100. Verantwortung

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Mir ist eben erst aufgefallen, dass das jetzt schon das 100. Kapitel ist. Ich freu mich mega, dass die Geschichte bisher schon 27.7K Reads und 2.1K Likes hat. Aber bis zum Ende habt ihr noch ein paar Kapitel;)

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Von der Mauer der Stadtfestung von Ilirea aus blickte Eragon den beiden Jungdrachen nach, die mehr und mehr dem Horizont zu strebten. Es war früher Morgen und erst langsam erwachte die Hauptstadt des Reiches zum Leben.
Cale und Ismira war nun auf dem Weg nach Gil' ed. Zwar war es keine gefährliche Aufgabe die die beiden jungen Schüler des Ordens in den Norden führte aber schwierig würde ihr Unternehmen auf jeden Fall werden. Wie überbrachte man einem, sicherlich liebenden Vater, die Botschaft, dass sein Sohn im Verdacht stand schwere Straftaten begangen zu haben? Zumindest was seinen Anschlagchlag auf Lorena betraf war als reine, rechtliche Formsache, das noch von einem Verdacht gesprochen wurde. Schuldig war ein Angeklagter erst wenn ein Gericht ein Urteil über ihn gefällt hatte.
"Machst du dir Sorgen um die beiden?"
Die sanfte Stimme und der würzige Geruch von Tannennadeln zauberten ein Lächeln auf Eragons Gesicht. Fast lautlos, wie eine Katze, war Arya neben den Anführer der Drachenreiter getreten.
"Ich weiß, dass es im Grunde überflüssig ist." räumte Eragon ein. "Aber ich kann halt nicht aus meiner Haut."
Aryas leises Lachen erinnerte Saphiras Reiter an einen sanften Windhauch, der durch die Laubkrone eines Baumes strich.
"Du würdest am liebsten von all deinen Schülern jede Gefahr fernhalten oder?"
Nun musste auch Eragon leise lachen.
"Ja, am liebsten würde ich das. Ich gebe aber zu, dass meine Objektivität bei meiner Nichte ganz besonders getrübt ist. Ismira ist eben Familie und da sie und Cale ein Paar sind gehört der Junge im Grunde auch dazu."
Einen Augenblick dachte der Anführer der Drachenreiter nach bevor er fortfuhr:
"Eine seltsame Familie die ich da habe. Ich zähle Drachen zu meinen Angehörigen, einen Bruder im Herzen der ein Graf ist und einen Bruder im Blut, der ein Drachenreiter ist. Nicht zu vergessen eine schöne, stolze und Weise Gefährtin die einst Königin der Elfen war."
"Kommt da wieder der Barde in dir durch Königsmörder?" erkundigte sich die Elfe.
Eragon lachte nur und legte den Arm um sie. Gemeinsam gingen sie in Richtung der Treppe, die von der Befestigungsmauer der Stadtfestung herunter führte.
"Du hast aber recht Eragon, gewöhnlich ist unsere Familie wirklich nicht." räumte Arya schließlich ein. "Ich bin aber froh, dass ich dazu gehöre."
Dem konnte sich Eragon nur anschließen. Eine Weile gingen sie schweigend neben einander her bis der Anführer der Reiter wieder das Wort ergriff:
"Ihr werdet heute mit der Untersuchung von Tjurins Geist beginnen oder?"
"Ich habe Erfahrung in diesem Gebiet Eragon und ich weiß was ich tue."
Wie üblich hatte die Elfe vorausgeahnt auf welches Ziel Eragon mit seiner Anmerkung zu steuerte.
"Das weiß ich." erwiderte er und blieb kurz stehen. Sanft drehte er Arya an den Schultern zu sich, so dass sie sich direkt ins Gesicht sehen konnten. "Ich hätte aber das Gefühl, etwas versäumt zu haben wenn ich dich nicht bitten würde vorsichtig zu sein."
Die Elfe antwortete mit einem verstehenden Lächeln und die beiden Drachenreiter setzten ihren Weg fort.
"Glaubst du wirklich, dass Du bei Tjurin eine Geisteskrankheit feststellen kannst?" erkundigte sich Eragon als sie den Abstieg über die Treppe begannen.
