112. Das Angebot Teil 3

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Tjurin näherte sich vorsichtig der nur noch angelehnten Tür und spähte in den Gang hinaus. Wie sein neuer Verbündeter es versprochen hatte war niemand zu sehen. Lediglich aus Richtung der Wachstube drang das Gelächter der Wächter.
Noch einmal vernahm Tjurin die Stimme des Geistes in seinen Gedanken.
"Beeile dich! Und denkt daran, du brauchst die Hilfe des Jüngers des Helgrinds. Ich, sowie meine Brüder und Schwestern werden eine Gefahr neutralisieren, die dein Vorhaben zum Scheitern bringen könnte."
Noch bevor Tjurin nachfragen konnte was das für eine Gefahr sein sollte spürte er wie der Geist sich zurückzog. Nun war er endgültig wieder allein mit seinen Gedanken.
Eilig klaubte der junge Adelige das kleine Vermögen zusammen welches noch immer auf dem Boden der Kerkerzelle verteilt lag. Eine Weile würde er mit diesen Mitteln sein Auskommen sicherstellen können. Sobald er die sichere Zuflucht erreicht hatte die der Geist versprochen hatte, würde er weitersehen.
Leise, darauf bedacht nicht aufzufallen, lief Tjurin zu der Zelle wo, nach Auskunft des Geistes, der Priester des Helgrinds eingesperrt war. Kaum hatte der junge Adelige die ihm genannte Tür erreicht als der Riegel fast lautlos zu Seite glitt und auch diese Zelle sich öffnete.
Tjurin spürte ein tiefes Gefühl von Befriedigung in sich aufsteigen. Endlich entwickelten sich die Dinge wieder so, wie er es als richtig empfand. Die Welt selbst schien sich vor ihm zu verneigen und seine Größe anzuerkennen.
Eilig schlüpfte der junge Mann durch die Tür und zog sie so weit hinter sich zu, dass es einem unaufmerksamen Beobachter nicht auffallen würde, dass etwas in den Kerkern vor sich ging.
"Wer bist du und was willst du hier?!"
Eine unbekannte Stimme halte durch das halbdunkel der Kerkerzelle in der Tjurin nun stand. Die Augen des jungen Adligen mussten sich erst wieder an das Zwielicht gewöhnen nachdem er durch den hell erleuchteten Gang geschritten war. Schließlich entdeckte er jedoch einen Mann, der vielleicht fünf Sommer mehr gesehen hatte als er selbst. Der Unbekannte trug eine zerschlissenen dunkle Robe die ihn eindeutig als ein Jünger des Helgrinds kennzeichnete. Ein eiliger, prüfender Blick verriet Tjurin, dass auch dieser Priester Teile seines Körpers seinen Göttern geopfert hatte. Dort wo das linke Auge des Unbekannten sein sollte starke Tjurin nur die gähnende Leere seiner Augenhöhle an. An der linken Hand fehlten zwei Finger.
"Mein Name ist Tjurin und wir beide werden nun aus diesem Kerker fliehen!"
Der Priester musterte sein gegenüber skeptisch. Er machte keine Anstalten sich von dem steinernen Boden zu ergeben auf dem er im Schneidersitz hockte.
"So, werden wir das? Und wie soll diese Flucht vonstatten gehen?"
Das Hochgefühl welches Tjurin ergriffen hatte er hielt durch den Sarkasmus des unbekannten Priesters einen herben Dämpfer. Offenbar musste der Mann tatsächlich erst überzeugt werden.
"Wir werden ganz einfach durch den Tunnel gehen den deine Glaubensbrüdern in Richtung von Galbatorix Zitadelle gegraben haben."
Mit einer Geschwindigkeit die der Sohn von Herzog Aurast seinem gegenüber nicht zugetraut hätte war der dunkle Priester auf den Beinen, drückte Tjurin an eine Kerkerwand und hielt ihm einen spitzen Gegenstand an die Kehle. Aus den Augenwinkeln erkannte der junge Adelige, dass es sich um einen angespitzten Löffel handelte. Offenbar hatte der Jünger des Helgrinds einen Teil seines Bestecks beiseite geschafft und sich eine primitive Waffe gefertigt. Der Griff des Würfels war in einem gefährlichen Maße angespitzten und geschärft worden während das runde Ende mit Stofffetzen umwickelt war umso dem Benutzer besser in der Hand zu liegen.
