37.3. Jaeran

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Mit dem Wunsch ein paar nette Worte mit Silwan zu wechseln, trat der Jae am Morgen an das Zelt der Chorrdame. Doch er erkannte schnell, dass sie beschäftigt war und setzte sich deshalb vor den Brunnen, auf eine Sandbank und putzte gemächlich seine Waffen. Er hatte von dort aus einen guten Blick auf Silwans Zelt, war aber auch nicht aufdringlich nahe, sodass er nicht störte. Zumindest für seine Auffassung. Als dann endlich Mehin, mit den traumhaften Rundungen und den schönen Augen, noch immer halbnackt, aus dem Zelt stieg, senkte Jaeran sofort den Blick. Respektvoll, wie er hoffte.

Mehin bemerkte ihn jedoch nicht und beeilte sich, um am Brunnen vorbei, zu der Ratssitzung zu gelangen. Jeder im Widerstandslager der Nemuraqer war im Rat und hatte eine Stimme. Es gab keinen Anführer, keinen König, keine fixen Regeln. Alles wurde verhandelt, jeder durfte mitstimmen. Jeder, der sich Nemuraqer nennen konnte zumindest. Die beiden Lituolier hatten dadurch viel Freizeit, zwischen den Scharmützeln gegen die Manengrunder, denn die Entscheidungsfindung im Widerstand, war zwar fair, doch auch sehr zeitintensiv.

Wie viel die Nemuraqer selbst von ihrem neuen System hielten, war sehr unterschiedlich, wie Jaeran durch zahlreiche Gespräche erfahren hatte. Manch ein Kämpfer war Feuer und Flamme für die revolutionären Ideen und deren Umsetzung, so wie der junge Omit zum Beispiel. Üblicher Weise redete er nicht viel, doch wenn er einmal los gelegt hatte, dann sprach er davon, dass er und seine gleichdenkenden Freunde, ihrer neuer Verwaltungsform eine wissenschaftlich theoretische Grundlage geben mussten. Anscheinend reichte es nicht, dass man einfach ehrlich war und gestand, dass man keine Lust mehr auf strikte hierarchische Konzepte hatte. Laut Omit musste man dem neuen System, im Nachhinein eine kohärente Ursprungsgeschichte aufdrücken, um die Idee in der Welt verbreiten zu können. Nur wenn man in anderen Ländern Nachahmer fand, würde das System stabil bleiben. Andernfalls könnte der nächste Feind, ihre Innovation als Einladung sehen und die Macht an sich reißen.

Ein Manifesto musste her und um dieses zu verbreiten, war Silwan auserkoren worden. Da sie nicht kämpfen konnte und auch nicht kämpfen lernen wollte.

Jaeran verstand von all dem nur sehr wenig. Es gefiel ihm jedoch. Als Fürst der kein Fürst sein wollte, passte diese Selbstverwaltung ideal auf seine Vorstellungen. Mehr musste er nicht wissen.

Das einzige Problem sah er in Silwans Liaison mit Mehin. Denn diese war definitiv nicht so überzeugt von der neuen Methode, die man in Nemuraq einführen wollte. Sie war dem Widerstand beigetreten, um für ihr vernichtetes Dorf Rache zu nehmen. Die Politik interessierte sie nur wenig.

Und so sah es wohl auch ein Großteil der Mitglieder dieser neuen Struktur. Viele verfolgten ein anderes Ziel und sahen den Widerstand nur als Sprungbrett an. Oder Teile der Idee, widersprachen den Vorstellungen der Mitglieder, wie das bei Kaphan und seiner Schwester Deyza der Fall war. Diese beiden waren sich zwar einig, dass Nemuraq der Geburtsort der Bürgerbestimmung sein sollte, doch sie hielten an der Isolationspolitik des Landes fest. Die Botschaft, dass anarchistische Systeme funktionieren konnten und man das auf dem ganzen Kontinent umsetzen sollte, war für sie eine Gefahr. Es sollte sich weiterhin niemand um Nemuraq kümmern, denn wenn das Reich wieder auf der Landkarte aufschien, könnte ja jemand auf die Idee kommen, Ansprüche zu stellen.
>Denkt an die T.< davon war stets die Rede >Die T, die alles aufgefressen haben.< Denn die T wurden nicht gefragt. Sie hatten genau so wenig Stimmrecht, wie dies Jaeran und Silwan hatten und dadurch könnten sich die Lituolier ja, als Schutzmacht ihrer Leute, in die Belange der Nemuraqer einmischen. Oder so ähnlich wurde dieses Schreckgespenst an die Wand gemalt.

