95. Die Wahrheit

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Mit eiligen Schritten legte Murtagh die letzten Meter bis zum Thronsaal seiner Gattin zurück. Ganz konnte er Nasuadas Entscheidung nicht verstehen. Mithilfe des wahren Namens der alten Sprache war es in der Tat ein leichtes gewesen den Schutzzauber die Trianna um ihr Labor errichtet hatte aufzuheben. Die Königin hatte dann aber entschieden, vor der Durchsuchung des Labors, der Magierin die Chance zu geben ein Geständnis abzulegen.
Murtagh konnte nur Vermutungen über Nasuadas Beweggründe anstellen. Aller Wahrscheinlichkeit nach emfand die Königin einfach eine gewisse Loyalität zu Trianna weil diese bereits den Varden gedient hatte. Würden sich die Vorwürfe erhärten, so bliebe Nasuada nichts anderes übrig als ein Todesurteil über eine langjährige Verbündete zu fällen.
Auf die eine Art bewunderte Murtagh, dass seine Frau soviel Mitgefühl für ihre Untertanen aufbrachte aber er hatte dennoch darauf bestanden bei diesem Gespräch anwesend zu sein. Zwar reichte Trianna nicht an die Stärke eines Drachenreiters heran wenn es um die Magie ging aber sollte sie einen Fluchtversuch starten durfte man ihre Fähigkeiten nicht unterschätzen. Zwar wusste Dorns Reiter genau, dass seine Gattin gut auf sich selbst aufpassen konnte aber es schadet dir nichts sich zusätzlich abzusichern.
Murtagh erreichte schließlich die Doppeltür welche in den Thronsaal führte und die postierten Wachen ließen ihn ohne weiteres passieren.
Als er in den weitläufigen Raum trat saß Nasuada bereits auf ihrem Thron während Trianna unweit von ihr im Raum stand und sichtlich nervös wirkte. Die Magierin war der Meinung gewesen, der Königin einen Bericht über den Schatten-Ra zac geben zu sollen doch offenbar ahnte Trianna bereits, dass etwas anderes in der Luft lag.
Kurz trafen sich Murtaghs und Nasuadas Blicke. Fast unmerklich nickte der Reiter seiner Gattin zu. Dies war das verabredete Zeichen, dass die Schutzwälle in der Tat entfernt waren und das Trianna sich auch nicht darauf verlassen konnte, dass eine magische Falle oder Ähnliches alle Beweise gegen sie vernichten würde.
Murtagh lehnte sich nun an den großen Konferenztisch der zur Linken von Nasuadas Thron stand und beobachtete die Szene. Die Königin hatte ihm bereits angeboten sich neben ihrem Thron an ihrer rechten Schulter zu platzieren. Nur engste Vertraute von Herrschern wurden mit diesem Vorrecht belohnt. Murtagh jedoch hatte es abgelehnt. Galbatorix hatte ihn gezwungen sich bei jeder Audienz eben dort zu platzieren. Es war keine Ehrung des dunklen Herrschers gewesen! Vielmehr war es eine zusätzliche Demütigung für seinen erzwungenen Diener. Zu viele schlechte Erinnerungen verbanden sich für Murtagh mit dieser Position und Nasuada verstand warum er sie nicht einnehmen wollte.
Murtagh entdeckte, dass auch Elva anwesend war. Das ehemalige Hexenkind stand zwischen zwei der großen Fenstern die Sonnenlicht in den Thronsaal fallen ließen. Zurzeit schickte die Sonne gleißende Lichtstrahlen durch die hohen Fenster und so verschmolz Elva praktisch mit dem Schatten und dem Gegenlicht das zwischen den Fenstern herrschte. Allein ihre violetten Augen funkelten aus der Dunkelheit die sie umgab und erinnerten Murtagh irgendwie an eine jagende Raubkatze, die ihre Beute fest im Blick hielt.
