Draußen würde es wohl bald zu Dämmern beginnen. Doch man könnte wahrscheinlich keine Sterne, an diesem Abend, mehr zu Gesicht bekommen, denn der Pulverrauch verhüllte jedes Licht am Himmel. Das war nicht allzu schade, denn hier unten, im Bauch des Schiffs, gab es so und so keine Fenster. Die Geschosse draußen verstummten langsam, man hatte die Xiphias nun anscheinend endgültig durchlöchert, ihre Schale geknackt und sie ihre letzte Fahrt, zum Meeresboden, antreten lassen. Das oder es war ihnen die Munition ausgegangen.
War es traurig, das größte Schiff der Welt, so kurz nach ihrer Jungfernfahrt schon gehen zu sehen? War es Verschwendung gewesen, fast zweitausend Bäume zu fällen, um sie zu bauen, Städte zu entvölkern, um sie mit Matrosen zu besetzten, Berge zu entwurzeln, um das Schießpulver abzubauen und sie damit zu bestücken und letztendlich auch zu versenken? War sie das Reißbrett wert gewesen, auf dem sie entworfen worden war?
Jaetru würde sich davor hüten, ihr Erscheinen als unnütz darzustellen. Denn nichts auf dieser Welt, verschwand einfach so wieder in den Tiefen von Ninri, ohne nicht einen Effekt auf den Rest der Geschichte gehabt zu haben. Die Xiphias hatte die Welt verändert, sie würde als Vorbild für die nächste Generation von Schiffen dienen, auch wenn sie nur für einen Moment lang, die Wellen geteilt hatte. Und die Art, wie sie erlegt worden war, würde auch seine Nacharmer finden, was wiederum im Schiffbau zu Veränderungen führen würde.
Alles veränderte sich stätig, seit die ersten Götter ihre Füße auf diese Welt gesetzt hatten, war bereits nichts mehr so gewesen, wie sie dies geplant gehabt hatten. Alles änderte sich und die Jae hatten in ihrer Sprache sogar eine eigene Phrase dafür: 'Nijeet pani robda darn donda'. Dies bedeutete sowohl, dass die Dinge anders werden, als auch, dass sich die Dinge verbessern würden, denn in Pheen gab es keinen Unterschied zwischen diesen beiden Sentimentalitäten. Mit solch einer Zuversicht sah man in seiner Kultur der Unabwendbarkeit der Veränderung entgegen.
Doch Jaetru konnte in diesem Moment, dem Charme der Veränderung nichts abgewinnen. Auch wenn Sprache das Denken beeinflusste, war Jaetru durchaus in der Lage dazu, solch eine Unterscheidung zu machen und nicht jede Veränderung stellte für ihn auch eine Verbesserung da. Vor allem nicht jetzt und vor allem nicht für ihn, dem es bei dem Gedanken an unkontrollierbare Neuerungen, kalt den Rücken herunter schauerte. Und so war er auch nicht in der Lage dazu, sich von seiner Angst abzulenken. Auch wenn er es tapfer versucht hatte, kamen seine Gedanken immer wieder auf seine eigene Veränderung zurück. Darauf, wie es so weit hatte kommen können, dass er nun hier in der Brig saß, Seewasser ihm von oben vom Deck der Königin Chori, auf den Kopf tropfte und er sich in der kalten, schwankenden Dunkelheit nicht orientieren konnte. Es roch moderig und er verzog das Gesicht, mit wild schlagendem Herzen, wenn er sich ausmalte, wie ihm bald die nasse Kleidung vom Leib faulen würde. Wie die Kälte, aus dem Wasser um seine Knöchel, ihre eisigen Finger durch seine Hosen sog und sich weiter unaufhaltsam hinauf arbeitete. Und er konnte nichts tun, denn seine Hände waren hinter ihm zusammen gebunden. Und wenn das Schiff doch noch einmal angegriffen werden würde und kenterte? Mit gefesselten Händen, konnte er nicht schwimmen und müsste hilflos ertrinken.
