77. Schatten der Vergangenheit

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Nasuada saß an ihrem Schreibtisch, sie hatte die Stange Siegellack über einer Kerze verflüssigt und beobachtete nun wie die rote Masse auf das Dokument vor ihr tropfte. Als die richtige Menge seinen Weg auf das Papier gefunden hatte legte sie die, noch weiche, Stange Siegellack in ein Glasschälchen wo sich die Substanz wieder verfestigen sollte.
Die Königin ergriff einen Stempel mit ihrem persönlichen Siegel drückte ihn in das weiche Wachs auf dem Papier. Mit diesem Akt bestätigte sie die Echtheit und offizielle Natur der Befehle die sie soeben verfasst hatte.
Es war eine Tätigkeit, die sie so oft ausführte, dass sie fast schon mit mechanischer Präzision ablief. Heute jedoch blieb der Blick der Königin an der dunkelroten Masse hängen und sie kann nicht umhin festzustellen, dass der Siegellack dieselbe Farbe wie Blut hatte.
..... Fast als ob ich mit jedem Befehl, jedem Gesetz und jedem Urteil einen Teil von mir selbst aufgeben würde...... Fuhr es der Monarchin von Alagaesia durch den Sinn.
Nasuada konnte sich nicht erklären was Sie in eine so pathetische Stimmung versetzt hatte. Vielleicht das Gespräch mit Eragon? Es hatte Erinnerungen an alte Zeiten heraufbeschworen. Zeiten in denen Freund und Feind weit leichter zu erkenn war als heute.
Innerlich rief sich Nasuada selbst zur Ordnung und begann damit die nun verfassten Befehle in einen Lederumschlag zu schieben damit Murtagh sie unbeschadet auf seiner Reise mitnehmen konnte. Auch den Lederumschlag verschloss sie mit Siegellack und starte dann auf das braune Paket das vor ihr auf dem Schreibtisch lag.
Keines der enthaltenen Dokumente war ihr leicht aus der Feder geflossen. Den Priestern des Helgrinds eine Strafmilderung zuzubilligen stieß sie förmlich ab. Sie wusste, dass diese Männer Fanatiker waren die einsame Reisende überfielen oder nachts durch die Straßen der Städte schlichen auf der Jagd nach wehrlosen Opfern die sie an ihre "Götter" verfüttern konnten. Sicher enthielt das Dokument keine vollständige Amnestie! Die Männer würden lediglich der Obhut der Wächter des Lichts anvertraut werden und den Rest ihres Lebens in Gefangenschaft verbringen. Trotzdem konnte die Königin damit nicht wirklich Frieden schließen. Die neue Religion, die in Dras Leona ihren Sitz hatte glaubte daran, dass jedes Wesen mit einem gewissen Respekt zu behandeln sei. Normalerweise befürwortete Nasuada diese Einstellung aber im Fall der Priester bedeutete es, dass diese fanatischen Mörder relativ komfortabel untergebracht werden würden. Mehr als diese dunklen Gesellen verdienten!
Ein weiteres Dokument welches sie Murtagh mitzugeben gedachte ermächtigte Dorns Reiter den Soldaten Tjurin Aurastsohn mit dem von Eragon vorgeschlagenen Zauber zu belegen. Mit dem Akt an sich hatte die Königin in diesem Fall kein Problem. Auch sie war der Meinung, dass man dem jungen Soldaten ein besonderes Maß an Aufmerksamkeit zuteil werden lassen musste.
Nein, in diesem Fall fürchtete sie eher, dass die Maßnahme Erfolg haben würde und Tjurin entlarven würde. Herzog Aurast war stets ein treuer Diener gewesen. Ihm berichten zu müssen, dass sein Sohn unaussprechliche Verbrechen begangen hatte war nichts, dem Nasuada erwartungsvoll entgegensah. Doch es musste sein. Als Königin war sie verpflichtet ihr Volk zu beschützen und wenn Tjurin wirklich für die Vorfälle in Bullridge beantworte ich war, hatte er sich aufs übelste an ihren Schutzbefohlenen vergriffen!
Nasuada war dazu übergegangen sich mit Daumen und Zeigefinger den Nasenrücken zu massieren und erst das Geräusch der Tür zu ihrem Arbeitszimmer die geöffnet und wieder geschlossen wurde wie sie erneut aufblicken.
Der Anblick von Murtagh, der lächelnd auf sie zukam vertrieb etwas die düsteren Gedanken der Königin. Der Drachenreiter ging vor ihr in die Hocke um mit seiner sitzenden Gemahlin auf Augenhöhe zu sein.