Der Dunkelhaarige kannte seiner Gattin gut genug um zu wissen, dass auch Nasuada angespannt war. Bei seiner Frau erkannte man das stets an der Angewohnheit mit dem Zeigefinger ihrer rechten Hand auf die Lehne ihres Thrones zu klopfen.
Einige Sekunden schwieg Nasuada noch bis die Anspannung im Raum fast mit den Händen zu greifen war, dann richtete sie das Wort ein Trianna: "Wie ich dir bereits gesagt habe bist du nicht hier weil ich einen Bericht über den Schatten-Ra zac hören möchte sondern ich will dir die Gelegenheit geben mehr aus freien Stücken zu gestehen was Du in deinem Labor versteckst und was dich mit dem Sohn von Herzog Aurast verbindet."
Murtaghs Blick heftete sich an Trianna und er stellte fest, dass, obwohl die Magierin ihre Gefühle gut zu verbergen vermochte, sie um einiges blasser geworden war.
"Meine Königin ich weiß nicht wovon......"
"Schweig!"
Murtagh musste fast lachen. Auch er war bei dem scharfen Ausruf seiner Frau zusammen gezuckt. Er war auf Schlachtfeldern gewesen und hatte Galbatorix selbst gegenübergestanden. Desweiteren hatte er so manchen Adligen, der sich für wichtig hielt, am Hofe des Königs kennen gelernt. Er hätte einige ehemalige Mitglieder der Oberschicht aufzählen können die, umgeben von 50 schwer bewaffneten Leibwächtern, ihrer Umwelt nicht halb soviel Respekt abnötigten wie Nasuada es mit einem Wort und ihrer natürlichen Autorität vermochte.
Murtagh kam nicht umhin ein wenig stolz zu empfinden. Seine Gattin war eben eine geborene Anführerin.
"Versuch bitte nicht die Unwissende zu spielen Trianna." Nasuada erhob sich von ihrem Thron und das Kleid aus dunkelgrüner, schillernder Seide, welches sie trug raschelte leicht. "Wir hegen seit einiger Zeit den Verdacht, dass Tjurin, der Sohn von Herzog Aurast, mit den Vorfällen in Verbindung zu bringen ist die in letzter Zeit den Frieden in unserem Land gestört haben. Dieser junge Soldat war dir einige Zeit lang zugeteilt und er hat versucht sich Zutritt zu deinem Labor zu verschaffen. Meine Vertraute Elva hier hat deutlich gespürt, dass er vorgehabt hat etwas aus deinem Besitz an sich zu bringen. Etwas, das in seinen Händen über aus gefährlich sein könnte! Macht keinen Fehler Trianna: wir haben bereits die Schutzwälle und ein Labor entfernt und ich halte die Beweise für hinreichend um seine Durchsuchung anzuordnen. Du hast mir gedient und meinem Vater. Deshalb gebe ich dir hier die Gelegenheit aus freien Stücken ein Geständnisse abzulegen. Du weißt das ich den Missbrauch von Magie hart bestrafe. Wenn du jetzt freiwillig gestehst wird sich das zu deinen Gunsten auswirken. Ich gebe dir diese Gelegenheit weil Du mit den Varden gekämpft hast und beim Wiederaufbau des Reichs eine große Hilfe warst. Was hat Tjurin gesucht? Und was ist deine Rolle in dieser Angelegenheit?"
Murtagh beobachtete wie es in der Triannas Stirn offenbar arbeitete. Die nächsten Sekunden würden für den weiteren Verlauf entscheidend sein. Entweder würde die Magierin zu dem Schluss kommen, dass Kooperation ihr einziger Ausweg war oder möglicherweise etwas dummes versuchen. Die Resignation, die sich Augenblicke später über Triannas Gesichtszüge schlicht zeigte, dass sie offenbar beschlossen hatte vernünftig zu sein.
"Ich vermute, dass er einige Aufzeichnungen an sich bringen wollte die er mir angeboten hat."
Die Schwäche, die sich in die Stimme der Magierin geschlichen hatte war für Murtagh deutlich herauszuhören. Dennoch entging ihm nicht, dass ihre Formulierung noch sehr vage war. Offenbar bemühte sich Trianna auszuloten welcher Menge an Wahrheit nötig war um sie aus dieser Situation herauszubringen.
