16. Rache und Blut

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Zusammen mit seinen drei Stubenkameraden war Tjurin im Hof der Kaserne der Nachtfalken angetreten. Die Gesichter der anderen drei Kadetten waren besorgt der Stallmeister Burkott war außer sich vor Zorn gewesen als er sie in den Innenhof gerufen hatte. Tjurin bemühte sich ebenfalls besorgt auszusehen doch er konnte sich schon denken worum es ging. Sorgen brauchte er sich nicht zu machen. Er hatte vorgesorgt.
Aus dem nahe gelegenen Stall drang das Wiehern eines Pferdes. Allerdings klang es anders als sonst. Der Laut war schmerzerfüllt und klang gleichzeitig erschöpft. Schließlich betrat Burkott gemeinsam mit einem Stallburschen den Hof. Der Bursche führte ein Pferd an den Zügeln. Das Tier glänzte vor Schweiß und konnte sich kaum auf den Beinen halten.
"Wisst Ihr was das ist?" knurrte Burkott und deutete auf das zitternde Tier.
Keiner der Kadetten wagte es zu antworten da der Zwerg so aussah als wolle er jedem von ihnen den Schädel spalten.
"Ein Pferd?" wagte schließlich einer von Tjurin Stubenkameraden zu antworten. Es war Thoma, der Sohn eines Bauern aus der Umgebung.
"Das ist nicht nur ein Pferd!" brüllte Burkott außer sich vor Zorn. Das Gesicht des Zwerges war rot angelaufen und erschien kurz davor jegliche Beherrschung zu verlieren. "Das ist eines der wertvollsten Tiere in unseren Ställen. Es heißt "roter Donner"! Dieser Fuchs ist ein direkter Nachkomme von Schneefeuer. Dem Streitross von Roran Hammerfaust, der es von Eragon Schattentöter erhalten hat! Eine edle Züchtung aus dem Gestüt des Grafen Roran im Palancartal. Es sollte uns hier zu Zuchtzwecken dienen. Es ist ein wertvolles, junges und kluges Tier!"
Bei diesen Worten des Zwerges hätte Tjurin am liebsten laut aufgelacht. Es überraschte ihn kein bisschen das dieser Gaul aus dem Palancartal kam. Wertvoll und intelligent sollte dieses Vieh sein? Diese verdammte Tier hatte ihn während des Reittrainings abgeworfen. Ausgelacht hatte man ihn! War er vielleicht der dumme August der Truppe?! Er hatte sich geschworen, dass dieses Vieh dafür bezahlen würde und wie es aussah ging sein Plan auf.
Burkott fuhr indessen wütend mit seinen Erklärungen fort: "Dieses wertvolle Tier liegt im Sterben! Wisst ihr wieso?"
Wie auch seine Stubenkameraden schüttelte Tjurin den Kopf.
Burkott winkte den Stallburschen heran, der mit ihm den Hof betreten hatte und ließ sich einen Futtereimer reichen. Der Zwerg griff hinein und hielt Maron, Tjurins inoffiziellem Diener, eine handvoll des Inhalts unter die Nase. Deutlich stachen neben den üblichen Futter für die Pferde dicke Stücke von Äpfeln heraus.
"Äpfel Stallmeister." stotterte Maron. Dem jungen Mann stand der Schweiß auf der Stirn und Tjurin hoffte, dass der Tölpel nicht alles verpatzten würde.