"Dorn ist bereit zum Aufbruch." erklärte er.
"Die Dokumente, die ihr mitnehmen müsst sind ebenfalls bereit."
Nasuada wies auf den bereitliegenden Lederumschlag doch Murtagh ergriff zärtlich ihre Hände.
"Du siehst müde aus."
Nasuada lächelte traurig als sie erwiderte: "Ich fühle mich auch müde."
"Was bedrückt dich?"
"Die ganze Situation mit Tjurin. Wenn er wirklich für die Dinge verantwortlich ist, die man ihm vorwirft, dann habe ich keine Erklärung für sein Verhalten! Sein Vater ist ein guter Mann. Er hat Gil'ead ein völlig neues und besseres Gesicht gegeben. Ich kenne ihn schon seit sehr langer Zeit. Noch bevor ich Herrin der Varden wurde habe ich meinen Vater unterstützt so gut ich konnte! Oft bedeutete das die Intrigen seiner politischen Gegner zu vereiteln. Ich wusste schon bald wohl jedes einzelne Mitglied der Führungsriege seine Leichen begraben hatte. Aurast gehörte zu den wenigen die ehrlich und mit Anstand an der Befreiung Alagaesias gearbeitet haben ohne selbstsüchtige Ziele zu verfolgen. Ich werde den Gedanken einfach nicht los, dass ich ihm großen Kummer bereiten werde, sollten wir seinen Sohn entlarven."
"Ich wünschte, ich könnte etwas sagen, das dazu führtest du dich besser fühlst." erwiderte Murtagh und ehrliches Mitgefühl lag in seiner Stimme. Dieser Umstand ließ Nasuada lächeln.
"Es tut schon gut offen mit dir darüber reden zu können."
Der dunkelhaarige, junger Mann erwiderte ihr Lächeln und Nasuada spürte wie er zärtlich ihre Hände drückte.
"Du sagtest, das du vielleicht noch ein Magier hier aus Ilirea mitschicken willst? Hast du was das betrifft eine Entscheidung getroffen?"
"Ja," bestätigte die Königin. "Ich habe Trianna gebeten euch zu begleiten."
Überrascht erkannte Nasuada, dass nun ein Schatten über Murtaghs Züge viel. Der Drachenreiter trat vor die Fensterreihe die Licht in das Arbeitszimmer der Königin fallen ließ und starrte schweigend über die Hauptstadt.
Nasuada trat hinter ihren Gatten und fragte: "Ist das ein Problem für dich?"
Murtagh brauchte ein Moment um zu antworten.
"Es ist indirekt ein Problem für mich. Es geht mehr um Dorn. Er kann Trianna nicht ausstehen. Er sagt sie erinnert ihn zu sehr an die Zwillinge. Und da seine und meine Gedanken stets verbunden sind führt mich das unwillkürlich an einen Ort in meiner Erinnerung an den ich nicht gerne zurück denke. Mit diesen beiden Glatzköpfen begann die dunkelste Periode meines Lebens."
"Und für mich die Schwerste."
Nasuadas Worte waren nicht mehr als ein Flüstern gewesen, doch sie veranlassen Murtagh sich zu ihr umzudrehen.
"Entschuldige! An deinen Vater habe ich nicht gedacht."
"Schon gut." flüsterte die dunkelhäutige Frau. Auch sie trat nun ans Fenster und blickte über die Stadt.
"Es ist seltsam oder? Man sagt doch immer, dass der Krieg bewirkt, dass jeden Tag ein Teil von einem stirbt. Dass man nie wieder derselbe ist. Als ich das in meiner Jugend gehört habe konnte ich mir nicht vorstellen was man damit meint. Fühlt man sich ständig leer? Kann man nichts mehr genießen und über nichts mehr lachen? So ist es zum Glück nicht. An manchen Tagen vergesse ich fast all das Leid, das Blut und den Tod. Aber dann ist eine Kleinigkeit und all die Erinnerungen sind wieder da."
"Es ist als würden Löcher in die Seele gerissen." Murtagh führte die Gedanken seiner Gattin fort. "So als wäre man selbst eine Straße auf der man wandelt. Man kann den Blick auf den Horizont richten und so tun als gebe es die Vergangenheit nicht. Manchmal gelingt das auch, zumindest für eine Weile. Doch dran bringt ein solches Loch einen zum Stolpern und man muss den Blick wieder auf die Straße richten. Dann sieht man den angerichteten Schaden und weiß, dass man ihn nicht reparieren kann. "
Nasuadas Blick traf auf den von Murtaghs grauen Augen.
