116. Die Hinterlassenschaft

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Zutiefst beunruhigt beobachtete Eragon von Saphiras Rücken aus wie die magischen Energien den Berg in den die schwarze Zitadelle eingearbeitet war hinab flossen und sich auf die bewohnten Teile von Ilirea zubewegte.
- "Wir müssen ergründen was dieser Zauber bewirken soll!" -
Eragon übermittelte seinen Befehl auf der geistigen Ebene am Murtagh und Arya und die beiden stimmten ihm stumm zu. Jeder der drei erfahrenen Reiter begann damit Zauber zu wirken, die die Natur dessen enthüllen sollten was die Hauptstadt des Königreiches bedrohte. Instinktiv teilten die drei Drachenreiter die Bereiche in denen sie suchten auf. Eragon überprüfte ob die Energie dazu dienen sollten die Macht der Todesworte zu wirken. Arya untersuchte die Wirkung des Zaubers auf die Umwelt, Pflanzen sowie Tiere während Murtagh danach strebte zu ergründen ob die magische Energie darauf abzielte die Elemente in irgend einer Form zu beeinflussen.
Umaroth und Glaedr unterstützen indes Ismira und Cale bei dem Versuch die unsichtbare Kraft, welche in der schwarzen Zitadelle umging, in der Ruine von Galbatorix ehemaliger Machtzentrale zu halten. Die Seelenhorten der beiden alten Drachen lieferten den jüngsten des Ordens der Reiter die Kraft um die Bewohner von Ilirea vor einer Verseuchung durch das unbekannte Gift zu schützen.
- "Ich habe etwas entdeckt!" -
Aryas geistige Nachricht schreckte Eragon aus seiner Konzentration. Ganz und gar hatte sich der Anführer der Drachenreiter darin vertieft seine magische Untersuchung durchzuführen.
- "Was hast du erkannt?" - Erkundigte Saphiras Reiter sich bei seiner Gefährtin.
- "Diese magischen Energien sind im Grunde Geister Eragon." - erklärte die Elfe. - "Allerdings sind es sehr niedere Formen dieser Energiewesen. Je älter ein Geist ist desto mächtiger ist er und desto mehr Kraft wohnt ihm inne. Diese Geister haben nicht besonders viel Kraft und nur eine sehr niedere Intelligenzstufe. Unser neuer Feind hat ihnen offenbar befohlen Besitz ergreifend zu wirken." -
- "Besitz ergreifen?! Wovon?" -
Es war Murtagh, der Aryas Ausführungen unterbrach. Einmal mehr zeigte sich für Eragon, dass sein älterer Bruder noch nicht so erfahren im Umgang mit Elfen war. Murtaghs Zwischenruf war nicht mehr und nicht weniger als eine versteckte Aufforderung an Arya auf den Punkt zu kommen. Eragon wusste, dass Elfen sich bei jeder Äußerung meist um Vollständigkeit und Klarheit bemühten. Dadurch entstanden oft lange Gesprächspausen und wenn sich das schöne Volk entschloss zu sprechen wirkten ihre Sätze oft langwierig und umständlich.
- "Das Interesse dieser Geister richtet sich auf diese Büsche dort am Fuß des Berges." -
Eragon folgte Aryas Blick. Die Elfe wies auf eine breite Reihe von Weißdornsträuchern am Fuß der Felsenklippe. Eragon wusste, dass Nasuada diese Sträucher als zusätzliche Sicherungsmaßnahme hatte anpflanzen lassen. Die kräftigen Gewächse standen eng beieinander und bilden eine dichte Hecke. Die langen Dornen der Pflanzen machten es nahezu unmöglich dieses Hindernis ohne größere Anstrengungen zu überwinden. Auf diese Weise hatte die Königin von Ilirea neugierige oder tollkühne Bürger davon abhalten wollen sich Galbatorix Machtzentrale zu nähern. Es war eine elegante Lösung für das Problem. Die Pflanzen wirkten wesentlich natürlicher als beispielsweise eine steinerne Mauer es getan hätte und waren kein deutlicher Fingerzeig der auf die unrühmliche Vergangenheit aufmerksam machte.
