haben euer Schreiben studiert. Seit ihr euch völlig sicher, dass es sich bei dem Dauthdaert, den ihr entdeckt hat und der sich nun im Besitz eines Schattens befindet um Nieren handelt?"
"Das steht völlig außer Frage." bestätigte Arya. "Ich war dabei, als wir diese Waffe während des großen Krieges entdeckten. Ich habe sie gemeinsam mit einem talentierten Magier unseres Volkes untersucht. Bloedgram und ich sind zu dem selben Ergebnis gekommen. Es ist die Lanze Nieren."
Eine weibliche Elfe die Altovan als Lnarva vorgestellt hatte schüttelte entgeisterd den Kopf: "Ausgerechnet diese Waffe musste ihren Weg in die falschen Hände finden. Ihr wisst, dass sie für Hass steht oder? Ihr Einfluss ist bei weitem am Zerstörerischstem. Hat Ihr sie nicht angemessen gesichert?"
Eragon erkannte die tiefe Sorge der elfischen Magierin und schluckte daher das Gefühl persönlich angegriffen zu sein herunter und erläuterte die Sicherungsmaßnahmen welche sie nach dem Krieg ergriffen hatten.
"Verzeiht meine offene Frage." Entschuldigte sich die Elfe nach dem Eragon seine Ausführungen abgeschlossen hatte. "Versäumnis kann man euch wirklich nicht vorwerfen."
"Wenn überhaupt, dann liegt das Versäumnis auf unserer Seite." fügte Aylon hinzu. "Es ist das eingetreten, was ich im Grunde immer befürchtet habe. Ich bin sicher, Argetlam Eragon und seine Gefährten hätten noch weit strengere Sicherheitsmaßnahmen ergriffen, wenn sie gewusst hätten welche Verbindung zwischen den Geistern und den uns geschaffenen Waffen gibt. Im Augenblick müssen wir uns der gegenwärtigen Krise widmen aber wir müssen auf lange Sicht unseren Umgang mit der Vergangenheit überdenken. Die Waffen einfach nur zu verstecken genügt nicht. Was verborgen ist wird früher oder später entdeckt werden. Es muss eine bessere Lösung geben."
"An jedem anderen Tag wäre das wohl der Beginn einer neuen Diskussion zwischen uns gewesen Aylon." äußerte sich Altovan. "Doch im Lichte der gegenwärtigen Krise muss ich dir zustimmen."
"Es dürfte für euch auch von Interesse sein, dass meine Gefährtin und ich der Meinung sind, dass uns magische Mittel zur Verfügung stehen die Erinnerung an euch in eurem Volk wieder zu erwecken." hob Eragon an. "Uns steht ein Wort in der alten Sprache zur Verfügung welches außergewöhnliche Macht besitzt. Die unterdrückten Erinnerungen an euch ließen sich damit nahezu problemlos wieder beleben."
Ein aufgeregtes Murmeln entspann sich zwischen den Elfen.
"Es ist mehr als verlockend Version anbietet Drachenreiter." erklärte auch Altovan und wirkte sehr in sich gekehrt. "Die Vorstellung in die Heimat zurückzukehren und alte Freunde wieder zu sehen ist auch für mich sehr reizvoll. Doch im Augenblick müssen wir unsere Gedanken an alte Bekannte und an die Heimat zurück stellen und uns noch einmal auf unsere Aufgabe konzentrieren. Wir müssen verantwortungsvoll zu Ende bringen was wir vor so langer Zeit begonnen haben."
"In diesem Punkt stimme ich dir absolut zu Altovan." erklärte Aylon. "Was wir noch zu erfahren hoffen ist, inwieweit ihr hofft dass der Dauthdaert Kliesfara euch helfen kann. Ihr müsst wissen, dass wir große Sorge haben, dass die von uns beschützte Waffe ebenfalls dem Schatten in die Hände fallen könnte der euch bedroht. Die Auswirkungen wären fatal. Er hätte dann nicht nur die Macht über die Geister die Nieren hervorgebracht hat sondern es läge auch in seiner Macht die zu kontrollieren die von Kliesfara abstammen. Auch wenn diese aus der Liebe geboren wurden wären sie ihm Untertan und müssten seinen willen dienen."
