87. Geschichtsstunde Teil 2

1.5K 74 1
                                    

Deutlich spürte Eragon den neugierigen Blick seiner Nichte und ihres Gefährten auf sich ruhen. Auch die beiden Jungdrachen der Schüler schienen die Unterhaltung gespannt zu verfolgen. Dennoch ließ sich der Anführer der Drachenreiter Zeit. Die Frage wie aus loyalen Mitgliedern des alten Ordens die Wyrdfel geworden waren hatte auch ihn lange beschäftigt. Es war ein komplexes Thema, bei dem verschiedene Faktoren zu berücksichtigen waren. Schließlich glaubt Eragon den Punkt gefunden zu haben an dem er am besten mit seinen Erklärungen beginnen konnte: "Zunächst einmal müsst ihr Küken euch einen Mythos aus dem Kopf schlagen. Nämlich die Vorstellung, dass Galbatorix und seine getreuen die alten Reiter im offenen Kampf herausgefordert hätten. Dass sie mit fliegenden Fahnen und zum Klang der Fanfaren gegen eine überwältigende Übermacht angetreten sind und den Sieg davongetragen haben. Das ist eine Vorstellung, die Galbatorix verbreitet hat um sich und seine Getreuen zu glorifizieren. Es hat offene Schlachten gegeben aber erst in der letzten Phase des Kampfes. Hätte Galbatorix offen den zahlmäßig weit überlegenen Orden angegriffen. Er wäre überwältigt worden durch die schiere Masse seiner Feinde. Die erste Phase des Aufstands der Wyrdfel lief gänzlich anders ab. Sie operierten im geheimen. Ihr habt sicherlich schon gehört, dass sie mit jedem Sieg, den sie über einen Drachen oder einen Drachenreiter errungen haben, mächtiger geworden sind. Auch dürfte euch bekannt sein dass Galbatorix Kräfte weit über die eines normalen Drachenreiters hinausgingen und von Jahr zu Jahr stärker wurden."
Während Cale schweigend nickte und gespannt den Ausführungen lauschte platzt aus Ismira ein Bündel von Fragen heraus:
"Das habe ich noch nie verstanden. Wieso sind die Wyrdfel und Galbatorix immer mächtiger geworden? Und vor allem wie konnte er immer mächtiger werden? Ein Magier ist doch nur so stark wie die Kraft, die in seinem Körper wohnt. Irgendwann hätte doch eine Grenze erreicht sein müssen."
Eragon hob die Hände und gebot damit seinen Schülern zu schweigen. Ein Lächeln konnte er jedoch aufgrund von Ismiras Neugier nicht unterdrücken.
"Alle deine Fragen sind berechtigt Ismira. Für den Moment kann ich dir nur soviel sagen: Am Ende der Reise auf die wir uns heute begeben haben werden die Antworten auf deine Fragen warten. Wenn wir zur Ostmark zurückkehren wird euch dieses Wissen zugänglich gemacht werden. Für den Moment muss ich euch aber bitten die Sache ruhen zu lassen. Akzeptiert es einfach als ein Faktum, dass Siege über Drachen und Reiter die Wyrdfel stärkten und Galbatorix immer größerer Macht aus einer verdorbenen Quelle zog. Verdorben weil er dafür unschuldiges Leben quälte."
Der Anführer der Reiter machte eine Pause und ließ seine Worte wirken. Er interpretiert es durchaus als Fortschritt in der Ausbildung, dass auch Ismira offenbar akzeptierte, dass sie im Augenblick keine Antwort auf ihre Fragen erhalten würde.
Schließlich fuhr Eragon fort:
"Nun, wie gesagt handelten die Wyrdfel in der ersten Phase ihres Aufstandes im geheimen. Sie griffen wilde Drachen an, die sich von ihren Donner entfernt hatten oder Reiter die alleine auf Missionen in entlegene Teile der Welt unterwegs waren. Galbatorix hatte sogar zwei Agenten in den Reihen des Ordens. Diese beiden Reiter verfälschten Berichte und sorgten dafür, dass weitere Opfer in die Arme ihrer Kameraden getrieben wurden. Es dauerte eine ganze Weile, bis diese Schurken enttarnt wurden. Bis dahin hatten sie, ganz in Galbatorix Sinne, gute Arbeit geleistet. Es war ihnen sogar lange Zeit gelungen zu verschleiern wer es war, der Angriffe gegen Drachenreiter und wilde Sculblaka aus dem Hinterhalt plante und durchführte. Lange Zeit wusste Vrael und der damalige Ältestenrat nicht das Galbatorix der Ursprung dieser Bedrohung war."