- "Warum sollten sich Geister auf ein paar Büsche konzentrieren?" -
- "Verzeih mir wenn ich das so deutlich sage Murtagh-Vor aber das ist eine sehr menschliche Einstellung." - warf Arya ein und setzte dann ihre Erklärungen fort. - "Pflanzen sind Lebewesen und jede Form von Leben kann durch die Einwirkung von Geistern in etwas gefährliches transformiert werden." -
Eragons Blick flog von den Büschen zu der angrenzenden Stadt. Er versuchte einzuschätzen welche Gefahr für Ilirea und ihre Bewohner bestand. Unmittelbar hinter der Hecke erhoben sich einige Häuser die aufgrund ihrer Größe wohlhabenderen Bewohnern der Stadt zugeordnet werden mussten. Allerdings wirkten die Gebäude recht vernachlässigt und auf den Straßen und Gehwegen zwischen ihnen wuchs Unkraut.
Eilig schickte der Anführer der Reiter einen fragenden Gedanken an seinen Bruder.
- "Diese Häuser gehörten früher besonderen Vasallen von Galbatorix. Nur Leute die er besonders schätzte und die sich ihm gegenüber als treu erwiesen hatten wurden mit einem Wohnsitz so dicht beim König belohnt. Glücklicherweise sind die Gebäude heute nicht mehr bewohnt. Die Speichel lecker haben entweder die Hauptstadt verlassen oder Bauten bezogen die näher an der neuen Machtzentrale des Reiches liegen." -
- "Gut! Dann werden wir das Abschiedsgeschenk unseres neuen Feindes dort erwarten." - Legte Eragon fest und wies Saphira an zu landen. Des weiteren forderte er seine treue Begleiterin auf sich ohne Rücksicht Bewegungsfreiheit zu verschaffen damit sie und ihre Artgenossen die Reiter optimal unterstützen konnten.
Eine geradezu diebische Freude strahlte der Geist der blauen Drachendame aus als sie mit ihrem ganzen Gewicht auf dem Dachgiebel von einem der verfallenen Häuser landete. Die Stützbalken des ehemaligen Prachtbaus hatten der Kraft und dem Gewicht der Drachendame nichts entgegenzusetzen. Sie knickten ein wie Streichhölzer und mit einem Schlag ihres gewaltigen Schweifs fegte Saphira die letzten noch verbliebenen Trümmerteile hinweg und sorgte so sicheren Stand und Bewegungsfreiheit. Das anhaltende Geräusche von berechnenden Balken und splitterndem Holz verriet Eragon, der gerade vom Rücken seiner Drachendame herab rutschte, dass auch Dorn und Fiérnen sich Platz verschafften.
Mit einer fließenden Bewegung zog Eragon Brisingr aus der Scheide und richtete seinen Blick auf die Dornenhecke. Arya und Murtagh traten neben den Anführer der Reiter ebenfalls mit gezückten Waffen.
Inzwischen hatten die dämonischen Energien die Dornensträucher erreicht. Das grüne leuchten setzte seinen Weg nicht talwärts fort sondern konzentrierte sich wie Arya es erwartet hatte auf die Sträucher. Gierig, wie züngelnde Flammen, kroch die unheimliche Kraft über die einzelnen Zweige und verschmolz schließlich lautlos mit dem Holz der Pflanzen.
Einige Sekunden geschah nichts. In seinen jungen Jahren hätte sich Eragon vermutlich der Hoffnung hingegeben, dass der Zauber des neugeborenen Schattens gescheitert war doch die Jahre der Erfahrung belehrten ihn heute eines Besseren.