"Welche Art von Aufzeichnungen? Von wem stammen sie?" Mit strenger Stimme forderte Nasuada weitere Informationen ein.
"Es sind persönliche Aufzeichnungen, ein Tagebuch wenn ihr so wollt, des Schattens Durza."
Murtagh hatte das Gefühl, als wäre es im Thronsaal deutlich kälter geworden als dieser Name fiel. Er erinnerte sich noch gut wie er und Eragon diesem Dämon in Giel'ead begegnet waren. In einem Speisesaal waren sie sich gegenübergestanden. Diese Erinnerung war deshalb so lebendig in Murtaghs Geist weil er da zum ersten Mal einen echten Freundschaftsbeweis von Eragon erhalten hatte. Der damals noch junge Drachenreiter hatte ihm geraten sich zurückzuhalten da Durza ihn, den Reiter von Saphira, lebendig wollte während Murtaghs Leben für den Schatten wertlos war. Der Dunkelhaarige war von dieser Geste tief beeindruckt gewesen. Tiefer als er es Eragon jemals gestanden hatte. Bis zu diesem Zeitpunkt hatte es, mit Ausnahme seines Lehrers im Schwertkampf Tornac, niemanden gegeben, der bereit gewesen wäre irgend etwas für den Sohn Morzans zu riskieren. Erst recht nicht das eigene Leben.
"Durza?!" Nasuadas Stimme klang deutlich ungläubig. "Du Verstecks tatsächlich Aufzeichnungen von Galbatorix verfluchtem Schatten?! Es wäre deine Pflicht gewesen mir das zu melden!"
"Und was hätte dir dann getan Herrin?" Murtagh spannte sich leicht an als er nun auch in Triannas Stimme Wut wahrnahm. "Ihr hättet diese kostbaren Aufzeichnungen einfach den Drachenreitern oder der Elfen übergeben! Wissen an sich ist nicht gefährlich genauso wenig wie die Magie."
"Ohne Magie hätten Galbatorix nie herrschen können! Ohne Magie würde mein Vater noch leben!" donnerte Nasuada.
"Ohne Magie würde keiner von uns leben!" hielt Trianna dagegen. "Magie ist die Lebenskraft der Welt! Aber ihr behandelt sie stets nur wie ein Werkzeug oder wie ein wildes Tier dass man an die Kette legen muss."
"Magie muss kontrolliert werden." legte Nasuada entschieden fest.
"Kontrolliert, ja! Aber ihr kontrolliert nicht einfach nur. Ihr unterdrückt. Sicherlich ist Galbatorix der schlimmste Auswuchs den die Magie je hervorgebracht hat aber seht euch zum Beispiel die Wunder an, die die Elfen mit ihrer Hilfe vollbringen. Sollen wir ewig hinter ihnen zurückstehen? So weniger aus dem Volk der Menschen beherrschen überhaupt die Magie und ihr zwängt sie auch noch in so eng gefasste Beschränkungen, dass wir nie mit den Spitzohren auf Augenhöhe kommen werden. Ich hatte nie vor mit diesen Aufzeichnungen etwas zum Schaden des Reichs zu tun. Ich wollte nur verhindern, dass dieses Wissen für immer vor uns verschlossen bleibt."
Nasuada wandte sich von Trianna ab und schritt zu ihrem Thron zurück. Als sie zu sprechen begann Klang ihrer Stimme ruhig, doch jeder der sie kannte wusste, dass sie allein durch ihre Disziplin ihrer Wut unter Kontrolle hielt.
"Was wollte Tjurin von dir als Gegenleistung für diese Aufzeichnungen?"
"Er wollte von mir in der Geisterbeschwörung unterrichtet werden." antwortete Trianna.
Deutliche Frustration war auf Nasuadas Gesicht abzulesen als sie kurz die Augen niederschlug.
