139. Übergabe

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Cale und Ismira folgten Narie ins innere der Befestigungsanlage und gaben der Drachenfamilie etwas Privatsphäre. Als sie durch die ehemalige Kaserne des Imperiums Schritten fiel Cale auf, dass in den Gängen erstaunlich wenig Betrieb war.
"Meisterin, der Außenposten scheint völlig verlassen zu sein. Wo sind die Nachtfalken die hier stationiert waren?"
Der junge Buchbindersohn lächelte in sich hinein. Ismira hatte genau diese Frage gestellt, die auch ihm in den Sinn gekommen war. Unwillkürlich musste sich Cale Fragen, ob es wohl immer so sein würde, dass seine Gefährtin die Wortführerin in der Beziehung war.
"Wir haben die Nachtfalken nach Ilirea entlassen." erklärte die elfische Reiterin. "Selbst diese gut ausgebildeten Soldaten haben durch den übermächtigen Angriff von Netor einen Schock erlitten. Außerdem ist Anwesenheit hier nicht mehr vonnöten. Bisher waren die Truppen hier stationiert um den Kokon des durch einen Geist infizierten Ra zac zu bewachen. Nun dann Netor den Kokon entwendet hat gibt es hier keine Aufgabe mehr für die Soldaten. Es erschien Marek und mir besser sie nachhause zu schicken damit sie in Ruhe um ihre gefallenen Kameraden trauern können. Lediglich mein Vater sowie Marek und Ishaha und natürlich unsere Drachen sind noch hier anwesend."
"Wie geht es Meister Marek und unserem Ordensbruder Ishaha?" fragte diesmal Cale.
"Den beiden geht es, genau wie auch ihren Drachen soweit gut." beruhigte Narie ihre ehemaligen Schüler. "Im Moment schlafen sie beide. Die Heilung der vielen Verwundeten und vor allem unserer Drachen hat die beiden sehr viel Kraft gekostet. Sie waren außerdem bereits im Vorfeld geschwächt weil Netor sie zuerst angegriffen hat."
"Man hat uns gespeicherte Energie in den Edelstein unserer Schwerter mit auf den Weg gegeben." schlug Ismira vor." Vielleicht könntet ihr mit einem Teil dieser Energie eurer eigenen Reserven wieder auffüllen?"
"Ich danke dir für das Angebot Ismira-Finiarel." erwiderte die Elfe mit einem dankbaren Lächeln auf dem Gesicht. "Aber diese Energie sollte besser bei euch verbleiben. Zum einen ist euer Auftrag noch nicht abgeschlossen. Ihr müsst das Bruchstück des Dauthdaert noch immer nach Ilirea bringen. Bis ihr es Eragon-Schattentöter übergeben habt braucht ihr jeden Vorteil, den ihr bekommen könnt. Außerdem kann so gespeicherte Energie nur oberflächlich den Verlust von Lebensenergie ausgleichen. Es ist wichtig, seine Kräfte auch auf den natürlichen Weg wieder aufzubauen. Sicherlich überdeckt die zugeführte Energie kurzzeitig die Erschöpfung und gerade während einer Schlacht kann das über Sieg oder Niederlage, vielleicht sogar über Leben und Tod entscheiden. Trotzdem ist es nur das was die Menschen ein Strohfeuer nennen. Unsere Kraftreserven und die unserer geflügelten Gefährten muss aus der Tiefe unserer Seele erneuert werden. Ich danke euch aber trotzdem für das Angebot und eure Fürsorge."
Den Rest des Weges zu dem kleinen Konferenzzimmer dass Narie für die Übergabe des Bruchstücks vorgesehen hatte legte die Gruppe schweigend zurück. Als den Raum betraten stand auf dem Holztisch in der Mitte das von der Elfe versprochener bescheidene Mahl. Es war kein Festessen aber dennoch wussten Cale und Ismira es sehr wohl zu schätzen.
Narie setzte sich zu den beiden jungen Reitern und ließ sie erst einige Minuten ihren gröbsten Hunger stillen. Schließlich wollte die Elfe jedoch wissen: "Ich habe nun also auch noch einen Cousin von dem ich nichts wusste. Es mag im Angesicht der Krise in der wir uns befinden etwas albern wirken aber würde es euch etwas ausmachen etwas über Aylon zu erzählen?"
"Überhaupt nicht." brachte Ismira trotz der Scheibe Brot, an der sie gerade kaute, hervor, während Cale noch über eine angemessene Antwort nachdachte.
