85. Reisefieber

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"So, das wär's. Was denkst du?"
Cales Frage richtete sich an seinen Drachen Tailon. Sorgfältig schien der junge Rote das Gewicht der Satteltaschen abzuwägen welche sein Reiter ihn gerade auf den Rücken gebunden hatte.
"Ich denke es ist in Ordnung."  verkündete der junge Drache schließlich.
Cale war erleichtert. Er hatte sich in der Tat auf das notwendigste beschränkt was sein Gepäck betraf. Etwas Kleidung zum Wechseln, seine Mappe, damit er Aufzeichnungen machen konnte sollte der Unterricht es erfordern und etwas Proviant.
Nun schnallte sich der junge Buchbindersohn noch sein Schwert um und befestigte Pfeil und Bogen am Sattel seines Drachen. Anschließend warf sich Cale einen Reiseumhang um. Der sandfarbenen Ton des Umgangs kennzeichnet die ihn als Novizen des Ordens.
"Gut, dann sollten wir aufbrechen. Ismira will uns vor der Festung treffen."
Während der junge Reiter sich in den Sattel zog stieß Tailon ein heiseres Kichern aus.
- "Du glaubst doch nicht dass sie pünktlich sein wird oder?" -
Während der rote Drache auf die Abflugöffnung des Quartiers, dass er gemeinsam mit seinem Reiter bewohnte, zu trottete, stieß Cale ein verzweifeltes Seufzen aus.
- "Nein ich befürchte eher nicht." -
- "Dann sind wir einer Meinung." - lachte Tailon und sprang dann aus der Abflugöffnung, entfaltete seine Schwingen und ging in einen sanften Gleitflug über. Er umrundete die Festung der Drachenreiter und setzte schon nach wenigen Minuten vor dem Haupttor, jenseits des Wassergrabens, wieder auf.
Wie die beiden Seelenbrüder erwartet hatten war von Ismira weit und breit keine Spur.
- "Ich hab's gewusst." -
Diese Bemerkung konnte Tailon sich nicht verkneifen. Doch auch für Cale stellte die Abwesenheit seiner Gefährtin keine wirkliche Überraschung dar. Bereits gestern, nach Eragons Ankündigung, war Ismira nicht mehr zu bremsen gewesen. Wie ein Wasserfall hatte sie Vorschläge hervor sprudeln lassen was dringend benötigt würde und jedes Mal wenn Cale widersprochen hatte war die junge Frau ein wenig wütender geworden. Um einen ausgedehnten Streit zu vermeiden hatte der Buchbindersohn schließlich vorgeschlagen, dass sich jeder um sein eigenes Gepäck kümmern sollte. Ismira hatte den Vorschlag angenommen aber verkündet, dass sie fest damit rechnen würde, dass Cale die Hälfte vergaß.
"Hast du versucht mit deiner Schwester zu reden?" 
"Allerdings."  Antwortete der junge Rote seinem Reiter.                                                                                           "Sie hat nur ein Wort als Antwort geschickt: Hilfe!" 
Stumm kamen die beiden Seelengefährten über ein, dass es das beste war sofort auf Anaries Notruf zu reagieren.
Mit einigen kräftigen Flügelschlägen schwang sich Tailon wieder in den Himmel und landete kurze Zeit später in der Einflugöffnung von Ismiras Quartier. Um ein Haar wäre der junge Drache ins stolpern geraten als er in der Behausung seiner Schwester und ihrer jungen Reiterin aufsetzte. Überall auf dem Boden lagen Kleidungsstücke, einige Schriftrollen und sonstige Einrichtungsgegenstände verteilt. Acht voll geparkte Satteltaschen türmen sich auf Ismiras Bett und aus dem angrenzenden Badezimmer hörte man Geräusche, die Cale entweder als verzweifelte Bemühungen seiner Gefährtin zu packen einstufte oder als eine marodierende Horde Kull.