Nach einigen Augenblicken setzte eine unheimliche Verwandlung ein. Die Wurzeln der Büsche wühlten sich aus der Erde als wären sie Schlangen die sich auf der Jagd nach Beute getarnt hatten. Mit einer Geschwindigkeit die allen Regeln der Natur trotzte wuchsen die Büsche und verdoppelten ihre Größe. Zweige und Triebe verflochten sich miteinander und bildeten schließlich die übergroße Imitation einer annähernd menschlichen Gestalt. Aus den Tiefen des neu entstandenen Körpers drang ein unheimliches grünes leuchten an die Oberfläche.
Etwa ein halbes Dutzend dieser dämonischen Kreaturen erhob sich und durchtrennte die letzten Verbindungen die ihre Wurzeln noch mit der Erde hatten. Mit schwankenden Schritten setzten sich die Kreaturen in Bewegung und Schritten auf die Stadt und die zu ihrer Verteidigung bereitstehenden Drachenreiter zu. Die ungelenken Bewegungen der wider natürlichen Kreaturen waren begleitet von ächzen und stöhnen des Holzes aus dem sie entstanden waren. Eine unheimliche Geräuschkulisse entstand die wie ein Klagelied der Natur war sie gegen ihren Missbrauch auf begehrte.
"Besessene Pflanzen. Das ist doch mal etwas Neues."
Murtaghs sarkastische Bemerkung im Angesicht dieser Gefahr benötigte Eragon kurzes Lächeln ab.
"Hast du vielleicht auch eine Eingebung wie wir dieses Unkraut ausreißen können Bruder?"
"Ich bin ein Drachenreiter und kein Gärtner." Gab der Dunkelhaarige schlagfertig zurück.
- "Holz brennt!" - knurrte Dorn angriffslustig, ließ seinen gewaltigen Rachen auf und entfesselte die Urgewalt seines Feuers. Gierig leckten die blutroten Flammen nach den Leibern der weiter forwärts taumelnden Wesen.
Zwei der unheimlichen Kreaturen wurden von Dorn Zusammenstoß erfasst. Einen Augenblick lang rechnete Eragon damit Schmerzenschreie von den eher kommenden Angreifern ertragen zu müssen. Doch nichts dergleichen geschah.
Unbeeindruckt stolperten die beiden brennenden Kreaturen weiter. Die angreifenden Wesen waren inzwischen so nahe gekommen, dass Drachen und Reiter einige Schritte zurück weichen mussten um nicht in die Reichweite der überlangen Arme der dämonischen Schöpfungen zu geraten. Mit diesem schlugen die besessenen Wesen nach den Reitern und ihren Seelenpartnern und kamen den Verteidigern der Hauptstadt mit ihren bornenbesetzten Extremitäten so nahe, dass Eragon und seine Begleiter den Luftzug des Schlages spülten. Besonders gefährlich waren natürlich die Arme der beiden brennenden Wesen.
- "Das scheint wohl nicht funktioniert zu haben." - knurrte Dorn wütend. - "Mein Feuer macht diese Kreatur nur gefährlicher." -
"Nicht unbedingt Sculblaka, seht!"
Arya deutete auf die Beine des einen brennenden Wesens. Dort hatte Dorn Flammenstoß den größten Schaden verursacht. Unter der Hitze des wütenden Feuers lösten sich die dünnen Zweige mehr und mehr auf und das Geflecht der Extremität begann zu zerfallen.
"Diese Art von geisterhafter Besessenheit ist ähnlich der Existenz eines Schattens." erklärte Fírnens Reiterin. "Mein Volk nennt solche Kreaturen Gule. Sie sind wesentlich primitiver als Schatten. Um sie zu vernichten muss man ihre Körper zerstören. Dorn hat völlig recht! Holz brennt aber das dauert eine gewisse Zeit. Solange der Körper existiert wird der Gul weiterhin versuchen den Befehl auszuführen den sein Meister ihn gegeben hat. In diesem Fall lautet der Befehl zerstören und töten."
