89. Rückkehr in die Stadt der Toten

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Gemeinsam mit seinen beiden Schülern betrat Eragon das Haus, des Stadthalters von Jnturheim.
Die geräumige Vorhalle war so ausgelegt, dass sie auch einem Drachen Unterschlupf bieten konnte. Das Haus des Stadthalters hatte zwei Etagen und die Eingangshalle durchzog beide. Eine Freitreppe im hinteren Teil des ausladenden Raumes ermöglichte Zugang zur zweiten Etage. Türen rechts und links gaben Zugang in den Rest des Erdgeschosses und eine große tränenförmige Einflugöffnung im Dach gestattete es einen Drachen das Haus zu betreten.
Unwillkürlich musste Eragon sich fragen wie der Alltag in diesem Haus sowohl für den Drachenreiter Aron und die weiße Drachendame gewesen sein musste als sie hier lebten. Wie oft war die treue Begleiterin des Stadthalters wohl durch die Einflugöffnung zur Jagd aufgebrochen und wieder zurückgekehrt?
Die Trauer die in Eragon aufstieg verstärkte sich noch als der Blick von Saphiras Reiter zu dem schwarzen Drachenreiterschwert glitt welches im steinernen Boden des Hauses steckte. Die dunkle Klinge stach jedem der das Gebäude betrat sofort ins Auge, denn sie steckte direkt im Zentrum des Lichtkegels der durch die Einflugöffnung erzeugt wurde. Das Schwarz der Klinge schien das Licht, welches auf sie traf regelrecht aufzuschlucken. Im Kontrast dazu stand das Gold aus dem die Parierstange und der Griff gefertigt war. Sie reflektierten das Licht und schienen damit die Aufmerksamkeit jedes Beobachters einzufordern.
Hinter dem Schwert lag auf einem Podest, welches Eragon gefertigt hatte, das Tagebuch des Drachenreiters Aron. Jeder Schüler der diesen Ort besuchte sollte die Zeilen lesen können, die Aron in seinen letzten qualvollen Stunden niedergeschrieben hatte. Einmal mehr schauderte Eragon. Deutlich trat Galbatorix Wahnsinn an den Tag als der Anführer der Reiter an die Strafe dachte, die der dunkle König Aron auferlegt hatte. Mithilfe der Energie, die er in dem schwarzen Edelstein seines Schwertes Insilabeth gespeichert hatte, hatte Galbatorix den Todeskampf des Reiters Aaron um Tage verlängert. Langsam und unter Schmerzen sollte der Reiter der ihm getrotzt hatte auf sein Ende warten.
"Das ist ein Drachenreiterschwert oder?"
Ismiras Stimme schreckte Eragon aus seinen Überlegungen auf. Seine beiden jungen Schützlinge hatten sich der dunkle Klinge bereits genähert und betrachteten diese mit respektvoller Neugier.
"Das ist nicht nur irgend ein Drachenreiterschwert."
Cales Worte waren kaum mehr als ein Flüstern. Der junge Reiter von Tailon ging neben dem Schwert in die Hocke und hatte den Blick fest auf das Wappen gerichtet, welches mit Gold in die schwarze Klinge des Schwertes eingelassen war. Das elfische Schriftzeichen verriet den Namen des Schwertes.
"Insilabeth!" las Cale laut vor. "Ich habe in einem Geschichtsbuch gelesen, dass das der Name von Galbatorix erstem Schwert war."
"Dieses Schwert gehörte Galbatorix?!" Ismira wich unwillkürlich einen Schritt zurück und ihre Miene zeigte eine Mischung aus Überraschung und Abscheu als sie das Schwert musterte. "Wie konnte sie hier her Onkel? Was ist hier passiert?"
