109. Ein letztes Gespräch

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"Du wirst also wirklich zu lassen, dass sie mich hinrichten?!"
Tjurin konnte es kaum glauben. Sein Vater hatte ihn erneut in seiner Zelle aufgesucht um ihm mitzuteilen, dass die Königin am nächsten Tag sein Urteil verkünden würde. Auch hatte Aurast seinem Sohn zu verstehen gegeben, dass er sich keine Illusionen machen sollte was die Härte des Urteils betraf.
"Du lässt mich also tatsächlich im Stich? Schon wieder?"
"Ich habe dich nie im Stich gelassen Tjurin." Erwiderte der alte Herzog der einmal mehr auf dem Stuhl in Tjurins Zelle Platz genommen hatte und sich mit beiden Händen auf seinem Gehstock abstürzte.
"Wann wärst Du denn je für mich da gewesen?" fragte der jüngere der beiden Männer wütend. Tjurin war dabei sich mehr und mehr in Rage zu reden. Dabei wusste er nicht was diese Wut in ihm auslöste. Die Informationen die sein Vater ihm gegeben hatte oder der Umstand, dass der alte Herzog fast apathisch auf dem Stuhl hockte und es ablehnte sich von seinem Sohn provozieren zu lassen. Einen wütenden Streit auszurechnen wäre einfacher gewesen als die geradezu unheimliche Ruhe die von Herzog Aurast ausging.
"Du willst also wissen wann ich für dich da gewesen bin?" der ehemalige Stadthalter von Gil' ead holte tief Luft, startete seinen Oberkörper und richtete seinen Blick auf Tjurin. "Es überrascht mich immer wieder, wie schnell die Jugend doch vergisst. Ich habe einen Krieg für dich ausgefochten mein Sohn. Und als die Waffen schwiegen habe ich mein möglichstes getan dass du in einer besseren Welt aufwachsen kannst als die in der ich groß geworden bin. Weißt Du wie es war? Selbst wenn die Varden nicht im Gefecht standen, der Geist von Galbatorix war allgegenwärtig. Genauso die Gewissheit, dass wir ohne die Unterstützung eines Drachenreiters niemals eine Chance gegen ihn haben würden. Weißt Du wie es ist als Soldat in einem Krieg zu stehen ohne zu wissen ob man das Ende je erleben wird? Weißt Du wie es war dich, als unschuldiges kleines Kind, in deiner Wiege liegen zu sehen und sich zu fragen ob ich dir je etwas anderes würde vererben können als mein schartiges Schwert und die Pflicht weiter zu kämpfen?"
Tjurin unterbrach sein Vater mit einer abfälligen Handbewegung und drehte ihm den Rücken zu.
"Ronja."
Als sein Vater den Namen seiner Tante aussprach weckte das alte Erinnerungen in Tjurin. Sie veranlassten ihn Herzog Aurast wieder anzublicken.
"Dieses Elfenweib war wohl wirklich sehr gründlich in meinem Kopf." sagte der jüngere der beiden Männer schließlich und bemühte sich dabei seinen selbstsicheren Tonfall zu behalten.
"Das war sie." erwiderte Aurast schlicht. "Doch ich habe bereits vor meiner Unterhaltung mit ihr gewusst, dass in Bezug auf ihre Untreue gelogen hast um uns auseinander zubringen."
Tjurin war wie vor den Kopf geschlagen. Sein Vater hatte von seiner damaligen Intrige gewusst?
"Warum.... wie....?"
Der alte Herzog lächelte nur freudlos als er die gestotterten Fragen seines Sohnes hörte.
"Zumindest damals warst du noch kein besonders geschickter Lügner Tjurin. An zweien der drei Tage die du mir genannt hast, an denen Ronja mir angeblich untreu gewesen sein soll, konnte sie stichhaltige Beweise vorlegen, dass du gelogen hast. Ich glaubte ihr, dass auch dein dritter Vorwurf aus der Luft gegriffen war."
"Aber warum hast du dich dann von ihr getrennt?" Wollte Tjurin noch immer völlig entgeisterd wissen.
"Ich habe es für dich getan Tjurin." erklärte der Herzog mit schwacher Stimme. "Ronja und ich haben uns lange unterhalten. Schließlich habe ich eine Entscheidung getroffen. Deine Lüge zeigte eindeutig, dass Du nicht bereit warst eine neue Frau an meiner Seite zu akzeptieren. Nicht einmal deine Tante, die sich stets liebevoll um mich gekümmert hat. Es hat Ronja sehr verletzt als ich mich für dich und gegen sie entschieden habe. Ich erkenne an, dass ich dir nicht die Zeit habe zuteil werden lassen die Du vielleicht gebraucht hättest aber ich habe dich immer geliebt Tjurin und habe versucht für dich eine Welt aufzubauen die frei ist von dem Elend, das ich erlebt habe. Wenn man sich die Balladen über den großen Krieg anhört bekommt man einen völlig falschen Eindruck. Als wäre es ein einziges Heldenstück gewesen und der Ausgang von Anfang an klar! Unsere Sache war die Gerechte also würden wir siegen! Es war bei weitem nicht so einfach. Glaubst du, dass ich jemals die Schreie der Verwundeten vergessen werde oder das Gefühl als das erste mal eine Klinge des Gegners in mein Fleisch drang? Weißt du was man fühlt wenn man sich plötzlich sicher ist, das Ende seines Lebensweges erreicht zu haben? Dass alle Pläne, Hoffnungen und Zukunftsträume mit einem Mal bedeutungslos sind? Vielleicht war es der Krieg! Vielleicht habe ich dir deshalb nie zeigen können wie ich für dich empfinde."
