98. Alte Schuld und neue Wut

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Das Getrappel von Pferdehufen drang an Tjurins Ohren. Offenbar näherten sich ihm mehrere Reiter. Wie lange er unter dem Fuß des roten Drachen gelegen hatte konnte er schon nicht mehr sagen. Zu sehr schüchterte ihn die eindrucksvolle Erscheinung des mächtigen Wesens ein.
Lorena hatte inzwischen das Bewusstsein verloren und ihre Kleider waren inzwischen Blut getränkt. Viel gesagt hatte sie nicht bevor sie ohnmächtig geworden war. Hauptsächlich waren es unzusammenhängende Sätze gewesen in denen es um ihr Kind ging.
Das Geräusch der Pferdehufe kam immer näher und verstummte schließlich. Tjurin legte den Kopf so weit er konnte in den Nacken und erkannte eine Gruppe von fünf Reitern. Der Drachenreiter Murtagh war unter ihnen. Der Reiter schwang sich vom Rücken ihrer Pferde und näherten sich nun eiligen Schrittes dem Ort des Geschehens.
Je näher sie kamen desto besser konnte Tjurin erkennen wer sich in der Begleitung des Reiters befand. Er erkannte zwei Magier des Hofes einen weiteren Nachtfalken und seinen ehemaligen Stubenkameraden Thoma.
"Kümmert euch um die Verletzung des Mädchens. Wenn ihr Hilfe braucht bei der Heilung ihrer bunten lasst es mich wissen." befahl der dunkelhaarige Drachenreiter seinen Begleitern.
Alle Aufmerksamkeit galt zunächst Lorena und ihrer Wunde. Zorn stieg im Tjurin auf und verdrängte für kurze Zeit seiner Angst vor dem Drachen der ihm immer noch zu Boden drückte. Alle kümmerten sich um diese kleine Hure während er hier in einer absolut unwürdigen Position lag.
"Sagt eurem Drachenvieh es soll mich loslassen. Was bildet ihr euch ein?! Wie könnt ihr mich so behandeln!"
Der Drache verstärkte seinen Druck auf Tjurins Brust noch und presste den jungen Adligen damit die Luft aus den Lungen.
"Nur ein Dummkopf würde einen Drachen beleidigen." antwortete der Reiter Murtagh auf Tjurins Forderungen. "Aber einen Drachen zu beleidigen während sich besagter Sculblaka in der perfekten Position befindet einen zu zerquetschten wie eine Fliege macht einen zweifellos zum Anwärter auf den Thron im Königreich der Dummköpfe."
Langsam schritt der Drachenreiter auf seinen roten Gefährten zu. Dieser löste nun seinen Blick von Tjurin und richtete seine Rubinfarben den Augen auf den dunkelhaarigen jungen Mann der neben ihm stand. Tjurin konnte aus seiner unwürdigen Position heraus beobachten wie nach kurzer Zeit ein beträchtliches Maß der Farbe aus Murtaghs Gesicht wich und er sich zu den Magiern umdrehte die immer noch Lorena behandelten.
"Dorn vermutet, nachdem was die junge Frau gesagt hat bevor sie ohnmächtig wurde, dass sie schwanger ist. Überprüft das und stellt sicher dass das Kind wohlauf ist."
"Jetzt wird mir einiges klar."
Es war Thoma der gesprochen hatte. Schon während ihrer Ausbildung war der junge Soldat das genaue Gegenteil von Maron gewesen. Strikt hatte er sich geweigert Tjurin den Respekt zu erweisen den er als Sohn eines Herzogs verdiente.
"Was meinst du damit Soldat?"
Murtaghs Frage richtete sich an Thoma. Dieser löste seinen Blick von Tjurin und strafte seine Körperhaltung.
"Verzeiht Drachenreiter, ich wollte nicht respektlos sein aber ich habe eine Vermutung warum mein ehemaliger Stubenkamerad diese junge Frau angegriffen hat."
"Halt dein.....!" weiter kam Tjurin nicht. Das wütende Knurren des Drachen Dorn unterbrach ihn abrubd.
"Dann spricht." forderte Murtagh. "Alles was uns helfen kann diese Angelegenheit aufzuklären ist wichtig."