"Damit hättest Du ein weiteres meiner Gesetze gebrochen und bevor Du mir wieder einen Vortrag darüber hältst was du von meinen Gesetzen denkst, lass dir folgendes gesagt sein: Es ist nicht an dir auszuwählen welche Gesetze du befolgst und welche nicht! Wie ging es weiter?"
"Ich habe sein Ansinnen zunächst abgelehnt und gefordert, dass er mir das Tagebuch aushändigt. Ich habe mich auf meine Autorität als Mitglied der Magiergilde berufen. Er hat sich geweigert und angedeutet, dass er entweder über weitere Aufzeichnungen verfügt oder zumindest über die finanziellen Mittel und diese an sich zu bringen. Nachdem ich darüber nachgedacht habe stimmte ich seinen Bedingungen zu. Doch nur um ihn im Auge behalten zu können. Ich war sehr vorsichtig mit dem was ich ihn gelehrt habe."
"Offenbar nicht vorsichtig genug!" unterbrach Nasuada ungnädig. "20 Tote in Bullridge! Dafür ist Tjurin verantwortlich oder? Und nun dieser Schatten-Ra zac!"
"Ich leugne nicht, das er dafür verantwortlich ist." gestand die Magierin. "Doch jedes Mal habe ich Konsequenzen aus seinem Handeln gezogen. Nach den Vorfällen in Bullridge bin ich zu euch gekommen und habe erklärt, dass sich meine Experimente zur Geisterbeschwörung fürs erste einstelle. Damit wollte ich mir eine Erklärung schaffen warum ich ihn fürs erste nicht weiter unterrichten würde aber gleichzeitig mir die Möglichkeit offen halten ihn weiter zu überwachen. Und nach den Vorfällen mit dem Schatten-Ra zac habe ich unsere Beziehung beendet."
Nasuada war in Schweigen verfallen und tippte wieder mit ihrem Zeigefinger auf die Lehne ihres Throns. Murtagh war klar, dass sie Triannas Worte bewertete. Der Dunkelhaarige selbst war der Meinung, dass die Aussage vielleicht in groben Zügen der Wahrheit entsprach aber sicherlich so formuliert war, dass Trianna im möglichst besten Licht erschien. Hatte sie wirklich nur vorgehabt Tjurin zu überwachen und zu ergründen ob er weitere gefährliche magische Objekte besaß? Eine innere Stimme sagte Murtagh, dass dies nicht der Fall war.
Als das Klingeln einer silbernen Glocke, die neben dem Thron auf einem Tisch stand ertönte richtete Murtagh seine Aufmerksamkeit wieder auf das Geschehen.
Mit der Glocke hatte Nasuada ihre Wachen aufgefordert einzutreten. Vier Elfen, allesamt Mitglieder der Nachtfalken, postierten sich um Trianna.
"Ich erwarte von dir einen genauen Bericht darüber, welche Fähigkeiten Tjurin nun besitzt. Des weiteren wirst du das Tagebuch von Durza sofort aushändigen. Ist das von dir verstanden worden?" fragte die Königin.
"Natürlich Hoheit." unsicher blickte Trianna zu den Elfen. "Darf ich erfahren welche Strafe mich nun erwartet?"
"Ich habe mir noch kein genaues Urteil gebildet." antwortete die Königin mit kalter Stimme. "Du hast mir viele Jahre treu gedient und deshalb will ich erst genau abwägen was ich gerade gehört habe bevor ich mich festlege. Es stehen schwere Vergehen im Raum. Vergehen die schwere Strafen nach sich ziehen. Ein Urteil darf nicht in der Hitze des Augenblicks gesprochen werden. Bis auf weiteres stelle ich dich lediglich in deinen Gemächern unter Arrest."
Mit einer einfachen Handbewegung entließ Nasuada Trianna und die Magierin verließ mit ihren elfischen Bewachern den Saal. Auch Elva folgte ihnen hinaus.


Eragon Band 6 - Die Wege der ReiterWo Geschichten leben. Entdecke jetzt