Als der Adler seinen Anflug an die Elphidia gestartet hatte, war Lehni unter Deck gewesen und war den Kanonieren behilflich gewesen. Doch man hatte nicht überhören können, wie auf dem ganzen Schiff Panik ausgebrochen war und sich das Gerücht ausgebreitet hatte, dass die Manengrunder einen Gegenschlag ausführten. Die Offiziere hatten versucht zu beruhigen, auch wenn sie nur wenige Informationen und somit auch nur wenige Möglichkeiten dazu hatten, die Mannschaft davon abzuhalten, an Deck zu stürmen und sich der vermeidlichen Adlerplage entgegen zu stellen.
Lehni war deshalb sofort zur Verfügung gestanden, als man nach ihm rief und er in die Kapitänskajüte kommen sollte, um als Übersetzer zu dienen. Diesem ganzen Spektakel wollte er auf den Grund gehen, auch wenn sein Pheen nicht besonders gut und die Chance groß war, von einem Adler gefressen zu werden. Doch wer wäre hier nicht neugierig geworden?
Der besagte Adler nahm zum Leidwesen aller Matrosen und Seesoldaten, am Oberdeck mehr Platz ein, als man ihm zugestehen wollte und Lehni ging an ihm mit großen Augen und verrenktem Hals vorbei. Das Staunen war fast so gigantisch, wie die Angst vor dem Tier. Er merkte auch, dass die Elphidia mittlerweile etwas abgedriftet war und sich zurück fallen ließ, um nicht mehr direkt an dem Gefächt um die Xiphias Teil zu nehmen. Doch sie hatten die Flagge noch nicht gestrichen, was wohl bedeutete, dass sie von den Manengrunder anscheinend doch nicht besiegt worden waren.
All das machte für ihn mehr Sinn, als er in der Kapitänskajüte die Königin und einen Gefangenen sitzen sah, Herrschaften deren Leben man im aktiven Gefecht nicht riskieren wollte.
Sofort spreizten sich Lehnis Flügel. War etwas schief gegangen mit ihrem Plan? War dies nun der ilazische Diplomat?
Von dem Gefangenen konnte er nicht viel sehen, man hatte ihn an einen Sessel gefesselt und ihm einen Sack über den Kopf gezogen. Dafür sprachen Daivs und Choris Gesichtsausdrücke Bände. Die beiden Chorr zeigten eine nuancierte Anspannung in ihren Kiefermuskeln und gerunzelten Brauen, wobei Daiv ernster aussah als Chori.
Der Kapitän nickte Lehni begrüßend zu, dann trat er hinter den gefesselten Mann und zog ihm den Sack von seinem Kopf.
Lehni konnte den Anblick nicht gleich zuordnen, er wusste nicht, wer dieser junge Mann war, in dessen müdes, verschwitztes Gesicht er da blickte. Sie hatten ihm einen Knebel in den Mund gesteckt und Daiv zog den Kopf des Gefangenen unsanft zurück zu sich >Übersetze für mich, Lehni. Sag ihm, er soll keine Tricks riskieren. Er soll seine Fähigkeiten nicht einsetzen. Das einzige was sich von ihm bewegen darf, ist sein Mund.<
Lehni schnappte kaum hörbar nach Luft. Ein Gefangener der Manengrunder, in einer jentyponischen Uniform. Seine langen dunklen Haare klebten ihm wild in seinem Gesicht, sein Kiefer war hart auf den Knebel zusammen gepresst und der blanke Oberkörper, nur durch die offene Jacke zart bedeckt, zeigte blutverschmierte Haut.
>Sollten wir ihn nicht erst zum Schiffsarzt bringen?< fragte Lehni, doch Daiv schüttelte den Kopf >Je länger du damit wartest, ihm die Spielregeln zu erklären, desto größer ist die Chance, dass er dein Herz stehen lässt.<
>Mein Herz...<
Nun wurden Lehnis Augen wieder größer und er sah sich den Typen vor ihm noch einmal ganz genau an. Das war nicht nur ein Pilot der Manengrunder, sondern Aden Dennen.
