1.3. Chori

17 4 2
                                    

Als Chori durch den langen Gang wieder aufwärts marschierte, formte sich in ihrem Geist neue Hoffnung. Sie würde es schaffen ihrem Volk würdig zu sein, ihres Vaters Last auf den Schultern zu tragen, denn sie würde lernen. Diese Prüfung war nur der erste Schritt in dem Plan, den sie auf dem Weg zurück ans Licht begann auszuarbeiten. Ein langer und harter Plan, aber sie würde ihn durchziehen. Zwar waren darin noch viele Lücken enthalten, viele Fragezeichen und Unsicherheiten, aber die Überzeugung war da und das war schon die halbe Schlacht, die sie begonnen hatte.

Sie stieg endlich aus dem Loch in das gleißende Licht und strich die herunterhängenden Kletterpflanzen mit der Hand zur Seite, lehnte sich mit geschlossenen Augen an den Rand des Eingangs und sog die frische, warme Bergluft in ihre Lungen. Für einige Momente ließ sich das Mädchen mit dem Gefühl der Freiheit durchströmen, ehe sie sich wieder ihrer Pflichten bewusst werden wollte. Schlussendlich öffnete sie die Augen, stand aber noch länger als gewollt im Halbschatten, damit sich ihre Augen wieder an das Tageslicht gewöhnen konnten und blinzelte kaum ihres Sichtfeldes erhaben, schon wieder irritiert mit den Lidern. >Bahara?<

Bahara, der eigentlich gerade damit beschäftigt war, weit unter ihr in einem Bergsee nach Fischen zu jagen, hob den Kopf zu ihr empor, legte die fächerförmigen Ohren an und erhob sich in die Lüfte. Er schnellte wie ein Pfreil zu ihr empor, brauste an ihr vorbei und legte sich erst nach einem Looping in einen sanften Sinkflug, bevor er neben seiner Herrin landete. Er war wohl guter Laune und Chori fragte sich mit einem Kratzen am Kopf, wie wild der Flug zurück in die Zwölfsternstadt wohl verlaufen würde.

Sie hätte sich jedoch keine Sorgen machen müssen, der Drache war zwar groß aber unglaublich wendig, also fand er auch diesmal seinen Weg über den Dschungel hinweg und schließlich durch die wenigen Äste, welche den großen Dachgarten der königlichen Familie abschirmten. Ein Garten war in dieser Umgebung nicht wirklich von Nöten, doch waren Teile der Palastanlage über die Zeit verwildert und der Wald nahm sich Stück für Stück zurück, was ihm einst gehört hatte. Dies war kein Wunder, wenn man bedachte, dass der Palast damals von den Nirin in einem riesigen, lebenden Baum angelegt worden war und dieser auch heute noch wuchs.

Der Wasserdrache setzte sanft auf dem stabilen Konstrukt der Chorr auf und das Mädchen schwang sich, noch ehe Bahara den Kopf senken konnte, aus dem Stoffsattel im Nacken ihres Freundes und kam behände auf dem Boden auf. >Danke, mein Liebster< lächelte sie und kraulte dem Tier das Kinn ehe sie sich immer noch in die Überreste ihres Abenteuers gekleidet auf den Weg in den Palast machte.

Chori konnte es nicht erwarten ihrem Vater zu erzählen, was sie geschafft hatte. Die Prüfung lag noch so frisch auf ihrem Gemüt, dass es ihr vorkam, als würde sie immer noch die feuchte Luft atmen und den Staub auf ihrer Haut spüren während der Göttliche des Verstandes mit ihr sprach. Man sollte ihn wohl eher den Göttlichen der Zweifel nennen. Das unheimliche Hallen seiner Stimme verfolgte sie auch jetzt noch, als sie durch die Hintertüren ins Innere des Palastes schlüpfte.

Erst als sie den Gang um den Thronsaal erreicht hatte ohne auf eine einzige Wache zu stoßen hielt das Mädchen kurz inne. Es war eigenartig, dass sie niemanden antraf und ihr beschwingter Schritt zügelte sich ein wenig. Vielleicht feierten sie ein Fest ohne sie, doch Chori konnte sich nicht entsinnen, dass ihr ein Brauch geläufig wäre, der so früh im Jahr einen Anlass zum Feiern gegeben hätte. Ein wenig skeptisch aber nicht minder aufgeregt setzte sie also ihren Weg fort und suchte zu aller erst das Zimmer ihres Vaters auf. Doch dort war der König nicht und auch keiner seiner Diener war aufzufinden.

Chori wanderte durch die Zimmer und Hallen des Palasts doch es blieb still. Als sie den Thronsaal betrat auch diesmal ohne Wachen anzutreffen zog sie die Augenbrauen hoch und lauschte erneut. Und tatsächlich von draußen meinte sie Stimmen zu hören, oder besser gesagt ein Stimmengewirr, denn verstehen konnte sie nicht, was da vor sich ging. Sie beschloss im Thronsaal auf ihren Vater zu warten, denn Chori wollte ihm zuerst alleine davon berichten, was sich zugetragen hatte, um seine Reaktion abzuschätzen.

Chancen bestanden, dass er die Prüfung und somit das Erlangen eines Titels als Hochverrat ansah und sie gleich aus dem Land werfen ließ. Man wusste einfach nie, was diesem alten Narren durch den Kopf ging.