Schweigen breitete sich nun zwischen den beiden Männern aus. Tjurin versuchte immer noch zu begreifen was er da gerade gehört hatte.
Schließlich war es Herzog Aurast der wieder das Wort ergriff: "ich möchte dir eine Frage stellenTjurin und bitte beantworte sie nach bestem Wissen und Gewissen. Dieses Mädchen, das du verführt hast und es anschließend töten wolltest wird in einigen Monaten dein Kind zur Welt bringen. Deinen Sohn oder deine Tochter! Sagen wir, du würdest nicht zum Tode verurteilt werden sondern dürftest dich in irgend einem entlegenen Winkel des Reiches zurückziehen und eines Tages stünde dein Kind vor dir und würde Antworten von dir verlangen."
Tjurin versuchte seinen Vater zu unterbrechen doch der Herzog brachte ihn mit einer Handbewegung zum Schweigen und sprach weiter: "Stell dir dein Kind vor mein Sohn: die Augen, der Mund die Nase. Gibt ihm das Geschlecht, das du dir für deine Nachkommen ausgemalt hast wenn du über die Zukunft nachgedacht hast! Und nun stell dir vor dieses Kind fragte dich: Vater, wieso hast du versucht mich und meine Mutter töten? Was habe ich dir getan?"
"Ich habe schon gesagt, dass ich der Meinung bin, das......"
Aurast unterbrach seinen Sohn erneut: "Es interessiert mich nicht wie Du deine Tat begründest Tjurin! Man kann immer Gründe finden um etwas zu tun beziehungsweise etwas nicht zu tun. Das interessiert mich nicht! Ich möchte wissen was du fühlst wenn du dir vorstellst, dass dein Sohn oder deine Tochter eines Tages vor dir steht und dich fragt: Warum wolltest du mich töten?!"
Tjurin wandte sich von seinem Vater ab und starrte einfach nur die Kerkerwand an. Er ließ sich die Frage gründlich durch den Kopf gehen und versuchte in sich hinein zu horchen und zu ergründen was er fühlte. Schließlich gab er die einzige Antwort die ihm wahrheitsgemäß erschien: "Nichts. Ich fühle nichts dabei. Es ist mir ehrlich gesagt egal."
Diesmal war es nicht die Stimme seines Vaters die Tjurin dazu brachte sich Herzog Aurast wieder zuzuwenden sondern das Geräusch von Metall, das auf den steinernen Fußboden fiel.
Zur Überraschung des Jüngeren der Beiden lagen etwa ein Dutzend Goldmünzen um den Stuhl verteilt auf dem der alte Herzog saß. Sie schienen ihm wie feiner Sand zwischen den Fingern hindurch geronnen zu sein. Eine Weile blieb der Blick des ehemaligen Stadthalters auf das kleine Vermögen gerichtet dass dort auf den dreckigen Boden lag, dann blickte er wieder seinen Sohn an und Tjurin stellte fest das die Augen seines Vaters feucht glänzten.
"Das und mehr, alles was ich besitze wäre ich bereit gewesen dem Wächter vor dieser Zellentür dort zu überlassen wenn er mir dafür die Gelegenheit gegeben hätte dich aus diesem Kerker zu befreien. Ich hätte es sogar in Kauf genommen die Freundschaft der Königin zu verlieren und dafür die Verachtung jedes rechtschaffenen Mannes im Reich auf mich zu ziehen wenn ich dadurch dein Leben gerettet hätte. Doch das war bevor Du mir diese Antwort gegeben hast. Es bricht mir das Herz aber nun ist es unmöglich geworden."
Langsam erhob sich Herzog Aurast und schritt auf die Zellentür zu.
"Du solltest noch wissen, dass ich Lorenas Kind zu meinem Erben gemacht habe. Ich habe auch die Rechtmäßigkeit meines Enkelkindes anerkannt. Ob Junge oder Mädchen mein Titel und alles was ich besitze wird auf dieses Kind übergehen."
"Das kannst du ja von mir aus tun, aber warum kannst du mir nicht mehr helfen?!" brachte Tjurin erschüttert hervor. Gedanken und Gefühle tobten in ihm wie ein Orkan. "Ich habe doch Lorenas Kind überhaupt nicht beschimpft! Was habe ich denn gesagt?"
Die Kerkertür wurde aufgeschlossen und das Gegenlicht der im Gang brennenden Fackel hob noch einmal den verräterischen Glanz in den Augen des alten Herzogs hervor. Mit gebrochener Stimme antwortete er seinem Sohn: "Tjurin, was du gesagt hast ist schlimmer als der finstersten Fluch. Ein Vater der sein Kind liebt, ist das natürlichste der Welt. Ein Vater der sein Kind hasst und es ablehnd ist etwas furchtbares aber auch das kommt vor. Ein Vater aber der gegenüber seinem Kind nichts empfindet, dem es schlichtweg egal ist was es denkt oder fühlt, ist nicht alltäglich und auch nicht selten. So jemand ist unmenschlich."
Mit diesen Worten verließ Herzog Aurast die Zelle seines Sohnes.

Eragon Band 6 - Die Wege der ReiterWo Geschichten leben. Entdecke jetzt