Dessen Augen wanderten scharf und aufmerksam im Raum umher, auch wenn er sonst so aussah, als würde er beinahe das Bewusstsein verlieren. Dann blieben sie an Lehni hängen und Adens Nasenflügel ballten sich auf wie zwei Segel.
>Sprich schnell. Er simuliert nur.< ermutigte Daiv weiter und Lehni legte seine Flügel mit großem Zwang, flach gegen seinen Rücken.
Er kam sich immer wie ein Kind vor, wenn er in Pheen sprach. Sein Wortschatz war in den Tagen stehen geblieben, in denen Jaenun und er noch in kurzen Hosen durch den Sumpf gestapft waren, um Frösche zu finden. Das hörte sich zwar nach einer Aktivität an, die sie beide noch immer lustig finden würden, doch hatten sie damit aufgehört, als sie ins Jugendalter gekommen waren. Seit ihren Tagen in der Zwölfsternstadt, ihrer Zeit auf Arbeitssuche, unterhielt er sich eigentlich hauptsächlich auch mit Jaenun auf der Sprache der Chorr.
Es war ihnen damals moderner und verwegener vorgekommen mit der Zunge der Hauptstadt zu sprechen. Doch nun ging ihm die Übung ab, auch wenn ihm die Zeit mit den anderen Jae dabei geholfen hatte seinen Wortschatz aufzubessern. Er konnte nun dem Geplänkel von Jaeho und Jaemi folgen, doch ob er in der Lage dazu war, komplizierte Sätze zu übersetzen und das auch noch in dem brisanten Setting eines Verhörs, da war er sich nicht so sicher.
>Mach dir keine Sorgen.< hörte er plötzlich in seinem Kopf und er erkannte peinlich berührt, dass sich Chori in seine Gedanken geschlichen hatte >Du musst nichts übersetzen. Es ist nicht nötig die passenden Worte in Chorr oder in der Gemeinsprache zu finden. Du musst ihn nur für mich verstehen, die Bedeutung werde ich in den Bildern in deinem Kopf heraus lesen können. Aber jetzt schnell. Sag ihm was Sache ist und füge hinzu, dass er sich Findricks Wohlergehen nicht sicher sein kann, sollte er etwas tun was mir nicht gefällt. Unsere Abmachung steht noch immer.<
Lehni drehte sich erschrocken zu Chori um, die hinter ihm auf Gnaeos Sessel saß. Es schockierte ihn nicht nur, den Namen des Priesters zu hören, den sie in Atonien getroffen hatten, sondern auch in Choris Gedanken und Miene lesen zu können, dass sie es ernst meinte. Sie würde Findrick für Adens Fehlverhalten büßen lassen.
Daiv nickte Lehni auffordernd zu, als dieser sich wieder zurück drehte und der Sasanlier gab sein bestes um gefasst und überzeugend zu klingen >Die Königin und Admiral Delan wollen dich daran erinnern, dass du dich benehmen sollst. Sie werden Findrick wehtun, wenn du etwas machst.<
Daiv schien zufrieden, und löste den Knebel. Nun war Aden Dennens gefährlichste Waffe entfesselt, doch davon wusste Lehni noch nichts.
>Kannst du die Königin und Admiral Delan fragen, was der Zweck des Sacks über meinem Kopf und Knebels in meinem Mund sein sollte, wenn sie mich nach einer Minute davon schon wieder befreien? Ihr wisst nicht was ihr mit mir tun sollt, habe ich recht?<
Aden war nicht nur schwer zu verstehen, da er viel zu schnell sprach und Silben verschluckte, als würde er blind einen ausgetretenen Weg entlang spazieren. Er war auch schwer zu verstehen, da er mit dem tiefen Akzent des Südens sprach, den Lehni bis jetzt nur von Jaesore von Hamir und Jaearon, dem Kapitän der Königin Chori, kannte. All seine Jaefreunde kamen eigentlich aus dem Norden. Jaenun, Jaetru, Jaeho, Jaemi, Artheon Yeon. Sie alle klangen melodischer in Lehnis Ohren, während Aden wie ein schlampiger Hund kläffte.
