108. Gadanken einer Elfe

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Arya stieg die Stufen hinauf die zu ihrem Quartier führten. Das Gespräch, um das Herzog Aurast sie gebeten hatte, war ihr nicht leicht gefallen. Ein Teil der Unruhe die sie verspürt hatte nach dem sie Tjurins Geist untersucht hatte war zurückgekehrt und hatte sich wie die Wolken eines heranziehenden Sturms in ihrem Geist aufgetürmt.
Fíernen hatte die Unruhe seiner Reiterin gespürt und sie zu einem kleinen Ausflug überredet. Für einige Stunden hatten sich die beiden Seelengefährten von allem zurückgezogen und sich in einem kleinen Wäldchen außerhalb von Ilirea niedergelassen. Im Geiste eng verbunden hatte der grüne Drache gemeinsam mit seiner Reiterin den Frieden der Natur genossen. Arya war ihrem Seelengefährten sehr dankbar für diese Unterstützung. Er wusste genau was sie in dieser Situation brauchte. Abstand! Abstand von der Menschenstadt mit all den Problemen, den herum schwirrenden Gefühlen und Gedanken. In dem kleinen, jungen Laubwald schien die Welt umso vieles einfacher zu sein. Das Leben folgte einem bestimmten Rhythmus in dem jeder seinen Platz hatte, Leben und Tod sich genau die Waage hielten und alles den ungeschriebenen Gesetzen der Natur folgte.
In solchen Momenten beneidete die Elfe die Tiere der Welt um die einfache Klarheit ihres Seins. Es war weitaus schwieriger sich seinen Lebensweg mit Entscheidungen zu erkämpfen als einfach seinen Instinkt zu folgen.
Drache und Reiterin hatten selbstverständlich auch noch einmal über den Sohn des Herzogs von Gil' ead gesprochen. Aurast tat ihm leid und gerne hätten sie ihm geholfen. Arya wusste, dass es auch bei ihrem Volk gelegentlich charakterliche Missbildungen gab wie die von Tjurin. Gerade weil Kinder beim schönen Volk so selten waren sah es jeder als seine Pflicht an einen positiven Einfluss auf deren Entwicklung zu nehmen. Besonders die Paten und die Eltern trugen natürlich den Großteil der Verantwortung. Arya hatte nicht umsonst die Schmiedin Runön bei ihrer Tochter als Patin ausgewählt. Runön war die einzige Elfe der sie wirklich völlig vertraute. Sie gestand sich, dass das im Grunde ein trauriger Gedanke war. Sie versuchte auch zu ergründen, warum die Schmiedin die einzige war, der die keine eigennützigen Motive unterstellte.
Die Antwort war einfach: Runön trug ihr Herz auf der Zunge. Sie sagte was sie dachte und handelte dementsprechend. So kompliziert und vielschichtig Menschen, Zwerge oder die Gehörnten auch immer sein mochten, ihr eigenes Volk war noch um einiges schwieriger. Das lange Leben der Elfen führte dazu, dass sich über die Jahrhunderte ein immer komplexer Charakter ausbildete. Immer neue Facetten wurden hinzugefügt bis man fast eine Lebensspanne brauchte um sein Gegenüber wirklich zu erfassen. Wie konnte man unter solchen Umständen Vertrauen entwickeln?
Arya rief sich zur Ordnung. Ganz so düster sah ihr Leben nun wirklich nicht aus. Auch stimmte es nicht, dass Runön die einzige Elfe war der sie vertraute. Da war selbstverständlich noch ihre Cousine Narie oder die Elfengarde Eragons, mit denen sie auch im Krieg gekämpft hatte. Trotzdem nahm Runön eine Sonderstellung ein. Die anderen Elfen in ihrem Freundeskreis waren entweder Untergebene oder höchstens Gleichgestellte. Dieser Umstand verlangte von Arya immer noch eine gewisse Selbstkontrolle im Umgang. Runön war anders. Arya kannte sie solange sie zurückdenken konnte und sie war die einzige bei der sich die ehemalige Elfenprinzessin nicht in der Pflicht sah einer gewissen Führungsrolle gerecht zu werden. Die Schmiedin war für sie eine art mütterliche Freundin oder vielleicht eine Großmutter.
Ihr grüner Begleiter hatte ein heiseres kichern ausgestoßen als er diese Gedanken seiner Seelenschwester verfolgte.
- "Begrüß die alte Schmiedin doch das nächste Mal mit Großmutter wenn du sie besuchst." - hatte ihr Drache schelmisch vorgeschlagen und damit seiner Reiterin tatsächlich ein Lachen entlockt. Die Vorstellung was Runön mit ihr anstellen würde wenn man sie so titulierte war im Grunde nicht unterhaltsam dennoch heiterte es die Elfe auf.