"Woher weißt du von diesem Tunnel?!" zischte der Priester wütend. "Nur der Hohepriester, Blutpriester Tabor und die, die ihn gegraben haben wussten von diesem Tunnel und unseren gescheiterten Versuch die Altforderen zu befreien! Als unsere Gemeinschaft zerfiel, nach Shruikans Verrat, wurde allen Gläubigen die Ehre zuteil in gewisse Geheimnisse eingeweiht zu werden aber dir sollte dieser Tunnel unbekannt sein!"
Mit Mühe kämpft die Tjurin die Angst nieder die er bei der kalten Berührung des Metalls mit seiner Kehle emfand. Jetzt hieß es geschickt vorzugehen. Mit der Wahrheit, das war Tjurin klar, würde er nicht zum Ziel gelangen. Er hatte mitbekommen, dass die Jünger des Helgrinds den Geist dann nicht unbedingt zugetan waren. Am ehesten würde sich der Priester vermutlich mit der Vorstellung ködern lassen seinem Gott helfen zu können indem er sich mit Tjurin verbündete.
"Ich weiß von dem Tunnel weil mein Vater einer der war die ihn gegraben haben."
Es war eine riskante Lüge! Tjurin hoffte, dass der relativ junge Priester des Helgrinds keinen der Erbauer des Tunnels wirklich persönlich gekannt hatte. Sorgfältig studierte Tjurin das vernarbte Gesicht seines Gegenübers. Zweifel waren dort zu erkennen aber nicht die Erkenntnis belogen worden zu sein. Daher wagte Tjurin es seine Geschichte weiter zu spinnen.
"Mein Vater hat, als er den Auftrag erhielt am Bau des Tunnels teilzunehmen, Vorsichtsmaßnahmen für seine Familie getroffen. Für den Fall, dass sie entdeckt würden hat meine Mutter mit mir Dras Leona verlassen und ist in den Norden nach Gil'ead geflohen. Dort hatte sie Verwandte."
"Hat sie dich erleuchtet? Hat sie die unsere Werte beigebracht?"
Die Stimme des unbekannten Priesters klang aufgeregt. Offenbar behagte ihm die Vorstellung einen Glaubensbruder vor sich zu haben.
Zum ersten Mal in seinem Leben war Tjurin seinem Vater dessen ausführlichen Unterricht dankbar. Der Herzog hatte Lehrer aus dem ganzen Reich bezahlt um seinen Sohn in einen gebildeten jungen Mann zu verwandeln. Besonders die Auswüchse der dunklen Herrschaft von Galbatorix zu kennen war Aurast wichtig gewesen. Tjurin kratzte nun aus seiner Erinnerung das zusammen, was er über die Brüder des Helgrinds wusste und hoffte dass es ausreichen würde.
"Das hat sie. Ich bin zwar nie zum Priester gesalbt worden aber ich bin ein Gläubiger. Ich bin schließlich auch nur deshalb verhaftet worden weil ich den Versuch gemacht habe das notwendige Wissen zu erlangen um den Altvorderen zu befreien, der jetzt in diesem Militärposten gefangen gehalten wird."
"Du weißt von dieser Gotteslästerung?" noch immer wirkte der dunkel gekleidete Jünger skeptisch doch er trat einen Schritt zurück und nahm die Spitze seiner Waffe von Tjurins Kehle.
"Natürlich! Ich bin verhaftet worden weil ich mir bei einem Mitglied der Magiergilde das Wissen aneignen wollte um unseren Gott zu reinigen. Ich habe es auch erlangt aber leider wurden meine Bemühungen entdeckt. Wenn du mich aber in die schwarze Zitadelle bringen kannst Freund, dann kann ich uns aus der Stadt bringen und wir können uns aufmachen den Gott zu befreien. Die Drachenreiter Lüge nämlich wenn sie behaupten sie würden versuchen den Geist auszutreiben. Das Ganze ist im Grunde ein Plan um die Götter zu unterwerfen und endgültig aus zu merzen!"