"Deswegen bist du der richtige für mich. Du verstehst diese Dinge."
Die beiden Liebenden lächelten sich kurz schweigend an.
Die Königin spürte, dass viel zwischen ihr und ihrem Gatten in der Luft hing. Das Wissen, was Schmerz und Verlust bedeutete, was es hieß die Verantwortung für viele Leben zu tragen und was für ein Gefühl ist zwar zwar auf der einen Seite Macht zu besitzen aber oft gezwungen zu sein Wege zu beschreiten die man lieber vermieden hätte. Zwar ging diese Erfahrung beim Murtagh noch wesentlich tiefer als bei Nasuada aber auch sie wusste was es bedeutete Dinge zu tun, die man verabscheute aber keine Wahl zu haben. Spontan erinnerte sie sich an die Strafe, die sie Roran einmal auferlegen musste. Sie hatte Eragons Cousin auspeitschen lassen, weil es das Gesetz eben verlangte. Verdient hatte der heutige Graf des Palancartals das sicher nicht. Er hatte einen Sieg für die Varden errungen und mit eigener Hand fast 200 Feinde getötet und doch hatte sie nicht anders handeln können!
Obwohl es vor allem solch düstere Erfahrungen waren, die sie mit Murtagh teilte hatte eben das Einverständnis zwischen ihnen geschaffen, das die Basis für ihre Liebe war.
..... Wie die ersten grünen Triebe, die im Frühling durch den eisigen Mantel des Winters brechen......
Nasuada musste fast lachen als sie ihre eigenen Gedanken hörte. Sie war heute wirklich in poetischer Stimmung.
"Warum eigentlich Trianna?" erkundigte sich Murtagh. "Wenn unser Verdacht stimmt ist sie es möglicherweise gewesen, die Tjurin erst an die Geisterbeschwörung herangeführt hat."
Nasuada konnte Murtaghs Einwände sehr gut verstehen.
"Leider ist sie eine der wenigen Magierin in meinem Dienst, die sich mit Geisterbeschwörung auskennen. Niemand am Hof weiß mehr darüber als sie. Außerdem hat sie mir während der Zeit des Krieges treu gedient. Ich kann ihn nicht einfach nur aufgrund eines Verdachtes jedes Vertrauen entziehen. Ich brauche jemand in dieser Expertengruppe die wir zusammenstellen, dessen Fähigkeiten ich einschätzen kann."
"Das kann ich verstehen." murmelte Murtagh. "Trotzdem glaube ich nicht, dass es eine gute Idee ist sie und Tjurin am selben Ort zu haben. Besonders nicht an dem Ort, wo der Schatten-Ra zac eingesperrt ist."
"Da hast du sicherlich recht. Aber was sollen wir tun? Wenn ich Tjurin als einzigen ohne Grund nach Ilirea zurück berufen könnte er misstrauisch werden. Er soll ja nicht mal etwas von dem Zauber merken mit dem du ihn belegst."
Murtagh überlegte einen Moment, dann ließ sich auf seinem Gesicht ablesen, dass er eine Idee hatte.
"Die Nachtfalken haben während des Kampfes doch einen ihrer Meldereitern verloren. Wie wäre es, wenn du Tjurin auf diesen Posten berufen würdest? Ich könnte ihn dann nachdem ich das Gefängnis des Ra zacs zusätzlich mit Magie gesichert habe und mit den Priestern verhandelt habe nach Ilirea zurückschicken um dir einen Lagebericht zu überbringen. Das hätte den Vorteil, dass er nicht mehr mit Trianna zusammen ist und hier am Hof kann zusätzlich noch Elva ein Auge auf ihn haben. Dann sind wir doppelt abgesichert was ihn betrifft."
"Ein guter Gedanke." stimmte Nasuada nach kurzer Überlegung zu. "Es ist keine direkte Beförderung also dürfte es keine übermäßige Aufmerksamkeit erregen und nach einem Feldzug ist es üblich, dass die beteiligten Soldaten erst einmal einen oder zwei Wochen Dienst in der Kaserne tun bevor sie wieder ausgeschickt werden. Es wird also auch nicht auffallen, wenn ich ihn nicht mit neuen Depeschen durchs Land schicke. Ich werde den Dokumenten eine diesbezügliche Erkennungsurkunde hinzufügen."



Eragon Band 6 - Die Wege der ReiterWo Geschichten leben. Entdecke jetzt