Aus der junge Frau sprudelte nur so heraus was sie über Aryas Bruder, und die Zeit die er mit den andern Vergessenen auf Vroengard verbracht hatte, wusste. Offensichtlich interessiert lauschten Narie dem Bericht ihrer ehemaligen Schülerin. Ein  Grinsen stahl sich auf das Gesicht der jungen Elfe als Ismira sagte: "Ich finde es nur etwas seltsam, dass Aylon, obwohl er älter ist als Tante Arya offener und gelöster wirkt als sie."
Cale bemerkte, dass obwohl die elfische Drachenreiterin weiter lächelte, dennoch eine traurige Note nun wie ein Schatten über ihr Gesicht glitt. Naries Blick wanderte aus dem Fenster und verlor sich am Horizont hinter dem sich die Wüste erstreckte.
"Rabenmähne ist eben ein Kind der großen Dunkelheit die Galbatorix über die Welt gebracht hat. Sie ist zwar mit uns anderen ins Licht getreten aber die Jahre der Herrschaft des Tyrannen haben ihren Tribut gefordert." murmelte sie schließlich.
Cale spürte sie Ismiras Blick zu ihm huschte und sah auf ihrem Gesicht ein Spiegelbild seiner eigenen Unsicherheit. Gerne hätte er etwas erwidert. Narie und Marek waren die gewesen, die ihn und Ismira auf den ersten Schritten als Drachenreiter begleitet hatten. Sie hatten ihre Schützlinge angeleitet und ihnen geholfen ihre lebhaften Schlüpflinge groß zu ziehen. Die Elfe hatte damit bei beiden jungen Reitern einen besonderen Platz im Herzen eingenommen.
Auf der anderen Seite war sich der junge Buchbindersohn aber nicht sicher, ob es nicht eine Peinlichkeit für Aryas Cousine darstellen würde von ihren ehemaligen Schülern bedauert zu werden.
Ein leises klopfen an der Tür die in den Saal führte in dem die Reiter speisten befreite die beiden jüngsten Ordensmitglieder von der Verpflichtung das Gespräch wieder aufleben zu lassen.
Mit Naries Erlaubnis betrat schließlich ein hoch gewachsener Elf den Raum. In seiner Hand hielt er eine einfache, fest verschlossene Holzkiste in deren Deckel ein Bernstein eingelassen war.
Für Cale und Ismira stellte die Ankunft des Unbekannten Elfen, bei dem es sich, wie der junge Reiter vermutete, wohl um den Vater ihrer ehemaligen Lehrerin handeln musste, eine Möglichkeit da Narie zu beweisen, dass sie erfolgreich die elfischen Sitten und Gebräuche an die beiden jungen Ordensmitglieder weitergegeben hatte.
Die beiden jungen Reiter erhoben sich und vollzogen mit dem Neuankömmling die traditionellen Grüße. Der Elfenfürst kommentierte die ihm entgegengebrachte Ehrung mit einem höflichen Lächeln bevor er sich an seine Tochter wandte.
"Ich habe alle Zauber gewirkt und die du mich gebeten hast. Auch die Schutzwälle sind errichtet. Was wir tun können um die Sicherheit dieses Bruchstücks zu gewährleisten ist getan."
"Ich danke dir für deine Hilfe Vater." antwortete Narie.
Der Elfenfürst kommentierte die Äußerung seiner Tochter mit einem kleinen Lächeln und verließ dann wieder den Raum.
Cale wusste nicht viel über die Familienverhältnisse seiner ehemaligen Lehrerin. Nachdem er erfahren hatte, dass ihre Mutter bei dem Gemetzel von Osilon gestorben war, hatte er sorgsam darauf geachtet seiner Mentorin keine alten Wunden durch eine unbedachte Frage zu öffnen.
Dennoch schien ihm das Verhalten zwischen Vater und Tochter etwas ungewöhnlich. Er entdeckte Vertrautheit in ihrem Umgang aber auch eine Note von Unsicherheit. Möglicherweise lag ein Streit hinter den beiden und nun bei jeder bemüht kürzlich gewachsener, neue Bänder des Vertrauens nicht übermäßig zu strapazieren. Der junge Reiter schloss nicht aus, dass vielleicht Netors Angriff dazu beigetragen hatte einen Konflikt zu lösen. Vielleicht hatte die große Gefahr in der sich alle Anwesenden befunden hatten und der schrecklichen Blutzoll den die Verteidiger des Außenposten hatten entrichten müssen, selbst unsterblichen Mitgliedern des schönen Volkes bewusst gemacht, dass man Konflikte lösen und nicht ignorieren sollte. Man konnte nie wissen wie viel Zeit einem blieb.