Es überraschte den Anführer der Drachenreiter nicht, dass weder seine Nichte, noch ihr Gefährte die Einzelheiten der Geschichte von Jnturheim kannten. Viel Wissen über die Geschichte und die Errungenschaft der Menschen war während Galbatorix Herrschaft verloren gegangen. Der dunkle König war bemüht gewesen alles auszulöschen was den Eindruck erweckte, dass die Herrschaft der Drachenreiter etwas positives gehabt hatte. In seiner offiziellen Version der Geschichte waren die Reiter nur Handlanger der Elfen gewesen die danach strebten alle anderen Völker Alagaesias zu kontrollieren. Er hatte dem schönen Volk vorgeworfen, absichtlich die Urgals und Ra zac nicht völlig auszulöschen um die Menschen abhängig zu halten vom Orden der Reiter. Daher war auch die Siedlungen Jnturheim im Laufe seiner über 100 Jahre andauernden Herrschaft in Vergessenheit geraten.
Eragon ging zu dem Podest herüber auf dem Aarons Tagebuch lag. Natürlich hatte er die wertvollen Aufzeichnungen mit Schutzzaubern versehen die es unmöglich machten das Buch aus dem Gebäude zu entfernen und das Papier sowie die niedergeschriebenen Worte vor den Elementen schützte.
Saphiras Reiter nahm das Buch an sich und trat gemeinsam mit seinen Schülern zu einem der Fenster von denen man den ehemaligen Marktplatz überblicken konnte. Als Eragon das erste Mal diesen Ort besuchte war die Scheibe zerbrochen gewesen. Er hatte sich jedoch repariert. Es war die einzige Reparatur die er an einem Gebäude vorgenommen hatte und auch diese nicht ohne Grund.
Eragon berührte die Scheibe mit der Hand und beschwor seine Magie. Er aktivierte den Zauber den er in das Glas einigeflochten hatte. Die Scheibe kräuselte sich und kreisförmige Wellen bereiteten sich aus. Die Oberfläche wirkte nun wie ruhiges Wasser eines Sees in dem man einen Stein hatte fallen lassen.
Als sich die Oberfläche des Fensters wieder glättete hatte sich das Bild des Marktplatzes deutlich verändert. Nun waren dort keine Gräber mehr zu sehen, keine Gedenksteine und auch nicht das steinerne Mausoleum in dem Aarons sterbliche Überreste ihre letzte Ruhe gefunden hatten. Nun zeigte sich das schaurige Bild welches Eragon vor vielen Jahren gemeinsam mit Narie vorgefunden hatte.
Ismira keuchte bei dem Anblick auf und schlug sich erschreckt die Hände vor den Mund. Cale beherrschte seine Gefühle etwas besser, doch die plötzliche Blässe die sich auf seinem Gesicht ausbreitete zeugte davon wie erschüttert auch er war.
Eragon konnte diese Reaktion nur zu gut nachempfinden. Auch ihm lief ein Schauer über den Rücken als er die von der Sonne gebleichten Skelette an denen noch Fetzen ihrer ursprünglichen Kleidung hingen wieder erblickte. Auch er musste sich ins Gedächtnis rufen, dass dies nur ein Abbild war, geschaffen aus mithilfe von Magie gebrochenem Licht welches durch die Scheibe fiel. Einige Augenblicke ließ Eragon diesen Anblick auf seine Schüler wirken. Dann begann er zu erzählen. Er erklärte ihnen, dass es hier begonnen hatte. Hier hatte Galbatorix seine Taktik geändert. Er hatte es aufgegeben im geheimen Angriffe auf einzelne Drachen oder Drachenreiter zu starten. Das Massaker von Jnturheim war wie ein Fanfarenstoß gewesen. Er hatte eine Nachricht verbreiten lassen: Die Drachenreiter sind schwach! Sie können euch nicht beschützen! Folgt mir und ich werde euch beschützen! Die Belohnung in meiner neuen Ordnung wird fürstlich sein.
Terror und Erfolg! Ein unschlagbares Konzept. Tatsächlich gelang es Galbatorix so eine Armee auszuheben. Eine Armee der Unzufriedenen. Adlige die sich Vorteile vom Sklavenhandel versprachen schlugen sich mit ihren Truppen auf seine Seite, Verstoßene aus anderen Armeen und Leute die sich zu schwach fühlten um sich gegen den Ansturm der 13 und ihres Herrn zu behaupten. Gier und Angst trieb Galbatorix Soldaten in die Arme.