>Bitte langsam, wenn du gehört werden willst.< sagte er deshalb verlegen und Aden seufzte, während er versuchte, sich bequemer in seinem Sessel auszurichten. Er wirkte nicht entnervt, oder amüsiert, eher als würde eine gewisse Anspannung von ihm fallen.
Das verwunderte Lehni etwas >Hast du verstanden? Wegen Findrick?<
>Ihr werdet Fin Juvi nichts tun. Davon bin ich überzeugt.<
>Ach ja? Warum nicht?<
>Weil ihr keine Manengrunder seid.< antwortete Aden gelassen.
Da Lehni sich nicht mit dem unangenehmen Gedanken abfinden konnte, auch nur eine kurze Stille zwischen ihnen entstehen zu lassen, platzte es weiter aus ihm heraus >Du siehst weiß aus. Im Gesicht.<
>Du meinst blass?< korrigierte Aden gelassen und schloss seine Augen dabei beinahe >Ich habe viel Blut verloren. Deshalb solltet ihr euch beeilen und das hinter euch bringen, damit ich mich ausruhen kann.<
>Dann sollte er sich nicht so zieren!< hörte er Chori in seinem Kopf sich einmischen und ihr Ärger schwappte beinahe auf Lehni über und deshalb antwortete er in Gedanken ein wenig schnippisch >Vielleicht solltest du mir sagen, was du von ihm wissen willst. Oder hat er recht? Sind wir uns nicht im Klaren darüber, was wir eigentlich von ihm wollen?<
>Frag ihn, ob er Gnaeo getötet hat.<
Ein eiskalter Finger strich über Lehnis Rücken und bohrte sich durch seine Brust. Die Elphidia drückte plötzlich auf ihn ein, als würde sie mit jedem Herzschlag an Größe und Frischluft verlieren. Er starrte Aden einen Moment lang an, dann spreizten sich seine Flügel.
Lehnis Lippen waren vom Salzwasser aufgeraut und an manchen Stellen wund gewetzt, sodass ein ziehender Schmerz in seine Lippen führ, als er endlich wieder Worte fand, doch auch durch seine Brust zuckte ein Schmerz >Unsere erste Frage an dich. Gnaeos Tod. Bist du dafür verantwortlich?<
Adens Nasenflügel ballten sich wieder einen Moment, dann öffneten sich seine Augen wieder zur Gänze und er widmete Lehni einen scharfen Blick >Das ist es mit dem ihr eure wertvolle Zeit verbringen wollt?<
>Die Königin will es wissen. Man sollte die Königin nicht hinterfragen.<
>Sag mir, Sasanlier, bist du wirklich die Stimme der Königin, oder die Stimme der Toten?< entgegnete da Aden und noch bevor Lehni verstehen konnte, was Aden da von sich gab, fügte dieser hinzu >Das sollte sich deine Königin auch fragen. Spricht sie für sich oder für das große Jenseits?<
Lehni runzelte die Stirn. Von Chori kamen keine Instruktionen.
>Sie entscheidet für sich was sie fragen will, wenn du das meinst!<
Aden lächelte >Das ist eine bedeutende Unterscheidung, denn je nachdem fallen meine Antworten aus. Wenn sie die Vergangenheit ruhen lassen kann, dann werde ich euch helfen diesen Krieg zu gewinnen. Doch wenn sie den anklagenden Finger der Toten hebt, dann werde ich nichts mehr sagen, bevor ich nicht vor einen Richter gestellt wurde und einen Anwalt als Beistand habe. Ich würde mir Jaeartheon wünschen, wenn es diese Möglichkeit gibt.<
Große Wut und Frustration schwappte durch Lehnis Gedanken. Er wusste nicht zu welchen Teilen diese von ihm selbst oder von Chori kam, doch er versuchte
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Die Herrscher Lituoliens - zwei Idioten schreiben Geschichte
FantasyDer große Kontinent Peruna erstreckt sich von dem tropischen Regenwald Ahnahns, über die glühende Wüste Nemuraq, bis zum kalten Bergland in Manengrund. Er hat bereits viele Konflikte kommen und gehen gesehen und oft trennen die beiden Konfliktpartei...