"Diese Agenten, dass waren Kailandi und Formona oder?" erkundigte sich Cale.
"Die beiden einzigen Wyrdfel aus den Reihen der Elfen." fügte Ismira pflichtbewusst hinzu. "Das ist auch so ein Punkt, Onkel Eragon, was kann Galbatorix zwei Elfen geboten haben, dass sie sich seiner Sache anschlossen?"
Eragon schmunzelte.
"Niemand ist wirklich vollkommen unbestechlich Ismira. Diese beiden hatten Schwächen, die sie für Galbatorix angreifbar machten. Der Reiter Formona war ein sehr stolzer, fast schon arroganter Elf, der schon über 100 Sommer gesehen hatte. Ihr müsst wissen, dass man nicht nur eine Gruppe von wilden Drachen als Donner bezeichnet sondern dass der Orden die Drachenreiter in Bataillone unterteilt hat und diese Bataillone hießen ebenfalls Donner. Formona war wütend darüber, dass man sein Bataillon einem Menschen unterstellt hatte. Einem Reiter, der sich zwar schon um den Orden verdient gemacht hatte aber nach Jahren noch jünger war als Formona selbst. Auch im Fall von Kailandi stand ein Konflikt zwischen Elfen und Menschen im Mittelpunkt. Er war jünger als Formona und hatte seinen Vater bei einem Gefecht mit einigen Urgals verloren. Er konnte es nicht verkraften, dass seine Mutter Trost bei einem menschlichen Drachenreiter fand und mit ihm eine Beziehung pflegte. Es entehrte seiner Meinung nach die Erinnerung an seinen verstorbenen Vater, dass sie sich mit einem Menschen einließ. Das waren die Punkte, an denen Galbatorix den Hebel ansetzte. Er versprach beiden mehr Einfluss in seinem neuen Reich und eine stärkere Trennung zwischen den einzelnen Völkern. Der letzte Punkt lag wohl auch in seinem Interesse. Diese beiden Verräter also lockten Kameraden des Ordens und ihre Drachen in wohl vorbereitete Fallen. An einem dieser Überfälle war auch Tara, die später den Beinamen die Grausame erhielt beteiligt. Sie führte den Überfall zusammen mit Morzan durch. Morzan stand nicht umsonst im Ruf der treueste Gefolgsmann des Königs zu sein. Er war eine Persönlichkeit, die zwei Schwächen aufwies. Zum einen, die Tendenz ständig über seine Fähigkeiten hinauszugehen. Er war ungeduldig und nicht bereit abzuwarten bis Jahre der Erfahrung ihn in den Reihen der Drachenreiter aufsteigen ließen. Galbatorix versprach ihm eine Position als sein Stellvertreter und Macht. Und eben das war es wonach es Morzan verlangte. Galbatorix schickte also Tara und sein getreuen Gefolgsmann aus um einen Reiter und seinen Drachen zur Strecke zu bringen. Er ließ die beiden in der alten Sprache schwören weder den Reiter noch seinen Drachen entkommen zu lassen und beide zu töten. Ich bin überzeugt, dass pure Berechnung hinter diesen Schwur stand. Der Reiter, der in eine Falle gelockt werden sollte war nämlich niemand anderes als Taras ehemaliger Lehrmeister. Ein Mann, den sie während ihrer Ausbildung lieben gelernt hatte. Gefühle, die erwidert wurden."
"Galbatorix hat Tara also auf den Mann gehetzt den sie liebte?"
Ungläubiges Entsetzen stand in Ismiras Blick und kurz huschten ihre Augen zu Cale. Auch der junge Reiter von Tailon schrien entsetzt. Beide hatten schon ausreichendes Wissen um die alte Sprache, um zu verstehen, dass sich Tara ihrem Schwur, wenn er nur genau genug formuliert war, kaum widersetzen konnte.
"Aber wenn Galbatorix ihr so etwas grausames angetan hat, dann wäre das doch ein Grund für Tara gewesen sich von ihm abzuwenden."
Eragon nickte dem jungen Buchbindersohn zu.
