10. Ein Moment zwischen Gefährten

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Nachdenklich blickt der Narie über das Hafenbecken und ließ ihren Blick schließlich zu dem Segel wandern, das seit einigen Minuten am Horizont erkennbar war. Dieses Schiff würde sie und ihre jungen Schüler nach Du Weldenvarden bringen. Die junge Elfe wünschte sich den Ereignissen mit denselben Enthusiasmus entgegensehen zu können wie ihre Schüler oder auch Ishaha. Der junge Reiter hatte seine Anweisungen mit begeisterter Entschlossenheit entgegengenommen und hatte sich gemeinsam mit Joto aufgemacht um letzte Absprachen mit den Wächtern der Eier für die baldige Abreise zu treffen.
Narie wusste, dass ihr Gefährte Marek schon seit einigen Minuten neben ihr stand und sie anblickte. Er kannte sie gut genug um zu wissen, dass sie sprechen würde wenn sie so weit war. Narie lächelte in sich hinein als sie erkannte welche Entwicklung der Bergnomade durchgemacht hatte und unweigerlich Erinnerungen an ihre ersten Auseinandersetzungen in ihr aufstiegen.
Offenbar hatte sich das Lächeln auch auf ihrem Gesicht ausgebreitet, denn Marek erkundigte sich was sie so amüsierte.
"Ich dachte gerade daran zurück, wie wir uns erst gestritten haben als wir uns kennen lernten."
Marek lachte herzlich auf.
"Vermutlich hätten wir uns gegenseitig ins Hafenbecken geworfen oder etwas ähnlich dummes getan."
Bei dieser Vorstellung musste auch Narie kurz lachen.
"Was hältst du von unseren beiden Schülern "Meister" Marek?" wollte die Elfe schließlich wissen.
"Das Ismira irgendwann zu uns stoßen würde überrascht mich nicht wirklich." gab Marek zurück. "Ich denke, dass sie eine gute Schülerin sein wird. Durch ihre Verwandtschaft mit Eragon und Arya dürfte sie schon ganz solide Grundkenntnisse haben was Drachen an sich betrifft. Ich bin gespannt Einzelheiten in diese Richtung zu erfahren. Wir werden allerdings etwas versuchen müssen, was wohl keinem bisher gelungen ist wenn es um diese junge Dame geht."
"Du meinst, sie etwas bremsen." vermutete Narie schmunzelnd.
"So ist es." bestätigte Marek. "Wir Drachenreiter sind nun einmal auch Diplomaten. So sehr ich ihr Selbstbewusstsein begrüße müssen wir ihr doch etwas Zurückhaltung mit auf den Weg geben. Ich bin aber ganz guter Hoffnung. Ihr Drachenmädchen scheint sehr viel von der Eleganz ihrer Großmutter geerbt zu haben. Ich denke die kleine Anarie ist ein ganz gutes Gegengewicht zu Ismira."
"So wie es Tailon für Cale ist. Der ist nämlich ein bisschen zu ruhig."
"Bist du da nicht etwas streng?" Erkundigte sich Marek. "Die meisten jungen Drachenreiter sind erst einmal wie betäubt nachdem ihre Drachen geschlüpft sind. Plötzlich treten Sie ein in eine völlig neue Welt die bisher nur von Legenden der Barden bevölkert wurde. Bei Cale kommt noch hinzu, dass du vermutest, das er elfischer Blut in den Adern hat. Das wäre wohl für jeden etwas viel."
"Ich wünschte ich könnte ihm da schonen aber gerade wegen seines elfischen Erbes muss er sich durchsetzen können. Einige aus meinem Volk werden nicht begeistert sein den lebenden Beweis zu sehen, dass elfisches und menschliches Blut sich vermischen kann."
"Du weißt aber, dass nur eine Minderheit das wirklich offen ausspricht." versuchte Marek zu beschwichtigen. Er wusste, dass sich die Unterhaltung nun einem Punkt näherte, der nicht einfach war für seine Gefährtin. Deswegen trat er hinter sie und legte die Arme um sie.
Dankbar lehnte Narie sich an ihren Gefährten und schloss kurz die Augen.
"Natürlich ist es nur eine Minderheit." flüsterte sie schließlich. "Es ist aber auch nur eine Minderheit, die das offene Zugehen auf die andern Völker verlangt. Der Großteil des Volkes schwankt zwischen diesen beiden Polen ohne sich wirklich einer Seite zuzuordnen. Die Masse wartet einfach ab und folgt dann dem, der am lautesten schreit. Wir werden Cale auf der Überfahrt auf die Auseinandersetzung mit beiden politischen Richtungen vorbereiten müssen. Es wird viel davon abhängen, welchen Eindruck er macht. Und dann muss ich auch noch Aryas Bitte an König Maranus weiterleiten."