Grüblerisch wanderte das Mädchen näher zum Thron und begann damit ihre Stiefel aufzubinden. Der Tumult war draußen vor dem Palast nun deutlich zu hören, wenn man sich darauf konzentrierte. Wenn dort ein Fest im Gange war, dann würde das noch eine Zeit lang dauern. Sie stellte den Fuß auf den Thron und zog an den Lederschnüren, als plötzlich Stimmengewirr vor der Tür laut wurde, welches sich von dem des restlichen Geschreis abhob. Chori drehte sich in ihrer Arbeit halb um, als kurz darauf die Tür aufgestoßen wurde und fünf Leute hektisch hereinstürmten.

Beim Anblick des Mädchens, welches ihre dreckigen Stiefel auf den Thron gestellt hatte und sich anschickte diese auf dem königlichen Boden auszuziehen, stockten sie und die letzten prallten in ihre Vorgänger hinein. Kurz herrschte erschrockene Stille, doch dann keuchte der vorderste der Truppe >Run-Arah!<

Chori konnte die Stimme und das Gesicht Idlen, dem vertrautesten Berater ihres Vaters, zuordnen und außerdem war der Stock, auf den er sich stützte, unverkennbar.

>Idlen< gab das Mädchen ebenso verwundert wenngleich auch leicht spöttisch zurück. Sie hatten den alten Tattergreis nie gemocht, schon als sie noch Kinder waren hatte er sie mit diesen kalten Blicken bedacht, ihre Spiele gestört und war immerzu um die Königsfamilie geschlichen. Doch nun waren es die schockierten Blicke aller Anwesenden, die sie beunruhigten. Ihre Augen schnellten kurz zu den Bogenfenstern, von wo der Tumult zu hören war, dann zurück zum Beraterstab ihres Vaters. Ihr Vater war nirgends zu sehen.

Unruhig blickte sie Idlen an, ließ von ihren Stiefeln ab und ließ sich ganz langsam auf den Thron sinken. Irgendetwas stimmte hier ganz und gar nicht und Chori hatte plötzlich eine dumpfe Vorahnung. Das da draußen war kein Fest, sondern ein Aufstand.

>Idlen, was ist passiert?< fragte sie daher und der alte Mann beäugte sie mit zurückhaltender Verachtung.

>Ich habe leider sehr schlechte und traurige Neuigkeiten, meine Run-Arah. Euer Vater, Tujell, er wurde heute morgen vom Volk ... gestürzt. Er ist nicht mehr am Leben.<

Die junge Chorr starrte unbeweglich zurück. Sie wusste, das hier war mit einem mal zu einer furchtbar heiklen Situation geworden und auch wenn sie der angebliche Tod ihres Vaters im Inneren erschütterte, musste sie jetzt ruhig bleiben. Dass Idlen so rasch in die Thronhalle gelaufen war, konnte nicht im Geringsten ein Zufall sein.

>Das sind in der Tat schlechte Neuigkeiten. Gut, dass ich so schnell eingetroffen bin und wir die Sache in den Griff bekommen können, bevor ein Bürgerkrieg ausbricht.<, sagte sie so ruhig es ging.

>Ihr habt es gehört.< ertönte nun die laute Stimme einer weiteren Chorr, die gemeinsam mit Idlen und einigen anderen den Thronsaal betreten hatten. Chori konnte sie Chotan zuordnen, der Generälin des chorrischen Heeres und somit Teil der Leibwache ihres Vaters. >Unsere Run-Arah zu beschützen ist von jetzt an die wichtigste Aufgabe.<

>Eure wichtigste Aufgabe, Vaho.< schnarrte Idlen. >Die Gelehrten müssen sich um die Schadensbegrenzung kümmern.<

Chori schluckte. Wenn ihr Vater wirklich gelyncht worden war, dann war es mehr als nur Glück, dass sie gerade wenige Sekunden vor diesem machthungrigen Idlen den Thron bestiegen hatte - fairer Weise auch mehr durch Zufall. Das war alles ganz schlecht gelaufen und mit einem Mal stand die junge Chorr vor einem gewaltbereiten Volk, mit nur sehr wenigen Vertrauten und zu vielen Gegnern auf der eigenen Seite.

Wer wusste schon aus welchen Gründen diese Dinge geschehen waren, wer die Verantwortlichen hinter dem Königsmord sein mochten und ob diese es vielleicht nicht auf noch mehr als ihren Vater abgesehen hatten. Chori blickte nun doch leicht benommen zu Chotan und Silwan neben ihr, die beide schon seit ihren frühen Kindheitstagen enge Vertraute der Königsfamilie gewesen waren. Sie würden doch sicher helfen ihre Sicherheit zu gewährleisten, oder waren auch sie hier her gekommen, um als erste auf den Thron zu springen?

Nein, an so etwas konnte und wollte sie nicht denken. Diese beiden mussten ihre Vertrauten bleiben, auch wenn es sie in ihr Grab brachte. Dennoch schluckte sie schwer und wurde den Gedanken nicht los, dass sie gerade in letzter Sekunde ihre Maid des Verstandes Fähigkeiten erweckt hatte. Mosais Macht, war das einzige Schutzschild, das sie vorweisen konnte.

Die Herrscher Lituoliens - zwei Idioten schreiben GeschichteWo Geschichten leben. Entdecke jetzt