Thoma entspannte seine Körperhaltung etwas und begann zu berichten: "Unter den Soldaten hat Tjurin einen gewissen Ruf. Nämlich den, hinter jedem Weiberrock her zu sein. Besonders junge Dienstmägde haben es ihm angetan. Er hält sich selbst für so schlau, dass niemand das bemerkt aber es ist allgemein bekannt, dass er Affären mit mehreren jungen Damen hat. Als er einmal zu viel über den Durst getrunken hatte, hat er sogar damit geprallt, wie geschickt er es versteht sich seine Liebschaften mit Gewissen Kräutern gefügig zu machen und das andere Kräuter verhindern, dass das ganze ungewollte Konsequenzen hat. Da haben deine Pülverchen wohl versagt was Tjurin? Ich würde mal vermuten, dass dieses Mädchen von ihm schwanger ist."
"Aber warum sollte er die Mutter seines eigenen Kindes angreifen?" fragte der zweite Soldat der Nachtfalken. Tjurin kannte ihn nur vom sehen.
"Du kennst diesen Burschen nicht Albert!" Thomas Antwort an seinen Kameraden war durchdrungen von tiefer Bitterkeit. "Dein Vater ist ein Baron aus Surda aber trotzdem behandelst du deine Kameraden wie Menschen. Unser Herzoglein sieht das leider ganz anders. Er ist etwas Besseres! Ein einfaches Mädchen aus dem Volk das von ihm schwanger ist! Ein wahrer Albtraum! Ich denke er wollte sich aus der Verantwortung stehlen!"
"Was heißt hier aus der Verantwortung stehlen?!"
Wieder gewann Tjurins Wut die Oberhand über seine Furcht. Er konnte den respektlosen Ton indem Thoma sprach nicht mehr ertragen. "Sie ist eine Gewöhnliche! Sie hat kein Recht auf ein Kind von mir und ich werde nicht zulassen dass so ein Bastard meine Ehre beschmutzt."
Diesmal war es nicht der Drache Dorn, der Tjurin unterbrach sondern sein Reiter. Der Sohn des Herzogs spürte wie er von den Drachenreiter am Kragen gepackt, unter der Klaue hervorgezogen und mit großer Wucht gegen einen noch stehenden Rest der Holzwand der Lagerhalle geschleudert wurde. Kurz verschwand alles vor seinen Augen und als sich sein Blick wieder klärte musste Tjurin feststellen, dass der Drachenreiter ebenso Furcht erregend sein konnte wie sein Gefährte. Eine gnadenlose Kälte lag in Murtaghs Blick als er Tjurin damit buchstäblich durchbohrte.
"Du versuchst die Mutter deines Kindes, ein unschuldiges Mädchen, umzubringen wärend sie dein Kind unterm Herzen trägt und du wagst es noch von Ehre zu reden."
Die Stimme des Reiters war immer mehr angeschwollen als er zu Tjurin sprach. Ganz plötzlich wurde dem jungen Adligen bewusst, dass er es hier mit dem Sohn von Morzan zu tun hatte.
"Im Grunde ist es doch ihre Schuld." stammelte Tjurin.
Thoma lachte im Hintergrund bitter auf. Sein ehemaliger Stubenkamerad schien Tjurins prekäre Lage zu genießen.
"Hast du das gehört Albert? Es ist die Schuld des Mädchens! Vermutlich ist sie über unseren Kameraden, einen trainierten Soldaten der Nachtfalken, hergefallen und hat ihm die Unschuld geraubt."
Thomas Sport versetzte Tjurin einmal mehr in Rage.
"Hör auf zu lachen du Köter. Was bildest du dir eigentlich ein? Was glaubst mit wem du hier redest? Der alte König mag korrupt gewesen sein aber wenigstens wusstet ihr Ratten aus dem Pöbel unter seiner Herrschaft wo euer Platz....!"