"Jawohl, Äpfel!" wütete der Zwerg. "In diesem Eimer waren genug Äpfel um eine ganze Kompanie zu versorgen. Ich habe jedem von euch eingebläut, dass man Pferden nicht zu viele Äpfel geben darf. Sie lieben die frischen Früchte aber vertragen sie nicht besonders gut. Gibt man ihnen zu viele davon führt das zum Darmkrämpfen! Und wenn die nicht rechtzeitig bemerkt werden, gibt es Darmverschlingungen die dazu führen können, dass Teile des Darms nicht mehr richtig durchblutet werden und absterben. Genau das ist bei diesem Pferd passiert. Es hat heute Nacht die Hölle durchgemacht! Alles was wir noch tun können ist es von seinen Qualen erlösen! Keiner unserer vollwertigen Offiziere oder Soldaten würde einen solchen Blödsinn machen! Wir haben noch acht Kadetten hier, doch die waren zum Wachtdienst eingeteilt. Bleibt also nur ihr! Ich will jetzt von jedem von euch wissen wo er war!"
Bisher war Burkott wütend auf- und abgeschritten. Nun blieb er vor Tjurin stehen und funkelte den Sohn des Herzogs finster an.
"Sollte ich herausfinden, dass einer von euch dafür verantwortlich ist, dass dieses Tier nun getötet werden muss, werdet ihr den Tag verfluchen an dem eure Mütter euch geboren haben. Das verspreche ich euch!"
Einer nach dem anderen zählten Tjurins Stubenkameraden nun ihre Aktivitäten am gestrigen Abend auf. Der junge Adelige bedauerte, dass Thoma und sein vierter Stubenkamerad Albert offenbar gemeinsam in einem Wirtshaus gezecht hatten. Damit schieden sie als Verdächtiger aus. Zwar vertraute Tjurin seinen Vorkehrungen aber ein zusätzlicher, möglicher Täter hätte nicht geschadet.
"Nun" grunzte der Zwerg. "Wir werden das überprüfen. Aber ich gehe davon aus, dass ihr beide die Wahrheit sagt. Wenn sich der Wirt wirklich an euch erinnern kann seid Ihr nicht länger verdächtig."
"Er wird sich bestimmt erinnern Herr!" beteuerte Thoma.
"Wir haben nämlich mehr Wein getrunken als wir bezahlen konnten." erklärte Albert. "Deshalb mussten wir drei Stunden für ihn Feuerholz hacken."
Normalerweise hätte Burkott über so eine Begebenheit schallend gelacht. Heute brummte der Zwerg nur unwirsch und musterte Maron und Tjurin.
"Was ist mit euch?" fragte er drohend und blickte dabei direkt den Sohn des Herzogs an.
"Maron und ich waren in unserer Stube. Wir haben Karten gespielt." erklärte Tjurin und lobte sich innerlich für seine schauspielerische Leistung. Er klang tatsächlich verängstigt und überrascht.
Burkott warf einen fragenden Blick auf Maron der jedoch die Worte seines Kameraden mit einem hastigen Nicken bestätigte.
Tjurin lachte in sich hinein. Das Geld, welches er Maron gegeben hatte, war gut investiert gewesen. Zwar hatte ihm sein Vater Aurast finanzielle Mittel vor Antritt seiner Reise nach Ilirea verweigert aber Tjurin war kein Dummkopf. Bereits mehrfach hatte Herzog Aurast seinen Sohn zu disziplinieren versucht indem er ihm Geld verweigerte. Daher hatte Tjurin damit begonnen regelmäßig kleine Summen von den Steuereinnahmen für sich abzuzweigen. Im Grunde war das ganz einfach. Die Steuereintreiber führten Buch darüber wie viel die Bürger zahlten. Der Schatzmeister machte sich natürlich nicht mehr die Mühe die gesamten Steuereinnahmen zu zählen bevor er sie nach Ilirea schickte sondern überprüfte lediglich die Dokumente seiner Untergebenen und rechnete dann die Gesamtsumme aus. Für den Sohn des Hauses war es ein leichtes gewesen sich einige Bögen Papier mit dem Wasserzeichen seines Vaters zu besorgten und den einen oder anderen gefälschten Einzelbericht zu verfassen. Dort gab er dann geringere Einnahmen an und steckte die Differenz in seine eigene Tasche. Inzwischen hatte er auf diese Weise eine Summe angehäuft, mit der sich einiges anfangen ließ. Maron hatte er nur ein paar Bronzestücke zustecken müssen, damit dieser für ihn aussagte. Tjurin hätte auch mehr zahlen können aber manchmal war es eben doch von Vorteil, dass sein "Freund" aus dem Pöbel kam. Diese Leute waren vergleichsweise billig und Tjurin musste auf seine Ausgaben achten solange er sich keine neue Geldquelle sichern konnte.