Eragon beendete seinen Bericht schließlich indem er Ismira und Cale die letzten Seiten aus Aarons Tagebuch vorlas. Wie der Reiter versucht hatte seine Stadt zu beschützen und wie er Galbatorix zumindest einen moralischen Sieg abgetrotzt hatte indem er ihm die Möglichkeit nahm weiterhin mit dem Schwert ins Feld zu ziehen, das ihm einst verliehen worden war.
Stille erfüllte den Raum nach dem Eragon geendet hatte und das Tagebuch des verstorbenen Drachenreiters Aron wieder zugeklappt hatte.
"Warum zeigt ihr uns dies, Meister?"
Es war Cale, der die Stille durchbrach. Der junge Buchbindersohn und Ismira saßen gemeinsam mit Eragon auf dem Fenstersims und hatten den Ausführungen von Saphiras Reiter gelauscht. Eragons Nichte lehnte mit dem Rücken an der Brust ihres Gefährten der seine Arme um sie gelegt hatte. Eragon begriff sofort warum ein Hauch von Wut in Cales Stimmen lag. Auf Ismiras Wangen schimmerten kristallene Tränenbäche. Cale liebte die junge Frau in seinen Armen und Eragon wäre auch auf jeden wütend gewesen, der Arya zum weinen gebracht hätte.
"Weißt du Cale als ich damals mit Narie diesen Ort entdeckt habe, da waren wir alle in euphorischer Stimmung. Galbatorix war endlich besiegt und eine Last so gewaltig wie das Beor-Gebirge schien von meinen Schultern genommen worden zu sein. Ich hatte Arya an meiner Seite und das Drachenvolk erhob sich aus seiner eigenen Asche zu neuem Leben. Dann haben wir diese Stadt entdeckt. Sie hat uns an all das Leid erinnert was wir erdulden mussten. Dieser Ort hat uns noch einmal vor Augen geführt wie groß und allumfassend die Finsternis gewesen war, die nun dem Licht eines neuen Morgens wich. Arya hat es in einem Gespräch, welches wir kurz nach der Entdeckung dieser Stadt geführt haben auf den Punkt gebracht: Sie hatte bereits damals über 100 Sommer gesehen und diese ganze, für euch meine jungen Freunde, noch unendlich lange Zeitspanne damit verbracht gegen Galbatorix anzukämpfen und schon ein paar Monate des Friedens und der Hoffnung haben diese Zeitspanne in ihrer Erinnerung zu einer Fußnote zusammen schrumpfen lassen. Der Besuch dieses Ortes soll bewusst machen, dass wir das Leid, welches der Verrat der Wyrdfel heraufbeschworen hat, nicht einfach vergessen dürfen. Wir dürfen nicht den Preis vergessen den wir für die Freiheit gezahlt haben die wir nun genießen. Wir dürfen uns nicht in den Gesängen der Barden verlieren und den Krieg zu einer Art großem Abenteuer verklären. Das Gesicht des Krieges hat nichts schönes, aufregendes oder anziehendes."
Eragon deutete noch einmal auf das Abbild welches sich auf der glatten Fensterscheibe zeigte.
"Das ist das Gesicht des Krieges. Und es ist unsere Aufgabe als Drachenreiter zu verhindern dass es solchen Tragödien kommt. Die Barden werden vielleicht keine Lieder über erfolgreiche diplomatische Verhandlungen zum besten geben. Aber wenn ein Krieg der einzige Ausweg bleibt, dann haben wir versagt."
"Heißt das, Du denkst es war nicht richtig gegen Galbatorix zu kämpfen Onkel?" erkundigte sich Ismira zögernd.
Eragon lächelte gütig und schüttelte den Kopf.