"Wenn es damals für Tara ersichtlich gewesen wäre, dass es sich bei Galbatorix Handeln um kalte Berechnung und nicht um einen schrecklichen Zufall handelte, hättest du wohl recht Cale-Finiarel. Aber Galbatorix war ein Meister darin Leute mit Honigworten einzuwickeln und zu manipulieren. Natürlich sind nicht alle Einzelheiten bekannt. Doch den Varden ist es immer wieder gelungen durch Spione Informationen über die Wyrdfel zu erhalten. Außerdem konnten von einigen von ihnen persönliche Aufzeichnungen sichergestellt werden nachdem sie besiegt waren. Auch ich habe einiges über Galbatorix und seine Gefolgsleute erfahren indem ich die Aufzeichnungen des Königs studiert habe nachdem ich ihn getötet habe. Im Fall von Tara verhielt es sich wohl so, das Galbatorix Bestürzung heuchelte als seine beiden Getreuen von ihrem Überfall zurückkehrten. Er machte Morzan scheinbar schwere Vorwürfe! Ihm hätte es doch als seinem Stellvertreter freigestanden Tara von dem Schwur in der alten Sprache zu entbinden. Natürlich waren diese Vorwürfe nicht ernst gemeint. Morzan hatte genauso gehandelt wie Galbatorix es gewollt hatte. Doch das wusste Tara nicht. Sie hat Galbatorix hingebungsvoll getröstet und sie schließlich überzeugt die Sache, wofür die Wyrdfel angeblich kämpften nicht aufzugeben trotz des schrecklichen Verlust den sie erlitten hätte. Trotzdem ist es wohl verständlich, dass etwas in Tara gestorben ist als sie gezwungen waren eben jenes Herz zu durchbohren, dass ihrem eigenen so nahe stand. Als dann auch noch die Verbannung der Namen erfolgte und sie somit auch noch das letzte verlor bei sehr etwas bedeutete, nämlich ihren Seelenpartner, war die gute Frau die Tara einmal war endgültig vernichtet. Treuer Dienst gegenüber Galbatorix war das einzige was ihr blieb und so wurde sie zu der grausamen Frau wie die Welt kennen gelernt hat."
"Das ist......" murmelte Cale unterbrach sich dann aber.
"Schrecklich!" vollendete Ismira.
"Das ist es in der Tat." bestätigte Eragon. "Ich glaube aber nicht, dass es genau das ist was du sagen wolltest Cale-Finiarel. Was wolltest du sagen?"
Der junge Reiter kratzte sich verlegen am Hinterkopf.
"Versteh das nicht falsch Meister, aber ich wollte sagen, dass es fast verständlich ist. Damit meine ich nicht, dass ich das Verhalten der Wyrdfel als gerechtfertigt ansehe aber....."
Eragon unterbrach die Erklärungen seines Schülers in dem er die Hand hob.
"Schon gut. Du hast völlig recht, es ist verständlich. Ich weiß, dass es für jeden von uns leichter ist die Wyrdfel einfach als charakterloser Monster zu sehen die etwas unvorstellbares getan haben."
Der Anführer der Reiter schwieg einen Moment und starrte gedankenverloren in das warme, orangene Licht, das die magische Laterne im Nachtlager der Reisegruppe verbreitete.
"Glaubt mir, auch mir fällt es nicht leicht die Tatsache zu akzeptieren, dass die 13 Verräter Wesen waren, die sich nicht wirklich von euch oder mir unterschieden haben. Man kann als Mann oder Frau geboren werden aber zu einem Monster macht einen erst das Leben. Die erschreckende Wahrheit ist, dass jeder der 13 das Potenzial gehabt hat ein angesehenes und ehrenwertes Mitglied des Ordens zu werden. Die Umstände jedoch auf die sie getroffen sind haben sie auf Abwege geführt. Und auch der alte Orden der Reiter muss sich zum Vorwurf machen lassen, nicht perfekt gewesen zu sein. Gewisse Konflikte zwischen den Völkern wurden klein geredet oder ignoriert und an ging allgemein mit etwas zu viel Geduld zu Werke wenn es um Charakterschwächen bei jüngeren Reitern ging. Man übte sich in solchen Fällen einfach in Geduld und wartete bis das Leben mit seinen Lehren diese Schwächen beseitigte. Vielleicht hätte es das bei allen Reitern, die sich Galbatorix anschlossen, auch getan aber durch ihr Zusammentreffen mit dem späteren dunklen König wurden sie auf einen falschen Weg gezogen. Galbatorix war ein Meister darin Schwachpunkte bei seinem gegenüber zu finden und diese durch seine gekonnte Rhetorik auszunutzen. Es gelang ihm sogar Reiter unter seinem Banner zu versammeln die im Grunde völlig gegensätzliche Hoffnungen für die Zukunft hegten. Beispielsweise der Wyrdfel Junra. Er stammte aus den Kreisen des Adels. Aufgrund dieser Tatsache fühlte er sich Reitern, die aus dem gemeinen Volk kamen überlegen."
"So einen kennen wir doch auch." warf Ismira sarkastisch in die Runde.