Burkott hatte indes seine Schimpftiraden fortgesetzt, wurde dann aber von einer herablassend klingenden Stimme unterbrochen.
"Ihr habt mich rufen lassen Stallmeister?"
Eine Frau in einem weinroten Kleid hatte den Hof der Kaserne betreten. Um ihren Hals trug sie einen Anhänger der sie als Mitglied der Magiergilde der Königin auswies. Die Frau mochte mittleren Alters sein, doch bisher waren die Jahre gnädig mit ihr gewesen. Tjurins Meinung nach konnte man sie durchaus noch als attraktiv bezeichnen.
"Ja das habe ich Trianna."
Der Zwerg unterbrachen seine Schimpforgie und brachte sein Temperament unter Kontrolle. Die Fremde mit Namen Trianna musste offensichtlich jemand sein, dem man Respekt entgegen brachte.
"Wir müssen leider dieses Pferd dort töten." erklärte der Zwerg. "Ich wäre dankbar wenn ihr dies tun könntet. Ich will nicht das das Tier noch mehr leidet. "
Die fremde Magierin rümpfte herablassend die Nase.
"Ihr unterbrecht meine Experimente, ruft eines der angesehensten Mitglieder der Magiergilde der Königin um einen Gaul einzuschläfern?"
"Ich weiß, dass ich mit dem Hinweis darauf, dass dieses Tier bereits die Hölle durchgemacht hat, bei euch nicht zum Ziel komme Trianna." brummte der Stallmeister der Nachtfalken mit unterdrückter Wut in der Stimme. "Doch dieses Pferd ist eines der Lieblingstiere der Königin. Sie nimmt es oft für ihre Austritte und würde es mit Sicherheit nicht gern hören, dass Ihr euch geweigert habt ihm weitere Schmerzen zu ersparen."
Unwirsch verzog die Magierin den Mund.
"Gut, ich werde mich um das Tier kümmern. Doch bitte ich euch Burkott, stört mich nie wieder bei meinen Experimenten. Ich erforsche gegenwärtig die Geheimnisse der Geisterbeschwörung. Ein kleiner Fehler bei diesen Prozeduren kann sehr weitreichende und schwerwiegende Folgen haben."
"Ihr beschwört Geister?!" Burkotts Stimme klang ungläubig. "Diese Form der Magie hat die Königin doch für verboten erklärt! Durch sie können Schatten entstehen."
"Nur wenn ein Anfänger dumme Fehler macht." erwiderte Trianna herablassend. "Ich handle selbstverständlich auf eine Sondergenehmigung der Königin hin. Es ist schließlich wichtig auch diese Form der Magie zu verstehen, damit wir uns dagegen verteidigen können. Deshalb darf ich in begrenztem Maß damit experimentieren."
"Wie Ihr meint." lenkte der Zwerg ein. "Mir geht es ohnehin nur um das Pferd."
"Gut! Dann zeigt mir das Tier und ich werde mein möglichstes tun." erklärte die Magierin. "Beeilen wir uns. Ich habe noch eine geschäftliche Verabredung."
Burkott nickte und entließ die vier Kadetten, bevor er sich mit Trianna dem erkrankten Pferd zuwandte.
Tjurin war das mehr als recht. Ihm war ganz heiß geworden als diese Magierin die Geisterbeschwörung erwähnt hatte. Dies war eine Kunst, die ihn schon immer fasziniert hatte. Normalerweise benötigte man eine angeborene Veranlagung um Magie zu wirken. Die Kunst Geister zu beschwören konnte auch einen Mann, der diese Fähigkeit nicht hatte in die Lage versetzen magische Werke zu vollbringen. Magie zu beherrschen bedeutete Macht zu haben! Macht hatte Tjurin schon immer fasziniert.
