75. Ein Verdacht

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Besorgt über Ishahas Bericht aus Alagaesia schritt Eragon durch den Korridor seines Hauses. Was er erfahren hatte war in der Tat bedrohlich. Eine Ra zac, der mit einem Geist verschmolzen war und offenbar davor stand zum ersten Schatten seiner Art zu werden! Dies stellte in der Tat eine nicht zu unterschätzende Bedrohung dar.
Als Anführer der Reiter hatte Eragon einige Sofortmaßnahmen ergriffen um größere Sicherheit zu gewährleisten. Er hatte sich umgehend mit Murtagh in Ilirea in Verbindung gesetzt und ihn gebeten zu Ishaha zu stoßen. Da sein Bruder noch immer nicht offiziell dem Orden beigetreten war verfügte er als einziger noch über den wahren Namen der alten Sprache. Eragon selbst und Arya hatten dieses Wissen aufgegeben und es den Eldunari übergeben.
Murtagh war außerdem weit erfahrener als Ishaha. Zwar kann Eragon nicht umhin stolz auf seinen ehemaligen Schüler zu empfinden ob der Weitsicht die dieser gezeigt hatte, doch er wollte die Risiken der Situation so weit wie möglich unter Kontrolle bringen. Die zusätzliche Erfahrung seines Bruders und seine Kenntnis des Wortes der Wörter würden wesentlich dazu beitragen.
Inzwischen warr Eragon aus seinem Haus getreten und ließ seinen Blick über die ehemalige Schlüpflingswiese schweifen. Am Rand der überdachten Lichtung lag Saphira und hatte den Blick in den Himmel gerichtet.
Als Eragon neben seine Drachendame trat und ihren Blick folgte erkannte er was sie so faszinierte. Drugatie und Maranie jagten einander spielerisch über den Himmel. Der junge silberne Drache hatte, kurz nach ihrer Rückkehr zur Ostmark auch seinen Lehrern gesagt was ihn in der Vergangenheit so bedrückt hatte. Er hatte sich ausführlich für seine Überheblichkeit entschuldigt und genau wie sein Reiter um eine zweite Chance gebeten. Allzu gern war sie ihm gewährt worden.
Eragon kann nicht umhin die Seelenqualen des jungen Drachen nachfühlen zu können. Er hatte schließlich eine lange Zeit in dem Glauben verbracht der Sohn von Morzan zu sein. Shruikans Bruder zu sein musste für Drugatie ebenso bedrückend gewesen sein.
Mehr und mehr entwickelte der Silberne nun einen Charakter den man nur als angenehm bezeichnen konnte. Er handelte nun überlegt und sachlich. Es hatte Eragon auch beeindruckt, dass Drugatie sich offen entschuldigt hatte. Fehler einzugestehen fiel den meisten Drachen recht schwer. Die Söhne und Töchter des Himmels und des Feuers waren nun einmal ein stolzes Volk. Daher war eine offene Bitte um Verzeihung bei einem Drachen stets etwas besonderes und der Anführer der Reiter hatte sich vorgenommen alles zu tun, damit Drugatie seine Entschuldigung nicht bedauerte.
- "Stört es dich, dass Maranie und Drugatie sich offenbar näher kommen?" -
Erkundigte sich Eragon als er Saphira erreicht hatte.
Die blaue Drachendame blinzelte ihn überrascht an. Offenbar war sie so in der Beobachtung ihrer Adoptivtochter und des Verehrers der jungen weißen Drachendame versunken gewesen, dass sie ihren Reiter gar nicht bemerkt hatte.
- "Ich weiß nicht recht was ich fühle." - räumte Saphira schließlich leicht verlegen ein. Unsicher scharte sie mit den Krallen vor sich in der Erde. - "Drugatie hat sich sicherlich sehr positiv entwickelt. Er wäre sicher ein guter Nistpartner für Maranie und alt genug ist sie ja schließlich auch. Aber......." -
- "Irgendwie fühlst du dich doch unwohl bei dem Gedanken oder?" -
Saphira brummte versonnen und schüttelte ihren Kopf wie ein Hund es tat, der sich das Wasser aus dem Pelz schüttelte.
- "Ich weiß selbst nicht wieso Kleiner. Wie schon gesagt, Drugatie kann ich nun wirklich nichts mehr vorwerfen." -
Eragon setzte sich neben seiner Drachendame ins Gras und lächelte verstehend.
- "Maranie mag nicht dein jüngstes Kind sein aber weil sie von deiner Namensschwester abstammt hast du sie ihm ganz besonders ins Herz geschlossen. Wir Menschen nennen so etwas Nesthäkchen. Nun fällt es dir schwer zu sehen, das dein Schützling sich sein eigenes Leben aufbaut." -
Saphira überlegte einen Moment, dann gab sie ein zustimmendes Schnaufen von sich.
- "Sie werden so schnell erwachsen." -
- "Allerdings." -
Eragons nachdenklicher Tonfall veranlasste nun Saphira dem Blick ihres Reiters zu folgen. Wie auch ihr Seelenpartner entdeckte sie Arya die auf einem sonnigen Teil der Lichtung kniete und die kleine Marlena dazu ermutigte auf sie zu zu krabbeln. Seit die gemeinsame Tochter der beiden Drachenreitern damit begonnen hatte auf allen vieren die Welt zu erkunden unterstützte Arya sie dabei nach Leibeskräften.