Der Blick der beiden Neuankömmlinge wanderte zu Anarie. Die violette Drachendame warf ihrem Bruder und seinem Reiter einen hilfesuchenden Blick zu.
"Wenn mein Rotschopf so weiter macht, muss uns die Hälfte aller wilden Drachen begleiten um ihr Gepäck zu tragen."  schnaubte die junge Drachendame verzweifelt.     "Ismira lässt aber überhaupt nicht mit sich reden. Sie glaubt allen ernstes, dass wir das alles brauchen." 
"Acht Satteltaschen?" 
Tailon konnte es nicht fassen.
"Wir besitzen doch gar nicht so viel, seit wie hier leben." wunderte sich auch Cale.                                                "Was bei allen Göttern hat sie denn in diese Taschen gepackt?" 
Anarie schnaubte und begann aufzuzählen: "Drei Taschen sind voll mit Proviant. Ich habe ihr gesagt, dass ihr so viel nicht braucht und wir für euch jagen können aber sie meint, dass wir mindestens soviel brauchen würden. Drei weitere Taschen sind voll mit Büchern. Die hat sie sich bei diesem Jeod ausgeliehen. Sie beschäftigen sich besonders mit der Tier und Pflanzenwelt hier im Osten. Die siebte Tasche ist voll mit Verbandszeug. Offenbar hat mein Rotschopf vergessen, dass ihr jede Wunde durch Magie heilen könnt, denn sie hat genug Verbandsmaterial eingepackt um ein Feldlazarett einzurichten. Die achte Tasche enthält ihre Kleidung und die Taschen neun und 10 hat sie mit ins Bad genommen und fragt mich nicht was sie dort jetzt einpacken will." 
"Vermutlich genug Wasser, damit sie dreimal am Tag baden kann." vermutete Tailon und erntete dafür ein bitterbösen Blick von seiner Schwester.
Cale war inzwischen aus dem Sattel geglitten und schritt nun energisch auf das Badezimmer zu. Diesem Wahnsinn musste ein Ende gemacht werden.
Als er das Bad betrat entdeckte er Ismira, die mit dem gesamten Oberkörper in einem kleinen Schränkchen unter dem Waschbecken verschwunden war. Kurz entschlossen packte Cale seine Gefährtin bei den Hüften, hob sie hoch und trug sie in den Wohnbereich ihres Quartiers zurück. Ismira war alles andere als begeistert über diese Behandlung und zappelte wild.
"Was soll das Cale?!" fauchte junge Frau ihren Gefährten an als  er sie schließlich auf der Bettkante absetzte. "Ich habe jetzt keine Zeit für Spielchen sonst werde ich nie fertig."
Ismira wollte sofort wieder aufspringen und ihre Arbeit wieder aufnehmen, doch Cale blockierte ihr den Weg. Er stützte sich rechts und links von ihr mit den Arm auf der Matratze ab und durchbohrte Ismira mit dem stechensten Blick zu dem er fähig war. Sein Gesicht schwebte dabei nur Zentimeter vor Ismiras.
"Zehn Satteltaschen?" fragte Cale schließlich als er sicher war, dass sein Gegenüber sich etwas beruhigt hatte.
Einige Augenblicke hielt Ismira ihre wütende Fassade noch aufrecht dann ließ sie sich einfach nach hinten auf die Matratze fallen.
"Es ist mir wieder passiert oder?"
Überzeugt, zu seiner Gefährtin durchgedrungen zu sein setzte sich Cale neben sie auf die Bettkante.
"Was ist dir wieder passiert meine Rebellin?"
"Reisefieber." jammerte Ismira, griff sich ein Kissen und drückte es sich selbst aufs Gesicht. "Das passiert mir manchmal. Ich dachte eigentlich, dass ich es im Griff habe."
"Und was genau ist Reisefieber?" erkundigte sich Cale.
"Anna meinte, dass ich immer daran leide." erklärte die junge Frau mit einer Stimme, die durch das Kissen auf ihrem Gesicht etwas dumpf klang." Sie hat das das erste mal gesagt, als meine Eltern mir mit sechs Jahren gesagt haben, dass wir dieses Jahr zum Frühlingsfest nach Teirm fahren würden. Ich habe sofort angefangen zu packen."