"Glaubst du ernsthaft, dass er es ablehnen wird die kleine Marlena zu segnen?" erkundigte sich Marek. Irgendwie konnte er das nicht glauben. Die kleine Tochter von Eragon und Arya war ein Sonnenschein, den man einfach lieb haben musste wenn man ihn sah.
"Der König wird sich vermutlich nicht weigern. Aber es wird eine Diskussion vom Zaun gebrochen werden. Der Kronrat wird sich einschalten. Allen voran Fürst Däthedr. Er spricht sich ja vor allem für die so genannte "Reinhaltung" unserer Kultur aus. Es ist Brauch bei uns, dass Kinder egal von welchem Stand vom König persönlich gesegnet werden. Damit werden sie aber auch gleichzeitig Mitglieder des Elfenvolkes. Das bedeutet sie haben alle Rechte und Pflichten die damit einhergehen. Dazu kommt noch, dass Arya weiterhin eine Vertreterin unseres Hochadels ist. Ihre Tochter offiziell in unser Volk aufzunehmen hat weitreichende Konsequenzen."
"Däthedr und seine Anhänger werden das nutzen um sich zu profilieren. Natürlich!" stimmte Marek seiner Gefährtin zu. "Ich denke aber, dass er sich dennoch Zähne knirschend damit abfinden wird."
Narie drehte den Kopf zur Seite, so dass sie Marek ins Gesicht blicken konnte.
"Was macht dich da so sicher?"
"Eragon und Arya sind die Anführer der neuen Drachenreiter. Im letzten Jahrzehnt ist die Bedeutung unseres Ordens gewachsen. Wir haben viel positives erreicht. Unsere Hilfe bei der Überschwemmung in Surda vor fünf Jahren, unsere diplomatischen Bemühungen und die Unterstützung, die wir den Zwergen und Urgals bei ihrer Missernte vor drei Jahren gewährt haben hat uns großes Ansehen eingebracht. Wir haben erfolgreich Frieden geschaffen und Völker sehen uns als Garant für diesen Frieden. Ich denke nicht, dass Fürst Däthedr oder seiner Anhänger es riskieren werden den Orden offen zu beleidigen indem sie Marlena die Segnung verweigern. Sicher wird sich Däthedr im Rat auf die Hinterbeine stellen und versuchen alle mit seinem Brüllen zu erschrecken. Das ist aber eher das Gehabe eines zahnlosem Shrrg(riesiger Wolf des Beor-Gebirges). Auf diese Weise versucht er bei seinen Anhängern kein Ansehen einzubüßen. Er weiß aber, dass er keine wirkliche Chance hat es zu verhindern wenn der König entscheidet die Segnung durchzuführen."
"Vermutlich hast Du recht." Lenkte Narie ein, konnte jedoch einen leichten Zweifel nicht aus ihrer Stimme verbannen.
"Ich denke, dass die etwas ganz anderes auf der Seele liegt Liebste." Vermutete Marek. "Vorher hast du den Aktivitäten dieser Verfechter der Reinhaltung nicht viel Aufmerksamkeit geschenkt. Erst als du gehört hast, dass dein Vater sich dieser politischen Bewegung angeschlossen hat. Ich glaube du siehst es fast wie eine persönliche Beleidigung."
Narie spürte wie sich ihr Körper versteifte. Marek hatte den Nagel auf den Kopf getroffen.
"Er ist noch viel schlimmer als Däthedr."
"Wieso?"
"Für Däthedr empfinde ich eigentlich nur Mitleid." erklärte Narie. "Er klammert sich an die Ideale unserer Zeit der Isolation weil er sich tief in seinem Herzen von Veränderungen fürchtet. Letztlich wird er jedoch keine andere Wahl haben als sich anzupassen oder den Anschluss zu verlieren und in Vergessenheit zu geraten. Bei meinem Vater ist es etwas anderes. Du weißt, dass er es war der damals Arya betrogen hat. Als sie das herausgefunden hat war sie mehr als nur wütend. Sie hat in all seiner Ämter enthoben und seitdem ist er in der Politik meines Volkes in die Bedeutungslosigkeit abgeglitten. Er unterstützt Däthedr nur aus einem Grund: Es ist für ihn eine Möglichkeit politisch wieder gesehen und gehört zu werden. Gerade weil diese Minderheit nur aus so wenigen überzeugten Anhängern besteht stechen die einzelnen Mitglieder natürlich viel deutlicher hervor. Und da ihre Ansichten sehr kontrovers sind und unterm Volk diskutiert werden ist sein Name wieder in aller Munde. Es ist schlimm genug solche engstirnigen Ansichten zu vertreten aber es nur zu tun um Geltung zu erlangen ist noch viel schlimmer. Er schürt Angst, Vorurteile und Ablehnung nicht weil er diese Dinge für unser Volk wirklich als nötig ansieht sondern weil es ihm nützt. Ich finde das einfach nur schäbig."