Weiter kam Tjurin nicht. Ein Faustschlag des Drachenreiters Murtagh traf ihn direkt ins Gesicht. Er spürte wie sein Nasenbein brach und Blut hervor schoss. Hart schlug er auf dem Boden auf und noch bevor er auch nur den Versuch machen konnte aufzustehen spürte er Murtaghs Stiefel auf seinen Kehlkopf drücken. Gegen die Bewusstlosigkeit ankämpfend erkannte Tjurin, dass der Drachenreiter seine Hand auf ihn gerichtet hatte und ein merkwürdiges Glühen von seinem silbernen Drachenmahl ausging. Leise rezitierte Murtagh einige Begriffe in der alten Sprache.
Als das leuchten auf der Hand des Reiters verlosch packte dieser Tjurin am Kragen, zerrte ihn vom Boden hoch und schleuderte ihn in die wartenden Arme von Thoma und Albert.
"Ich habe ihn mit magischen Bannen belegt, damit er keine Magie wirken kann. Jetzt schafft dieses widerliche Reptil zurück zum Palast und in eine Kerkerzelle bevor ich mich vergesse!" befahl der dunkelhaarige Reiter.
"Wir werden euren Befehl mit Vergnügen ausführen Drachenreiter." erwiderte Thoma voller Schadenfreude.






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Noch immer tobte ein Orkahn in Murtaghs Brust als er sich zu den beiden Magiern gesellte und sich nach dem Zustand der jungen Frau erkundigte.
"Wir sind gerade noch rechtzeitig gekommen Drachenreiter." bestätigte einer der beiden jungen Magier. "Das Messer hat zum Glück kein wichtiges Organ verletzt aber die Ärmste hat viel Blut verloren."
"Was es mit dem Kind?"
"Dem geht es soweit gut. Aber das Mädchen muss sich unbedingt schonen. Sonst könnte sich der hohe Blutverlust negativ für das Ungeborene auswirken. Wir haben einen Zauber gewirkt, der die junge Frau noch einige Stunden schlafen lässt. Ich denke dass es das beste ist."
Murtagh nickte zustimmend und blickte sich suchend um. Er entdeckte einen kleinen Handwagen, der groß genug war das die junge Frau darauf liegen konnte.
"Nehmt euch den Wagen da und bringt das Mädchen zurück zum Palast." befahl Murtagh. "Die Königin wird ihr sicherlich ein Gemach zur Verfügung stellen. Zunächst einmal muss sie uns ja bei den Ermittlungen gegen Tjurin unterstützen. Sprecht bitte mit der Aufseherin der Dienstmägde und versucht herauszufinden wer die Eltern dieser jungen Dame sind. Sie müssen über alles informiert werden und ich denke es wäre von Vorteil wenn sie bei ihrer Tochter sind wenn sie aufwacht."
Der Magier nickte dienstbeflissen und ging gemeinsam mit seinen Kameraden an die Arbeit.
Murtagh indes ging ein paar Schritte und versuchte sich mit tiefen Atemzügen zu beruhigen.
"- Ich bin etwas beleidigt. -" ließ sich Dorn vernehmen.
Inzwischen gingen die beiden Seelengefährten über eine der großen Hauptstraßen des Lagerviertels. Handelskarawanen sammelten sich auf diesen breiten Straßen. Hier war selbst für einen Drachen von Dorns Größe ausreichend Platz, so dass er neben seinem Reiter her gehen konnte.
- "Entschuldige, Dorn. Ich hätte selbst nicht gedacht, dass noch so viel Wut in mir steckt." -
- "Das meine ich doch überhaupt nicht." - unterbrach der rote Drache. - "Ich wäre eher besorgt, wenn dieser Tjurin dich nicht wütend gemacht hätte. Du bist doch selbst Vater und ich weiß wie sehr Du deinen Sohn liebst." -
Murtagh musste bei dem Gedanken an Jalhod lächeln.