Leider war es durch das Dekret der Königin verboten diese Art von Magie auszuüben oder zu lehren. Doch vielleicht ließ sich diese Trianna ja überzeugen.
Der junge Herzog eilte in seine Stube und verschloss die Tür. Dann öffnete er seine Truhe und holte unter den Kleiderstapeln einen gut versteckten prallen Lederbeutel hervor. Tjurin besaß vier solcher Beutel und dieser war bei weitem der wertvollste. Er enthielt ausschließlich Goldmünzen. Selbst für jemanden von Adel war dies ein kleines Vermögen. Jemand aus dem Pöbel hätte davon sich und seine Familie ein Leben lang ernähren können. Tjurin hoffte, dass es reichen würde um diese Trianna zu bestechen. Eilig befestigte er den Beutel an seinem Gürtel und zog sich seinen Umhang über. Dann verließ er seine Stube wieder.
"Warum war denn die Tür abgeschlossen?" ereiferte sich Thoma, der bereits draußen im Gang wartete. "Wann begreift der edle Herzog eigentlich endlich, dass dies nicht nur allein sein Zimmer ist?"
Normalerweise hätte Tjurin eine solche Beleidigung nicht einfach hingenommen. Doch im Augenblick hatte er Besseres zu tun. Er stürmte einfach weiter bis er auf Maron traf.
"Du übernimmst heute den Küchendienst für mich. Ich habe etwas zu erledigen!" rief er dem anderen Kadetten im Vorbeieilen zu.
"Warte mal Tjurin." bat Maron. "Du hast doch gesagt, dass du eine Verabredung mit einem Mädchen hättest. Das du dieses Pferd....."
Tjurin unterbrach den jungen Kadetten und funkelte ihn wütend an: "Damit hatte ich nichts zu tun, verstanden?"
Kleinlaut nickte Maron und der junge Herzog eilte weiter. Im Hof angekommen erkannte er schnell, dass die Magierin ihre Arbeit bereits erledigt hatte. Der Körper des Pferdes lag nun regungslos auf dem gepflasterten Boden. Mitleid empfand Tjurin keins. Erstens handelt es sich nur um ein dummes Tier und zweitens hatte es sein Schicksal durch seinen Ungehorsam verdient.
Eilig verließ der junge Adelige nun die Kaserne und blickte sich draußen auf der Straße um. Es herrschte geschäftiges Treiben und fast hätte er sein Ziel übersehen. Er entdeckte Trianna wie sie in Richtung eines nahe gelegenen Marktplatzes davon ging. Eilig machte sich Tjurin an die Verfolgung.
Eigentlich war es die Absicht des jungen Herzogs gewesen die Magierin anzusprechen und sein Anliegen vorzutragen. Natürlich würde er es mit einigen Schmeicheleien würzen. Trianna mochte schon etwas älter sein aber noch war sie recht ansehnlich. Außerdem würden einige körperliche Zuwendungen durch ihn den Preis für den Unterricht, welchen er erhoffte, sicherlich senken.
Der Weg den die Magierin einschlug brachte ihn aber schließlich davon ab sein Anliegen direkt vorzutragen. Er beschloss Trianna erst einmal zu beobachten. Die Untergebene der Königin steuerte einen Teil der Stadt an, der zu den ärmlicheren Vierteln gehörte. Auf dem Markt über den Trianna nun Schritt konnte man höchstens Güter zweiter Wahl kaufen. Absolut nicht der Ort an dem sich eine hochgestellte Persönlichkeit verirrte.
Schließlich schien Trianna gefunden zu haben was sie suchte. Sie zog sich mit einem abgerissen wirkenden alten Mann hinter einen Marktstand zurück. Vorsichtig näherte sich Tjurin so weit, bis er das Gespräch belauschen konnte.