"Das ist doch sehr selbstständig für ein so junges Mädchen." lobte Cale.
Verzweifelt zog sie Ismira das Kissen vom Gesicht und starrte ihren Gefährten an.
"Ja, vielleicht ist es das, aber wir wollen erst in sechs Wochen aufbrechen!"
Nun konnten weder Cale noch die beiden anwesenden Drachen sich beherrschen und prusteten vor Lachen los. Ismira zog daraufhin einen beleidigten Schmollmund und verschränkt die Arme vor der Brust.
"Entschuldige bitte, ich wollte dich nicht auslachen." beschwichtigte Cale seine wütende Gefährtin. "Ich habe das bisher noch nie bei dir bemerkt. Wir haben doch nun schon wirklich einiges an Weg zusammen zurückgelegt."
"Ich habe ja auch daran gearbeitet das in den Griff zu bekommen." murrte die junge Frau.                   "Ich denke die momentane Situation hat einfach einen kleinen Rückfall bei mir bewirkt."
"Einen kleinen Rückfall?!" erkundigte sich Tailon spöttisch und bekam für seine Stichelei ein Kissen an den Kopf geworfen.
"Von welcher Situation sprichst du?"
Cale bemühte sich ein Streit zwischen seinem Drachen und Ismira im Keim zu ersticken.
"Ich will Onkel Eragon nicht enttäuschen." gestand Ismira kleinlaut.
"Du meinst wegen der Angelegenheit mit dem verbotenen Wald? Ich dachte, dass liegt längst hinter euch? "
"Im Grunde schon." bestätigte die junge Drachenreiterin und setzte sich auf, so dass sie ihren Gefährten direkt anblicken konnte. "Er hat es nie mehr erwähnt und ich habe immer bemüht mich seitdem verantwortungsbewusster zu verhalten aber dass er mich auch mit auf dieser Reise nehmen will ist ein echtes Zeichen dafür, dass es mir wirklich nicht mehr übel nimmt. Ich wollte einfach so gut vorbereitet sein wie irgend möglich. Aber ich habe es wohl übertrieben. Tut mir leid."
Die Ismiras letzte Worte richteten sich vor allem an ihrer Drachendame, die ihre Reiterin daraufhin mit einem liebevollen Blick bedachte und zärtlich summte.
"Was hältst du davon wenn ich dir helfe?" erkundigte sich Cale.
Ismira nahm das Angebot gern an und bereits wenige Minuten später war ihr Reisegepäck, das nun praktisch mit dem ihres Gefährten identisch war, bereit. Lediglich in zwei Punkten unterschied sich ihr Gepäck noch von dem Cales. Zum einen hatte sie ihren Proviant etwas anders zusammengestellt. Sie hatte darauf geachtet Dinge mitzunehmen auf die Cale verzichtet hatte, so dass sich Mahlzeiten zu einem vollwertigeren Mahl ergänzen ließen. Zum zweiten wollte Ismira unbedingt ein Buch mitnehmen, dessen Inhalt sie offenbar sehr fesselte.
"Was ist das eigentlich für ein Buch?" Erkundigte sich Cale und zog sich wieder in den Sattel seines Drachen.
"Es ist die Lebensgeschichte der 13." erklärte Ismira und bestieg ebenfalls ihrer Drachendame.           "Du weißt schon, die 13 Drachenreiter die zu Verrätern wurden und Galbatorix unterstützten."
Für weitere Unterhaltungen blieb den Gefährten keine Zeit, denn ihre Drachen sprangen aus der Einflugöffnung und schwang sich in den Himmel. Mit kräftigen Flügelschlägen strebten sie der ehemaligen Schlüpflingswiese zu.

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Eragon Band 6 - Die Wege der ReiterWo Geschichten leben. Entdecke jetzt