138. Ankunft

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Die Sonne stand bereits hoch am Himmel als Cale den Außenposten vom Rücken seines Drachen aus erspähte. Deutlich sah man, dass der Ansturm des Schatten Netor Schäden an dem alten Bollwerk hinterlassen hatte.
In stiller Übereinkunft kreisten Tailon und Anarie zunächst über dem Außenposten und entdeckten bald ihre Artgenossen. Der goldene Joto und die leuchtend gelbe Drachendame ihres ehemaligen Lehrmeisters Marek lagen in der Nähe der Gebäude eng aneinandergeschmiegt und schienen beide zu schlafen. Allein die leuchtend rote Drachendame Kira hob den Kopf als sie die Flügelschläge der ankommenden Drachen wahrnahm.
Sie begrüßte ihre Jungen mit einem trompetenartigen Brüllen welches Anarie und Tailon ebenso donnernd erwiderten.
Die lautstarke Begrüßung signalisierte den beiden Jungdrachen auch, dass sie willkommen waren und zur Landung ansetzen durften. In sanften Kreisen näherten sich die geflügelten Geschwister dem Boden dabei umrundeten sie mehrfach Befestigungsanlage.
Ein Eiskalterstein bildete sich in Cales Magen als er im Schatten der nördlichen Befestigungsmauer etwas entdeckte, was vorher sicherlich noch nicht dort gewesen war. Grabhügel!
Scheinbar hatte der Angriff des Schattens wirklich einen schrecklichen Blutzoll gefordert. Cale fehlte fast zwei Dutzend Grabstätten. Einige Gräber waren kleinen, so dass der junge Drachenreiter einen schrecklichen Moment glaubte, dass Kinder dort bestattet wären. Schließlich besann er sich jedoch eines Besseren. Kinder wären mit Sicherheit nicht in der Nähe des Außenposten gewesen. Es musste sich bei diesem Gräbern um die letzte Ruhestätte von Zwergen handeln die bei den Nachtfalken gedient hatten. Dieser Verdacht wurde untermauert durch die Tatsache, dass es gerade diese kleinen Grabhügel waren die nicht einfach mit Erde zu geschaufelt waren sondern mit massiven Steinen bedeckt waren. Offenbar waren die Überlebenden Nachtfalken bemüht gewesen ihre Kameraden nach den Sitten und Gebräuchen des jeweiligen Volkes zu bestatten.
Daher war es auch nicht verwunderlich, dass sich saftiges Grün, Blumen und sogar einige junge Bäume aus den Gräbern reckten, die offenbar den getöteten Elfen gehörten.
Inzwischen setzten Tailon und Anarie endgültig zur Landung an. Cale musste schmunzeln als ihm etwas auffiel. Sein Drache schien bemüht zu seien besonders elegant und anmutig zu landen.
- "Kann es sein, dass du deiner Mutter etwas angeben willst Tailon?" - neckte der junge Reiter seinen Seelengefährten.
- "Meine Mutter gehört zu den besten Fliegerinnen des Ordens." - Erklärte der junge Drache während er aufs letzte und sorgsam seine Schwingen an den Körper zog. - "Sie wurde von Meisterin Saphira-Schimmerschuppe persönlich ausgebildet. Ich will nicht angeben, ich will sie nur nicht blamieren." -
- "Das ist dir sicherlich gelungen." - versicherte Cale als einer Seite seines Drachen herunterrutschte und ihm liebevoll über die Schuppen strich. - "Sie hat bestimmte Überzeugung gewonnen, dass du ihr Talent geerbrt hast."-
Zwinkerte Tailon seinem Reiter zu und schloss sich dann seiner Schwester an die sich bereits der gemeinsamen Mutter näherte.
Cale indes trat neben Ismira und gemeinsam beobachteten die beiden Drachenreiter nun ein Schauspiel, das einmal mehr deutlich machte, dass Drachen so vielmehr waren, als Tiere. Denn in keiner Heerde oder sonstigem tierischen Rudel entstand jemals eine so liebevolle und familiärer Atmosphäre.
Sanft berührte Kira ihren Sohn und ihre Tochter mit der Schnauze an der Stirn und schon bald gegen die drei Drachen liebevoll summend die Köpfe aneinander. Das dreistündige, harmonische Geräusch welches die Drachenfamilie erzeugte schien die ganze Welt um sie herum zu verzaubern. Mit einem Mal erfüllte eine Aura von tiefem Frieden die gesamte Umwelt. Die Farben der umgebenden Pflanzen schien etwas heller zu leuchten und die ganze Welt schien sich zu ruhen.
Auch Ismira und Cale blieben von dieser Harmonie nicht verschont. Die junge Frau lehnte sich mit dem Rücken an die Brust ihres Gefährten und dieser legte die Arme um ihre und bettete sein Kinn auf ihre Schulter. Gemeinsam beobachteten sie die die Drachenfamilie, die nun eng bei einander lag und offenbar dazu übergegangen war Eindrücke und Erinnerungen auszutauschen die in der Zeit der Trennung gemacht worden waren.
Cale kam nicht umhin sich zu fragen ob diese friedliche Stimmung, nur sein persönlicher Eindruck war oder ob hier die uralte Magie der Drachen eine gewisse Rolle spielte. Magisch war der Moment auf alle Fälle.
Unwillkürlich wanderten Cales Gedanken zu seiner Gefährtin als Ismira sich noch etwas näher an ihn schmiegte. Wie schon oft erinnerte er sich wir die junge Gräfin das erste Mal gesehen hatte. In einem anderen Leben schien es gewesen zu sein damals in der Herberge. Cale hatte gar nicht anders gekonnt als Ismira anzustarren. Wunderschön schien bis heute das einzige Wort zu sein, das seinen Eindruck richtig beschrieb. Doch auch ein anderes Wort kam ihm immer wieder in den Sinn wenn er an diesen Moment zurück dachte. Das Wort unerreichbar. Das war die schöne Fremde damals für ihn gewesen, unerreichbar. Die eine Stufe, die den Adel von den Tischen für das gewöhnliche Volk trennte schien damals wie das Tor zu einer anderen Welt gewesen zu sein. Niemals hätte der Sohn eines Buchbinders damals auch nur davon zu träumen gewagt ungezwungen mit der jungen Adligen sprechen zu können geschweige denn, dass sie sich einmal so nah kommen würden wie in der letzten Nacht.
"Ein wundervoller Anblick nicht wahr?" Die Stimme der Drachenreiterin Narie, seiner ehemaligen Lehrerin holte Cale in die Realität zurück. Er konnte der Elfe nur zustimmen.
"Alagaesia hat ein Schauspiel wie dieses viel zu lange vermissen müssen." fügte Kirasreiterin noch an und betrachtete dabei ebenfalls den liebevollen Umgang ihrer Drachendame mit ihren Jungen. "Kira hat ihre Kinder auf jeden Fall vermisst. Kommt ihr zwei! Ich habe in der Befestigungsanlage etwas zu essen für euch bereitgestellt. Ihr könnt euch etwas stärken und dann übergebe ich euch was ihr nach Ilirea bringen sollt. Leider können wir euch nicht begleiten. Kira hat sich zwar schon recht gut erholt aber für einen weiteren Flug ist sie noch nicht bereit. Erst recht gilt das für Joto und Laorie. Sie mussten viel Kraft spenden damit wird zumindest einige der Opfer von Netors heimtückischen Angriffen retten konnten. Ich bin auch gespannt herauszufinden wie ihr euch entwickelt habt. Dein Onkel, Eragon-Schattentöter, hat mich zwar auf dem laufenden gehalten aber es geht doch nichts über persönliche Eindrücke."



