91. Zur frühen Stunde...

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Tjurin ging in seinem Quartier auf und ab und rieb unruhig die Handflächen aneinander. Was er vorhatte war nicht ungefährlich und bald war seine Stunde gekommen.
Bereits auf seiner Rückreise hatte er den festen Entschluss gefasst alles in seiner Macht Stehende zu tun um selbst neues Wissen über die Geisterbeschwörung zu erlangen. Er beherrschte die Grundkenntnisse. Er wusste wie die generelle Beschwörung auszusehen hatte, wie man den Geist lockte und ihm Energie anbot und des weiteren wie er seinen Wunsch, seinen Befehl zu formulieren hatte. Leider war dies der einfache Teil der Beschwörungen. Was das herbeirufen von Geistern so gefährlich und schwierig machte war, dass man genau beschreiben musste welche Natur und welches Energiepotenzial der gerufene Geist haben sollte. Nur dann hatte man Kontrolle. Tjurin kannte bisher nur die Worte um recht schwache Geister zu beschwören. Das setzte seinen Möglichkeiten Magie zu wirken natürlich starke Grenzen.
Natürlich konnte man die Beschwörungsformel auch allgemein formulieren und einfach die Geister zu sich rufen, die sich in relativer Nähe zu einem befanden aber das war überaus gefährlich. Sehr leicht konnte man auf diese Art einen Geist beschwören, der viel zu stark waren um ihn zu kontrollieren. Auch das Opfern von Energie anderer Lebewesen schützte einen dann nicht. Reichte die Energie die man opferte nämlich nicht aus Griff der Geist auf die Lebensenergie des Beschwörenden zu. Wenn das geschah lief man Gefahr sich in einen Schatten zu verwandeln.
Tjurin musste also gerade in diesem Teilbereich sein Wissen vergrößern. Daher hatte er den Entschluss gefasst Durzas Tagebuch wieder an sich zu bringen.
Er sah das nicht als stehlen an. Immerhin war das Buch sein Eigentum und er hatte es Trianna nur unter der Bedingung überlassen, dass sie ihn unterrichtete. Nun da sie den Vertrag gebrochen hatte war es nur recht und billig das Tjurin das Buch wieder an sich nahm. Natürlich wusste er, dass die Magierin es ihm nicht freiwillig überlassen würde. Sie wusste schließlich, dass er sie nicht wegen des Besitzes des Buches an offizieller Stelle anzeigen würde. Einen derartig mächtigen Gegenstand zu besitzen ohne die Königin oder einen von ihr eingesetzten Beamten zu informieren stellte ein Verbrechen dar.
Auf der anderen Seite würde Trianna es aber auch nicht riskieren den Diebstahl des Buches zu melden. Dann läge nämlich ihr Hals in der Schlinge.
Folglich war nun der ideale Zeitpunkt für Tjurin sein Eigentum wieder an sich zu nehmen, solange Trianna nicht in Ilirea war.
Sicher würde es nicht einfach werden die Schriften des Schattens, den der Drachenreiter Eragon getötet hatte zu übersetzen aber auch für dieses Problem würde sich eine Lösung finden, da war Tjurin sicher.
Der Sohn des Herzogs Blicke aus dem Fenster und stellte fest, dass es nun in der Tat an der Zeit war aufzubrechen. Es war noch dunkel draußen, doch im Osten kündete ein feiner Silberstreif vom bald anbrechenden neuen Tag.
Tjurin hatte diesem Zeitpunkt ganz bewusst gewählt. Zu dieser Stunde war die Aufmerksamkeit der Palastwachen am geringsten. Eine lange Nacht lag hinter den Soldaten und obwohl es noch dunkel war minderte der heraufziehende Tag bereits die Wachsamkeit. Im allgemeinen herrschte der Glaube vor, dass die gefährlichsten Stunden nun vorbei waren. Wer würde schon etwas wagen, zu einem Zeitpunkt, wo jede Minute den schützenden Mantel der Nacht weiter schwinden ließ?
Die meisten der Wachsoldaten dösten nur noch vor sich hin und warteten auf ihre Ablösung. Kontrollgänge in den Korridoren fanden fast überhaupt nicht mehr statt.