"Aus eurem kommen schließe ich, dass ihr interessiert seid mein Angebot anzunehmen."
Die Stimme die Tjurin da hörte musste eindeutig zu dem alten Mann gehören. Sie rau, krächzend und fast tonlos. So musste es klingen, wenn man sich mit einer ätzenden Substanz die Stimmbänder zerstört hatte.
"Wenn ihr in eurem Besitz gehabt was ihr mir angeboten habt, wäre ich an einem Kauf interessiert. Doch ich will erst sehen ob es nicht nur eine plumpe Fälschung ist."
Diese Forderung stammte eindeutig von der Magierin.
"Hier!" Dem erneuten Krächzen des Alten folgte ein Augenblick gespannter Stille. Lediglich die Geräusche die die Marktbesucher und die Händler verursachten war zu hören. Schließlich ließ sich der Alte wieder vernehmen. "Ich war einer der wenigen, die sich in Durzas Nähe getraut haben. Sein Kammerdiener war ich, jawohl. Als dieser Drachenreiter damals die Elfe befreit hat und mein Herr ins Beorgebirge aufgebrochen ist hatte ich gleich so ein Gefühl, als wenn er nicht zurückkommt. Deshalb habe ich mir einige "Erinnerungsstücke" an ihn genommen. Dieses kleine Buch enthält persönliche Aufzeichnungen von ihm. Für jemanden, der an Geisterbeschwörung interessiert ist sollte es von hohem Wert sein."
"Was wollt Ihr dafür haben?"
Fast mitleidig schüttelte Tjurin den Kopf. Diese Trianna mochte eine Magierin sein aber sie war dennoch nur eine Frau. In ihrer Stimme klang viel zu viel Kaufinteresse mit. Sicher würde der Alte den Preis nun besonders hoch ansetzen. Zumindest hoffte Tjurin das. Dies konnte ihm nur recht sein.
"Ich bin ein bescheidener Mann." flüsterte der Alte." Ich würde sagen 15 Goldstücke."
"Ihr seid wohl wahnsinnig!" zischte Trianna. "Soviel Geld habe ich nicht."
"Dann besorgt es euch. Denn für weniger gebe ich das hier nicht her. Glaubt ihr es ist leicht einen mächtigen Schatten zu bestehlen. Es gibt in Alagaesia noch andere Magier die ihr Wissen um die Geister erweitern wollen. Ich werde morgen noch einmal hier sein. Wenn ihr nicht kommt such ich mir einen anderen Käufer. Und versuche ich mich mit eurer Zauberei aufzuhalten. Hier sind viel zu viele Leute. Unsere hübsche Königin sieht es doch schließlich gar nicht gerne wenn jemand seine Magie missbraucht."
Damit schien das Gespräch beendet zu sein, denn kurze Zeit später stürmte Trianna wütend an Tjurin vorbei. Enttäuschung stand ihr ins Gesicht geschrieben. Der junge Adelige tat schnell so als würde er sich für die Waren eines nahegelegenen Marktstandes interessieren. Kaum war die Magierin in Richtung des Palastes an ihm vorbeigerauscht, eilte Tjurin dem alten Mann nach. Dieser verschwand gerade in einer Seitenstraße. Als der junge Adlige ihm folgte verzog er angeeckelt das Gesicht. Abfälle aller Art türmten sich in der Gasse und ein Geruch von Fäulnis lag in der Luft. Schon bald hat die Tjurin den Mann eingeholt. Gerade als er den Alten ansprechen wollte wirbelte dieser herum und bedrohte seinen Verfolger mit einem Messer.
"Was willst Du Busche?" krächzte er mit seiner gebrochenen Stimme. "Schickt dich Trianna? Sollst wohl stehlen was sie nicht kaufen kann? So leicht legt man mich nicht rein."