"Ich bin nicht sicher." gab Arya Auskunft. "Ich habe es mehr seinem Vater zuliebe vorgeschlagen. Ich befürchte, dass die sehr reale Möglichkeit besteht, dass Tjurin geistig gesund ist. Der Wunsch sein Verhalten auf eine Erkrankung des Geistes zu schieben ist daraus geboren, dass man sich nicht eingestehen will, etwas mit jemandem gemeinsam zu haben, der zu solchen Taten fähig ist."
Mit einem stummen nicken bestätigte Eragon die Einschätzung seiner Gefährtin. Es war eine traurige Tatsache, dass jeder die gleichen Talente zum Guten wie zum Bösen in sich trug. Verbrecher und Mörder zu Monstern zu verklären hatte etwas tröstliches.
"Welchen Aufgaben wirst Du dich widmen während ich bei der Untersuchung von Tjurins Geist Unterstützung leiste?" wollte nun Arya wissen.
"Inzwischen hat Trianna ihren Bericht über Tjurins Fähigkeiten abgegeben und auch das Tagebuch von Durza ausgeliefert." erklärte Eragon. "Ich werde diesen Bericht studieren und auch einen ersten Blick in die Seiten des Tagebuchs werfen. Glaedr und Umaroth werden mich dabei unterstützen. Wir wollen herausfinden von was die Aufzeichnungen handeln, ob sie vielleicht Aufschluss darüber geben warum Geister und damit Schatten einen besonderen Groll gegen das Volk der Elfen hegen und ob Durza vielleicht Geheimnisse bewahrt hat, die heute noch eine Gefahr für uns darstellen könnten."
Nun war es Arya, die ihren Gefährten dazu brachte sich zu ihr umzudrehen. Im unergründlichen Grün ihrer Augen konnte Eragon förmlich die schmerzhaften Erinnerungen aufsteigen sehen, die sie mit Galbatorix ehemaligem dämonischen Diener verbannd.
"Sei du bitte auch vorsichtig Schattentöter." sagte die Elfe eindringlich.
"Das werde ich. Du hast ein Wort."






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Nasuada stand vor einem der großen Fenster ihres Thronsaals. Nachdenklich glitt ihr Blick über das morgendliche Ilirea. Ein Ochsenkarren holpert er gerade durch das Tor in den Innenhof ihrer Residenz. Der Karren war beladen mit einigen Fässern. Vermutlich Neuzugänge für den Weinkeller oder sonstige Vorratsgüter.
Die Großkönigin von Alagaesia musste fast lachen als sie sich bei dem Wunsch ertappte mit dem Mann, der den Ochsenkarren lenkte den Platz tauschten zu wollen. Wie viel leichter musste das Leben doch für ihn sein? Er ging lediglich seiner ehrlichen Arbeit nach und musste sich nicht mit Entscheidungen quälen, die das Schicksal von hunderten, wenn nicht gar tausenden von unschuldigen Bürgern beeinflußten.
Auch heute lastete wieder eine Entscheidung auf Nasuadas Gemüt. Sorgfältig hatte sie die Fakten abgewogen bevor sie sich für eine Richtung entschieden hatte. Schließlich war ihre Entscheidung gefallen doch damit endet natürlich die Probleme nicht. Zwar konnte sie es nicht offen eingestehen doch natürlich beschlichen sie Zweifel was den von ihr festgelegten Weg betraff. Mehr als einmal hatte die Königin es schon erlebt, dass sich eine Entscheidung, die zunächst richtig erschien, letzten Endes zu einem Fehler verklärt wurde. Immer wieder sagte sie sich, dass sie nun einmal nicht die Gabe hatte in die Zukunft zu sehen und stets nur die für den Augenblick bestmögliche Wahl treffen konnte. Im Grunde war das unverantwortlich. Ein Herrscher, dessen Entscheidungen so viele beeinflussten müsste eigentlich die Fähigkeit besitzen in die Zukunft zu blicken. War es nicht vielleicht sogar vermessen von einem einfachen Sterblichen wie sie es nun einmal war, die Führerschaft über so viele Wesen zu beanspruchenden? Maste man sich nicht zu viel Autorität an in dem man sich in diesem Maß über anderer erhob?