Tjurin warf sich also einen dunklen Umhang um und verließ sein Quartier. Fast problemlos erreichte er das Innere des Palastes. Lediglich als er den Innenhof der königlichen Residenz überquerte war er kurz im Blickfeld von zwei Wachsoldaten gewesen. Der eine schlief auf seinen Speer gestürzt und der andere starrte gähnend über die Mauer und hielt nach Feinden Ausschau die sich außerhalb der Befestigungsanlagen befanden.
Die Korridore lagen wie Tjurin es erwartet hatte völlig verlassen da. Die Bewohner des Schlosses schliefen noch alle. Die Königin pflegte zwar jeden Morgen etwa zur siebten Stunde aufzustehen, eine ungewöhnlich frühe Stunde für eine Frau ihrer Position, doch bis dahin würden noch drei Stunden vergehen. Auch die Köche, Mägde und Diener würden sich frühestens in einer Stunde an ihre Arbeit machen. Erst dann würden die geschäftigen Vorbereitungen beginnen um dem Hofstaat zur passenden Zeit Frühstück und frische Kleidung servieren zu können.
Tjurin beabsichtigte seine Arbeit längst vollendet zu haben bevor das Schloss erwachte. Über einige Treppen gelangte er schließlich vor die Tür, die zu Triannas Labor führte. Natürlich war sie verschlossen. Tjurin war jedoch nicht unvorbereitet. Aus einer der Waffenschmieden hatte er sich einen Dolch organisiert. Die Waffe hatte eine besonders lange und spitz zulaufende Klinge. Zwei Silberstücke hatte er für das gute Stück investiert. Er hatte kurz darüber nachgedacht es einfach an sich zu nehmen doch war er davon abgekommen. Er war schließlich von Adel. Diebstahl war unter seiner Würde. In seiner Heimatstadt hätte er unter Berufung auf seinen Vater die Waffe einfach beschlagnahmt aber hier hatte er diese Rechte nicht. Sicher er hatte diesem verflizten Alten das Buch was er jetzt an sich bringen wollte mit Gewalt abgenommen, doch wer sagte, dass dieser Greis überhaupt ein Anrecht darauf hatte? Und was das Tagebuch selbst betrat sofort Tjurin schließlich der Meinung, dass es sich um seinen Besitz handelte.
Gerade wollte Tjurin den Dolch hervor ziehen um das Schloss aufzubrechen als eine Stimme an sein Ohr drang: "Heh, Du, Soldat! Was tust du da?"
Eilig verstaute Tjurin den Dolch wieder in seinem Gürtel und blickte sich um. Ein junger Mann, der vielleicht 25 Sommer gesehen hatte und die Robe eines Magiers trug, kam auf ihn zu.
Eilig verbeugte sich Tjurin.
"Entschuldigt er, ich wusste nicht das schon jemand so früh auf den Beinen ist."
"Ja, ich bin eigentlich kein Frühaufsteher." räumte der junge Magier ein. "Aber ich habe ein wichtiges Experiment, das ich bis heute Mittag abschließen will. Nun aber nochmal zu dir, was tust du hier? Ich hab dich doch schon mal hier gesehen."
Es kostete Tjurin einiges an Beherrschung seiner Stimme weiterhin ein ruhigen Plauderton zu geben. Seine Handflächen hingegen fühlten sich bereits feucht an.
"Ja ich habe einige Monate damit verbracht der ehrenwerten Trianna bei ihren Experimenten zu helfen. Sie hat mich informiert, dass sie meine Dienste nicht mehr braucht. Ich wollte nur ein Messer, das ich ihr geliehen habe wieder an mich nehmen. Es gehört zur Ausrüstung und wenn es verschwunden ist zieht man mir das neue Messer vom Sold ab.
Eigentlich hatte Tjurin sich diese Erklärung sorgfältig zurecht gelegt für den Fall, dass er entdeckt wurde. In seinem Quartier waren ihm die Worte plausibel erschienen, doch nun wirkten sie fast armselig.
Der junge Magier jedoch nickte verstehend.