"Das habe ich eigentlich nie so recht verstanden." ließ sich nun Ismira vernehmen." Ich kann verstehen, dass sie eine Waffe mit dem Gefühl des Hasses verbinden konnt. Ich selbst habe zwar noch keinen Krieg erlebt aber mein Vater hat mir genug darüber erzählt um zu verstehen, dass Hass ein fester Begleiter des Krieges ist. Wie kann man aber erfüllt von Liebe in eine Schlacht ziehen?"
"Im Grunde hast Du zwar recht Ismira-Finiarel aber du denkst etwas in die falsche Richtung." Erklärte Aylon. "Jede Wirkung hat eine Ursache aber Ursache und Wirkung bewegen sich nicht notwendigerweise in dieselbe Richtung. Wenn jemand in den Kampf zieht um seine Familie zu beschützen tut er das dann weil er den Feind hast oder weil er diese einen liebt?"
"Ich verstehe." murmelte Cale. "Das Gefühl welches dem Dauthdaert seine Kraft gibt muss sich also nicht zwangsläufig auf den Gegner richten."
"Sehr richtig junger Reiter." Lobte Altovan. "Doch nun bitte ich deine Lehrmeister unsere Frage zu beantworten. Wie glaubt ihr kann euch Kliesfara helfen?"
Eragon überlegte kurz er den dann von den beiden Eldunari berichten sollte die sie in Saphiras Obhut gelassen hatten. Glaedr hatte seinen ehemaligen Schüler instruiert wie er über ein entsprechendes Medium, in diesem Fall der Dauthdaert, mit den Geistern in Kontakt treten konnte. Schließlich entschied er sich nicht die genaue Quelle seiner Informationen zu nennen.
"Ein Geheimnis das jeder kennt ist kein Geheimnis" das waren Oromis warnende Worte gewesen und Eragon hatte fest vor sie zu beherzigen.
"Im Grunde haben wir nicht vor die von euch bewachte Waffe direkt in den Kampf zu führen. Wir möchten Sie als Medium nutzen um mit den Geistern die durch sie geschaffen wurden in Verbindung zu treten. Lediglich die Bbösartigsten unter den Energiewesen nisten sich in Körpern ein und erschaffen Schatten. Wir hoffen mit den Geistern, die aus Liebe geboren wurden Verbündete gegen die zu finden die aus Hass entstanden sind. So hoffen wir das Kräfteverhältnis zwischen uns und unserem neuen Feind ausgleichen zu können."
"Ein kühner Plan." sagte Aylon nicht ohne Anerkennung in der Stimme.
"So etwas ist noch nie versucht worden." Altovan schüttelte zweifelnd den Kopf.
"Das hat bestimmt auch jemand gesagt, als sich der Namensvetter meines Onkels entschlossen hat einen Drachenjunges aufzuziehen." hielt Ismira entschlossen dagegen und Eragon musste einräumen, dass auch ihm kein besseres Argument eingefallen wäre. "Letztlich hat der Erste Drachenreiter durch diesen Akt der Gnade den Grundstein für den Frieden gelegt der nun alle Völker Alagaesias verbindet."
Zum ersten Mal umspielte etwas wie ein Lächeln Altovans Lippen.
"Eure Nichte schreckt vor keinem Wortgefecht zurück Argetlam Eragon." stellte der älteste der Hüter wohlwollend fest. "Da sie es versteht ihre Aussagen mit Wahrheit und Logik zu verbinden denke ich ist es an der Zeit, dass wir abstimmen. Aylon hat sich bereits dafür ausgesprochen die Drachenreiter zu unterstützen und auch ich bin nun überzeugt, dass Ihr Anliegen sinnvoll und gerecht ist. Ist irgend einer von uns der Meinung, dass man ihnen den Zugang zu der uns anvertrauten Waffe verwehren sollte? Gibt es noch Fragen?"
Niemand antwortete dem Sprecher der Hüter.
"Dann ist es beschlossen. Wir werden euren Besuch stattgeben und euch so gut es geht unterstützen."

Eragon Band 6 - Die Wege der ReiterWo Geschichten leben. Entdecke jetzt