Doch während die ehemalige Prinzessin der Elfen sprach vielen die beiden brennenden Kreaturen endgültig im heißen Zorn von Dorns Feuer.
Eragon warf einen Blick über seine Schulter. Bisher waren Reiter und Drachen bei dem Versuch die richtige Taktik zu finden immer weiter zurückgewichen. Langsam näherten sich bereits den tatsächlich bewohnten Teilen von Ilirea. Der Anführer der Reiter erkannte, dass sich zwischen den Häusern bereits Schaulustige sammelten und das unheimliche Spektakel verfolgten. Es ließ sich nicht abschätzen welchen Schaden die Wesen, ob brennend oder nicht, anrichten würden wenn sie ihren Weg fortsetzen.
"Wir haben keine Zeit mehr!" stellte Saphiras Reiter sachlich fest. "Wir sorgen dafür dass diese Wesen ihren Weg nicht fortsetzen. Meine Schöne: öffnet für das Abschiedsgeschenk unseres neuen Feindes das Tor zur Hölle!"
Die blaue Drachendame kommentierte die Worte ihres Reiters mit einem genehmigen Knurren und einer Welle der Vorfreude die durch Eragons Geist flutete.
Eragons Mitstreiter begriffen ebenfalls sofort was ihr Anführer meinte. Arya baute einen Schutzwall auf, die die Gruppe vor der Hitze des Feuers abschirmen würde während Eragon und Murtagh ihrer Magie einsetzten um die Gule daran zu hindern ihren Weg fortzusetzen.
Hinter den drei Reitern richteten sich die drei mächtigsten Drachen Alagaesias auf und entfesselten gleichzeitig ihren feurigen Atem. Längst verstanden es die drei ersten der neuen Generation des Drachenvolkes ihre Flammen minutenlang aus ihren Mäulern schießen zu lassen und so ertränken sie die unheimlichen Kreaturen in einem Meer aus Feuer. Geblendet von gleißenden Licht der Flammen musste Eragon sich abwenden. Als er Kopf zur Seite drehte er kannte er, dass sich bereits Schweißperlen auf Aryas Stirn bildeten. Es war eine unglaubliche Kraftanstrengung, selbst für eine Elfe, das lodernde Inferno zu bändigen. 
Der junge Anführer der Reiter spülte wie ihn eine Welle aus Hitze traf. Trotz des Ernstes der Situation konnte er einmal mehr nur Bewunderung für seine Gefährtin empfinden. Arya war offenbar klug genug gewesen den Zauber ihres Schutzwall es so zu formulieren, dass sie kontrollieren konnte wie viel der entstehenden Hitze sie zurückhielt. Indem sie ein ungefährliches Maß an Wärme durch ließ konnte sie Kraft sparen.
Nach einigen Minuten zahlten sich die Anstrengungen der Reiter aus. Die Gule hatten der Urgewalt die von den Drachen entfesselt worden war nichts entgegenzusetzen. Immer ungelenke wurden ihre Bewegungen als mehr und mehr Holz ihrer Körper dem Feuer zum Opfer fiel. Schließlich war es geschafft. Die Körper der unheimlichen Wesen waren nur noch schwelende Überreste.
Erschöpft ließen sich die drei Reiter zu Boden sinken um neue Kräfte zu sammeln. Für keinen von ihnen war die zurückliegende magische Herausforderung leicht gewesen. Eragon erkannte jedoch nicht nur Erschöpfung auf den Gesichtern seiner Kameraden. Dort war auch deutlich dieselbe Erkenntnis abzulesen, die auch der Eragon verhinderte, dass Freude über den zurückliegenden Sieg aufkam: sie hatten einen ersten Sieg gegen ihren neuen Feind errungen doch die eigentliche Entscheidungsschlacht stand ihnen noch bevor.

Eragon Band 6 - Die Wege der ReiterWo Geschichten leben. Entdecke jetzt