Über ihm wurde die Luke zur Brig geöffnet, es quietschte schrill und er konnte sich zum Glück von seinen dunklen Gedanken ablenken. Jemand polterte den Niedergang herunter, es wurde lauter als erwartet und eine Fackel zischte, als sie die feuchte Luft erhellte. Jaetru kniff die Augen gegen den plötzlichen Feuerschein zusammen, denn er musste nicht sehen, wer da zu ihm herunter kam. Er würde keine Überraschung fürchten müssen.
>Willkommen zurück. Ich hätte dich früher erwartet.< murmelte er, als sich das Wasser vor seiner Zelle beruhigt hatte.
>Du weißt natürlich, warum ich hier bin. Also lassen wir das Vorgeplänkel.<
Hinter geschlossenen Augenliedern, konnte Jaetru sehen, wie Jaeho vor der Zelle stand. Wie damals, beim Tournier zu Ehren von Jaetrus fünfzehnten Geburtstag.
Die Luft auf dem Anhemorn war klar und kalt gewesen und die Atmosphäre auf dem Fest, hatte sich dem guten Wetter angepasst. Es war bereits der dritte Tag der Feierlichkeiten gewesen, als Jaeho endlich aufgetaucht war, denn er hatte sich verspätet, so wie immer, wenn er aus den Alkrin Landen, zurück nach Hause kam. Kurz zuvor hatte er die letzte der dreizehn obligatorischen Prüfungen der Weißen Klingen absolviert und war somit nun dazu berechtigt, sich als frischgebackenes, vollwertiges Mitglied des Ordens zu fühlen. Er kam direkt von der Zeremonie seiner Weihe im Tempel von Izim Nakube zum Anhemorn und hatte der Welt somit beweisen können, dass er sich sein Schwert verdient hatte.
Jaetru war darüber informiert worden, dass man den Fürsten von Vijen im Zeltlager der Turnierteilnehmer gesichtet hatte, doch keiner der beiden hatte den anderen damals aufgesucht, um sich zu begrüßen. Wahrscheinlich hatten beide darauf gebrannt, einander erst beim Einzug auf den Turnierplatz wieder zu sehen, zumindest konnte Jaetur dies für sich beanspruchen, denn es war sein größter Wunsch gewesen, den Älteren in der vollen Ruhmestracht eines neuen Mitgliedes der Weißen Klingen zu sehen. Oder zumindest mit so viel Pomp, wie es dieser heruntergekommene Vagabund zusammen bringen konnte.
Doch nichts hätte ihn auf Jaehos Anblick vorbereiten können. Seine Augen hatten ihn sofort unter der Menge an herein reitenden Nobelmännern gefunden, denn sie verblassten alle neben Jaeho von Vijen, auch wenn sie alle ihre Rüstungen auf Hochglanz poliert, ihre Helme ornamentiert und ihre Pferde auffrisiert hatten.
Doch Jaeho. Er kam gleich hinter Jaesore von Hamir auf den Turnierplatz geritten, um sich wie die anderen vor dem Publikum zu verbeugen. Jaetru erinnerte sich an jedes Detail. Sein schwarzes Pferd, das aus dem frisch gefallenen ersten Schnee des Jahres heraus stach. Sein gewobener Mantel, war ebenso schwarz gewesen und hatte ihn wie die Flügel einer Fledermaus umhüllt, während sein Hemd darunter, die nachtblauen und smaragdgrünen Farben von Vijen hervorblitzen hatten lassen. Der weiße Stahl des gerade verdienten Schwertes, schaute unter dem schwarzen Mantel hervor und sie alle, im Publikum wie unten am Turnierplatz, bewunderten es verlegen. Das Schwert war makellos, unberührt und versprach für Jaehos Feinde gefährlich zu werden.
Die Wellen von Jaehos dunklem Haar, fielen über seine Schultern, wie die Wasserfälle von Vijen, auf die sein Fürstentum so stolz war.
