134. Der neue Morgen

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Netor war außer sich vor Zorn. Er hatte eine beschämende Niederlage erlitten. Und ausgerechnet gegen eine Elfe!
Die Tatsache, dass die Reiterin des Drachen in dessen Feuer er verglüht war zum Volk der Schöpfer gehörte war für ihn eine nicht wiedergutzumachende Demütigung. Inzwischen hatte der Schatten seinen Körper erneuert. Die Magie seines Volkes hatte ihn in einer Höhle neu entstehen lassen die sich offenbar im Beor-Gebirge befand. Einer seiner schwächeren Artgenossen kannte diesen Ort. Ein Mensch namens Robar hatte ihn einmal zu dieser Höhe gerufen um sich gegen zwei Drachenreiter zu verteidigen. Der Mensch jedoch hatte sich überschätzt und so war ein neuer Schatten geboren worden. Die körperliche Existenz war dem anderen Geist allerdings nicht lange vergönnt gewesen. Ausgerechnet durch dieselben Reiter, die auch ihm nun eine Niederlage beigebracht hatten war dieser Schatten vernichtet worden.
In der Höhle selbst verwesten immer noch die Überreste von Tieren die der Mensch offenbar für seine Beschwörungsrituale benutzt hatte. Doch weder die Anwesenheit der Kadaver noch der beißende Fäulnisgestank in der Luft hing kümmerten den Schatten. Über solche Dinge war er erhaben.
Netor jedoch war nicht nur auf die Drachenreiterin wütend sondern auch auf seine Brüder und Schwestern.
Er verwendete diese menschlichen Begriffe in Ermangelung eines treffenden Ausdrucks. Natürlich fehlten den Geistern jegliche Organe die bei fleischlichen Wesen das Geschlecht bestimmten aber dennoch gab es Unterschiede. Manche Geister standen dem was man weiblich nannte näher als andere. Dies hing mit der Tatsache zusammen das die Gefühle von beiden Geschlechtern die Geburt der jeweiligen Geister begünstigt hatten. Dadurch hatten sich die unterschiedlichen Denkweisen der Geschlechter auf die Energiewesen übertragen. Einem Geist war es sogar möglich ein Abbild des Körpers zu erzeugen der den Großteil der Gefühle beigesteuert hatte aus denen er geboren war.
Allein diese Vorstellung war für Netor abstoßend. Niemals würde er sich so erniedrigen und die Gestalt der Schöpfer annehmen die sein Volk verraten hatten.
Eigentlich hatte Netor erwartet, dass seine Brüder und Schwestern ihm bereitwillig folgen würden. Er hatte sich als der Auserwählte erwiesen dem es bestimmt war die Waffe des Ursprungs zu führen. Aber kaum war der Dauthdaert seiner Hand entglitten hatten sich die anderen Geister gegen ihn gewandt. Es enttäuschte ihn zwar doch wirklich überraschend kam es nicht für ihn. Schließlich waren sie alle aus der Reinheit des Hasses geboren. Sie gaben sich nicht der Illusion hin, dass so etwas wie Loyalität überhaupt existierte. Gefolgschaft erhielt man durch Stärke. Der stärkste hatte die Macht! So war der Lauf der Dinge.
Um seine Schande perfekt zu machen war die Waffe des Ursprungs auf seiner Flucht auch noch beschädigt worden! Zwar minderte die Beschädigung nicht seine Macht über die anderen Geister aber es war dennoch eine Entweihung dieses heiligen Gegenstandes.
Ein Knacken zuckte wie ein Blitz durch die Wolken seines Zorns. Fast augenblicklich besserte sich Netors Laune. Zugegeben, seine Feinde hatten einen wertlosen Sieg errungen doch sein eigentliches Ziel hatte der Schatten erreicht.
Fasziniert beobachteten Netor die Geburt seines neuen Verbündeten. Der Kokon des Ra zac war an einer Stelle aufgeplatzt. Eine zähe flüssige Schleim in der Masse sickert aus dem Riss. Die Substanz erinnerte an Eiter und erfüllte die Höhle mit noch übleren Gerüchen.
Wie Netor es erwartet hatte sich das Gleichgewicht in den Kampf, gegen die Seele des Ra zac mit dem Geist, der in das dunkle Wesen eingedrungen war, verschoben als er einige seiner niederen Brüder und Schwestern ebenfalls mit der Kreatur vereinten. Er würde einen Verbündeten in seinem Kampf haben sie es ihm noch nie zuvor auf der Welt gegeben hatte. Der Druck aus dem innern des Kokon führte dazu, dass sich der entstandene Riss weiter vergrößerte und schließlich reckte sich ein Flügel hervor. Schwarzer Haut umkleidete die Knochen und die Flügelmembran glich von der Farbe her neugeborenen Mäusen.
Eine Schönheit war Netors neuer verbündeter wahrlich nicht doch er würde seinen Zweck erfüllen: Der Schatten würde in der Lage sein die Drachenreiter auf ihrem Gebiet anzugreifen!