- "Was war das eigentlich für eine Nachricht die Du aus Alagaesia erhalten hast?" - erkundigte sich Saphira, nachdem die beiden Seelengefährten eine Weile Marlena und ihre Mutter beobachtet hatten.
Wie der kalte Hauch eines plötzlich ausziehenden Windes kehrten Eragons sorgenvolle Gedanken zurück. Er öffnete seinen Geist weiter und teilte seine Erinnerungen mit Saphira. Erneut schüttelte die Drachendame ihr mächtiges Haupt und ihr Schuppenkleid raschelte als sich die schützenden Platten ihres Körpers leicht aufstellten wie das gestreubte Fell einer Katze.
- "Ein Schatten-Ra zac?! Das ist abstoßend!" - knurrte sie.
- "Da werde ich dir nicht widersprechen. Ich werde auch gleich eine Sitzung des Rates einberufen. Wir müssen diese Situation diskutieren und entscheiden wie wir vorgehen werden." -
- "Gut! Dann solltest du jetzt dein Herzstern informieren und ich mache mich auf die Suche nach Fírnen. Er ist mit Vervarda auf der Jagd. Sobald ich ihn gefunden habe holen wir euch hier ab." -
- "Einverstanden. Könntest du auch bei der Festung vorbei fliegen und Tar ausrichten, dass der Nachmittagsunterricht für Ismira und Cale heute entfällt? Die Sitzung des Rates wird all seine Mitglieder sicherlich den Rest des Tages beanspruchen." -
Saphira fixierte ihren Reiter mit einem durchdringendem Blick.
- "Ich bin keine Brieftaube Kleiner." - Im Anschluss an ihre Worte wurde ihr Blick jedoch milder. - "Aber für dich tue ich ja alles." -
Dankbar lächelnd blickte Eragon seiner Drachendame nach als sie sich in den Himmel erhob und schritt dann zu seinen beiden anderen Herzdamen.
Marlena hatte sich inzwischen einen Platz auf dem Schoß ihrer Mutter erkämpft und war etwas eingenickt. Die Krabbelübungen waren offenbar sehr anstrengend gewesen.
"Sie wird jeden Tag besser." flüsterte Arya ihren Gefährten zu als dieser sich neben sie ins Gras setzte. "Ich bin sicher sie wird noch diesen Monat anfangen zu laufen."
Eragon nickte lächelnd und gönnte sich einen Augenblick in dem er ganz den Anblick seiner Tochter und ihrer stolzen Mutter genoss.
"Ich hoffe Saphira ist nicht abgeflogen um Maranie und Drugatie etwas besser beobachten zu können." mutmaßte Arya.
"Nein, nein." Beschwichtigte Eragon schmunzelnd.
"Ich frage mich ob wir bei Kalain und Drugatie nicht zum ersten Mal als Lehrer versagt haben."
"Wie meinst du das?" erkundigte sich Eragon überrascht.
"Versteh mich nicht falsch, Liebster. Inzwischen entwickeln die beiden sich zu meiner vollsten Zufriedenheit aber ich habe ihre Anfänge nicht vergessen. Lange Zeit ist es uns nicht gelungen Kalain von der Ansicht abzubringen, dass Elfen den anderen Völkern überlegen sind. Und wir hätten vielleicht früher erkennen müssen, dass Drugatie mit seiner Angeberei im Grunde nur seine Unsicherheit verbergen will."
"Ich verstehe was du meinst mein Stern." Eragon ließ sich noch einen Moment Zeit mit seiner Antwort um die Worte genau abzuwägen. "Was Kalain betrifft kann ich dir nicht ganz zustimmen. Er war jung und rebellisch als er zu uns kam. In dem Alter in dem er sich befunden hat als er erwählt wurde ist es schwierig für junge Leute Ratschläge von Älteren anzunehmen. Sie haben die Kindheit hinter sich gelassen und bemühen sich nun ihre eigene Unabhängigkeit zu demonstrieren. Das führt dazu, dass sie Lehrern oder Eltern oft widersprechen um eben zu widersprechen. Letztlich glaube ich aber dass wir richtig gehandelt haben. Wir sind nicht müde geworden seine Charakterschwächen zu kritisieren und letztlich hat das dazu geführt, dass er die Wahrheit hinter unseren Lehrern erkannt hat. Was seinen Drachen angeht stimme ich dir bis zu einem gewissen Grad zu. Ich denke es war ein Fehler, dass wir es allein den Eldunari überlassen haben unsere Schützlinge über ihre Vergangenheit zu informieren. Gerade ich hätte verstehen müssen, dass Enthüllungen über die Familie manchmal eine große Belastung sein können. In der Tat hätten wir dort nachfragen sollen und wir können uns glücklich schätzen, dass Drugatie seine Dämonen selbst nieder gerungen hat. Ich denke auch wir Lehrer entwickeln uns eben noch."