Möglich war es, doch über jeden Zweifel erhaben war die Notwendigkeit, das nun einmal irgendjemand die Entscheidungen treffen musste. Das Schicksal hatte ihr diese Rolle zugedacht und sie würde sie nach besten Kräften ausfüllen. Mehr konnte niemand von ihr erwarten.
Ein leises Klopfen, von der Flügeltür her, die Einlass in den Saal gewährte, riss die Königin aus ihren Überlegungen. Mit geübter Routine strafte Nasuada ihre Gestalt und forderte mit ruhige Stimme die Person vor der Tür zum eintreten auf.
Eskortiert von zwei elfischen Wächtern betrat Trianna den Thronsaal.
"Ihr habt mich rufen lassen meine Königin?"
Nasuada entging nicht die Spur von Unsicherheit in der Stimme der Magierin. Vermutlich ahnte sie schon worum es ging.
"In der Tat."
Mit diesen Worten schritt Nasuada zu ihrem Thron, nahm darauf Platz und bedeutete Trianna näher zu treten.
"Der Grund, warum ich dich habe rufen lassen Trianna ist ganz einfach. Ich bin zu einem Urteil gekommen was dich betrifft."
Die Königin konnte nicht genau sagen was sie fühlte, als sie sah, dass ein wenig Farbe aus dem Gesicht der Magierin wich. Es war ein unwürdiger Impuls sich an der Angst eines anderen Wesens zu erfreuen, dennoch aber war Nasuada der Meinung, dass Trianna es verdient hatte ein gewisses Maß an Furcht zu fühlen. Zwar war sie nicht direkt an den Verbrechen beteiligt die man Tjurin zur Last legte aber ihr Fehlverhalten hatte seine Taten erst ermöglicht.
"Nach den Gesetzen unseres Reiches steht mir als Großkönigin das Recht zu über meine Untertanen zu richten." erklärte Nasuada in sachlichem Tonfall. "Solltest du den Eindruck haben, dass mein Spruch ungerecht ist, hast Du das Recht ein Schiedsverfahren durch einen neutralen Rechtsexperten zu fordern. Hast du das verstanden?"
Zwar öffnete Trianna den Mund um etwas zu sagen, doch schließlich brachte sie nur einen Nicken zu Stande.
"Ich habe mir die Entscheidung nicht leicht gemacht Trianna." erklärte die Königin. "Du hast während einer Befragung erklärt, dass Du dich durch gewisse Gesetze unseres Reiches ungerecht behandelt fühlst. Ob dem so ist und wie wir in Zukunft derartige Angelegenheiten handhaben werden sei dahingestellt. Im Moment gelten diese Gesetze. Meine Gesetze! Und du hast sie gebrochen. Du hast gefährliche magische Gegenstände versteckt, Du hast ohne Wissen der Magiergilde einen Schüler genommen und ihn in der gefährlichsten Anwendungsform der Magie unterwiesen. Eine Anwendungsform die in meinem Reich verboten ist! Du hast diese Taten eingestanden und leugnest sie nicht. Du weißt, dass auf diese Vergehen die Todesstrafe steht."
Nasuada konnte beobachten wie Trianna kräftig schluckte und sie konnte es der Magierin nicht verdenken.
"Nun gibt es verschiedene Punkte die für dich sprechen. Zum einen dein Geständnis und zum anderen, glaube ich dir, dass du nicht vorhattest das Wissen, welches Du erwerben wolltest, zum Schaden des Reiches einzusetzen. Ich könnte es mir einfach machen und sich für den Rest deines Lebens in einer Kerkerzelle verrotten lassen. Ich könnte mein Gewissen damit beruhigen, dass ich die Gnade gezeigt habe in dem ich nicht auf eine Schlinge um deinen Hals bestanden habe."
Trianna setzte dazu an Nasuada zu unterbrechen doch die Königin hob die Hand und erstickte damit jeden Widerspruch im Keim.