"Als ich gerade so alt war wie du Ismira hat mir mein Lehrmeister Oromis mir einmal die Aufgabe gestellt auf folgende Frage eine Antwort zu finden: Warum ist es richtig gegen Galbatorix zu kämpfen? Ich habe für mich eine Antwort gefunden aber als ich ihn um Erklärung bat, warum er diese Frage überhaupt stellte sagte er folgendes: Der Krieg gegen Galbatorix würde unzählige Leben fordern und große Zerstörung bringen. Außerdem würde er Leid über Alagaesia bringen. Es lebten viele Menschen unter der Herrschaft des Königs und sehr viele haben seine Grausamkeit wohl möglich niemals direkt zu spüren bekommen. Ich bin da keine Ausnahme. Bevor Saphira bei mir schlüpfte habe ich mich nicht besonders dafür interessiert was außerhalb des Palancartals vor sich ging. Sicher, das Auftauchen der Steuereintreiber war des Öfteren ein Ärgerniss aber man lebte damit. Man akzeptierte es. Während meiner Zeit in Ellesméra habe ich das Gedicht eines Barden gelesen, sein Name will mir gerade nicht einfallen aber er hat etwas über den Krieg geschrieben was ich bis heute als wahr und richtig empfinde. In seinem Gedicht ging es um einen Konflikt dessen Hintergründe heute längst vergessen sind. Eine Stadt, vollgestopft mit Flüchtlingen die nur den Krieg zu entkommen versuchten ging unter dem Angriff einer Allianz von mächtigen Staaten in Flammen auf und es gab schrecklich viele Tote. Die Allianz rechtfertigte den Angriff damit, dass nicht sie den Krieg begonnen hätten und alle ihre Aktionen zum Ziel hätten einen tyrannischen Herrscher zu stürzen der Krieg und Tod über alle Welt gebracht hatte. Dieser Barde richtete nicht. Er versuchte nicht die Tat der Allianz zu glorifizieren aber er verteufelte sie auch nicht. Am Ende seines Epos schrieb er: Noch heute streiten die Menschen darüber, wer die schöne Stadt ermordet hat. Waren es die Alliierten die den Tyrannen stürzen wollten oder der Tyrann selbst der den Krieg begonnen hatte? Was soll der Streit? Er macht die Toten nicht wieder lebendig. Als wir im Krieg gegen Galbatorix Feinster eingenommen haben wurde ich von einem Jungen mit einem Messer angegriffen. Der Junge war vielleicht 13 Jahre alt. Ein Kind! Glaubt ihr er hat mich angegriffen um Galbatorix zu dienen? Nein! Er wollte nur sein Heim und seine Familie beschützen. Was ich euch sagen will ist, dass eben diese Leute, die Unschuldigen, die sind die im Krieg am meisten leiden. Ganz gleich auf welcher Seite sie kämpfen! Diejenigen, die den Tyrannen stürzen wollen müssen unweigerlich Leid über diese Menschen bringen, denn die Schuldigen, das haben sie zu allen Zeiten getan und werden es wohl auch immer tun, verstecken sich hinter ihnen. Wenn man ihre Verbrechen beenden will man keine Wahl. Aber solange es eine Wahl gibt zwischen Krieg und Frieden muss für uns als Drachenreiter die Entscheidung immer Frieden lauten. Weder unser Ego noch die Lust nach Abenteuer darf unseren Blick trüben. Deshalb habe ich euch an diesen Ort geführt. Sicher, ich hätte euch Texte geben können, die seine Geschichte erzählen aber hier zu stehen, an diesem Ort und diese Luft zu atmen geht über alles hinaus was Worte auf Papier euch vermitteln können."
Cale und Ismira tauschten kurze Blicke aus bevor sie zu ihrem Lehrmeister zurückblickten und nickten. Für Eragon war nicht mehr nötig als Antwort. Er konnte es an ihren Augen sehen. Seine jüngsten Schützlinge hatten eine schwere Lektion hinter sich gebracht aber sie hatten sie verstanden und waren damit auf dem Weg der Reiter einen Schritt vorwärts gekommen.

Eragon Band 6 - Die Wege der ReiterWo Geschichten leben. Entdecke jetzt