"Ich kann verstehen, dass du das nicht riskieren willst." sagte er zu Tjurins Erleichterung. "Aber das wird warten müssen bis Trianna von ihrer Reise zurückgekehrt ist. Sei froh, dass du die Tür nicht angerührt hast."
"Warum?" erkundigte sich Tjurin. Er war erleichtert, dass der junge Magier offenbar seine Erklärung für glaubwürdig hielt und riskierte daher den Versuch einige Informationen zu erhalten.
"Weil Trianna eine Magierin der alten Garde ist." erklärte der unbekannte Magier im Plauderton und verschränkt die Arme vor der Brust. "Immer schön alle Geheimnisse behüten und freiwillig wird nichts geteilt. Was müssen das für Zeiten für die Magier unter Galbatorix gewesen sein! Meine Fähigkeiten haben sich erst nach dem Krieg gezeigt und ich war einer der ersten, die bei den Drachenreitern in der Ostmark ausgebildet wurden. Trianna war schon eine Magierin bei den Varden. Die bewachen ihr Wissen wie eine Vogelmutter ihre Eier. Jedes Mal wenn sie das Schloss verlässt legt sie Schutzwälle um ihr Labor. Es wäre dir nicht gut bekommen wenn du versucht hättest diese Tür zu öffnen ohne ihre Erlaubnis. Der Zauber hätte dich vermutlich sofort bewegungsunfähig gemacht und die Wachen alarmiert. Du weißt ja sicher, dass unsere Königin sehr streng ist wenn es um Magie geht. Sie hätte sicher eine Durchsuchung deines Geistes angeordnet um deine Ziele zu ergründen. Selbst wenn sich dabei herausgestellt hätte das Du wirklich nur ein Messer zurück wolltest, wärst Du wohl nicht ungeschoren davongekommen. In das Labor eines Mitglieds der Magiergilde einzudringen ist ein Verbrechen. Selbst wenn es nur aus einem harmlosen Grund geschieht wie bei dir wärst du nicht straflos geblieben. 10 Peitschenhiebe wären dir wohl sicher gewesen. Du solltest jetzt also lieber gehen. Keine Sorge, ich werde dich nicht melden. Ich meine, noch hast Du ja auch nichts getan."
Tjurin rang sich ein Lächeln ab und nickte dem jungen Mann zu, dann wandte er sich zum gehen. Innerlich kochte der Sohn des Herzogs. Er war wütend auf Trianna und wütend auf sich selbst. Das seine ehemalige Lehrerin bei so weitsichtig gewesen war ihre Tür durch Magie zu schützen und wütend auf sich, weil er so dumm gewesen war nicht an diese Möglichkeit zu denken. Durch das was er da eben erfahren hatte musste er sein Vorhaben gründlich überdenken.
Tjurin war so tief in Gedanken, dass er, als er um eine Ecke bog, beinahe in die Person hinein rannte die dort stand.
Gerade wollte Tjurin seinen Zorn an dem unbekannten Tölpel auslassen der ihm im da Weg stand als das Blut in seinen Adern praktisch zu Eis gefror. Unter schwarzen Haarstränen funkelte ihn ein unheimliches violettes Augenpaar an. Tjurin kannte diese junge Frau. Nur zu gut erinnert er sich an die kurze Unterhaltung die einst mit ihr geführt hatte. Elvas Blick schien ihn förmlich zu durchbohren und bis in die tiefsten Abgründe seiner Seele zu blicken.
Tjurin öffnete den Mund um etwas zu sagen aber er konnte kein Wort herausbringen. Langsam machte einen Schritt zur Seite und ging um Elva herum ohne sie dabei aus dem Auge zu lassen. Die unheimliche junge Frau schwieg ebenfalls und starrte ihn weiter finster an.
Mit einem Mal hatte es Tjurin mehr als eilig das Gewölbe zu verlassen und er hoffte inständig, dass draußen bereits der Tag angebrochen war.



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"Verflucht!"