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Ismira lag neben Cale im Gras und beobachtete Cale der immer noch neben ihr schlief. Ihren Kopf hatte die junge Frau auf den Ellenbogen gestürzt. Die beiden Reiter waren einfach dort eingeschlafen wohl sie sich am gestrigen Abend nah gekommen waren. Zugedeckt hatten sie sich mit ihren Umhängenund waren eng umschlungen eingeschlafen.
Es war noch früh am Morgen und so glaubte Ismira noch etwas Zeit zu haben um ihre Gedanken und Gefühle zu ordnen.
Noch immer fühlte sich etwas überwältigt von den Eindrücken der letzten Nacht. Es war das erste Mal gewesen, dass sie sich einem Mann hingegeben hatte. Ismira versuchte zu ergründen wie sie sich fühlte:
Ein wenig ängstigte sie der Gedanke dass ihre Eltern wohl dazu sagen würden was sie getan hatte. In der menschlichen Gesellschaft war es nicht üblich das Bett miteinander zu teilen solange man nicht verheiratet war. Andererseits hatte ihre Mutter, Gräfin Katrina, ihr einmal vertraulich erzählt, dass auch sie und ihr Gatte bereits vor ihrer Eheschließung eine Nacht miteinander verbracht hatten.
Böse würden ihre Eltern also wohl nicht sein und schließlich mochten sie Cale ja. Im Grunde war das auch zweitrangig für Ismira. Sicher war ihr die Meinung ihrer Eltern wichtig aber im Moment dachte sie nur über sich selbst nach. Etwas hatte sich in ihr verändert. Die Erfahrung der gestrigen Nacht war eine sehr tief greifende gewesen. Sie ließ sich mit nichts vergleichen, was Ismira bisher in ihrem Leben an Erfahrungen gesammelt hatte. Nie zuvor hatte sie sich so voll und ganz dem hingegeben was ihr kochendes Blut scheinbar von ihr verlangte. Natürlich hatte sie sich darüber Gedanken gemacht wie es wohl war mit einem Mann das Bett zu teilen. Sie hatte sich diese Frage gestellt seit ihre Eltern sie über gewisse Tatsachen des Lebens informiert hatten als sie ein gewisses Alter erreicht. Ismira konnte immer nur wieder zu dem Schluss kommen, dass nichts was sie sich ausgemalt hatte den tatsächlichen Erlebnis gleichkam.
Es war beängstigend und wundervoll zugleich gewesen.
Mit einem verlegenen Lächeln fragte sich junge Frau Ortes Cale wohl ähnlich gehen würde wenn er erwachte. Noch immer hatte sie das Gefühl die zärtliche Berührung seiner Hände auf der Haut spüren zu können. Zweifellos würde sie Zeit brauchen um zu verarbeiten was geschehen war doch in zwei Punkten war sie sich völlig sicher: Zum einen hatte sie das Gefühl, Cale näher als vorher zu sein. Es war als ob eine unsichtbare Verbindung zwischen ihnen entstanden wäre. War das vielleicht der Grund warum die Menschen darauf bestanden dass man erst heiratete? Weil sie von der Kraft dieser Bindung wussten? War die Ehe gewissermaßen eine Ehrung an dieses Gefühl? Auch das konnte Ismira nicht mit Gewissheit sagen.
Sicher war sie sich nur in einer weiteren Angelegenheit. Sie bereute die gestrige Nacht nicht.
Gerade als sie diesen Gedanken zugelassen hatte schlug auch Cale neben ihr die Augen auf. Ismira konnte beobachten wie ihr Gefährte sich kurz orientierte, sich dann erinnerte und sie mit einem Lächeln begrüßte. Sie spürte wie er sie an der Taille etwas näher zu sich zog. Sie ließ es zu und legte die Arme um seinen Hals.
"Morgen!" flüsterte Cale.
Die beiden jungen Reiter sahen sich gegenseitig tief in die Augen. Die Antwort auf Ismiras Frage, ob Cale wohl ähnlich überwältigt wäre wie sie, stand dem jungen Mann praktisch ins Gesicht geschrieben. Er fühlte ebenso.
"Letzte Nacht war wunderschön für mich." flüsterte Cale schließlich und Ismira nickte nur. Mehr war nicht nötig.

Eragon Band 6 - Die Wege der ReiterWo Geschichten leben. Entdecke jetzt