"Das habe ich mir gedacht!"
Offenbar hat die Tjurin mit seiner Geschichte bei dem Priester eine Seite zum klingen gebracht. Er schien das Angebot welches Königin Nasuada den gefangenen Jüngern des Helgrinds gemacht hatte aus Misstrauen abgelehnt zu haben. Wieder studierte Tjurin das Gesicht des anderen Gefangenen. Mehr und mehr schien er bereit zu sein, seinem unerwarteten Verbündeten zu vertrauen doch ein letzter Rest von Skepsis blieb. Plötzlich richtete sich der Blick seines verbleibenden Auges auf Tjurin.
"Du sagst du hättest bei einem Mitglied der Magiergilde versucht Fähigkeiten zu erlangen. Welches Mitglied?"
Tjurin wusste, dass der entscheidende Moment gekommen war. Entweder würde es ihm jetzt gelingen dem Priester zu überzeugen oder alles würde in sich zusammenbrechen. Er entschied sich, dass hier die Wahrheit der sicherste und gangbarste Weg war.
"Die Magierin hieß Trianna." antwortete er.
Zur Tjurins Erleichterung breitete sich nun ein Lächeln auf dem Gesicht des anderen Gefangenen aus.
"Jetzt weiß ich dass du die Wahrheit sagst. Ich habe einige der Wächter belauscht wenn sie auf ihren Kontrollgängen an der Zelle vorbeikamen. Einmal haben sie sich über die Verhaftung einer Magierin namens Trianna unterhalten. Sie soll illegale, magische Gegenstände versteckt haben und sich ohne Genehmigung einen Schüler genommen haben. Ich nehme an das was Du."
"Richtig! Ich war ihr Schüler." 
Eine gewaltige Last schien von Tjurin abzufallen. Offenbar hatte er die richtige Entscheidung getroffen. "Ich hatte herausgefunden, dass sie sich für Geisterbeschwörung interessiert. Als man ihre Taten entdeckt hat hat sie mich sofort ans Messer geliefert um für sich selbst eine mildere Strafe heraus zuschlagen."
"Ungläubige!" knurrte der Priester. "Man kann ihn einfach nicht vertrauen. Merk dir das mein junger Freund. Mein Name ist übrigens Kaljostro. Eine Frage habe ich allerdings noch an dich. Warum müssen wir in die schwarze Zitadelle? Um in den Tunnel zu gelangen der einst von unseren Brüdern angelegt wurde müssen wir in die Abwasserkanäle. Das dürfte kein Problem sein. Ich weiß, dass es einen Einstieg einige Meter weiter den Gang herunter gibt. Die Wächter entsorgen in ihm unsere Fäkalien. Doch sagt mir, wenn wir es schon bis in die Abwasserkanäle geschafft haben warum fliehen wir nicht einfach durch sie? Warum müssen wir in die schwarze Zitadelle?"
Wieder hat die Tjurin den Eindruck, dass die Wahrheit, oder zumindest ein Teil davon, sich hier am ehesten auszahlen würde.
"Du weißt es vielleicht nicht aber in der Zitadelle wurden einige gefährliche magische Gegenstände versteckt nach den Galbatorix gestürzt worden war. Ein in dieser Gegenstände brauchen wir für das Ritual um den Gott zu reinigen. Ohne diesen Gegenstand geht es nicht."
"Natürlich! Das verstehe ich!" nickte Kaljostro. "Ich verspreche dir, wenn uns das wirklich gelingt sorge ich persönlich dafür das Du zum Priester ernannt wirst!"
Mit diesen Worten schob sich der Jünger des Helgrinds an Tjurin vorbei und spähte aus der Tür. Als er sicher war, dass niemand im Gang war winkte er seinen neuen Verbündeten auffordern zu. Nur mühsam unterdrückte Tjurin ein befriedigtes Grinsen als er seinem "Glaubensbruder" in den Gang hinaus folgte.

Eragon Band 6 - Die Wege der ReiterWo Geschichten leben. Entdecke jetzt