Tjurin betrachtete die glänzende Messerklinge die unmittelbar vor seinem Gesicht schwebte. Mit einigen tiefen Atemzügen brachte er seine Gefühle unter Kontrolle und hob seinen prall gefüllten Geldbeutel.
"Wer sagt, dass ich für Trianna arbeite oder dass ich etwas stehlen will? Wenn ich euer kleines Gespräch gerade richtig belauscht habe, seid Ihr auch bereits an jemand anderen zu verkaufen. Ihr könnt von mir die 15 Goldstück bekommen. Jetzt und hier!"
Der Greis leckte sich gierig über die Lippen.
"Warum sollte ich eine interessierte Käuferin verprellen?"
"Nun, wie ihr wisst arbeitet sie für die Königin. Wer sagt euch das sie euch morgen nicht mit einer Abordnung Soldaten erwartet? Sie könnte das Buch was ihr bei euch tragt ganz offiziell als Mitglied der Magiergilde beschlagnahmen lassen und euch an den Galgen bringen, weil ihr mit so etwas gefährlichem handelt."
"Kein schlechtes Argument. Aber so dumm wird sie nicht sein. Dann müsste sie das Buch abgeben."
"Aber sicher erst nachdem sie es gründlich untersucht hat. Man muss doch sicherstellen, dass es ungefährlich ist.Wer wäre besser geeignet sich darüber ein Urteil zu bilden als die Magierin, die die Geister erforscht? Wer würde es schon merken wenn sie vielleicht die eine oder andere Notiz angefertigt hat. Wenn Ihr mit mir handelseinig werdet habt ihr heute euer Geld und keine Sorgen mehr."
Tjurin ließ seine Worte wirken. Er konnte auf dem Gesicht des Greises förmlich erkennen wie seine Gier siegte. Der Alte spießte sein Messer in den hölzernen Stützbalken des Fachwerkhauses hinter dem sie standen. Daraufhin zog er das Buch unter seinem zerschlissenen, grauen Umhang hervor. Auf den ersten Blick schien es nicht mehr zu sein als ein in schwarzes Leder gebundenes Notizbuch.
"Zeigt mir das Geld und es gehört dir."
Tjurin öffnete seinen Beutel und zählte 15 Goldmünzen ab. Die hielt er dem Alten hin. Gierig schnappte dieser die Münzen. Vermutlich hatte er nie in seinem Leben mehr Geld gesehen. Wenn man das zweifellos hohe Alter des Mannes in Betracht zog hielt er vermutlich gerade alles in Händen was er für einen vergnügten Lebensabend brauchte.
"Da!"krächzte er und drückte Tjurin das Buch in die Hand. Mit leuchtenden Augen begann er daraufhin sein Geld zu zählen. Nichts schien auf der Welt mehr zu existieren als die funkelnden Goldmünzen in seinen knotigen Fingern.
Tjurin fand das nur abstoßend. Dieses Verhalten zeigte einmal mehr, wie primitiv der Pöbel doch war. Etwas mehr als Tiere halt aber deutlich weniger als die Führungsschicht zu der er gehörte. Eigentlich war es unrecht gutes Geld an diesen Kerl zu verschwenden.
Dieser Gedanke ging gerade in dem Moment durch den Kopf des jungen Adligen als sein Blick auf den Dolch viel, den der Alte noch immer nicht aus der Hauswand gezogen hatte. Einige Augenblicke später hielt Tjurin das Messer in Händen und zu seinen Füßen lag die Leiche des alten Mannes. Eine seltsame, heiße Leere erfüllte Tjurin. Was genau gerade passiert war konnte er nicht sagen. Zwar sah er es vor seinem geistigen Auge,..... Das Messer, wie es, geführt von seiner eigenen Hand, durch die Kehle des widerlichen Alten schnitt, doch so recht wollte die Erkenntnis nicht zu Tjurin durchdringen, dass er soeben einen Mord begangen hatte. Einige Sekunden fühlte er sich wie betäubt, dann blickte er sich schnell um. Niemand hatte ihn gesehen. Gut! Das war erstmal das Wichtigste! Das Gold! Eilig nahm Tjurin es wieder an sich und verstaut es in seinem Beutel.