"Warum bist du so sicher, dass er gar nicht selbst an diese Dinge glaubt?" erkundigte sich ihr Gefährte.
"Weil er von uns weiß Marek." erklärte Narie entschieden. "Er hat mir in einem Brief geschrieben, dass ich mich von seinen Reden nicht angegriffen fühlen soll. Mein Gefährte wäre ja eine Ausnahme. Wenn er wirklich an Dinge wie Reinhaltung glauben würde, warum sollte er dann unsere Beziehung akzeptieren?"
"Da hast du vielleicht recht." murmelte Marek. "Doch weißt du was? Ich hab jetzt gar keine Lust mehr über solche Dinge zu reden. Du verdirbst damit nur die Freude darüber, dass unser Orden und zwei neue Mitglieder und ihre Drachen gewachsen ist. Dafür muss ich dich jetzt bestrafen. Ich denke ein kleines Bad würde dir doch ganz gut tun."
Noch bevor Narie reagieren konnte festigte Marek den Griff um ihre Hüften und hob sie hoch, so dass ihre Beine über dem Hafenbecken schwebten. Die junge Elfe kreischte und zappelte bis der Bergnomade sie wieder auf festen Boden stellte. Daraufhin rammte sie ihm den Ellenbogen in die Magengrube und drehte sich dann zu ihm um.
"Oh! Dieser Schmerz! Da sind wenigstens drei Rippen gebrochen."
Narie musste lachen. Man konnte sowohl aus der Stimme als auch den Gesichtszügen des anderen Drachenreiters erkennen, dass er weder Schmerzen hatte noch einer seiner Knochen gebrochen war.
"Kindskopf!" knurrte die Elfe.
Marek ergriff sie bei den Schultern und zog sie an sich.
"Hat es dich zum Lachen gebracht?" fragte er und rieb seine Nase gegen die der Elfe.
"Ja." räumte Narie widerwillig ein.
"Gut! Dann habe ich erreicht was ich wollte." gluckste Marek und legte seine Stirn an die von Narie. "Hör auf dir darüber Gedanken zu machen Liebste. Konzentrieren wir uns lieber darauf unseren Schülern die schönen Dinge ihres neuen Lebens zu zeigen. Sie mit dem vertraut zu machen was ihnen Hoffnung gibt und ihnen Zuversicht schenkt. All die dunklen Seiten des Lebens holen sie noch früh genug wieder ein und dann werden sie eben diese Dinge brauchen um die finsteren Tage zu überstehen."
Narie genoss den zärtlichen Kuss den Marek ihr auf die Lippen hauchte. Er hatte recht. Niemandem war geholfen wenn Ismira und Cale durch die Schatten dessen entmutigt wurden was lediglich passieren könnte.
"Wann bist du Kindskopf eigentlich so weise geworden?"
"Na ja, irgendwie muss ich es mir ja verdienen, dass man mich jetzt Meister nennt."
Wieder musste Narie lachen, doch das Getrappel von eiligen Schritten zog ihre Aufmerksamkeit auf sich. Die Elfe erkannte, dass Ismira und Cale zurück in den Hafen stürmten. Beide mussten aufpassen nicht über ihre Drachen zu stolpern. Die jungen Schlüpflinge tobten, angesteckt von der Aufregung ihrer Reiter, wild um die Füße der beiden.
Sofort fiel der Blick der jungen Schützlinge des Ordens auf das Schiff, welches sich nun im Hafen näherte. Schneeweiße Bordwände erhoben sich aus dem Wasser und mündeten in eine kunstvoll geschnitzter Reling. Das Segel, welches sich am Mast blähte glänzte als wäre es aus reinem Licht gesponnen.
Schmunzelnd beobachteten Narie ihre Schüler das bewunderten, was für sie das Tor in eine völlig neue Welt sein musste.

Eragon Band 6 - Die Wege der ReiterWo Geschichten leben. Entdecke jetzt