"Ich habe mich aber dazu entschlossen auch von einer Kerkerstrafe abzusehen." erklärte die Königin. "Dies tue ich auf Grund des letzten Punktes der für dich spricht. Es handelt sich um deine langen Jahre in meinen Diensten. Du warst zunächst den Varden und später dem Reich eine treue Dienerin und hast einen Beitrag dazu geleistet, dass wir den dunklen Tyrannen Galbatorix stürzen konnten. Daher lautet mein Urteil wie folgt: Du wirst aus meinem Reich verbannt. Ich habe mit Eragon Schattentöter gesprochen und er ist einverstanden dir in der Ostmark Asyl zu gewähren. Du wirst eine angemessene Unterkunft haben und gut versorgt sein einen angenehmen Lebensabend. Allerdings wirst Du einige Schwüre leisten müssen die deine Fähigkeit Magie zu wirken sehr eingrenzen werden. Um genau zu sein, wirst du dein Leben ohne Zauberei leben müssen. Ich überlasse es Eragons Urteil, als Oberhaupt der Drachenreiter und Stadtherrn der Siedlung Esterni, festzulegen wie eng er die Grenzen steckt die die auffällig werden. Sollte er dich zu irgend einem Zeitpunkt weder für so vertrauenswürdig halten, dass er deine Dienste als Magierin für den Drachenreiter- Orden in Anspruch nimmt, so darfst du mein Reich nur mit meiner ausdrücklichen Erlaubnis wieder betreten, falls die Situation es erfordert."
Nasuada erhob sich von ihrem Thron und ging einige Schritte auf Trianna zu. Da das Symbol ihrer Macht auf einem kleinen Podest stand überragte sie die Magierin um fast einen Kopf.

"Ich hoffe dir ist klar Trianna, dass ich dir hier wirklich Gnade erweisen. Natürlich kannst Du deinem Fall einem Schiedsgericht vorlegen aber ich gehe davon aus, dass ein Schiedsmann sich wesentlich genauer an den Buchstaben des Gesetzes halten wird als ich es in diesem Fall tue. Ich habe dir gesagt, was dich nach den Gesetzen erwarten würde. Daher frage ich dich nun, ob du das Urteil annimmst, es ablehnst oder weitere Bedenkzeit brauchst?"
"Ich nehme das Urteil an meine Königin." erwiderte Trianna mit einer Stimme, die Klang als würde sie ihr in jedem Moment versagen.
"Gut!"
Nasuada kehrte zu ihrem Thron zurück und nahm ein mit ihrem Siegel versehenes Dokument von einem kleinen Beistelltisch. Dieses Dokument übergab sie Trianna wodurch das Urteil rechtskräftig wurde.
"Du wirst Alagaesia mit einem der Versorgungsschiffe verlassen, die von Hedarth aus zu Ostmark fahren. Bis zu deiner Abreise bleibst du in deinem Quartier unter Arrest."
Mit einer einfachen Handbewegung beendeten Nasuada die Audienz und entließ Trianna. Die Magierin verneigte sich ein letztes Mal vor ihr und die Großkönigin erkannte eine tiefe Lehre in ihrem Blick.
Noch eine Weile, nachdem Trianna den Raum verlassen hatte blickte Nasuada auf die nun wieder geschlossene Flügeltür. Sie hatte die Magierin die als wirkliche Freundin empfunden. Dazu war Trianna nie vertrauenswürdig genug gewesen aber mit ihr verließ nun ein Teil der Vergangenheit Alagaesia. Einer Vergangenheit in der so manches einfacher gewesen und auch Ajihad, ihr Vater, für Nasuada noch eine Rolle gespielt hatte.
Was in der Gegenwart blieb waren Entscheidungen. Schwere Entscheidungen die oft noch weitere nach sich zogen. In diesem Fall war es die Frage welche Mitglied der Magiergilde Nasuada genug Vertrauen entgegenbrachte um Triannas Posten, als eine ihrer wichtigsten Beraterinnen in magischen Fragen, zu bekleiden.


Eragon Band 6 - Die Wege der ReiterWo Geschichten leben. Entdecke jetzt