Arya nickte zustimmend.
"Es ist wichtig, dass wir uns entwickeln." sagte sie schließlich. "Wohin ist Saphira denn dann geflogen?"
Einmal mehr wurde Eragons Miene ernst und er informierte seine Gefährtin über die Ereignisse in Alagaesia. Fast bereute er es, denn die Informationen die er weitergab vertrieben die Gelöstheit von Aryas Gesicht und eine sorgenvolle, Eragon nur zu vertraute Mienen nahm ihren Platz ein.
"Ein Ra zac, der sich zu einem Schatten entwickelt." murmelte die Elfe. "Ich kann mir kaum eine unglücklichere Kombination vorstellen. Den von dir getroffenen Entscheidungen stimme ich vollständig zu Eragon. Murtaghs Anwesenheit dort ist erforderlich. Ich nehme an er ist bereits aufgebrochen?"
"Noch nicht. Ich habe ihn gebeten zu warten bis die Ratssitzung abgeschlossen ist. Möglicherweise werden Entscheidungen getroffen, die seine Mission beeinflussen."
Arya nickte.
"Möglicherweise müssen wir mit dem Versuch dieses Wesen zu vernichten warten bis es sich zu seiner endgültigen Form, dem Letherblaka weiter entwickelt."
Auch Eragon hatte bereits über diese Möglichkeit nachgedacht. Die Ra zac ähnelten das ihre inneren Organe betraf mehr Insekten als anderen zweibeinigen Spezies. Ihr "Herz" war ein röhrenförmiger Schlauch aus Muskelgewebe der sich durch den Körper zog. Ähnlich war auch das Herz von Bienen, Wespen oder Ameisen strukturiert. Erst nach ihrer Entwicklung zum Letherblaka änderte sich dieser Zustand. Um die kräftigen Flügelmuskeln zu versorgen wäre ein Röhrenherz zu schwach. Deshalb entwickelten die Ra zac in ihrer endgültigen Form ein neues Organ, das dem Herz wie es Menschen, Elfen, Zwerge und Urgals definierten näher kam.
"Die Frage ist nur, ob ein Ra zac nach seiner Verschmelzung mit einem Geist diese Verwandlung überhaupt noch durchläuft." murmelte Eragon.
"Ich kann dir das bedauerlicherweise nicht beantworten." räumte Arya ein. "Eine solche Verschmelzung hat es noch nie gegeben. Außerdem bleibt die Frage ob wir diese Kreatur so lange gefangen halten können. Je nachdem wie alt der Ra zac ist kann es bis zu 20 Jahre dauern bis er sich zum Letherblaka entwickelt. In dieser Zeitspanne kann eine Menge geschehen."
"Allerdings!" bestätigte Eragon resigniert. "Die Situation ist gefährlich. Daran besteht kein Zweifel. Leider steht es auch nicht zur Debatte das Wachstum des Ra zac zu beschleunigen. Nach ihrer Veränderungen durch Shruikan können wir die dunklen Kreaturen keinen direkten Zauber mehr unterwerfen ohne dass sie die Energie aufschlucken. Es gibt noch eine Angelegenheit die mich in diesem Zusammenhang mit Sorge erfüllt."
"Wovon sprichst Du?"
"In letzter Zeit häufen sich Vorfälle bei denen Geisterbeschwörung im Spiel ist. Erst die Sache in Bullridge und jetzt die Angelegenheit mit den Ra zac. Bei jedem dieser Vorfälle war eine Person in der Nähe die Elva bereits Grund zur Sorge gegeben hat."
"Ich kenne natürlich die Berichte." bestätigte Arya. "Elva hat doch was den Sohn von Herzog Aurast betrifft eine gewisse Vorahnung oder?"
Eragon nickte und starrte mit finsterem Blick ins Leere.
"Tjurin. Erst wird er einer Magierin zugeteilt die mit Geisterbeschwörung experimentiert. Dann gibt es diesen Vorfall in Bullridge. Ein Dorf, das praktisch nur einen Steinwurf von Ilirea entfernt ist. Dort ist Tjurin zurzeit stationiert. Und er gehörte zu dem Bataillon, das gegen die Ra zac ins Feld gezogen ist. Außerdem, stammt der Bericht wie der Schatten-Ra zac entstanden ist von niemand anderem als von ihm."
Eragon konnte förmlich beobachten wie es auch hinter Aryas Stirn zu arbeiten begann.
"Uns fehlen konkrete Beweise aber dieser Häufung von Zufällen ist mehr als ausreichend um Verdacht zu erregen. Was schlägst du vor? Wie sollen wir in Bezug auf Tjurin vorgehen?"
"Ich habe eine Idee was ihn betrifft. Auch deshalb habe ich Murtagh noch gebeten zu warten. Der Rat muss dem allerdings zustimmen und wir müssen Nasuada um ihre Genehmigung bitten. In jedem Fall aber glaube ich, dass wir inzwischen genug Indizien haben um etwas konkretere Maßnahmen zu rechtfertigen."






Eragon Band 6 - Die Wege der ReiterWo Geschichten leben. Entdecke jetzt