Nachdem sie ihre innere Ruhe wieder gefunden hatte war Arya zur Stadt zurückgekehrt und hatte sich vorgenommen etwas Zeit mit Eragon zu verbringen. Das war ganz in Fírnens Sinn gewesen. Wie üblich betonte der grüne Drache gegenüber seiner Reiterin, dass ihr Gefährte ihr gut tun würde.
Als sich die Elfe dem Quartier näherte, dass sie gemeinsam mit Eragon bewohnte sah sie, das Ismira und Cale das Zimmer gerade verließen.
Während sich der Sohn des Buchbinders vor ihr, als seiner Lehrmeisterin, respektvoll verneigte bestand Ismiras Begrüßung aus einem warmen, strahlenden Lächeln.
"Hallo, Tante Arya."
Arya verlieh dem warmen Gefühl, dass die Selbstverständlichkeit mit der die junge Reiterin sie Tante nannte, heraufbeschwor durch ein Lächeln Ausdruck. Eragon und seine Angehörigen waren einfach besondere Menschen. Sie ging mit einer Herzlichkeit auf andere zu die fast einmalig war. Arya wusste, das Ismira die familiäre Bezeichnung in vollem Bewusstsein wählte. Es war keine Pflichtübung und keine leere Floskel. Unwillkürlich musste die Elfe jedes Mal wenn sie von Rorans und Katrinas Tochter so angesprochen wurde an das aufgeregte kleine Mädchen denken, dass Ihr an einem ganz besonderen Abend in Carvahall einen Blumenkranz aufs Haar gelegt hatte.
"Nun, was macht ihr zwei hier?"
Cale öffnete den Mund und seiner Lehrerin zu antworten doch Ismira war wie üblich schneller.
"Bei unserem Besuch in Isencroft hat Cales Onkel sich interessiert gezeigt vielleicht in die Ostmark umzusiedeln. Wir haben Onkel Eragon um einige Informationen gebeten die Cale seiner Familie schicken möchte. Ich finde die Idee gut umzusiedeln. Ich möchte auch nicht in Isencroft wohnen. Das Dorf ist......"
Ismira schüttelte sich leicht als ob er kalt wäre und Arya konnte über soviel Unverblümtheit nur schmunzeln.
"Meine Heimat ist wirklich kein angenehmer Ort." räumten Cale ein. "Daher habe ich mich entschieden nicht bis zu unserer Rückkehr in die Ostmark zu warten sondern direkt Meister Eragon um einige Informationen zu bitten. Es überrascht mich, dass so wenig gegen eine Umsiedlung spricht. Wohnraum ist vorhanden und wenn man Onkel es wünscht könnte er doppelt soviel Land beackern wir es hier in Alagaesia tut. Ich hätte erwartet, dass mehr Menschen den Wunsch haben in der neuen Stadt der Drachenreiter zu leben."
"Nicht so viel wie man glauben mag Cale-Finiarel." erklärte Arya geduldig. "Viele deines Volkes haben nicht viel von der Welt gesehen. Ihre Heimat ist für sie das Zentrum ihres persönlichen Universums. Das neue und unbekannte setzen viele auch mit dem Risiko gleich. Ein solches einzugehen ist keine einfache Entscheidung."
"Da hast du bestimmt recht Tante." sagte Ismira doch deutliche Ungeduld schwang in ihrer Stimme mit. Sie packte die Hand ihres Gefährten und zog ihn wie einen Handwagen hinter sich her. "Komm schon! Wir müssen einen Brief schreiben."
Cale schaffte es gerade noch seiner Lehrerin einen entschuldigenden Blick wegen des überstürzten Aufbruchs zu werfen bevor er vor Ismiras unerschöpflicher Energie kapitulieren musste.
Arya blickte den beiden jungen Leuten lächelnd nach. Ohne sie zu beneiden freute sich die Elfe um wie vieles leichter es diese Generation der Drachenreiter während ihrer Ausbildung hatte. Als ihre Nichte und deren Gefährte schließlich aus der Sichtweite verschwunden waren betrat die Elfe das Quartier welches sie gemeinsam mit ihrem Gefährten bewohnte. Saphiras Reiter stand am Fenster und blickte gedankenverloren hinaus. Als er das Öffnen und Schließen der Tür hörte drehte er sich um und schenkte seiner Gefährtin ein Lächeln.