- "Neben dir und Nasuada ist er das beste was mir passiert ist. Das Verhalten von diesem Tjurin kann ich nicht verstehen. Es ist einfach widerlich. Aber das ist nicht das einzige was mich so in Rage versetzt hat. Ich schäme mich es zuzugeben, aber ich habe mal etwas ganz Ähnliches über Galbatorix und seine Herrschaft gesagt wie dieser Tjurin. Damals bin ich mit Eragon gereist. Es war bevor wir uns trafen. Ich meinte, dass der König vielleicht korrupt sei aber das System in Ordnung. Erst viel später habe ich erkannt, wie falsch ich damit lag. Ich bin in Urû baen aufgewachsen. Galbatorix hat sich gern mit allem geschmückt was schön war. Erst als wir während des Krieges in viele Städte des Imperiums gekommen sind habe ich gesehen, wie ungerecht der Wohlstand verteilt war. Die Korruption an Galbatorix Hof war nur die Spitze des Eisbergs. Da war noch sein Wahnsinn und seine Grausamkeit. Ich dachte, dass wenn die Rebellen das Imperium zu Fall bringen nur Chaos daraus entstehen würde. Ich dachte, dass man nur die Korruption entfernen müsste und das System würde recht gut funktionieren."-
- "Und du glaubst jetzt, dass dieser Tjurin dir ähnlich ist." - Dorn schnaubte amüsiert. - "All diese Jahre Murtagh, und du lässt dir immer noch von deinen Schuldgefühlen die Sicht verstellen. Du und dieser Tjurin seit euch überhaupt nicht ähnlich. Außerdem wenn du nüchtern die Fakten betrachtest ist ein Ausspruch von damals gar nicht so falsch. Vielleicht hast du wirklich vergessen Galbatorix Grausamkeit und seinen Wahnsinn mit in die Gleichung einzubringen aber was ist denn geschehen nach dem Krieg? Eine neue Herrscherin ist an die Spitze gekommen und hat die Korruption in den verschiedenen Ämtern beseitigt. Das Volk respektiert sie, fürchtet sie aber nicht so sehr, dass sie es nicht wagen mit ihren Anliegen vorzusprechen. Dadurch verteilt sich nun der Wohlstand besser. Und was das Chaos angeht: erinnere dich doch einmal was Eragon uns über die Zeit nach dem Krieg erzählt hat. Wir sind damals ins Exil gegangen und habe nicht mitbekommen wie Teile von Galbatorix ehemaligen Streitkräften das Land unsicher gemacht haben. Wir haben nicht das Misstrauen und die Furcht erlebt, die das Volk ergriffen hat als Arya den Fehler beging sich zur Königin ihres Volkes krönen zu lassen. Monatelang, bevor er schließlich in den Osten aufbrach, ist Eragon von einem Winkel Alagaesias in den anderen gereist um Nasuadas Herrschaft zu stabilisieren. Wir sind erst wieder auf der Bühne des Geschehens erschienen als das Schlimmste vorbei war. Doch denk einmal an Orrin und Shruikan. Ihr Aufstand war doch im Grunde auch eine direkte Folge von Galbatorix Sturz. Es hat mehr als genug kleine Brandherde gegeben, die sich zu einem Flächenbrand des Chaos hätten ausweiten können. Es ist zu großen Teilen der Weisheit deiner Nistpartnerin geschuldet, dass es nicht so schlimm gekommen ist aber die Möglichkeit bestand durchaus." -
- "Wie üblich bist du der Klügere von uns beiden." - schmunzelte Murtagh und klopfte liebevoll auf Dorns Flanke. - "Aber wenn du nicht wegen meiner Wut beleidigt bist warum denn dann?" -
Dorn blieb stehen und fixierte seinen Reiter mit seinen rubinfarbenen Augen.
- "Du hast diesem Tjurin als "widerliches Reptil" bezeichnet. Reptilien sind mit uns Drachen artverwandt also passt auf was du sagst." -
Nun muss der Murtagh so herzhaft lachen, dass er sich auf seine Knie stützen musste. Dorn indes fixierte plötzlich einen Punkt am Horizont. Als Murtagh seinem Blick folgte er kannte er die Silhouetten von vier Drachen die sich Ilirea näherten. Die größeren der Beiden waren blau und grün.
- "Oho! Da naht wohl hoher Besuch." -
- "Steigt auf!"- forderte Dorn. - "Wir sollten Sie begrüßen und darüber informieren was hier geschehen ist." -


Eragon Band 6 - Die Wege der ReiterWo Geschichten leben. Entdecke jetzt