Jaeran wusste nicht, welche Strategie die Beste war, doch er wurde auch nicht gefragt. Den Göttern sei Dank, musste man sagen, denn für Jaeran war das auch alles im Moment zu kompliziert. Ihm wurde nur gesagt, welches Nest der Manengrunder anzugreifen war und er attackierte es willig. Er mischte sich nicht einmal in die militärischen Entscheidungen ein, denn seine Aufgabe war es schlicht, dieses Land zu befreien.

Als er sich gerade fragte, wie Yaims die Sache eigentlich sah, versuchte sich Silwan gerade aus dem Zelt zu stehlen. Sie verdeckte die roten Flecken nur notdürftig, die auf ihrem schokoladebraunen Hals violett wirkten und von Mehins Lippen stammten, denn sie hatte keinen Spiegel, um zu wissen, wie ihr Tuch liegen musste. Und so versuchte Jaeran Behilflich zu sein. Er trat näher an sie, begrüßte sie auf eine hoffentlich unverbindliche Art und richtete ihr Tuch >Wollte mich nur ergebenst wieder zurück melden. Ich habe den Kampf überlebt.<

Silwan sah peinlich berührt darüber aus, dass Jaeran wohl die roten Flecken für genau das erkannt hatte, was sie auch waren und trat einen Schritt zurück, um sich das Tuch selbst zu richten >Ich hatte nur... ich wollte nur... etwas Wasser holen.< murmelte sie.

Jaeran verfluchte sich dafür in Gedanken, dass er die Situation für Silwan unangenehm gemacht hatte. Er wusste nicht genau, wie das Gespräch zu retten war, also versuchte er eine Deeskalation. Gleichzeitig, fiel ihm ein, dass er zwei Fliegen mit einer Klappe schlagend, auch sein Wissen über die chorrische Sprache auffrischen konnte. Als Zeichen des guten Willens, sozusagen, schließlich musste nicht jeder wissen, worüber sie sprachen. Wobei sich Jaeran nicht sicher war, welche Mitglieder des Widerstandes auch dem Chorrischen kundig waren. Manchmal war es schließlich erstaunlich, wie viele Sprachen die Leute um ihn herum beherrschten und eigentlich war es auch bei näherer Betrachtung erklärbar, bei solch einem diversen Land wie Nemuraq. Er wusste von ein oder zwei Mitgliedern, die auch Pheen verstanden, da sie aus Abrasers stammten, an der Grenze zu Loreen.

Als er Silwans ungeduldigen Blick wahrnahm, wusste er, dass er sich wieder in belanglosen Gedankensalat verstrickt hatte und sein Gegenüber ihm wohl Sekunden oder gar Minuten lang dabei zusehen hatte müssen, wie sein Blick im Nichts verschwunden war.

Er räusperte sich also verlegen und kramte sein schönstes Chorrisch hervor >Nein, du brauchst dich nicht verschämen. Für die Liebe die Ihr gefunden seid.<
Silwan war eine strenge Lehrerin >Ich schäme mich doch gar nicht und ich habe auch keine Liebe gefunden. Das ist nur Lust.<
Jaeran versuchte diese Lektion jedoch in sein Hirn zu saugen. Schämen. Liebe finden.