Man hätte ihn nicht anders beschreiben können, er war damals die Muse für alle Dichter im Publikum gewesen, die über einen jungen Krieger hatten schreiben wollen und all jene Maler, die eine Referenz für einen jungen Helden brauchten. Man sah ihm all die Strapazen an, die er auf sich nehmen hatte müssen, nein, die er bewältigt hatte, um ein vollwertiger Ordensbruder zu werden. All das harte Training, die gefährlichen Missionen, doch nun auch das Selbstbewusstsein und den Drang, all die Geschichten zu erzählen, die er auf seinen Reisen erlebt hatte.
Da war etwas komisches in Jaetrus Körper spürbar geworden. Ein aufgeregtes Kribbeln in seinem Magen, ein ungeduldiges Wippen mit seinem Fuß, von dem er eigentlich angenommen hatte, dass ihm diese Marotte schon längst abgewöhnt worden war. Peinlich berührt, hatte er überlegt, den Blick abzuwenden, doch er hatte auch keinen Moment dieser Szene verpassen wollen. Das Potenzial, das in diesem Moment in Jaeho sichtbar geworden war, das Versprechen auf Ruhm und Macht und dem Status eines wahren Helden, war für Jaetru unwiderstehlich gewesen.
Und nun würde nichts mehr zwischen ihnen stehen können! So hatte Jaetru damals gedacht. Jaeho war zurück gekommen und endlich mit seiner Ausbildung zu einem Abschluss gekommen. Vergangen waren die langen Winter, in denen sie voneinander getrennt gewartet hatten. Vorbei die Zeit in der Jaeho unter anderen Herren hatte dienen müssen. Jaeho würde nun für immer an Jaetrus Seite verweilen. So hatte es der Vash für sie beide auserkoren.
Dies war sein Ritter. Und jeder Fürst, jeder Bauer, jedes Kind im Publikum, war sich dessen bewusst.
Und das Turnier selbst war atemberaubend gewesen. Alle hatten Jaehos Kämpfe mit Staunen verfolgt und Jaetru war triumphierend über seinen Fürsten gesessen und hatte sie staunen lassen. 'Schaut!' hatte er sich damals gedacht 'Dies nun ist mein Ritter und er wird mich vor euch beschützen! Niemand wird mich stürzen können. Niemand wird mir etwas tun, solange Jaeho bei mir ist!'
Nach seinem grandiosen Sieg über drei seiner Widersacher, war das Publikum von den Rängen aufgesprungen und hatte sich über den Turnierplatz ergossen, um den jungen Krieger hochleben zu lassen. Jaetru war stolz gewesen. Nicht nur darauf, Jaeho zum Sieger des Turniers krönen zu können, sondern auch, dass er es gewesen war, der dem Älteren diesen Ruhmeszug ermöglicht hatte.
Es war sein Wunsch gewesen, Jaeho wieder in die Farben von Panareen zu kleiden und sich einer gewissen und vor allem gesicherten Zukunft zu erfreuen. Ein besonderer Bonos war es natürlich auch gewesen, dass Jaeran von Minzka es nicht zu dem Turnier geschafft hatte, was wohl das größte Geburtstagsgeschenk für Jaetru gewesen war. Er hatte Jaeho für sich alleine gehabt, damals mit fünfzehn Jahren, zumindest für einen Moment.
Das Strahlen, das Jaeho dem Publikum und Jaetru bei seinem Sieg geschenkt hatte, war dessen größter Schatz.
Denn nun kam es nicht mehr vor, dass der Ältere in Jaetrus Gegenwart noch lächelte.
Widerstrebend öffnete Jaetru schließlich die Augen und fand sich im Fackelschein gebadet wieder, wie auf einem Präsentierteller. Jaeho warf ihm sein Starren durch die Gitterstäbe hindurch zurück
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Die Herrscher Lituoliens - zwei Idioten schreiben Geschichte
FantasyDer große Kontinent Peruna erstreckt sich von dem tropischen Regenwald Ahnahns, über die glühende Wüste Nemuraq, bis zum kalten Bergland in Manengrund. Er hat bereits viele Konflikte kommen und gehen gesehen und oft trennen die beiden Konfliktpartei...