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Durch Tarnzaubern verborgen beobachtete Netor, wie die beiden jüngeren Drachenreiter der Elfe ins Innere der Befestigungsanlage folgten. Eigentlich war er gekommen um sich an dieser speziellen Schöpferin zu rächen.
Sie hatte ihm eine Niederlage beigebracht. Eine unbedeutende Niederlage zwar aber es gehörte nicht zu seiner Natur solche Dinge auf sich beruhen zu lassen. Er hatte vorgehabt die Elfe zu töten doch nun hatte er eine bessere Idee. Er wollte nicht, dass dieses hellehaarige Miststück einfach nur starb. Er wollte mehr! Er wollte sie leiden sehen. Wie konnte man das erreichen? Was war noch schlimmer als selbst Schmerzen zu erleiden? die Antwort war ganz einfach: Jemanden leiden zu sehen, den man liebte. Die Qualen eines Wesens zu beobachten, dass einem selbst nahe stand und zu wissen, dass man nicht die Macht hatte diesem Wesen zu helfen. Mit anzusehen wie ein Teil einer geliebten Kreatur immer starb und zu wissen, dass es nichts gab was man dagegen tun konnte.
Netor lachte innerlich. Aus genau diesem Grund verabscheute der Schatten kein Gefühl mehr als die Liebe. Sie war nichts weiter als eine sentimentale Schwäche.
Diese beiden Jungdrachen waren also die Brut dieser roten Echse in deren Feuer er verglüht war! Das war einfach perfekt. Was stand einem Drachenreiter näher als der Drache mit dem er verbunden war? Er würde die Jungen dieser roten Echse töten! Auf diese Weise würde er seine Rache bekommen. Was konnte schlimmer für eine Mutter sein als über den toten Körpern ihrer Kinder zu stehen?
Einen kurzen Moment dachte er darüber nach ob es sich nicht vielleicht auch lohnen würde zumindest das Mädchen als Geisel zu nehmen. Immerhin war sie ja wohl die Nichte des Anführers der Drachenreiter. Er kam jedoch davon ab. Es ging hier ja schließlich nicht darum dass er sich einen Vorteil verschaffen müsste. Er war das mächtigste Wesen in Alagaesia und niemand konnte sich ihm ernsthaft in den Weg stellen. Gefangene und Geiseln brauchten nur Schwächlinge die diesen Vorteil nötig hatten.
Das Mädchen würde auch sterben! Er würde sich aber nicht dazu herab lassen persönlich mit ihnen zu kämpfen. Warum sollte er auch? Dem Gedanken, dass er Angst haben könnte eine weitere Niederlage zu erleiden verbot er sich augenblicklich. Er hatte vor überhaupt nichts Angst.
Für die beiden Drachenreiter die sich wohl bald auf den Weg nach Ilirea machen würden hatte er eine andere Idee. Er würde sich beeilen müssen um einige Vorkehrungen zu treffen.

Eragon Band 6 - Die Wege der ReiterWo Geschichten leben. Entdecke jetzt