Sollte tatsächlich ein Streit sein Ende gefunden haben, so freute es Cale natürlich für seine ehemalige Lehrerin. Gleichzeitig aber schlich sich auch ein bitterer Gedanke bei dem jungen Reiter ein. Musste immer erst ein Unglück geschehen, damit zwei Parteien, die vorher unversöhnlich gewesen waren, aufeinander zugingen?
Auf der anderen Seite belustigter die Vorstellung Tailons Reiter aber auch. So verschieden schien Elfen und Menschen also doch nicht zu sein.
Narie war inzwischen zurück an den Tisch getreten und hatte die kleine Schatulle die ihr Vater ihr übergeben hatte darauf gestellt.
"In dieser Schatulle befindet sich das Bruchstück von Nieren." erklärte die Reiterin der gelben Drachendame. "Ich habe meinen Vater gebeten verschiedener Schutzzauber darum zu wirken, da Marek, Ishaha und ich nach den Heilungsanstrengungen zu sehr geschwächt waren um die notwendige Verteidigung aufzubauen. Auf keinen Fall aber darf die Sicherheit unter unserer Erschöpfung leiden."
"Gibt es irgendetwas spezielles, was wir beachten müssen?" fragte Cale schnell bevor Ismira ihm einmal mehr zuvorkommen konnte.
Narie schien sich über Cales Vorstoß zu freuen.
"Ich sehe bist ein wenig gesprächiger geworden Cale-Finiarel. Das ist gut!"
"Er wollte nur mir zuvorkommen."
Der Einwurf der junge Menschenfrau und das Blut, das wie Cale spürte, in die Ohren von Tailons Reiter schoss brachten die ehemalige Lehrerin der beiden Reiter dazu ein glockenhelles Lachen auszustoßen.
"Und so bewahrheitet sich also was ein menschlicher Barde einst schrieb: Hinter jedem großen Mann steht eine starke Frau."
Während Ismira bereitwillig in das Lachen der Elfe mit ein stimmt kämpfte Cale das unangenehme Gefühl nieder nicht ganz ernst genommen zu werden.
"Deine Frage ist natürlich durchaus berechtigt Cale-Finiarel." schmunzelte Narie nachdem sich die Stimmung wieder etwas beruhigt hatte. "Im Grunde gibt es nicht viel, dass ihr beachten müsst zum einen sollte dir nicht versuchen die Schatulle zu öffnen. Sie ist so verzaubert, dass dies gefahrlos nur für Eragon-Schattentöter und Argetlam Arya möglich ist. Wichtig ist noch eine weitere Sache. Ihr seht den Bernstein den wir in den Deckel der Schatulle eingearbeitet haben. Er ist mit magischer Kraft gefüllt die an einen bestimmten Zauber gebunden ist. Ich werde euch erklären wir diesen Zauber aktivieren könnt. Um es einfach zu sagen: solltet ihr in eine Situation kommen in der die Gefahr besteht, dass ihr das Bruchstück verlieren könnt müsst ihr nur diesen Zauber aktivieren und den Bernstein mit ausreichender Kraft versorgen. Dann wird dieses wertvolle Objekt sofort auf magischem Weg zu Eragon geschickt. Leider war es uns nicht möglich ihm diese Waffe für den bevorstehenden Kampf auf magischem Weg zu senden, da wir alle recht geschwächt sind. Wir sollten nicht versuchen einen solchen Zauber zu wirken, da ihr noch etwas zu unerfahren im Umgang mit der Magie seit. Doch für den Notfall steht euch nun eine Möglichkeit zur Verfügung das Bruchstück in Sicherheit zu bringen."

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Netor betrachtete seine blutverschmierten Hände. Er hatte schnell gefunden was er gesucht hatte. Ein Nomadenlager direkt auf dem Weg den die beiden jungen Drachenreiter wohl nach Ilirea nehmen würden. Alle seine Vorbereitungen waren getroffen. Er würde seine Rache bekommen.
Der Schatten lachte in sich hinein. Was war Fleisch doch für ein interessantes Spielzeug.

Eragon Band 6 - Die Wege der ReiterWo Geschichten leben. Entdecke jetzt