"Du meinst unseren alten Freund aus Giel'ead." bestätigte Cale und erwiderte der sarkastische Lächeln seiner Gefährtin.
"Solche Männer hat es zu allen Zeiten gegeben und wird es immer geben." beschwichtigte Eragon. "Würde es euch überraschen zu hören, das Galbatorix einem anderen Reiter namens Harkon versprochen hat, dafür zu sorgen, dass keine Unterschiede mehr zwischen adeligen Reitern und denen aus dem einfachen Volk zugelassen würden? Harkon war nämlich der Sohn eines Gärtners und fühlte sich oft ungerecht behandelt von Kameraden die dem Adel entstammten."
"Das überrascht mich in der Tat." antwortete Cale.
- "Wie soll das denn möglich sein?" -
Nun beteiligte sich auch Anarie an der Unterhaltung und ihr Bruder Tailon führte den Punkt den seine Schwester aufgeworfen hatte leidenschaftlich weiter aus:-" Ich kann verstehen, Meister-Großmutters-Reiter-Eragon, dass es dem Verräter-Mörder-Galbatorix gelingen konnte die Reiterin Tara zu überzeugen bei ihm zu bleiben. Aber wie ist es ihm gelungen, zwei Reiter für sich zu gewinnen, die vollständig gegensätzliche Ansichten haben?" -
Eragon lächelte und hob die Schultern.
"Ich denke, das es einfacher war als du vielleicht glaubst Tailon-Finiarel. Er hat ganz einfach beiden Reitern versprochen, dass sie ihren willen bekommen würden und jeden der beiden glauben lassen, dass er voll und ganz auf ihrer Seite stand. Untereinander haben Harkon und Junra aus verständlichen Gründen kaum ein Wort miteinander gewechselt."
"Nun, das mag er während des Krieges gegen die Drachenreiter funktioniert haben." argumentierte Ismira. "Aber nach dem Krieg muss es doch Probleme gegeben haben. Eben als es daran ging das gegebene Wort zu halten."
"Da hast du natürlich recht Ismira." räumte Eragon ein. "Ein Konflikt zwischen den beiden war unausweichlich aber ich kann mir vorstellen, dass das Galbatorix sehr gelegen kam."
"Wieso das?" Ismira beharrte auf ihrem Standpunkt. "Unter seinen eigenen Anhängern wünscht man sich doch Einigkeit."
Belehrend, mit einem Lächeln auf dem Gesicht, hob Eragon den Finger.
"Ein großer Feldherr hat einmal gesagt das man teilen muss um herrschen zu können. Die Reihen von Galbatorix Anhängern waren voll von Konflikten und Widersprüchen. Morzan und Tara hatten ihre private Fehde, dann die unterschiedlichen Ansichten von Harkon und Junra und bei den andern findet man auch immer einen Punkt, der das Potenzial hatte Konflikte mit Kameraden zu entfachen. Galbatorix hat nicht etwa versucht diese Konflikte zu beseitigen. Im Gegenteil! Er hat sie gefördert und dafür gesorgt, dass sich die Fronten immer weiter verhärteten."
"Ich verstehe immer noch nicht warum." beklagte sich Ismira.
"Weil, so lange sich die 13 unter einander bekämpften, sie zu beschäftigt waren um etwas gegen ihren Herrn, also Galbatorix zu planen. Auch hätten sie allein wohl kaum eine Chance gegen ihn gehabt. Sie hätten sich untereinander verbünden müssen und dass verhinderte der Streit in ihren Reihen ebenfalls."
"Sehr gut junge Reiter."  lobte Saphira.
"Du hast es in der Tat verstanden Cale-Finiarel." Eragon schloss sich den Worten seiner Drachendame an. "Teilen und herrschen. Indem er die 13 im Konflikt hielt stellte Galbatorix sicher, dass sie ihn nicht herausfordern würden. Im Gegenteil: die 13 waren sogar äußerst bemüht sich bei ihren Herrn und Meister lieb Kind zu machen. Indem sie möglichst treu dienten oft sie seine Gunst zu gewinnen und eine Entscheidung in ihrem Interesse zu erwirken."
Ismira schüttelte sprachlos den Kopf.
"Man kann ja über Galbatorix sagen was man will aber gerissen war dieser Kerl."
"Ich denke über diesen Punkt kann es in der Tat keinen Zweifel geben." stimmte Cale seiner Gefährtin zu.
"Wie schön das wir uns einig sind." erwiderte Eragon scherzhaft bevor er die Runde auflöste und seine Schüler anwies sich schlafen zu legen.


Eragon Band 6 - Die Wege der ReiterWo Geschichten leben. Entdecke jetzt