Wütend und frustriert schlug Nasuada mit der Faust auf die Holzplatte des Tisches in ihrem Gemach. Neben der Herrscherin von Alagaesia waren Elva und ihrer Magd Farica anwesend. Über ihren Nachthemd trug die Königin lediglich einen goldgelben Morgenmantel. Ungewöhnlich früh hatte Elva um ein Gespräch gebeten. Der Bericht des ehemaligen Hexenkindes war allerdings enttäuschend ausgefallen. Der Zauber den Murtagh gewirkt hatte funktionierte zwar, soviel war nun klar aber leider hatte es ihnen nichts gebracht.
Der Zauber, den Nasuadas Gatte um Tjurin gelegt hatte war es zwar gewesen, der Elva auf merkwürdige Aktivitäten des verdächtigen Soldaten aufmerksam gemacht hatte aber leider hatte sich einer der Hofmagier zu früh eingemischt.
"Ich kann diesen junge Magier natürlich keinen Vorwurf machen." räumte Nasuada ein und versuchte sich etwas zu beruhigen. "Aber wenn er Tjurin nicht gewarnt hätte und wir ihn beim Einbruch in Triannas Labor erwischt hätten, dann wären wir einen Schritt weiter."
Ein solcher Vorfall hätte einen ausreichenden rechtlichen Hintergrund geboten um Tjurins Geist untersuchen zu lassen. Wie die Dinge allerdings nun lagen war das unmöglich. Sicher, Tjurin hatte sich verdächtig verhalten aber er konnte eine ausreichend glaubwürdige Erklärung präsentieren und im Hinblick auf seinen Adelsstand würde man vermutlich nicht auf eine Untersuchung seines Verstandes bestehen können.
"Es ist in der Tat bedauerlich."
Elvas unheimliche, emotionslose Stimme trieb Nasuada ein Schauer über den Rücken. Die junge Besucherin studierte mit schief gelegtem Kopf einen Wandteppich.
"Vielleicht lässt sich diese Situation aber doch etwas positives abgewinnen."
Neugierig geworden trat Nasuada näher an Elva heran.
"Was schlägst du mir vor?"
Elva setzte ihre Untersuchung des Wandteppich noch einige Sekunden fort bevor sie Nasuada anblickte.
"Was Tjurin betrifft mögen meine Eindrücke noch zu unspezifisch sein um eine Anklage darauf aufzubauen. Doch bevor sich diese junge Magier eingemischt hat habe ich deutlich eine Gefahr gespürt und zwar in Triannas Labor. Tjurin wollte dort kein einfaches Messer an sich bringen. In diesem Labor ist etwas, das äußerst gefährlich sein kann in den falschen Händen. Darum ging es diesen Burschen und seine Hände wären mit Sicherheit die Falschen."
"Du rätst mir also Triannas Labor durchsuchen zu lassen?"
"Ja. Und in diesem Punkt sind meine Eindrücke so klar, dass ich bereit wäre vor einem Gericht einen Eid zu leisten. In diesem Labor ist etwas Gefährliches. Ich würde vermuten, dass es sich um irgend eine Form von Aufzeichnungen handelt."
"Aufzeichnungen? Wie kommst Du darauf Elva?"
"Es ist die Art dessen was ich empfangen habe." erklärte das ehemalige Hexenkind. "Manche magische Objekte tragen ein gewisses Maß an Gefahr in sich. Dasselbe gilt für ein Schwert oder ein Messer. Was immer Trianna dort verbirgt ist nur gefährlich in Verbindung mit einer Person. Das deutet darauf hin dass es sich um Wissen handelt, das in irgend einer Form konserviert wurde."
"Ich verstehe." murmelte Nasuada. "Eine scharfe Klinge birgt immer eine gewisse Gefahr in sich. Ein geschriebenes Wort aber nur wenn es jemand liest. Der falsche jemand."
Elva nickte stumm.
"Gut! Ich werde deinen Rat folgen. Ich werde Murtagh kontaktieren und ihn bitten nach Ilirea zurückzukehren. Mit dem Wort der Wörter kann er Triannas Schutzwälle auflösen und dann werden wir uns ihr Labor etwas genauer ansehen."

Eragon Band 6 - Die Wege der ReiterWo Geschichten leben. Entdecke jetzt