Eragon Band 6 - Die Wege der Reiter

34. Die Wahrheit

Ismira wollte Cale gern helfen, gerade in dieser Situation. Leider konnte sie es nur in sehr begrenztem Maß. Immerhin ging es darum festzustellen was von seinen Besitztümern unter Umständen gestohlen worden war und nicht darum einfach nur Ordnung zu schaffen. Da sie nicht genau beurteilen konnte was von den persönlichen Gegenständen ihres Mitschülers fehlte konzentrierte sich die junge Frau darauf den Schreibtisch wieder in Ordnung zu bringen. Da dort größtenteils Utensilien aufbewahrt wurden die für den Unterricht gebraucht wurden war die Ausstattung im wesentlichen dieselbe wie in ihrem Quatier und das Fehlen gewisser Gegenstände würde auch ihr auffallen.
- "Wie geht es deinem Bruder meine Süße?" - Erkundigte sich Ismira als sie versuchte wieder eine gewisse Ordnung in die Unmengen von herum liegenden Papierbögen und verknickten Schreibfedern zu bringen. Glücklicherweise schienen zumindest die Tintenfässer ganz geblieben zu sein.
- "Tailon hat sich langsam beruhigt." - Erklärte die violette Drachendame. - "Er ist aber immer noch sehr wütend. Er beherrscht seinen Zorn nun lediglich. Du musst wissen Rotschopf, wir Drachen reagieren nicht gut darauf wenn man ohne Einladung unsere Wohnstätte betritt. Wir ergreifen Besitz von dem was unsere Unterkunft ist. Die Elfen kennen uns und wissen das. Wer immer das hier gewesen ist, hat einen nicht zu verzeihenden Vertrauensbruch begangen." -
- "Das verstehe ich Anarie. Versuch aber bitte weiter Tailon zu beruhigen. Es wird weder ihm noch Cale helfen wenn er seinem Zorn nun freien Lauf lässt." -
Ismira spürte wie Anarie ihr zustimmte aber wusste, dass die Bemühungen ihrer Drachendame nur bis zu einem gewissen Punkt erfolgreich sein konnten.
Als sich das Chaos um den Schreibtisch ihres Mitschülers lichtete entdeckte Ismira unter dem herumliegenden Papier einige geschnitzte Holzfiguren. Offenbar vertrieb sich Cale seine Zeit mit Holzarbeiten. Die junge Frau war beeindruckt. Tailons Reiter hatte offensichtlich Talent. Eine der Figuren stellte Anarie und ihren Bruder dar, wie sie zum ersten Mal ihre Eltern trafen.
- "Beeindruckend." - lobte auch die junge Drachendame, die die Arbeiten durch die Augen ihrer Reiterin begutachtete. - "Er hat mich und meinen Bruder wirklich gut getroffen." -
Ismira nickte und warf ihre Mitschüler einen bewundernden Blick zu, den dieser allerdings nicht bemerkte. Cale steckte mit dem Kopf in seinem Schrank und bemühte sich seine Kleidung neu zu ordnen.
Ismira setzte sich vor dem Schreibtisch auf den Boden und begann die Holzfiguren in einer der heraus gerissenen Schubladen zu sammeln. Als sie die letzte unter dem Schreibtisch hervor zog spürte sie wie ihr Blut ins Gesicht schoss. Die Figuren stellte sie da, wie sie sich liebevoll um ihren frisch geschlüpften Drachen kümmerte. Cale hatte sich offenbar besondere Mühe dabei gegeben sie darzustellen. Selbst einzelne Haarstränen waren zu erkennen.
- "Bin ich wirklich so hübsch?" -
- "Er finde dich bestimmt so hübsch." -
Anarie beantwortete kichernd die Frage, die ihre Reiterin mehr zu sich selbst als zu ihrer Seelengefährtin gestellt hatte. Schelmisch fügte die junge Drachendame hinzu: - "Er mag dich wohl auch. Natürlich nur ein bisschen! Nicht so viel!" -
"Ich hoffe du bist nicht beleidigt." erkundigte sich eine verlegene Stimme.
Ismira erkannte, das Cale unbemerkt neben sie getreten war und in die Hocke gegangen war.
Verlegen blickte der junge Mann sie an.
"Nein, überhaupt nicht. Ich finde die Figur sehr schön." versicherte Ismira sofort.
"Dann kannste sie gerne behalten." murmelte Cale verlegen und lief dabei leicht rot an.
Unsicher wie sie reagieren sollte wechselte Ismira wieder zu sachlichen Themen: "Also den Schreibtisch habe ich jetzt soweit kontrolliert. All die Aufzeichnungen, die du im Unterricht gemacht hast, sind noch da und ich glaube nicht, dass der Dieb einfach nur nach leeren Papierbögen gesucht hat. Auch deine Mappe ist noch da und vollständig. Dann bleiben nur noch die Holzfiguren."
Ismira überreichte Cale die Fundstücke und steckte die Figur, die er ihr geschenkt hatte, schnell in ihre Tasche.
"Soweit ich sehen kann sind alle da." murmelte der junge Drachenreiter. "Aber hast Du auch meinen Dolch gefunden?"
"Du meinst den, den dir dein Großvater gegeben hat?" erkundigte sich Ismira.
Cale nickte.
"Nein, und ich habe überall genau nachgesehen."
Langsam erhoben sich die beiden Schüler des Drachenreiterordens und sahen sich an. Nun war klar, was gestohlen worden war.