Zum Glück holte ihn Silwan jedoch gleich wieder in das Hier und Jetzt zurück und zwar in der Gemeinsprache >Dieser Akzent klingt auch, als hättest du ihn von Daiv gelernt. Nur Seegurken schwatzen so. Du musst versuchen gehobener zu sprechen. Vor allem vor der Königin.< dann wechselte sie wieder in das Chorrische >Die ich übrigens noch immer am nächsten zu meinem Herzen trage.<
>Lust oder Liebe.< kommentierte Jaeran und richtete sich auf. Er versuchte dabei philosophisch auszusehen, denn er hatte Kaphan beobachtet, als der seine Reden gehalten hatte und befunden, dass man so viel beeindruckender wirkte. >Es scheinet mir, dass es dünkt, dass das ein oder andere, ob Liebe oder Lust meine ich, doch das Ende des Krieges vorher sagt. Mehr und mehr wenden sich den Bindungen zwischen zwei...Leuten...zu. Die Leute wollen nicht mehr des Kampfes tätig sein.<
>Das war jetzt besser. Aber zu geschwollen.< kommentierte Silwan und lächelte.
Auch Jaeran wurde davon angesteckt und lächelte mit.

>Und was ist mit dir, du großer Held? Willst du nicht den Bindungen zwischen den Leuten fröhnen? Deyza scheint großes Interesse daran zu haben, von dir gegen eine Wand gedrückt zu werden.< fragte Silwan und meinte es wohl als Scherz, denn sie lächelte verschmitzt unter ihrem Tuch hervor. Doch Jaeran kannte den Unterschied zwischen den Akzenten nicht und da Silwan so selten Scherze machte und er ihr solch derben Humor auch gar nicht zugetraut hatte, entging ihm vollkommen, dass sie es nicht ernst meinte und absichtlich wie eine Seegurke klang.

Sie verlor Jaeran also wieder ein paar Sekunden im Narrenkastel, bevor er mit schuldbewusster Miene sagte >Ich habe noch Verbindungen zu Leuten.<
Denn er konnte sich nicht mit reinem Herzen Jaeho zuwenden, da er noch immer, so wie Silwan das zu seinem unermesslichen Gefallen ausgedrückt hatte, den verstorbenen Jaelamee so nahe an seinem Herzen trug. Und mit Deyza konnte er sich nicht vergnügen, da er Jaeho zu nahe am Herzen trug. Betrübt wollte er darüber aber nicht sein. Er redete sich fest ein, dass ihm nichts fehlte und schob die Regenwolken über seinem Kopf beiseite.

>Ich versteh schon. Es ist wegen Jaelamee von Vjeja.< murmelte Silwan und legte ihre Hand auf seinen Oberarm >Du bist ein besonderes Individuum, Bruder.< sie hatte dabei das chorrische Wort für Bruder verwendet. Kanahb. Ein schwieriges Wort zum Aussprechen, denn das h klang mehr nach einem k und das b nach einem p. Doch es rollte so melodisch von Silwans Zunge, als wäre es für sie erfunden worden. Und sie verwendete es in letzter Zeit öfter und damit ging auch die besondere Bedeutung in Jaerans Gedanken verloren. Er amüsierte sich über einen anderen Punkt >Manche versuchen mich mit solch einem Satz zu beleidigen.<
Sie lächelte gutmütig >Ich nicht.<

Noch immer Jaelamees Tod in den Knochen spürend, befand Jaeran, dass dringend ein Themenwechsel her musste >Sie beraten gerade darüber, ob man den Stamm der Naurabuten auch zum Widerstand einladen sollte. Wir sind fast an der Grenze zu ihrem Gebiet.<

Silwan streckte all ihre Muskeln bevor sie antwortete, gähnend wie eine Katze >Ich kann mir nicht erklären, warum dieser ganze Prozess so ewig braucht. Wir haben nicht genug Kämpfer, also benötigen wir mehr. Ganz einfach. Aber die mit ihren Abstimmungen, müssen ja alles wieder komplizierter machen, als es sein müsste.<
>Nun,

Die Herrscher Lituoliens - zwei Idioten schreiben GeschichteWo Geschichten leben. Entdecke jetzt