Nun zu der Leiche! Wohin damit? Aus gutem Grund betraten nur wenige Leute die Seitengassen. In ihrem Zentrum war stets eine Öffnung die in die Cloaca führte. Dabei handelte es sich ein um ein System von unterirdischen Kanälen, welches noch aus der Zeit der Elfen stammte. Durch diese Kanäle leitete man Abwasser aus der Stadt. Jeweils zwei Häuser standen Rücken an Rücken und zwischen ihnen und den Nachbarhäusern verlief die kleine Gasse in deren Mitte sich der Zugang zur Cloaca befand.
Schnell hat die Tjurin das breite Gitter entdeckt durch das man die Kanäle erreichen konnte. Normalerweise öffnete man es nicht sondern goss Abwasser, Fäkalien und ähnlichen Müll einfach durch das breite Gitter. Geöffnet wurde das Gitter lediglich wenn Wartungsarbeiten an der Cloaca durchgeführt werden mussten.
Tjurin hatte Glück und das rostige Eisengitter ließ sich fast problemlos anheben. Üble Gerüche stiegen aus dem dunklen Loch auf und mischten sich mit dem Gestank der ohnehin in der Gasse herrschte.
Nachdem Tjurin das Gitter geöffnet hatte zerrte er den Körper des alten Mannes zu der Öffnung und stieß ihn in den schwarzen Schacht. Irgendwo in dem dunklen Schlund platschte es. Eilig schloss Tjurin das Gitter wieder.
Erst jetzt erkannte er, dass er immer noch den Dolch in der Hand hielt. Sein erster Impuls war als auch ihn in der Cloaca zu entsorgen. Schließlich jedoch entschied er sich dagegen. Stattdessen wischte er die Klinge mit einem Fetzen von seinen Umhang ab und entsorgte das blutige Stoffstück. Den Dolch schob er sich in den Gürtel.
Als Tjurin wieder auf dem Marktplatz trat fühlte er sich verändert. Seltsam entrückt. Er lehnte sich kurz an die Hauswand und versuchte seine Gedanken zu ordnen. Er hatte gerade ein Leben ausgelöscht. Nicht dass irgend eines Tieres sondern das eines Menschen. Sein Vater hatte ihm immer gesagt, dass man nicht töten können und gleichzeitig derselbe Mann bleiben könnte wie vor der Tat. Eine solche Handlung veränderte einen für immer. Tjurin konnte seinem Vater nur Recht geben. Er fühlte sich jedoch nicht bedrückt oder schuldig sondern frei. Er hatte es bewiesen! Er hat es sich bewiesen, den Göttern und der ganzen Welt! Auch wenn die Welt nichts davon ahnte er hatte bewiesen, dass er über den Dingen stand. Er hatte seine Macht bewiesen! Seine Macht über Leben und Tod. Macht zu haben war ein gutes Gefühl und das Buch, welches er in Händen hielt würde Trianna sicher dazu bringen ihm auf die Pfade zu helfen die ihm noch mehr Macht bringen würden. Den Gedanken daran, was sein Vater davon halten würde, dass sein Sohn soeben einen Mord begangen hatte schob Tjurin einfach beiseite. Der Gedanke bedrückte und deprimiert ihn. Es war besser ihn zu ignorieren. Schließlich hatte sein Vater ihn doch fortgeschickt! Etwas lernen sollte er! Nun, gelernt hatte er heute etwas!
Mit grimmiger Gewissheit machte sich Tjurin auf den Weg zum Palast. Er hatte etwas mit seiner zukünftigen Lehrerin zu besprechen.

Eragon Band 6 - Die Wege der ReiterWo Geschichten leben. Entdecke jetzt