Arya erwiderte es gern und trat auf ihrem Gefährten zu. Wie schon unzählige Male zuvor fragte sie sich wo der schüchterne Bauernjungen geblieben war den sie, so erschien es ihr heute, in einem anderen Leben kennen gelernt hatte. Eine Antwort auf diese Frage hatte sie bisher nie gefunden. Nur zwei Dinge waren für die Elfe im Bezug auf den Anführer der Drachenreiter sicher: Erstens war es für sie erwiesen, dass Saphira weise gewählt hatte in Bezug auf ihren Reiter. Im Grunde hatte das Geschenk der Drachen während der Blutschwurzeremonie nur das zu Tage gefördert was Eragon schon immer ausgezeichnet hatte. Er war etwas besonderes. Menschen war weniger Zeit gegeben und deshalb wuchsen sie schneller zu reiferen Charakteren heran aber selbst wenn man ihm diese Eigenschaft seines Volkes zugute hielt hatte der Schattentöter beachtliches geleistet. 100 Sommer hatte Arya bereits gesehen und dennoch war er für sie zu einem gleichwertigen Partner geworden. Dies war der zweite Punkt über den sich die Elfe sicher war: Sie liebte diesen besonderen jungen Mann und er sie. Das hätte er unzählige Male bewiesen und besonders eindrucksvoll als er ihr zum zweiten Mal seinen wahren Namen nannte. Dies einmal zu tun war schon ein Vertrauensbeweis der seinesgleichen suchte aber es zu wiederholen war ein wahrhaft einmaliger Vorgang. Es war ungefähr fünf Jahre her. Damals hatte Eragon erkannt, dass der wahre Name den er bisher geführt hatte ihn nicht mehr wirklich beschrieb. Er hatte sich für einige Tage zurückgezogen um sich über die Veränderungen klar zu werden die er durchlebt hatte. Als er schließlich zu ihrer gemeinsamen Behausungen zurückgekehrt war hatte Arya ihn sofort gefragt ob seine Bemühungen von Erfolg gekrönt gewesen waren. Eragon war einfach auf sie zugetreten und hatte ihr seinen neuen Namen zugeflüstert. Er war reifer geworden. Wenn Arya es bildhaft beschreiben sollte was sich verändert hatte würde am ehesten der Vergleich zwischen einem Diamanten in seiner rohen Form und einem geschliffenen und gereinigten Edelstein verdeutlichen was vor sich gegangen war.
Überrascht und gerührt von so viel Vertrauen hatte sie sich zunächst in ihrer Selbstkontrolle geflüchtet und ihrem Gefährten gefragt ob er es nicht etwas leichtsinnig hielte so bereitwillig Auskunft über sein innerstes Wesen zu geben.
Saphiras Reiter hatte sie nur angerechnet und gesagt, dass er das was er gerade getan hatte schlicht als richtig empfände.
Arya hatte nicht gewusst was sie antworten sollte. Eragon war einer der Wenigen, der es verstand sie sprachlos zu machen.
Als die beiden Gefährten schließlich beide am Fenster standen viel Arya auf, dass Eragon auf die Überreste von Galbatorix eingestützter Festung gestarrt hatte. Die Elfe bedachte den Drachenreiter mit einem fragenden Blick.
Inzwischen hat ihre Beziehung eine Tiefe erreicht, die es unnötig machte gewisse Fragen auszusprechen.
"Ich bin bei der Übersetzung von Durzas Tagebuch ein Stück weitergekommen." erklärte Eragon sachlich. "Ich weiß nicht wieso, aber Durza war nicht nur einfach an dem Dauthdaert interessiert, um eine Waffe für einen möglichen Kampf gegen Shruikan zu haben. Er spricht von den Speer als wäre es ein Heiligtum für ihn."
"Das ist seltsam." räumten Arya ein. "Ich kenne nicht alle Einzelheiten der Geschichte dieser Waffen aber soweit ich weiß hatten die Schatten nie etwas mit ihnen zu tun. Die erste verzeichnete Begegnung mit einem Schatten hat sich lange nach dem Drachenkrieg zugetragen."
"Nun," murmelte Eragon. "Die Waffe ist jedenfalls sicher aufgehoben."
Arya nickte. Zusammen mit einigen anderen gefährlichen Gegenständen war der Dauthdaert in der ehemaligen Festung von Galbatorix begraben worden. Man war übereingekommen, dass es kaum einen sichereren Platz geben konnte. Die Ruine der schwarzen Zitadelle war hinter einer soliden Mauer begraben, magische Schutzwälle umgaben sie und die unsichtbare Kraft die dort umging jeden innerhalb von kürzester Zeit töten der ist trotzdem wagte das ehemalige Zentrum von Galbatorix Tyrannei zu betreten.

Eragon Band 6 - Die Wege der ReiterWo Geschichten leben. Entdecke jetzt